besitzt sie eine auffallende Zählebigkeit. "Wenn man sie der Länge nach aufschneidet, das Herz und alle Eingeweide herausnimmt, so schließt sie den aufgeschnittenen Bauch wieder und kriecht noch stunden- lang umher oder schwimmt auch, in das Wasser geworfen, noch lange, doch nicht so gut, als wenn sie unversehrt ist." Tabakssaft, welcher Schlangen leicht umbringt, tödtet sie nicht. Lenz gab zwei Blindschleichen an drei auf einander folgenden Tagen Tabakssaft ein; sie wurden zwar anfangs betäubt, erholten sich aber dann wieder. Eine, welche Steinöl einnehmen mußte, wurde zwar sehr unruhig und bewegte sich so heftig, daß ihr Schwanz abbrach, zeigte aber nicht einmal Spuren von Betäubung und blieb natürlich am Leben.
Die Blindschleiche gehört zu denjenigen Echsen, welche lebende Junge zur Welt bringen. Nach Lenz scheint die Fortpflanzungsfähigkeit erst mit dem vierten oder fünften Jahre einzutreten, da er zum Legen reife Eier nur bei Erwachsenen oder fast Erwachsenen fand. Der paarige Eierstock des Weibchens liegt etwa vier Zoll hinter dem Kopfe und stellt ein längeres Bündelchen runder Eier dar, welche die Größe kleiner Hirsekörner haben. Die Entwickelung derselben findet statt in den feinen, häutigen Eigängen, welche in das Ende des Darmschlauches münden. Nach der Paarung bemerkt man acht bis sechzehn Eier, welche Anfangs April wie kleine Hanfkörner, Anfangs Juni wie große Erbsen und Mitte Juni's sechs bis sieben Linien lang und gegen fünf Linien dick sind. Um diese Zeit sieht man das zarte, kleine Junge schon deutlich; in der ersten Hälfte des August sind bei manchen Müttern die Jungen bereits drei Zoll lang und gegen eine und eine Viertel-Linie dick, liegen zusammengerollt im Eie und bewegen sich, wenn man dasselbe öffnet. Jhre Färbung ist weißlich, auf Kopf und Bauch ins Bläuliche spielend; längs der Rückenmitte verläuft eine bläuliche Linie. Die Geburt der Jungen fällt in die zweite Hälfte des August oder in die erste Hälfte des September; die Eier werden in Zwischenräumen von mehreren Minuten gelegt, und das Junge windet sich sogleich aus der häutigen, dünnen, durchsichtigen Eischale los. Bei manchen Weibchen erfolgt die Entwickelung übrigens erst viel später.
Lenz sagt, daß er mehr als hundert Junge von seinem gefangenen Weibchen bekommen habe, dieselben jedoch in Zeit von einer bis sechs Wochen sämmtlich verhungert seien. Andere Liebhaber, namentlich Erber, waren glücklicher, denn es gelang ihnen, die kleinen Thierchen aufzuziehen. Doch ist Dies in der That nicht leicht, da die jungen Blindschleichen nur die allerfeinsten Kerfe bewältigen können, und man nicht immer im Stande ist, diese zu beschaffen. Alt Eingefangene gehen gewöhnlich ohne Widerstreben ans Futter, lassen sich daher bei geeigneter Behandlung ohne besondere Schwierigkeit jahrelang erhalten. Sie sind wirklich anmuthige Gefangene, welche dem Liebhaber viel Vergnügen gewähren. Jn einem theilweise mit Erde ausgefüllten, theilweise mit Steinen und Mos verzierten Käfige finden sie alle Erfordernisse, welche sie an einen derartigen Raum stellen und nehmen sich hier auch niedlich aus. Mit Recht kann man sie Jedermann empfehlen.
