Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Schwimmer. Ruderfüßler. Scharben.
daß die Anhinga auf allen ruhigen Baien der Westküste von Südamerika sehr gemein sei, nicht wider-
legen soll, beweist sie doch soviel, daß unser Vogel das süße Wasser entschieden bevorzugt. Hierin
stimmen alle Forscher überein.

Bei meinen Reisen auf dem weißen und blauen Nile habe ich den Schlangenhalsvogel oft gesehen
und manche Stunde, manchen Tag seiner Jagd gewidmet: so genau aber, wie Audubon die Anhinga,
habe ich ihn freilich nicht beobachten können. Jch werde mich deshalb im Nachfolgenden wesentlich
mit auf die Mittheilungen des letztgenannten Forschers stützen, soweit sie meinen eigenen Wahr-
nehmungen entsprechen.

Die Schlangenhalsvögel bewohnen Ströme, Seen und Sümpfe, in deren Nähe Bäume stehen,
am liebsten solche, welche baumreiche Jnseln umschließen. Von den Bäumen fliegen sie am Morgen
aus, um ihre Jagd zu beginnen, und zu den Bäumen kehren sie zurück, um zu schlafen oder um sich
auszuruhen; auf den Bäumen steht auch in der Regel ihr Nest. Allerdings ruhen und brüten sie
wie die Scharben unter Umständen auch auf Felsen, gewiß aber nur, wenn es ihnen an Bäumen
fehlt. Jene wunderbaren, an Thieren so unendlich reichen Sümpfe im Süden der Vereinigten
Staaten oder die Ströme und Regenseen Jnnerafrikas, Südasiens und Neuhollands bieten ihnen alle
Erfordernisse zum Leben und beherbergen sie deshalb in ziemlicher Anzahl. So gesellig wie die
Scharben kann man sie freilich nicht nennen; denn mehr als zehn bis zwanzig von ihnen steht man
kaum jemals vereinigt; gern aber halten sich fünf bis acht zusammen auf einem und demselben See-,
Teich- oder Flußtheile auf, und gern vereinigen sich mehrere solche Trupps abends auf den beliebten
Schlafbäumen. Während der Brutzeit mögen an günstigen Stellen noch zahlreichere Vereinigungen
stattfinden.

Es gibt kaum einen Namen, welcher besser gewählt sein könnte als der von den Hottentotten
unserem Vogel verliehene. Der Hals erinnert wirklich an eine Schlange: er ist nicht blos ähnlich
gezeichnet, sondern wird auch in ähnlicher Weise bewegt. Wenn der Vogel tauchend zwischen der
Oberfläche und dem Grunde des Wassers dahinschwimmt, wird er selbst zur Schlange, und wenn er
sich zur Wehre setzen muß oder einen Feind angreifen will, wirft er diesen Hals mit einer so blitz-
artigen Schnelligkeit vor, daß man wiederum an einen Angriff der Viper denken muß.

Alle Schlangenhalsvögel bekunden die Meisterschaft ihrer Bewegung im Wasser. Sie sind
vollendete Schwimmer, noch vollendetere Taucher. Eine Scharbe erscheint ihnen gegenüber als
Stümper. Jhnen gebührt zum Mindesten innerhalb ihrer Ordnung in dieser Fertigkeit der Preis;
sie werden aber wohl auch kaum von einem anderen Schwimmer oder Taucher überhaupt übertroffen.
Da, wo sie ihrem Fischfange behaglich nachgehen können und sich vollständig sicher fühlen, schwimmen
sie mit bis zur Hälfte eingetauchtem Leibe auf der Oberfläche des Wassers dahin; sowie sie aber einen
Menschen oder ein gefährliches Thier gewahren, senken sie sich so tief ein, daß nur noch der dünne
Hals hervorragt. Durch dieses Mittel entzieht sich der Schlangenhalsvogel den Blicken außerordentlich
leicht: man kann nah bei ihm vorübergehen, ohne ihn zu gewahren, selbst wenn er sich auf ganz freiem
Wasser bewegt, während er zwischen Schilf, Buschwerk und dergleichen, wenn er es will, auch dem
schärfsten Auge verschwindet. Sieht er sich verfolgt, so beginnt er sofort nach dem Versenken seines
Leibes unter das Wasser auch zu tauchen und führt Dies mit einer ans Wunderbare grenzenden
Meisterschaft aus. Er gebraucht die Flügel nicht zur Mithilfe, obgleich er sie etwas vom Körper
abhält, sondern rudert nur mit den Beinen und steuert mit dem Schwanze, bewegt sich aber mit
einer Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit, daß er selbst den schnellsten Fisch noch übertrifft.
