Natter nicht richtig an, so erwischt die Eidechse den oberen oder unteren Kiefer der Natter, und mit krampfhaft sich schließendem Munde, mit Hilfe der ebenfalls hakenförmig umgebogenen Zähne ist sie im Stande, stundenlang den gepackten Theil ihrer Feindin zu behaupten. Umsonst sucht sich die Schlange zu befreien. Beide Thiere haben sich mit krampfhaft geschlossenen Kiefern wie Doggen in einander verbissen; wüthend wickelt die Schlange von ihrem Opfer sich los, zieht sich zurück -- doch vergebens. Endlich läßt die Eidechse los, macht sich natürlich sogleich aus dem Staube und die mitunter blutende Schlange hat das Nachsehen."
Falls ich diese lebendige Schilderung noch ergänzen soll, habe ich hinzuzufügen, daß die Schling- natter regelmäßig drei Ringe um ihr Opfer zieht und dieselben so eng schlingt, daß sie einschneiden bis auf die Knochen, ohne jedoch die Haut zu verletzen, jede Regung des umfaßten Leibes, ja jeden Herzschlag fast unmöglich machend. Bei Blindschleichen, der nächst den Eidechsen am meisten beliebten Beute, legt sie die Ringe weiter auseinander, immer aber so, daß der Kopf des Opfers nach oben gerichtet ist. Erber sagt, daß die Schlingnatter auch Mäuse frißt, und die Beobachtungen von Lenz, welcher sah, daß sie nach Mäusen biß und dabei zischte, scheinen Dies zu bestätigen. Trotzdem darf man annehmen, daß sie sich, solange sie Eidechsen und Blindschleichen haben kann, nur von diesen ernährt. Dementsprechend muß man Lenz vollständig Recht geben, wenn er auch diese Natter als schädlich bezeichnet, da es ja außer allem Zweifel steht, daß die Eidechsen und Blindschleichen, welche sie vernichtet, uns nützen.
Linck behauptet, daß die Schlingnatter Feuchtigkeit verabscheut, ins Wasser geworfen, mit Auf- bietung aller Kraft, leicht und gewandt über die Oberfläche gleitend, aber voll Entsetzen dem Ufer zuflieht, im Käfige, wenn sie beim Begießen des Rasenbodens auch nur ein Geringes von der verhaßten Flüssigkeit trifft, verlangend nach einem trockenen Plätzchen sucht, "Trinken ihr ein Greuel sei", und sie selbst feuchterer Atmosphäre den Zutritt in ihr Jnneres zu verwehren suche, ja daß er beobachtet habe, wie eine seiner Gefangenen, welcher es nicht rasch genug gelang, auf diese Weise sich vor dem aufsteigenden Wasserdunste zu sichern, den trocken gebliebenen Leib einer Schwester in den Rachen faßte, um diesen dadurch vollständig zu schließen. Diesen Behauptungen stehen Beobachtungen anderer Forscher so entschieden entgegen, daß man auf jene gewiß kein Gewicht legen darf. Martin beobachtete, daß eine von ihm gefangen gehaltene Schlingnatter, welche er mit Fröschen und Mäusen zu füttern gedachte, diese nicht anrührte und, gleichsam, um ihren Hunger zu stillen, begierig Wassertropfen von dem feuchten Mose oder von dem Glasdeckel ableckte, und Dursy sagt ausdrücklich, daß die gefangene Schlingnatter, wenn man eine Schüssel mit Wasser in ihren Käfig setzt, zuweilen trinkt, dabei den Vorderkopf ganz eintaucht und deutliche Schluckbewegungen ausführt. Obgleich ich bisher noch niemals gefangene Schlingnattern trinken sah, trage ich doch kein Bedenken, mich für die Glaubwürdigkeit letzterer Angaben zu erklären.
Wyder bemerkte zuerst, daß die Schlingnatter zu den lebendig gebährenden Schlangen gehört, d. h. ihre Eier soweit austrägt, daß die Jungen sofort nach dem Legen die Schale sprengen und aus- schlüpfen. Lenz fand Mitte Mai's bei großen Stücken die Eier 71/2 Linien lang und 3 Linien dick, schon in der letzten Hälfte des Juni aber über 1 Zoll lang und etwa 1/2 Zoll breit, dann in ihnen auch weiße, dünn zusammengewundene Junge von 21/2 Zoll Länge mit dicken Köpfen und großen schwarzen Augen. Ende Augusts oder Anfangs September werden die Eier gelegt, und dann kriechen sofort die 6 Zoll langen schreibfederdicken Jungen aus, drei bis dreizehn an der Zahl, suchen sich bei gutem Wetter noch etwas Nahrung zu verschaffen und verbergen sich später in einen passenden Schlupf- winkel, um sich hier den Unbilden des Winters zu entziehen. "Niedlichere Geschöpfe, als solch ein Natterchen", ruft Linck aus, "kann es kaum geben! Die Flecken des Rückens ziehen sich in glänzend- zierlichen Reihen bis zur nadelfeinen Schwanzspitze, die Farbenzierden des etwas breiten Schädels treten klar und auffallend hervor, und mit Lust blickt das Auge auf den steten Wechsel von Arabesken, welche der Leib des unendlich gelenken Thierchens im Durchgleiten durch den Finger oder durch niederes Pflanzengestrüpp flicht."