Noch heutigentages gilt die Blindschleiche in den Augen der ungebildeten Menschen als ein höchst giftiges Thier und wird deshalb rücksichtslos verfolgt und unbarmherzig todtgeschlagen, wo immer sie sich sehen läßt, während man sie im Gegentheile schonen, insbesondere in Gärten hegen und pflegen sollte. Daß sie nicht giftig ist, wußten schon die Alten, und auch Geßner hebt aus- drücklich hervor, daß "deß blindenschleichers bisß nit vergifft vnd sonders schedlich", glaubt aber freilich noch beinahe Dasselbe, welches die Jtaliener der Erzschleiche nachreden. "Wenn daß vych, als ochsen vnd dergleychen sich in den weiden ohn geferd auff sie niderlegen, vnd sie mit dem last jres leybs zum zorn reitzen, so beissen sie, daß der bisß zu zeyten aufflaufft vnd eyteret. Woh sich nun diser fal zutregt, so soll der bisß mit einem laßeisen oder einer alsen geöffnet vnd gebickt, darnach kreiden oder wascherden in essich zertriben darauff gelegt werden." Dafür weiß derselbe Natur- beschreiber aber auch von einem Nutzen der Blindschleiche zu reden -- von dem wirklichen, den sie durch Aufzehren schädlicher Thiere leistet, freilich nicht, sondern von dem, welchen sie der damaligen Quack- salberei leistete und unserer heutigen, der Homöopathie, unzweifelhaft ebenfalls leisten würde. "Ettliche", fährt er fort, "haben ein theriack auß blindenschleicheren zubereitet vnd denselben zur
Die Schuppenechſen. Glanzſchleichen.
beſitzt ſie eine auffallende Zählebigkeit. „Wenn man ſie der Länge nach aufſchneidet, das Herz und alle Eingeweide herausnimmt, ſo ſchließt ſie den aufgeſchnittenen Bauch wieder und kriecht noch ſtunden- lang umher oder ſchwimmt auch, in das Waſſer geworfen, noch lange, doch nicht ſo gut, als wenn ſie unverſehrt iſt.“ Tabaksſaft, welcher Schlangen leicht umbringt, tödtet ſie nicht. Lenz gab zwei Blindſchleichen an drei auf einander folgenden Tagen Tabaksſaft ein; ſie wurden zwar anfangs betäubt, erholten ſich aber dann wieder. Eine, welche Steinöl einnehmen mußte, wurde zwar ſehr unruhig und bewegte ſich ſo heftig, daß ihr Schwanz abbrach, zeigte aber nicht einmal Spuren von Betäubung und blieb natürlich am Leben.
Die Blindſchleiche gehört zu denjenigen Echſen, welche lebende Junge zur Welt bringen. Nach Lenz ſcheint die Fortpflanzungsfähigkeit erſt mit dem vierten oder fünften Jahre einzutreten, da er zum Legen reife Eier nur bei Erwachſenen oder faſt Erwachſenen fand. Der paarige Eierſtock des Weibchens liegt etwa vier Zoll hinter dem Kopfe und ſtellt ein längeres Bündelchen runder Eier dar, welche die Größe kleiner Hirſekörner haben. Die Entwickelung derſelben findet ſtatt in den feinen, häutigen Eigängen, welche in das Ende des Darmſchlauches münden. Nach der Paarung bemerkt man acht bis ſechzehn Eier, welche Anfangs April wie kleine Hanfkörner, Anfangs Juni wie große Erbſen und Mitte Juni’s ſechs bis ſieben Linien lang und gegen fünf Linien dick ſind. Um dieſe Zeit ſieht man das zarte, kleine Junge ſchon deutlich; in der erſten Hälfte des Auguſt ſind bei manchen Müttern die Jungen bereits drei Zoll lang und gegen eine und eine Viertel-Linie dick, liegen zuſammengerollt im Eie und bewegen ſich, wenn man daſſelbe öffnet. Jhre Färbung iſt weißlich, auf Kopf und Bauch ins Bläuliche ſpielend; längs der Rückenmitte verläuft eine bläuliche Linie. Die Geburt der Jungen fällt in die zweite Hälfte des Auguſt oder in die erſte Hälfte des September; die Eier werden in Zwiſchenräumen von mehreren Minuten gelegt, und das Junge windet ſich ſogleich aus der häutigen, dünnen, durchſichtigen Eiſchale los. Bei manchen Weibchen erfolgt die Entwickelung übrigens erſt viel ſpäter.
