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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Schwimmer. Seeflieger. Möven.
bezeichnen muß. Für den Schiffer sind sie die sichersten Boten des Landes: wenn sie erst wieder sein
Fahrzeug umkreisen, ist die Küste nicht mehr fern. Eher noch, als auf die hohe See hinaus, fliegen,
sie ins Jnnere des Binnenlandes, dem Laufe größerer Ströme folgend oder von einem Gewässer nach
dem anderen sich wendend. Einzelne Arten siedeln sich hier wohl auch mehr oder weniger bleibend
an: sie bevorzugen Binnengewässer zu ihrem Aufenthaltsorte während der Fortpflanzungszeit. Mehrere
Arten der Familie gehören zu den Zugvögeln, erscheinen in ihrer nordischen Heimat im Frühlinge,
brüten, treiben sich einige Zeit lang im Lande umher und begeben sich im Spätherbste wieder auf die
Reise, andere wandern oder streichen: eigentliche Standvögel kann man wohl keine ihrer Arten nennen.

Kaum der Erwähnung nöthig scheint mir zu sein, daß diese Ortsveränderungen mit der
Ernährung zusammenhängen. Für alle Möven ohne Ausnahme bilden Fische eine beliebte Nahrung;
viele von ihnen aber gehören zu den eifrigsten Kerbthierjägern, und gerade sie sind es, welche zu regel-
mäßigem Ziehen gezwungen werden, während die übrigen da, wo das Meer nicht vereiset, auch im
Winter noch offenen Tisch haben. Neben diesen beiden Hauptnahrungsmitteln machen unsere Vögel
sich alle kleineren Thiere, welche das Meer beherbergt, oder alle thierischen Stoffe überhaupt, nach
Möglichkeit nutzbar. Sie fressen Aas wie die Geier, gleichviel ob es frisch oder bereits in Fäulniß
übergegangen ist, jagen nach lebender Beute wie Raubvögel und lesen am Strande zusammen wie
Tauben oder Hühner, kurz, betreiben die Gewerbe verschiedener Vögel mit derselben Vielseitigkeit
wie die Raben, sind jedoch gieriger und gefräßiger als jene Landvögel; denn auch sie scheinen von
einem beständigen Heißhunger geplagt zu werden und geradezu unersättlich zu sein. Begnügsam darf
man sie nennen, soweit es sich um Auswahl der Nahrung handelt, freßwüthig sind sie, was die
Masse des Nahrungsstoffes betrifft.

Wesen und Betragen der Möven müssen den Beobachter fesseln, obwohl er sich sagt, daß diese
Vögel ebenso viele sogenannte gute als schlechte Eigenschaften besitzen. Ansprechend sind Gestalt und
Färbung, anmuthig die Bewegungen, anziehend ist ihr Treiben. Jhre Stellung auf festem Boden
nennen wir eine edle, weil sie einen gewissen Stolz bekundet; ihr Gang ist gut und verhältnißmäßig
rasch; ihre Schwimmfertigkeit übertrifft die der meisten Verwandten im engeren Sinne, und sie liegen
dabei leicht wie Schaumbälle auf den Wogen und stechen durch ihre blendenden Farben von diesen so
lebhaft ab, daß sie dem Meere zum wahren Schmucke werden; ihr Flug geschieht mit langsamen
Flügelschlägen: diese wechseln aber oft mit einem anhaltenden, leichten und schönen Schweben ab,
welches an das der breitflügeligen Raubvögel erinnert und mit so großer Leichtigkeit ausgeführt wird,
daß man keine Ermüdung wahrnehmen kann; im Stoßtauchen stehen sie hinter den Verwandten
zurück, stürzen sich jedoch immer noch so heftig auf die Wellen herab, daß sie den leichten Leib andert-
halb bis zwei Fuß tief unter die Oberfläche des Wassers zwängen. Widerlich ist die Stimme, welche
bald aus stärker, bald aus schwächer schallenden, kreischenden und krächzenden Lauten besteht und zum
Ueberdruß ausgestoßen wird, falls sich irgend eine Erregung des Gemüthes bemächtigt. Unter den
Sinnen stehen Gesicht und Gehör entschieden obenan; das Empfindungsvermögen scheint ebenfalls
wohl entwickelt zu sein; einen gewissen Geschmack bekunden sie durch die Auswahl der besseren
Nahrungsmittel bei voller Tafel; über den Geruch läßt sich wohl kaum ein Urtheil fällen. Alle
Möven sind kluge, verständige Vögel, welche die Verhältnisse wohl zu würdigen und ihr Benehmen
darnach einzurichten wissen; sie sind muthig anderen Geschöpfen gegenüber, selbstbewußt und etwas
herrschsüchtig, ihren Gatten und ihrer Brut in treuer Liebe zugethan, lieben auch die Gesellschaft
mit anderen ihrer Art: aber sie zeigen sich ebenso neidisch, mißgünstig und unfreundlich gegen andere
Vögel und opfern ihrer Freßgier die scheinbar bestehende Freundschaft ohne Bedenken. Die größeren
Arten erscheinen uns als träge und ernst gestimmte, die kleineren als lebhaftere und heitere Vögel,
wenn auch von der Fröhlichkeit der Sänger und anderer Landvögel bei ihnen nicht geredet werden
kann. Um andere Meervögel bekümmern sie sich nur soweit als eben nöthig, entweder weil sie die
selben fürchten oder weil sie aus ihnen irgend welchen Nutzen zu ziehen hoffen. Sie leben und brüten
unter anderen Schwimmvögeln, mitten unter Alken und Lummen z. B.; aber nur der Ort, nicht die

