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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Späher. Klettervögel. Heherspechte.
ihm der unwillige Vogel mehrere Wunden bei und bekundete überhaupt einen so edeln und freiheits-
liebenden Sinn, daß der Forscher mehr als einmal daran dachte, ihn in seine Wälder zurückzubringen.
Das ihm dargereichte Futter verschmähete er gänzlich, und so erlag er schon am dritten Tage den
Leiden der Gefangenschaft.



Die Heherspechte (Melanerpes) zeichnen sich weniger durch ihre Größe, als durch die Farben-
pracht ihres Gefieders aus. Sie sind kräftig gebaut, großköpfig und kurzhälsig. Der Schnabel ist
gerade, am Grunde breiter als hoch, auf der Firste gewölbt, an den Rändern stark eingezogen, auf-
fallend wegen vier gleichlaufender Leistchen, welche oberhalb und unterhalb der Nasenlöcher ent-
springen, sich bis gegen die Mitte des Schnabels hinziehen und zwischen sich Hohlkehlen bilden. Der
Lauf ist so lang, als die Wendezehe mit Nagel. Jm Fittig sind die vierte und fünfte Schwinge unter
sich gleich lang und die längsten. Der Schwanz ist sehr gerundet, ein kleiner Ring um die Augen ist
unbefiedert. Schwarz mit Roth oder Roth mit Weiß sind die vorherrschenden Farben. Die hierher
zu zählenden Arten gehören dem Norden und Süden Amerikas an.

Der bekannteste aller Heherspechte ist der' Rothkopf (Melanerpes erythrocephalus). Kopf
und Hals sind hochroth, der Mantel, die Schwingen und der Schwanz rabenschwarz, die Hinter-
schwingen, der Bürzel und die Unterseite reinweiß. Das Auge ist nußbraun, der Schnabel und die
Füße sind blänlichschwarz. Das Weibchen ist etwas kleiner und minder lebhaft gefärbt als das
Männchen. Bei den Jungen sind Kopf, Hals, Mantel und Brust erdbraun, durch schwarzbraune
Mondflecken gezeichnet, die Vorderschwingen schwarzbraun, die Hinterschwingen röthlichweiß, gegen die
Spitze hin schwarzbraun gebändert, die Steuerfedern dunkelbraunschwarz. Die Länge beträgt 9, die
Breite 17, die Fittiglänge 4 5/6 , die Schwanzlänge 23/4 Zoll.

"Es gibt vielleicht keinen Vogel in Nordamerika", behauptet Wilson, "welcher bekannter wäre,
als der Rothkopf. Sein dreifarbiges Gefieder ist so bezeichnend, seine räuberischen Sitten sind so
bekannt, und er ist außerdem so häufig, daß jedes Kind von ihm zu erzählen weiß." Der Rothkopf
verbreitet sich über den ganzen Norden Amerikas. Man sieht ihn nach Versicherung des Prinzen
von Wied
an allen Zäunen sitzen, an den Spitzen oder an den Stämmen eines Baumes hängen
oder am Gewurzel umherklettern und nach Kerbthieren suchen. "Man darf ihn", sagt Audubon, "als
einen Standvogel der Vereinigten Staaten betrachten, da er in den südlichen Theilen derselben
während des ganzen Winters gefunden wird und dort auch im Sommer brütet. Die große Mehrzahl
seiner Art aber wandert im September von uns weg und zwar des Nachts. Sie fliegen dann sehr
hoch über den Bäumen dahin, gesellschaftlich und doch jeder für sich, einem zersprengten Heere ver-
gleichbar, und stoßen einen besondern, scharfen Laut aus, welchen man sonst nicht vernimmt, gleichsam
in der Absicht, sich gegenseitig aufzumuntern. Mit Tagesgrauen läßt sich die Gesellschaft auf den
Wipfeln der abgestorbenen Bäume um die Pflanzungen nieder und verweilt hier, Futter suchend, bis
zu Sonnenuntergang. Dann steigt einer nach dem andern wieder empor und setzt seine Reise fort."