Lenz ſagt, daß er mehr als hundert Junge von ſeinem gefangenen Weibchen bekommen habe, dieſelben jedoch in Zeit von einer bis ſechs Wochen ſämmtlich verhungert ſeien. Andere Liebhaber, namentlich Erber, waren glücklicher, denn es gelang ihnen, die kleinen Thierchen aufzuziehen. Doch iſt Dies in der That nicht leicht, da die jungen Blindſchleichen nur die allerfeinſten Kerfe bewältigen können, und man nicht immer im Stande iſt, dieſe zu beſchaffen. Alt Eingefangene gehen gewöhnlich ohne Widerſtreben ans Futter, laſſen ſich daher bei geeigneter Behandlung ohne beſondere Schwierigkeit jahrelang erhalten. Sie ſind wirklich anmuthige Gefangene, welche dem Liebhaber viel Vergnügen gewähren. Jn einem theilweiſe mit Erde ausgefüllten, theilweiſe mit Steinen und Mos verzierten Käfige finden ſie alle Erforderniſſe, welche ſie an einen derartigen Raum ſtellen und nehmen ſich hier auch niedlich aus. Mit Recht kann man ſie Jedermann empfehlen.
Noch heutigentages gilt die Blindſchleiche in den Augen der ungebildeten Menſchen als ein höchſt giftiges Thier und wird deshalb rückſichtslos verfolgt und unbarmherzig todtgeſchlagen, wo immer ſie ſich ſehen läßt, während man ſie im Gegentheile ſchonen, insbeſondere in Gärten hegen und pflegen ſollte. Daß ſie nicht giftig iſt, wußten ſchon die Alten, und auch Geßner hebt aus- drücklich hervor, daß „deß blindenſchleichers biſß nit vergifft vnd ſonders ſchedlich“, glaubt aber freilich noch beinahe Daſſelbe, welches die Jtaliener der Erzſchleiche nachreden. „Wenn daß vych, als ochſen vnd dergleychen ſich in den weiden ohn geferd auff ſie niderlegen, vnd ſie mit dem laſt jres leybs zum zorn reitzen, ſo beiſſen ſie, daß der biſß zu zeyten aufflaufft vnd eyteret. Woh ſich nun diſer fal zutregt, ſo ſoll der biſß mit einem laßeiſen oder einer alſen geöffnet vnd gebickt, darnach kreiden oder waſcherden in eſſich zertriben darauff gelegt werden.“ Dafür weiß derſelbe Natur- beſchreiber aber auch von einem Nutzen der Blindſchleiche zu reden — von dem wirklichen, den ſie durch Aufzehren ſchädlicher Thiere leiſtet, freilich nicht, ſondern von dem, welchen ſie der damaligen Quack- ſalberei leiſtete und unſerer heutigen, der Homöopathie, unzweifelhaft ebenfalls leiſten würde. „Ettliche“, fährt er fort, „haben ein theriack auß blindenſchleicheren zubereitet vnd denſelben zur
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0186"n="166"/><fwplace="top"type="header">Die Schuppenechſen. Glanzſchleichen.</fw><lb/>
beſitzt ſie eine auffallende Zählebigkeit. „Wenn man ſie der Länge nach aufſchneidet, das Herz und<lb/>
alle Eingeweide herausnimmt, ſo ſchließt ſie den aufgeſchnittenen Bauch wieder und kriecht noch ſtunden-<lb/>
lang umher oder ſchwimmt auch, in das Waſſer geworfen, noch lange, doch nicht ſo gut, als wenn ſie<lb/>
unverſehrt iſt.“ Tabaksſaft, welcher Schlangen leicht umbringt, tödtet ſie nicht. <hirendition="#g">Lenz</hi> gab zwei<lb/>
Blindſchleichen an drei auf einander folgenden Tagen Tabaksſaft ein; ſie wurden zwar anfangs<lb/>
betäubt, erholten ſich aber dann wieder. Eine, welche Steinöl einnehmen mußte, wurde zwar ſehr<lb/>