Die Schwimmer. Seeflieger. Möven.
bezeichnen muß. Für den Schiffer ſind ſie die ſicherſten Boten des Landes: wenn ſie erſt wieder ſein
Fahrzeug umkreiſen, iſt die Küſte nicht mehr fern. Eher noch, als auf die hohe See hinaus, fliegen,
ſie ins Jnnere des Binnenlandes, dem Laufe größerer Ströme folgend oder von einem Gewäſſer nach
dem anderen ſich wendend. Einzelne Arten ſiedeln ſich hier wohl auch mehr oder weniger bleibend
an: ſie bevorzugen Binnengewäſſer zu ihrem Aufenthaltsorte während der Fortpflanzungszeit. Mehrere
Arten der Familie gehören zu den Zugvögeln, erſcheinen in ihrer nordiſchen Heimat im Frühlinge,
brüten, treiben ſich einige Zeit lang im Lande umher und begeben ſich im Spätherbſte wieder auf die
Reiſe, andere wandern oder ſtreichen: eigentliche Standvögel kann man wohl keine ihrer Arten nennen.

Kaum der Erwähnung nöthig ſcheint mir zu ſein, daß dieſe Ortsveränderungen mit der
Ernährung zuſammenhängen. Für alle Möven ohne Ausnahme bilden Fiſche eine beliebte Nahrung;
viele von ihnen aber gehören zu den eifrigſten Kerbthierjägern, und gerade ſie ſind es, welche zu regel-
mäßigem Ziehen gezwungen werden, während die übrigen da, wo das Meer nicht vereiſet, auch im
Winter noch offenen Tiſch haben. Neben dieſen beiden Hauptnahrungsmitteln machen unſere Vögel
ſich alle kleineren Thiere, welche das Meer beherbergt, oder alle thieriſchen Stoffe überhaupt, nach
Möglichkeit nutzbar. Sie freſſen Aas wie die Geier, gleichviel ob es friſch oder bereits in Fäulniß
übergegangen iſt, jagen nach lebender Beute wie Raubvögel und leſen am Strande zuſammen wie
Tauben oder Hühner, kurz, betreiben die Gewerbe verſchiedener Vögel mit derſelben Vielſeitigkeit
wie die Raben, ſind jedoch gieriger und gefräßiger als jene Landvögel; denn auch ſie ſcheinen von
einem beſtändigen Heißhunger geplagt zu werden und geradezu unerſättlich zu ſein. Begnügſam darf
man ſie nennen, ſoweit es ſich um Auswahl der Nahrung handelt, freßwüthig ſind ſie, was die
Maſſe des Nahrungsſtoffes betrifft.