Strecken von mehr als zweihundert Fuß durchmißt er in weniger als einer Minute Zeit: es scheint,
daß er unter Wasser sich viel schneller fördert als auf der Oberfläche schwimmend. Auf dem Lande
bewegt sich der Schlangenhalsvogel zwar scheinbar sehr schwerfällig, watschelnd und wackelnd, aber
doch verhältnißmäßig rasch; im Gezweig der Bäume bekundet er eine Geschicklichkeit, welche man
nicht vermuthen möchte, da er sich nicht blos auf Aesten festzuhalten vermag, sondern auch hin- und
herzugehen weiß, obgleich er dann freilich sich mit ausgebreiteten Flügeln im Gleichgewichte halten

Die Schwimmer. Ruderfüßler. Scharben.
daß die Anhinga auf allen ruhigen Baien der Weſtküſte von Südamerika ſehr gemein ſei, nicht wider-
legen ſoll, beweiſt ſie doch ſoviel, daß unſer Vogel das ſüße Waſſer entſchieden bevorzugt. Hierin
ſtimmen alle Forſcher überein.

Bei meinen Reiſen auf dem weißen und blauen Nile habe ich den Schlangenhalsvogel oft geſehen
und manche Stunde, manchen Tag ſeiner Jagd gewidmet: ſo genau aber, wie Audubon die Anhinga,
habe ich ihn freilich nicht beobachten können. Jch werde mich deshalb im Nachfolgenden weſentlich
mit auf die Mittheilungen des letztgenannten Forſchers ſtützen, ſoweit ſie meinen eigenen Wahr-
nehmungen entſprechen.

Die Schlangenhalsvögel bewohnen Ströme, Seen und Sümpfe, in deren Nähe Bäume ſtehen,
am liebſten ſolche, welche baumreiche Jnſeln umſchließen. Von den Bäumen fliegen ſie am Morgen
aus, um ihre Jagd zu beginnen, und zu den Bäumen kehren ſie zurück, um zu ſchlafen oder um ſich
auszuruhen; auf den Bäumen ſteht auch in der Regel ihr Neſt. Allerdings ruhen und brüten ſie
wie die Scharben unter Umſtänden auch auf Felſen, gewiß aber nur, wenn es ihnen an Bäumen
fehlt. Jene wunderbaren, an Thieren ſo unendlich reichen Sümpfe im Süden der Vereinigten
Staaten oder die Ströme und Regenſeen Jnnerafrikas, Südaſiens und Neuhollands bieten ihnen alle
Erforderniſſe zum Leben und beherbergen ſie deshalb in ziemlicher Anzahl. So geſellig wie die
Scharben kann man ſie freilich nicht nennen; denn mehr als zehn bis zwanzig von ihnen ſteht man
kaum jemals vereinigt; gern aber halten ſich fünf bis acht zuſammen auf einem und demſelben See-,
Teich- oder Flußtheile auf, und gern vereinigen ſich mehrere ſolche Trupps abends auf den beliebten
Schlafbäumen. Während der Brutzeit mögen an günſtigen Stellen noch zahlreichere Vereinigungen
ſtattfinden.

Es gibt kaum einen Namen, welcher beſſer gewählt ſein könnte als der von den Hottentotten
unſerem Vogel verliehene. Der Hals erinnert wirklich an eine Schlange: er iſt nicht blos ähnlich
gezeichnet, ſondern wird auch in ähnlicher Weiſe bewegt. Wenn der Vogel tauchend zwiſchen der
Oberfläche und dem Grunde des Waſſers dahinſchwimmt, wird er ſelbſt zur Schlange, und wenn er
ſich zur Wehre ſetzen muß oder einen Feind angreifen will, wirft er dieſen Hals mit einer ſo blitz-
artigen Schnelligkeit vor, daß man wiederum an einen Angriff der Viper denken muß.