"Mit Ausnahme der Spottdrossel kenne ich keinen so heitern und fröhlichen Vogel, wie diesen
Specht. Sein ganzes Leben ist Freude. Er findet überall Nahrung in Menge und allerorten passende
Nistplätze. Die geringe Arbeit, welche er thun muß, wird für ihn zu einer neuen Quelle von Vergnügen;
denn er arbeitet nur, um sich entweder die zartesten Leckereien zu erwerben oder um eine Wohnung zu
zimmern für sich, für seine Eier oder seine Familie. Den Menschen fürchtet er, wie es scheint, durchaus
nicht, obgleich er keinen schlimmeren Feind hat, als gerade ihn. Wenn er auf einem Zaunspfahl am
Wege oder im Felde sitzt und Jemand sich ihm nähert, dreht er sich langsam auf die andere Seite des
Pfahls, verbirgt sich und schaut ab und zu vorsichtig hervor, als wolle er die Absicht des Menschen
erspähen. Geht dieser ruhig vorüber, so hüpft er auf die Spitze des Pfahls und trommelt, als wolle er

Die Späher. Klettervögel. Heherſpechte.
ihm der unwillige Vogel mehrere Wunden bei und bekundete überhaupt einen ſo edeln und freiheits-
liebenden Sinn, daß der Forſcher mehr als einmal daran dachte, ihn in ſeine Wälder zurückzubringen.
Das ihm dargereichte Futter verſchmähete er gänzlich, und ſo erlag er ſchon am dritten Tage den
Leiden der Gefangenſchaft.



Die Heherſpechte (Melanerpes) zeichnen ſich weniger durch ihre Größe, als durch die Farben-
pracht ihres Gefieders aus. Sie ſind kräftig gebaut, großköpfig und kurzhälſig. Der Schnabel iſt
gerade, am Grunde breiter als hoch, auf der Firſte gewölbt, an den Rändern ſtark eingezogen, auf-
fallend wegen vier gleichlaufender Leiſtchen, welche oberhalb und unterhalb der Naſenlöcher ent-
ſpringen, ſich bis gegen die Mitte des Schnabels hinziehen und zwiſchen ſich Hohlkehlen bilden. Der
Lauf iſt ſo lang, als die Wendezehe mit Nagel. Jm Fittig ſind die vierte und fünfte Schwinge unter
ſich gleich lang und die längſten. Der Schwanz iſt ſehr gerundet, ein kleiner Ring um die Augen iſt
unbefiedert. Schwarz mit Roth oder Roth mit Weiß ſind die vorherrſchenden Farben. Die hierher
zu zählenden Arten gehören dem Norden und Süden Amerikas an.

Der bekannteſte aller Heherſpechte iſt der’ Rothkopf (Melanerpes erythrocephalus). Kopf
und Hals ſind hochroth, der Mantel, die Schwingen und der Schwanz rabenſchwarz, die Hinter-
ſchwingen, der Bürzel und die Unterſeite reinweiß. Das Auge iſt nußbraun, der Schnabel und die
Füße ſind blänlichſchwarz. Das Weibchen iſt etwas kleiner und minder lebhaft gefärbt als das
Männchen. Bei den Jungen ſind Kopf, Hals, Mantel und Bruſt erdbraun, durch ſchwarzbraune
Mondflecken gezeichnet, die Vorderſchwingen ſchwarzbraun, die Hinterſchwingen röthlichweiß, gegen die
Spitze hin ſchwarzbraun gebändert, die Steuerfedern dunkelbraunſchwarz. Die Länge beträgt 9, die
Breite 17, die Fittiglänge 4⅚, die Schwanzlänge 2¾ Zoll.