Weſen und Betragen der Möven müſſen den Beobachter feſſeln, obwohl er ſich ſagt, daß dieſe
Vögel ebenſo viele ſogenannte gute als ſchlechte Eigenſchaften beſitzen. Anſprechend ſind Geſtalt und
Färbung, anmuthig die Bewegungen, anziehend iſt ihr Treiben. Jhre Stellung auf feſtem Boden
nennen wir eine edle, weil ſie einen gewiſſen Stolz bekundet; ihr Gang iſt gut und verhältnißmäßig
raſch; ihre Schwimmfertigkeit übertrifft die der meiſten Verwandten im engeren Sinne, und ſie liegen
dabei leicht wie Schaumbälle auf den Wogen und ſtechen durch ihre blendenden Farben von dieſen ſo
lebhaft ab, daß ſie dem Meere zum wahren Schmucke werden; ihr Flug geſchieht mit langſamen
Flügelſchlägen: dieſe wechſeln aber oft mit einem anhaltenden, leichten und ſchönen Schweben ab,
welches an das der breitflügeligen Raubvögel erinnert und mit ſo großer Leichtigkeit ausgeführt wird,
daß man keine Ermüdung wahrnehmen kann; im Stoßtauchen ſtehen ſie hinter den Verwandten
zurück, ſtürzen ſich jedoch immer noch ſo heftig auf die Wellen herab, daß ſie den leichten Leib andert-
halb bis zwei Fuß tief unter die Oberfläche des Waſſers zwängen. Widerlich iſt die Stimme, welche
bald aus ſtärker, bald aus ſchwächer ſchallenden, kreiſchenden und krächzenden Lauten beſteht und zum
Ueberdruß ausgeſtoßen wird, falls ſich irgend eine Erregung des Gemüthes bemächtigt. Unter den
Sinnen ſtehen Geſicht und Gehör entſchieden obenan; das Empfindungsvermögen ſcheint ebenfalls
wohl entwickelt zu ſein; einen gewiſſen Geſchmack bekunden ſie durch die Auswahl der beſſeren
Nahrungsmittel bei voller Tafel; über den Geruch läßt ſich wohl kaum ein Urtheil fällen. Alle
Möven ſind kluge, verſtändige Vögel, welche die Verhältniſſe wohl zu würdigen und ihr Benehmen
darnach einzurichten wiſſen; ſie ſind muthig anderen Geſchöpfen gegenüber, ſelbſtbewußt und etwas
herrſchſüchtig, ihren Gatten und ihrer Brut in treuer Liebe zugethan, lieben auch die Geſellſchaft
mit anderen ihrer Art: aber ſie zeigen ſich ebenſo neidiſch, mißgünſtig und unfreundlich gegen andere
Vögel und opfern ihrer Freßgier die ſcheinbar beſtehende Freundſchaft ohne Bedenken. Die größeren
Arten erſcheinen uns als träge und ernſt geſtimmte, die kleineren als lebhaftere und heitere Vögel,
wenn auch von der Fröhlichkeit der Sänger und anderer Landvögel bei ihnen nicht geredet werden
kann. Um andere Meervögel bekümmern ſie ſich nur ſoweit als eben nöthig, entweder weil ſie die
ſelben fürchten oder weil ſie aus ihnen irgend welchen Nutzen zu ziehen hoffen. Sie leben und brüten
unter anderen Schwimmvögeln, mitten unter Alken und Lummen z. B.; aber nur der Ort, nicht die