Alle Schlangenhalsvögel bekunden die Meiſterſchaft ihrer Bewegung im Waſſer. Sie ſind
vollendete Schwimmer, noch vollendetere Taucher. Eine Scharbe erſcheint ihnen gegenüber als
Stümper. Jhnen gebührt zum Mindeſten innerhalb ihrer Ordnung in dieſer Fertigkeit der Preis;
ſie werden aber wohl auch kaum von einem anderen Schwimmer oder Taucher überhaupt übertroffen.
Da, wo ſie ihrem Fiſchfange behaglich nachgehen können und ſich vollſtändig ſicher fühlen, ſchwimmen
ſie mit bis zur Hälfte eingetauchtem Leibe auf der Oberfläche des Waſſers dahin; ſowie ſie aber einen
Menſchen oder ein gefährliches Thier gewahren, ſenken ſie ſich ſo tief ein, daß nur noch der dünne
Hals hervorragt. Durch dieſes Mittel entzieht ſich der Schlangenhalsvogel den Blicken außerordentlich
leicht: man kann nah bei ihm vorübergehen, ohne ihn zu gewahren, ſelbſt wenn er ſich auf ganz freiem
Waſſer bewegt, während er zwiſchen Schilf, Buſchwerk und dergleichen, wenn er es will, auch dem
ſchärfſten Auge verſchwindet. Sieht er ſich verfolgt, ſo beginnt er ſofort nach dem Verſenken ſeines
Leibes unter das Waſſer auch zu tauchen und führt Dies mit einer ans Wunderbare grenzenden
Meiſterſchaft aus. Er gebraucht die Flügel nicht zur Mithilfe, obgleich er ſie etwas vom Körper
abhält, ſondern rudert nur mit den Beinen und ſteuert mit dem Schwanze, bewegt ſich aber mit
einer Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit, daß er ſelbſt den ſchnellſten Fiſch noch übertrifft.
Strecken von mehr als zweihundert Fuß durchmißt er in weniger als einer Minute Zeit: es ſcheint,
daß er unter Waſſer ſich viel ſchneller fördert als auf der Oberfläche ſchwimmend. Auf dem Lande
bewegt ſich der Schlangenhalsvogel zwar ſcheinbar ſehr ſchwerfällig, watſchelnd und wackelnd, aber
doch verhältnißmäßig raſch; im Gezweig der Bäume bekundet er eine Geſchicklichkeit, welche man
nicht vermuthen möchte, da er ſich nicht blos auf Aeſten feſtzuhalten vermag, ſondern auch hin- und
herzugehen weiß, obgleich er dann freilich ſich mit ausgebreiteten Flügeln im Gleichgewichte halten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0972" n="920"/><fw place="top" type="header">Die Schwimmer. Ruderfüßler. Scharben.</fw><lb/>
daß die Anhinga auf allen ruhigen Baien der We&#x017F;tkü&#x017F;te von Südamerika &#x017F;ehr gemein &#x017F;ei, nicht wider-<lb/>
legen &#x017F;oll, bewei&#x017F;t &#x017F;ie doch &#x017F;oviel, daß un&#x017F;er Vogel das &#x017F;üße Wa&#x017F;&#x017F;er ent&#x017F;chieden bevorzugt. Hierin<lb/>
&#x017F;timmen alle For&#x017F;cher überein.</p><lb/>
          <p>Bei meinen Rei&#x017F;en auf dem weißen und blauen Nile habe ich den Schlangenhalsvogel oft ge&#x017F;ehen<lb/>
und manche Stunde, manchen Tag &#x017F;einer Jagd gewidmet: &#x017F;o genau aber, wie <hi rendition="#g">Audubon</hi> die Anhinga,<lb/>
habe ich ihn freilich nicht beobachten können. Jch werde mich deshalb im Nachfolgenden we&#x017F;entlich<lb/>
mit auf die Mittheilungen des letztgenannten For&#x017F;chers &#x017F;tützen, &#x017F;oweit &#x017F;ie meinen eigenen Wahr-<lb/>
nehmungen ent&#x017F;prechen.</p><lb/>
          <p>Die Schlangenhalsvögel bewohnen Ströme, Seen und Sümpfe, in deren Nähe Bäume &#x017F;tehen,<lb/>