unruhig und bewegte ſich ſo heftig, daß ihr Schwanz abbrach, zeigte aber nicht einmal Spuren von<lb/>
Betäubung und blieb natürlich am Leben.</p><lb/><p>Die Blindſchleiche gehört zu denjenigen Echſen, welche lebende Junge zur Welt bringen. Nach<lb/><hirendition="#g">Lenz</hi>ſcheint die Fortpflanzungsfähigkeit erſt mit dem vierten oder fünften Jahre einzutreten, da er<lb/>
zum Legen reife Eier nur bei Erwachſenen oder faſt Erwachſenen fand. Der paarige Eierſtock des<lb/>
Weibchens liegt etwa vier Zoll hinter dem Kopfe und ſtellt ein längeres Bündelchen runder Eier dar,<lb/>
welche die Größe kleiner Hirſekörner haben. Die Entwickelung derſelben findet ſtatt in den feinen,<lb/>
häutigen Eigängen, welche in das Ende des Darmſchlauches münden. Nach der Paarung bemerkt<lb/>
man acht bis ſechzehn Eier, welche Anfangs April wie kleine Hanfkörner, Anfangs Juni wie große<lb/>
Erbſen und Mitte Juni’s ſechs bis ſieben Linien lang und gegen fünf Linien dick ſind. Um dieſe Zeit<lb/>ſieht man das zarte, kleine Junge ſchon deutlich; in der erſten Hälfte des Auguſt ſind bei manchen<lb/>
Müttern die Jungen bereits drei Zoll lang und gegen eine und eine Viertel-Linie dick, liegen<lb/>
zuſammengerollt im Eie und bewegen ſich, wenn man daſſelbe öffnet. Jhre Färbung iſt weißlich,<lb/>
auf Kopf und Bauch ins Bläuliche ſpielend; längs der Rückenmitte verläuft eine bläuliche Linie.<lb/>
Die Geburt der Jungen fällt in die zweite Hälfte des Auguſt oder in die erſte Hälfte des September;<lb/>
die Eier werden in Zwiſchenräumen von mehreren Minuten gelegt, und das Junge windet ſich<lb/>ſogleich aus der häutigen, dünnen, durchſichtigen Eiſchale los. Bei manchen Weibchen erfolgt die<lb/>
Entwickelung übrigens erſt viel ſpäter.</p><lb/><p><hirendition="#g">Lenz</hi>ſagt, daß er mehr als hundert Junge von ſeinem gefangenen Weibchen bekommen habe,<lb/>
dieſelben jedoch in Zeit von einer bis ſechs Wochen ſämmtlich verhungert ſeien. Andere Liebhaber,<lb/>
namentlich <hirendition="#g">Erber,</hi> waren glücklicher, denn es gelang ihnen, die kleinen Thierchen aufzuziehen.<lb/>
Doch iſt Dies in der That nicht leicht, da die jungen Blindſchleichen nur die allerfeinſten Kerfe<lb/>
bewältigen können, und man nicht immer im Stande iſt, dieſe zu beſchaffen. Alt Eingefangene gehen<lb/>
gewöhnlich ohne Widerſtreben ans Futter, laſſen ſich daher bei geeigneter Behandlung ohne beſondere<lb/>
Schwierigkeit jahrelang erhalten. Sie ſind wirklich anmuthige Gefangene, welche dem Liebhaber<lb/>
viel Vergnügen gewähren. Jn einem theilweiſe mit Erde ausgefüllten, theilweiſe mit Steinen<lb/>
und Mos verzierten Käfige finden ſie alle Erforderniſſe, welche ſie an einen derartigen Raum ſtellen<lb/>
und nehmen ſich hier auch niedlich aus. Mit Recht kann man ſie Jedermann empfehlen.</p><lb/><p>Noch heutigentages gilt die Blindſchleiche in den Augen der ungebildeten Menſchen als ein<lb/>
höchſt giftiges Thier und wird deshalb rückſichtslos verfolgt und unbarmherzig todtgeſchlagen, wo<lb/>
immer ſie ſich ſehen läßt, während man ſie im Gegentheile ſchonen, insbeſondere in Gärten hegen<lb/>