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[868/0918] Die Schwimmer. Seeflieger. Möven. bezeichnen muß. Für den Schiffer ſind ſie die ſicherſten Boten des Landes: wenn ſie erſt wieder ſein Fahrzeug umkreiſen, iſt die Küſte nicht mehr fern. Eher noch, als auf die hohe See hinaus, fliegen, ſie ins Jnnere des Binnenlandes, dem Laufe größerer Ströme folgend oder von einem Gewäſſer nach dem anderen ſich wendend. Einzelne Arten ſiedeln ſich hier wohl auch mehr oder weniger bleibend an: ſie bevorzugen Binnengewäſſer zu ihrem Aufenthaltsorte während der Fortpflanzungszeit. Mehrere Arten der Familie gehören zu den Zugvögeln, erſcheinen in ihrer nordiſchen Heimat im Frühlinge, brüten, treiben ſich einige Zeit lang im Lande umher und begeben ſich im Spätherbſte wieder auf die Reiſe, andere wandern oder ſtreichen: eigentliche Standvögel kann man wohl keine ihrer Arten nennen. Kaum der Erwähnung nöthig ſcheint mir zu ſein, daß dieſe Ortsveränderungen mit der Ernährung zuſammenhängen. Für alle Möven ohne Ausnahme bilden Fiſche eine beliebte Nahrung; viele von ihnen aber gehören zu den eifrigſten Kerbthierjägern, und gerade ſie ſind es, welche zu regel- mäßigem Ziehen gezwungen werden, während die übrigen da, wo das Meer nicht vereiſet, auch im Winter noch offenen Tiſch haben. Neben dieſen beiden Hauptnahrungsmitteln machen unſere Vögel ſich alle kleineren Thiere, welche das Meer beherbergt, oder alle thieriſchen Stoffe überhaupt, nach Möglichkeit nutzbar. Sie freſſen Aas wie die Geier, gleichviel ob es friſch oder bereits in Fäulniß übergegangen iſt, jagen nach lebender Beute wie Raubvögel und leſen am Strande zuſammen wie Tauben oder Hühner, kurz, betreiben die Gewerbe verſchiedener Vögel mit derſelben Vielſeitigkeit wie die Raben, ſind jedoch gieriger und gefräßiger als jene Landvögel; denn auch ſie ſcheinen von einem beſtändigen Heißhunger geplagt zu werden und geradezu unerſättlich zu ſein. Begnügſam darf man ſie nennen, ſoweit es ſich um Auswahl der Nahrung handelt, freßwüthig ſind ſie, was die Maſſe des Nahrungsſtoffes betrifft. Weſen und Betragen der Möven müſſen den Beobachter feſſeln, obwohl er ſich ſagt, daß dieſe Vögel ebenſo viele ſogenannte gute als ſchlechte Eigenſchaften beſitzen. Anſprechend ſind Geſtalt und Färbung, anmuthig die Bewegungen, anziehend iſt ihr Treiben. Jhre Stellung auf feſtem Boden nennen wir eine edle, weil ſie einen gewiſſen Stolz bekundet; ihr Gang iſt gut und verhältnißmäßig raſch; ihre Schwimmfertigkeit übertrifft die der meiſten Verwandten im engeren Sinne, und ſie liegen dabei leicht wie Schaumbälle auf den Wogen und ſtechen durch ihre blendenden Farben von dieſen ſo lebhaft ab, daß ſie dem Meere zum wahren Schmucke werden; ihr Flug geſchieht mit langſamen Flügelſchlägen: dieſe wechſeln aber oft mit einem anhaltenden, leichten und ſchönen Schweben ab, welches an das der breitflügeligen Raubvögel erinnert und mit ſo großer Leichtigkeit ausgeführt wird, daß man keine Ermüdung wahrnehmen kann; im Stoßtauchen ſtehen ſie hinter den Verwandten zurück, ſtürzen ſich jedoch immer noch ſo heftig auf die Wellen herab, daß ſie den leichten Leib andert- halb bis zwei Fuß tief unter die Oberfläche des Waſſers zwängen. Widerlich iſt die Stimme, welche bald aus ſtärker, bald aus ſchwächer ſchallenden, kreiſchenden und krächzenden Lauten beſteht und zum Ueberdruß ausgeſtoßen wird, falls ſich irgend eine Erregung des Gemüthes bemächtigt. Unter den Sinnen ſtehen Geſicht und Gehör entſchieden obenan; das Empfindungsvermögen ſcheint ebenfalls wohl entwickelt zu ſein; einen gewiſſen Geſchmack bekunden ſie durch die Auswahl der beſſeren Nahrungsmittel bei voller Tafel; über den Geruch läßt ſich wohl kaum ein Urtheil fällen. Alle Möven ſind kluge, verſtändige Vögel, welche die Verhältniſſe wohl zu würdigen und ihr Benehmen darnach einzurichten wiſſen; ſie ſind muthig anderen Geſchöpfen gegenüber, ſelbſtbewußt und etwas herrſchſüchtig, ihren Gatten und ihrer Brut in treuer Liebe zugethan, lieben auch die Geſellſchaft mit anderen ihrer Art: aber ſie zeigen ſich ebenſo neidiſch, mißgünſtig und unfreundlich gegen andere Vögel und opfern ihrer Freßgier die ſcheinbar beſtehende Freundſchaft ohne Bedenken. Die größeren Arten erſcheinen uns als träge und ernſt geſtimmte, die kleineren als lebhaftere und heitere Vögel, wenn auch von der Fröhlichkeit der Sänger und anderer Landvögel bei ihnen nicht geredet werden kann. Um andere Meervögel bekümmern ſie ſich nur ſoweit als eben nöthig, entweder weil ſie die ſelben fürchten oder weil ſie aus ihnen irgend welchen Nutzen zu ziehen hoffen. Sie leben und brüten unter anderen Schwimmvögeln, mitten unter Alken und Lummen z. B.; aber nur der Ort, nicht die

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 868. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/918>, abgerufen am 22.11.2024.