am lieb&#x017F;ten &#x017F;olche, welche baumreiche Jn&#x017F;eln um&#x017F;chließen. Von den Bäumen fliegen &#x017F;ie am Morgen<lb/>
aus, um ihre Jagd zu beginnen, und zu den Bäumen kehren &#x017F;ie zurück, um zu &#x017F;chlafen oder um &#x017F;ich<lb/>
auszuruhen; auf den Bäumen &#x017F;teht auch in der Regel ihr Ne&#x017F;t. Allerdings ruhen und brüten &#x017F;ie<lb/>
wie die Scharben unter Um&#x017F;tänden auch auf Fel&#x017F;en, gewiß aber nur, wenn es ihnen an Bäumen<lb/>
fehlt. Jene wunderbaren, an Thieren &#x017F;o unendlich reichen Sümpfe im Süden der Vereinigten<lb/>
Staaten oder die Ströme und Regen&#x017F;een Jnnerafrikas, Süda&#x017F;iens und Neuhollands bieten ihnen alle<lb/>
Erforderni&#x017F;&#x017F;e zum Leben und beherbergen &#x017F;ie deshalb in ziemlicher Anzahl. So ge&#x017F;ellig wie die<lb/>
Scharben kann man &#x017F;ie freilich nicht nennen; denn mehr als zehn bis zwanzig von ihnen &#x017F;teht man<lb/>
kaum jemals vereinigt; gern aber halten &#x017F;ich fünf bis acht zu&#x017F;ammen auf einem und dem&#x017F;elben See-,<lb/>
Teich- oder Flußtheile auf, und gern vereinigen &#x017F;ich mehrere &#x017F;olche Trupps abends auf den beliebten<lb/>
Schlafbäumen. Während der Brutzeit mögen an gün&#x017F;tigen Stellen noch zahlreichere Vereinigungen<lb/>
&#x017F;tattfinden.</p><lb/>
          <p>Es gibt kaum einen Namen, welcher be&#x017F;&#x017F;er gewählt &#x017F;ein könnte als der von den Hottentotten<lb/>
un&#x017F;erem Vogel verliehene. Der Hals erinnert wirklich an eine Schlange: er i&#x017F;t nicht blos ähnlich<lb/>
gezeichnet, &#x017F;ondern wird auch in ähnlicher Wei&#x017F;e bewegt. Wenn der Vogel tauchend zwi&#x017F;chen der<lb/>
Oberfläche und dem Grunde des Wa&#x017F;&#x017F;ers dahin&#x017F;chwimmt, wird er &#x017F;elb&#x017F;t zur Schlange, und wenn er<lb/>
&#x017F;ich zur Wehre &#x017F;etzen muß oder einen Feind angreifen will, wirft er die&#x017F;en Hals mit einer &#x017F;o blitz-<lb/>
artigen Schnelligkeit vor, daß man wiederum an einen Angriff der Viper denken muß.</p><lb/>
          <p>Alle Schlangenhalsvögel bekunden die Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft ihrer Bewegung im Wa&#x017F;&#x017F;er. Sie &#x017F;ind<lb/>
vollendete Schwimmer, noch vollendetere Taucher. Eine Scharbe er&#x017F;cheint ihnen gegenüber als<lb/>
Stümper. Jhnen gebührt zum Minde&#x017F;ten innerhalb ihrer Ordnung in die&#x017F;er Fertigkeit der Preis;<lb/>
&#x017F;ie werden aber wohl auch kaum von einem anderen Schwimmer oder Taucher überhaupt übertroffen.<lb/>
Da, wo &#x017F;ie ihrem Fi&#x017F;chfange behaglich nachgehen können und &#x017F;ich voll&#x017F;tändig &#x017F;icher fühlen, &#x017F;chwimmen<lb/>
&#x017F;ie mit bis zur Hälfte eingetauchtem Leibe auf der Oberfläche des Wa&#x017F;&#x017F;ers dahin; &#x017F;owie &#x017F;ie aber einen<lb/>
Men&#x017F;chen oder ein gefährliches Thier gewahren, &#x017F;enken &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o tief ein, daß nur noch der dünne<lb/>
Hals hervorragt. Durch die&#x017F;es Mittel entzieht &#x017F;ich der Schlangenhalsvogel den Blicken außerordentlich<lb/>