und pflegen ſollte. Daß ſie nicht giftig iſt, wußten ſchon die Alten, und auch <hirendition="#g">Geßner</hi> hebt aus-<lb/>
drücklich hervor, daß „deß blindenſchleichers biſß nit vergifft vnd ſonders ſchedlich“, glaubt aber<lb/>
freilich noch beinahe Daſſelbe, welches die Jtaliener der Erzſchleiche nachreden. „Wenn daß vych, als<lb/>
ochſen vnd dergleychen ſich in den weiden ohn geferd auff ſie niderlegen, vnd ſie mit dem laſt jres<lb/>
leybs zum zorn reitzen, ſo beiſſen ſie, daß der biſß zu zeyten aufflaufft vnd eyteret. Woh ſich nun<lb/>
diſer fal zutregt, ſo ſoll der biſß mit einem laßeiſen oder einer alſen geöffnet vnd gebickt, darnach<lb/>
kreiden oder waſcherden in eſſich zertriben darauff gelegt werden.“ Dafür weiß derſelbe Natur-<lb/>
beſchreiber aber auch von einem Nutzen der Blindſchleiche zu reden — von dem wirklichen, den ſie durch<lb/>
Aufzehren ſchädlicher Thiere leiſtet, freilich nicht, ſondern von dem, welchen ſie der damaligen Quack-<lb/>ſalberei leiſtete und unſerer heutigen, der Homöopathie, unzweifelhaft ebenfalls leiſten würde.<lb/>„Ettliche“, fährt er fort, „haben ein theriack auß blindenſchleicheren zubereitet vnd denſelben zur<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[166/0186]
Die Schuppenechſen. Glanzſchleichen.
beſitzt ſie eine auffallende Zählebigkeit. „Wenn man ſie der Länge nach aufſchneidet, das Herz und
alle Eingeweide herausnimmt, ſo ſchließt ſie den aufgeſchnittenen Bauch wieder und kriecht noch ſtunden-
lang umher oder ſchwimmt auch, in das Waſſer geworfen, noch lange, doch nicht ſo gut, als wenn ſie
unverſehrt iſt.“ Tabaksſaft, welcher Schlangen leicht umbringt, tödtet ſie nicht. Lenz gab zwei
Blindſchleichen an drei auf einander folgenden Tagen Tabaksſaft ein; ſie wurden zwar anfangs
betäubt, erholten ſich aber dann wieder. Eine, welche Steinöl einnehmen mußte, wurde zwar ſehr
unruhig und bewegte ſich ſo heftig, daß ihr Schwanz abbrach, zeigte aber nicht einmal Spuren von
Betäubung und blieb natürlich am Leben.
Die Blindſchleiche gehört zu denjenigen Echſen, welche lebende Junge zur Welt bringen. Nach
Lenz ſcheint die Fortpflanzungsfähigkeit erſt mit dem vierten oder fünften Jahre einzutreten, da er
zum Legen reife Eier nur bei Erwachſenen oder faſt Erwachſenen fand. Der paarige Eierſtock des
Weibchens liegt etwa vier Zoll hinter dem Kopfe und ſtellt ein längeres Bündelchen runder Eier dar,
welche die Größe kleiner Hirſekörner haben. Die Entwickelung derſelben findet ſtatt in den feinen,
häutigen Eigängen, welche in das Ende des Darmſchlauches münden. Nach der Paarung bemerkt
man acht bis ſechzehn Eier, welche Anfangs April wie kleine Hanfkörner, Anfangs Juni wie große
Erbſen und Mitte Juni’s ſechs bis ſieben Linien lang und gegen fünf Linien dick ſind. Um dieſe Zeit
ſieht man das zarte, kleine Junge ſchon deutlich; in der erſten Hälfte des Auguſt ſind bei manchen
Müttern die Jungen bereits drei Zoll lang und gegen eine und eine Viertel-Linie dick, liegen
zuſammengerollt im Eie und bewegen ſich, wenn man daſſelbe öffnet. Jhre Färbung iſt weißlich,
auf Kopf und Bauch ins Bläuliche ſpielend; längs der Rückenmitte verläuft eine bläuliche Linie.