„Es gibt vielleicht keinen Vogel in Nordamerika“, behauptet Wilſon, „welcher bekannter wäre,
als der Rothkopf. Sein dreifarbiges Gefieder iſt ſo bezeichnend, ſeine räuberiſchen Sitten ſind ſo
bekannt, und er iſt außerdem ſo häufig, daß jedes Kind von ihm zu erzählen weiß.“ Der Rothkopf
verbreitet ſich über den ganzen Norden Amerikas. Man ſieht ihn nach Verſicherung des Prinzen
von Wied
an allen Zäunen ſitzen, an den Spitzen oder an den Stämmen eines Baumes hängen
oder am Gewurzel umherklettern und nach Kerbthieren ſuchen. „Man darf ihn“, ſagt Audubon, „als
einen Standvogel der Vereinigten Staaten betrachten, da er in den ſüdlichen Theilen derſelben
während des ganzen Winters gefunden wird und dort auch im Sommer brütet. Die große Mehrzahl
ſeiner Art aber wandert im September von uns weg und zwar des Nachts. Sie fliegen dann ſehr
hoch über den Bäumen dahin, geſellſchaftlich und doch jeder für ſich, einem zerſprengten Heere ver-
gleichbar, und ſtoßen einen beſondern, ſcharfen Laut aus, welchen man ſonſt nicht vernimmt, gleichſam
in der Abſicht, ſich gegenſeitig aufzumuntern. Mit Tagesgrauen läßt ſich die Geſellſchaft auf den
Wipfeln der abgeſtorbenen Bäume um die Pflanzungen nieder und verweilt hier, Futter ſuchend, bis
zu Sonnenuntergang. Dann ſteigt einer nach dem andern wieder empor und ſetzt ſeine Reiſe fort.“