leicht: man kann nah bei ihm vorübergehen, ohne ihn zu gewahren, &#x017F;elb&#x017F;t wenn er &#x017F;ich auf ganz freiem<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er bewegt, während er zwi&#x017F;chen Schilf, Bu&#x017F;chwerk und dergleichen, wenn er es will, auch dem<lb/>
&#x017F;chärf&#x017F;ten Auge ver&#x017F;chwindet. Sieht er &#x017F;ich verfolgt, &#x017F;o beginnt er &#x017F;ofort nach dem Ver&#x017F;enken &#x017F;eines<lb/>
Leibes unter das Wa&#x017F;&#x017F;er auch zu tauchen und führt Dies mit einer ans Wunderbare grenzenden<lb/>
Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft aus. Er gebraucht die Flügel nicht zur Mithilfe, obgleich er &#x017F;ie etwas vom Körper<lb/>
abhält, &#x017F;ondern rudert nur mit den Beinen und &#x017F;teuert mit dem Schwanze, bewegt &#x017F;ich aber mit<lb/>
einer Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit, daß er &#x017F;elb&#x017F;t den &#x017F;chnell&#x017F;ten Fi&#x017F;ch noch übertrifft.<lb/>
Strecken von mehr als zweihundert Fuß durchmißt er in weniger als einer Minute Zeit: es &#x017F;cheint,<lb/>
daß er unter Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich viel &#x017F;chneller fördert als auf der Oberfläche &#x017F;chwimmend. Auf dem Lande<lb/>
bewegt &#x017F;ich der Schlangenhalsvogel zwar &#x017F;cheinbar &#x017F;ehr &#x017F;chwerfällig, wat&#x017F;chelnd und wackelnd, aber<lb/>
doch verhältnißmäßig ra&#x017F;ch; im Gezweig der Bäume bekundet er eine Ge&#x017F;chicklichkeit, welche man<lb/>
nicht vermuthen möchte, da er &#x017F;ich nicht blos auf Ae&#x017F;ten fe&#x017F;tzuhalten vermag, &#x017F;ondern auch hin- und<lb/>
herzugehen weiß, obgleich er dann freilich &#x017F;ich mit ausgebreiteten Flügeln im Gleichgewichte halten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[920/0972] Die Schwimmer. Ruderfüßler. Scharben. daß die Anhinga auf allen ruhigen Baien der Weſtküſte von Südamerika ſehr gemein ſei, nicht wider- legen ſoll, beweiſt ſie doch ſoviel, daß unſer Vogel das ſüße Waſſer entſchieden bevorzugt. Hierin ſtimmen alle Forſcher überein. Bei meinen Reiſen auf dem weißen und blauen Nile habe ich den Schlangenhalsvogel oft geſehen und manche Stunde, manchen Tag ſeiner Jagd gewidmet: ſo genau aber, wie Audubon die Anhinga, habe ich ihn freilich nicht beobachten können. Jch werde mich deshalb im Nachfolgenden weſentlich mit auf die Mittheilungen des letztgenannten Forſchers ſtützen, ſoweit ſie meinen eigenen Wahr- nehmungen entſprechen. Die Schlangenhalsvögel bewohnen Ströme, Seen und Sümpfe, in deren Nähe Bäume ſtehen, am liebſten ſolche, welche baumreiche Jnſeln umſchließen. Von den Bäumen fliegen ſie am Morgen aus, um ihre Jagd zu beginnen, und zu den Bäumen kehren ſie zurück, um zu ſchlafen oder um ſich auszuruhen; auf den Bäumen ſteht auch in der Regel ihr Neſt. Allerdings ruhen und brüten ſie wie die Scharben unter Umſtänden auch auf Felſen, gewiß aber nur, wenn es ihnen an Bäumen fehlt. Jene wunderbaren, an Thieren ſo unendlich reichen Sümpfe im Süden der Vereinigten Staaten oder die Ströme und Regenſeen Jnnerafrikas, Südaſiens und Neuhollands bieten ihnen alle Erforderniſſe zum Leben und beherbergen ſie deshalb in ziemlicher Anzahl. So geſellig wie die Scharben kann man ſie