Die Geburt der Jungen fällt in die zweite Hälfte des Auguſt oder in die erſte Hälfte des September;
die Eier werden in Zwiſchenräumen von mehreren Minuten gelegt, und das Junge windet ſich
ſogleich aus der häutigen, dünnen, durchſichtigen Eiſchale los. Bei manchen Weibchen erfolgt die
Entwickelung übrigens erſt viel ſpäter.
Lenz ſagt, daß er mehr als hundert Junge von ſeinem gefangenen Weibchen bekommen habe,
dieſelben jedoch in Zeit von einer bis ſechs Wochen ſämmtlich verhungert ſeien. Andere Liebhaber,
namentlich Erber, waren glücklicher, denn es gelang ihnen, die kleinen Thierchen aufzuziehen.
Doch iſt Dies in der That nicht leicht, da die jungen Blindſchleichen nur die allerfeinſten Kerfe
bewältigen können, und man nicht immer im Stande iſt, dieſe zu beſchaffen. Alt Eingefangene gehen
gewöhnlich ohne Widerſtreben ans Futter, laſſen ſich daher bei geeigneter Behandlung ohne beſondere
Schwierigkeit jahrelang erhalten. Sie ſind wirklich anmuthige Gefangene, welche dem Liebhaber
viel Vergnügen gewähren. Jn einem theilweiſe mit Erde ausgefüllten, theilweiſe mit Steinen
und Mos verzierten Käfige finden ſie alle Erforderniſſe, welche ſie an einen derartigen Raum ſtellen
und nehmen ſich hier auch niedlich aus. Mit Recht kann man ſie Jedermann empfehlen.
Noch heutigentages gilt die Blindſchleiche in den Augen der ungebildeten Menſchen als ein
höchſt giftiges Thier und wird deshalb rückſichtslos verfolgt und unbarmherzig todtgeſchlagen, wo
immer ſie ſich ſehen läßt, während man ſie im Gegentheile ſchonen, insbeſondere in Gärten hegen
und pflegen ſollte. Daß ſie nicht giftig iſt, wußten ſchon die Alten, und auch Geßner hebt aus-
drücklich hervor, daß „deß blindenſchleichers biſß nit vergifft vnd ſonders ſchedlich“, glaubt aber
freilich noch beinahe Daſſelbe, welches die Jtaliener der Erzſchleiche nachreden. „Wenn daß vych, als
ochſen vnd dergleychen ſich in den weiden ohn geferd auff ſie niderlegen, vnd ſie mit dem laſt jres
leybs zum zorn reitzen, ſo beiſſen ſie, daß der biſß zu zeyten aufflaufft vnd eyteret. Woh ſich nun
diſer fal zutregt, ſo ſoll der biſß mit einem laßeiſen oder einer alſen geöffnet vnd gebickt, darnach
kreiden oder waſcherden in eſſich zertriben darauff gelegt werden.“ Dafür weiß derſelbe Natur-
beſchreiber aber auch von einem Nutzen der Blindſchleiche zu reden — von dem wirklichen, den ſie durch
Aufzehren ſchädlicher Thiere leiſtet, freilich nicht, ſondern von dem, welchen ſie der damaligen Quack-
ſalberei leiſtete und unſerer heutigen, der Homöopathie, unzweifelhaft ebenfalls leiſten würde.
„Ettliche“, fährt er fort, „haben ein theriack auß blindenſchleicheren zubereitet vnd denſelben zur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/186>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.