„Mit Ausnahme der Spottdroſſel kenne ich keinen ſo heitern und fröhlichen Vogel, wie dieſen
Specht. Sein ganzes Leben iſt Freude. Er findet überall Nahrung in Menge und allerorten paſſende
Niſtplätze. Die geringe Arbeit, welche er thun muß, wird für ihn zu einer neuen Quelle von Vergnügen;
denn er arbeitet nur, um ſich entweder die zarteſten Leckereien zu erwerben oder um eine Wohnung zu
zimmern für ſich, für ſeine Eier oder ſeine Familie. Den Menſchen fürchtet er, wie es ſcheint, durchaus
nicht, obgleich er keinen ſchlimmeren Feind hat, als gerade ihn. Wenn er auf einem Zaunspfahl am
Wege oder im Felde ſitzt und Jemand ſich ihm nähert, dreht er ſich langſam auf die andere Seite des
Pfahls, verbirgt ſich und ſchaut ab und zu vorſichtig hervor, als wolle er die Abſicht des Menſchen
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[68/0082] Die Späher. Klettervögel. Heherſpechte. ihm der unwillige Vogel mehrere Wunden bei und bekundete überhaupt einen ſo edeln und freiheits- liebenden Sinn, daß der Forſcher mehr als einmal daran dachte, ihn in ſeine Wälder zurückzubringen. Das ihm dargereichte Futter verſchmähete er gänzlich, und ſo erlag er ſchon am dritten Tage den Leiden der Gefangenſchaft. Die Heherſpechte (Melanerpes) zeichnen ſich weniger durch ihre Größe, als durch die Farben- pracht ihres Gefieders aus. Sie ſind kräftig gebaut, großköpfig und kurzhälſig. Der Schnabel iſt gerade, am Grunde breiter als hoch, auf der Firſte gewölbt, an den Rändern ſtark eingezogen, auf- fallend wegen vier gleichlaufender Leiſtchen, welche oberhalb und unterhalb der Naſenlöcher ent- ſpringen, ſich bis gegen die Mitte des Schnabels hinziehen und zwiſchen ſich Hohlkehlen bilden. Der Lauf iſt ſo lang, als die Wendezehe mit Nagel. Jm Fittig ſind die vierte und fünfte Schwinge unter ſich gleich lang und die längſten. Der Schwanz iſt ſehr gerundet, ein kleiner Ring um die Augen iſt unbefiedert. Schwarz mit Roth oder Roth mit Weiß ſind die vorherrſchenden Farben. Die hierher zu zählenden Arten gehören dem Norden und Süden Amerikas an. Der bekannteſte aller Heherſpechte iſt der’ Rothkopf (Melanerpes erythrocephalus). Kopf und Hals ſind hochroth, der Mantel, die Schwingen und der Schwanz rabenſchwarz, die Hinter- ſchwingen, der Bürzel und die Unterſeite reinweiß. Das Auge iſt nußbraun, der Schnabel und die Füße ſind blänlichſchwarz. Das Weibchen iſt etwas kleiner und minder lebhaft gefärbt als das Männchen. Bei den Jungen ſind Kopf, Hals, Mantel und Bruſt erdbraun, durch ſchwarzbraune Mondflecken gezeichnet, die Vorderſchwingen ſchwarzbraun, die Hinterſchwingen röthlichweiß, gegen die Spitze hin ſchwarzbraun gebändert, die Steuerfedern dunkelbraunſchwarz. Die Länge beträgt 9, die Breite 17, die Fittiglänge 4⅚, die Schwanzlänge 2¾ Zoll. „Es gibt vielleicht keinen Vogel in Nordamerika“, behauptet Wilſon, „welcher bekannter wäre, als der Rothkopf. Sein dreifarbiges Gefieder iſt ſo bezeichnend, ſeine räuberiſchen Sitten ſind ſo bekannt, und er iſt außerdem ſo häufig, daß jedes Kind von ihm zu erzählen weiß.“ Der Rothkopf verbreitet ſich über den ganzen Norden Amerikas. Man ſieht ihn nach Verſicherung des Prinzen von Wied an allen Zäunen ſitzen, an den Spitzen oder an den Stämmen eines Baumes hängen oder am Gewurzel umherklettern und nach Kerbthieren ſuchen. „Man darf ihn“, ſagt Audubon, „als einen Standvogel der Vereinigten Staaten betrachten, da er in den ſüdlichen Theilen derſelben während des ganzen Winters gefunden wird und dort auch im Sommer brütet. Die große Mehrzahl ſeiner Art aber wandert im September von uns weg und zwar des Nachts. Sie fliegen dann ſehr hoch über den Bäumen dahin, geſellſchaftlich und doch jeder für ſich, einem zerſprengten Heere ver- gleichbar, und ſtoßen einen beſondern, ſcharfen Laut aus, welchen man ſonſt nicht vernimmt, gleichſam in der Abſicht, ſich gegenſeitig aufzumuntern. Mit Tagesgrauen läßt ſich die Geſellſchaft auf den Wipfeln der abgeſtorbenen Bäume um die Pflanzungen nieder und verweilt hier, Futter ſuchend, bis zu Sonnenuntergang. Dann ſteigt einer nach dem andern wieder empor und ſetzt ſeine Reiſe fort.“ „Mit Ausnahme der Spottdroſſel kenne ich keinen ſo heitern und fröhlichen Vogel, wie dieſen Specht. Sein ganzes Leben iſt Freude. Er findet überall Nahrung in Menge und allerorten paſſende Niſtplätze. Die geringe Arbeit, welche er thun muß, wird für ihn zu einer neuen Quelle von Vergnügen; denn er arbeitet nur, um ſich entweder die zarteſten Leckereien zu erwerben oder um eine Wohnung zu zimmern für ſich, für ſeine Eier oder ſeine Familie. Den Menſchen fürchtet er, wie es ſcheint, durchaus nicht, obgleich er keinen ſchlimmeren Feind hat, als gerade ihn. Wenn er auf einem Zaunspfahl am Wege oder im Felde ſitzt und Jemand ſich ihm nähert, dreht er ſich langſam auf die andere Seite des Pfahls, verbirgt ſich und ſchaut ab und zu vorſichtig hervor, als wolle er die Abſicht des Menſchen erſpähen. Geht dieſer ruhig vorüber, ſo hüpft er auf die Spitze des Pfahls und trommelt, als wolle er

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/82>, abgerufen am 25.11.2024.