freilich nicht nennen; denn mehr als zehn bis zwanzig von ihnen ſteht man kaum jemals vereinigt; gern aber halten ſich fünf bis acht zuſammen auf einem und demſelben See-, Teich- oder Flußtheile auf, und gern vereinigen ſich mehrere ſolche Trupps abends auf den beliebten Schlafbäumen. Während der Brutzeit mögen an günſtigen Stellen noch zahlreichere Vereinigungen ſtattfinden. Es gibt kaum einen Namen, welcher beſſer gewählt ſein könnte als der von den Hottentotten unſerem Vogel verliehene. Der Hals erinnert wirklich an eine Schlange: er iſt nicht blos ähnlich gezeichnet, ſondern wird auch in ähnlicher Weiſe bewegt. Wenn der Vogel tauchend zwiſchen der Oberfläche und dem Grunde des Waſſers dahinſchwimmt, wird er ſelbſt zur Schlange, und wenn er ſich zur Wehre ſetzen muß oder einen Feind angreifen will, wirft er dieſen Hals mit einer ſo blitz- artigen Schnelligkeit vor, daß man wiederum an einen Angriff der Viper denken muß. Alle Schlangenhalsvögel bekunden die Meiſterſchaft ihrer Bewegung im Waſſer. Sie ſind vollendete Schwimmer, noch vollendetere Taucher. Eine Scharbe erſcheint ihnen gegenüber als Stümper. Jhnen gebührt zum Mindeſten innerhalb ihrer Ordnung in dieſer Fertigkeit der Preis; ſie werden aber wohl auch kaum von einem anderen Schwimmer oder Taucher überhaupt übertroffen. Da, wo ſie ihrem Fiſchfange behaglich nachgehen können und ſich vollſtändig ſicher fühlen, ſchwimmen ſie mit bis zur Hälfte eingetauchtem Leibe auf der Oberfläche des Waſſers dahin; ſowie ſie aber einen Menſchen oder ein gefährliches Thier gewahren, ſenken ſie ſich ſo tief ein, daß nur noch der dünne Hals hervorragt. Durch dieſes Mittel entzieht ſich der Schlangenhalsvogel den Blicken außerordentlich leicht: man kann nah bei ihm vorübergehen, ohne ihn zu gewahren, ſelbſt wenn er ſich auf ganz freiem Waſſer bewegt, während er zwiſchen Schilf, Buſchwerk und dergleichen, wenn er es will, auch dem ſchärfſten Auge verſchwindet. Sieht er ſich verfolgt, ſo beginnt er ſofort nach dem Verſenken ſeines Leibes unter das Waſſer auch zu tauchen und führt Dies mit einer ans Wunderbare grenzenden Meiſterſchaft aus. Er gebraucht die Flügel nicht zur Mithilfe, obgleich er ſie etwas vom Körper abhält, ſondern rudert nur mit den Beinen und ſteuert mit dem Schwanze, bewegt ſich aber mit einer Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit, daß er ſelbſt den ſchnellſten Fiſch noch übertrifft. Strecken von mehr als zweihundert Fuß durchmißt er in weniger als einer Minute Zeit: es ſcheint, daß er unter Waſſer ſich viel ſchneller fördert als auf der Oberfläche ſchwimmend. Auf dem Lande bewegt ſich der Schlangenhalsvogel zwar ſcheinbar ſehr ſchwerfällig, watſchelnd und wackelnd, aber doch verhältnißmäßig raſch; im Gezweig der Bäume bekundet er eine Geſchicklichkeit, welche man nicht vermuthen möchte, da er ſich nicht blos auf Aeſten feſtzuhalten vermag, ſondern auch hin- und herzugehen weiß, obgleich er dann freilich ſich mit ausgebreiteten Flügeln im Gleichgewichte halten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/972
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 920. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/972>, abgerufen am 22.11.2024.