Die Schlangen. Nattern. Jachſchlangen.
Natter nicht richtig an, ſo erwiſcht die Eidechſe den oberen oder unteren Kiefer der Natter, und mit krampfhaft ſich ſchließendem Munde, mit Hilfe der ebenfalls hakenförmig umgebogenen Zähne iſt ſie im Stande, ſtundenlang den gepackten Theil ihrer Feindin zu behaupten. Umſonſt ſucht ſich die Schlange zu befreien. Beide Thiere haben ſich mit krampfhaft geſchloſſenen Kiefern wie Doggen in einander verbiſſen; wüthend wickelt die Schlange von ihrem Opfer ſich los, zieht ſich zurück — doch vergebens. Endlich läßt die Eidechſe los, macht ſich natürlich ſogleich aus dem Staube und die mitunter blutende Schlange hat das Nachſehen.“
Falls ich dieſe lebendige Schilderung noch ergänzen ſoll, habe ich hinzuzufügen, daß die Schling- natter regelmäßig drei Ringe um ihr Opfer zieht und dieſelben ſo eng ſchlingt, daß ſie einſchneiden bis auf die Knochen, ohne jedoch die Haut zu verletzen, jede Regung des umfaßten Leibes, ja jeden Herzſchlag faſt unmöglich machend. Bei Blindſchleichen, der nächſt den Eidechſen am meiſten beliebten Beute, legt ſie die Ringe weiter auseinander, immer aber ſo, daß der Kopf des Opfers nach oben gerichtet iſt. Erber ſagt, daß die Schlingnatter auch Mäuſe frißt, und die Beobachtungen von Lenz, welcher ſah, daß ſie nach Mäuſen biß und dabei ziſchte, ſcheinen Dies zu beſtätigen. Trotzdem darf man annehmen, daß ſie ſich, ſolange ſie Eidechſen und Blindſchleichen haben kann, nur von dieſen ernährt. Dementſprechend muß man Lenz vollſtändig Recht geben, wenn er auch dieſe Natter als ſchädlich bezeichnet, da es ja außer allem Zweifel ſteht, daß die Eidechſen und Blindſchleichen, welche ſie vernichtet, uns nützen.
Linck behauptet, daß die Schlingnatter Feuchtigkeit verabſcheut, ins Waſſer geworfen, mit Auf- bietung aller Kraft, leicht und gewandt über die Oberfläche gleitend, aber voll Entſetzen dem Ufer zuflieht, im Käfige, wenn ſie beim Begießen des Raſenbodens auch nur ein Geringes von der verhaßten Flüſſigkeit trifft, verlangend nach einem trockenen Plätzchen ſucht, „Trinken ihr ein Greuel ſei“, und ſie ſelbſt feuchterer Atmoſphäre den Zutritt in ihr Jnneres zu verwehren ſuche, ja daß er beobachtet habe, wie eine ſeiner Gefangenen, welcher es nicht raſch genug gelang, auf dieſe Weiſe ſich vor dem aufſteigenden Waſſerdunſte zu ſichern, den trocken gebliebenen Leib einer Schweſter in den Rachen faßte, um dieſen dadurch vollſtändig zu ſchließen. Dieſen Behauptungen ſtehen Beobachtungen anderer Forſcher ſo entſchieden entgegen, daß man auf jene gewiß kein Gewicht legen darf. Martin beobachtete, daß eine von ihm gefangen gehaltene Schlingnatter, welche er mit Fröſchen und Mäuſen zu füttern gedachte, dieſe nicht anrührte und, gleichſam, um ihren Hunger zu ſtillen, begierig Waſſertropfen von dem feuchten Moſe oder von dem Glasdeckel ableckte, und Durſy ſagt ausdrücklich, daß die gefangene Schlingnatter, wenn man eine Schüſſel mit Waſſer in ihren Käfig ſetzt, zuweilen trinkt, dabei den Vorderkopf ganz eintaucht und deutliche Schluckbewegungen ausführt. Obgleich ich bisher noch niemals gefangene Schlingnattern trinken ſah, trage ich doch kein Bedenken, mich für die Glaubwürdigkeit letzterer Angaben zu erklären.
Wyder bemerkte zuerſt, daß die Schlingnatter zu den lebendig gebährenden Schlangen gehört, d. h. ihre Eier ſoweit austrägt, daß die Jungen ſofort nach dem Legen die Schale ſprengen und aus- ſchlüpfen. Lenz fand Mitte Mai’s bei großen Stücken die Eier 7½ Linien lang und 3 Linien dick, ſchon in der letzten Hälfte des Juni aber über 1 Zoll lang und etwa ½ Zoll breit, dann in ihnen auch weiße, dünn zuſammengewundene Junge von 2½ Zoll Länge mit dicken Köpfen und großen ſchwarzen Augen. Ende Auguſts oder Anfangs September werden die Eier gelegt, und dann kriechen ſofort die 6 Zoll langen ſchreibfederdicken Jungen aus, drei bis dreizehn an der Zahl, ſuchen ſich bei gutem Wetter noch etwas Nahrung zu verſchaffen und verbergen ſich ſpäter in einen paſſenden Schlupf- winkel, um ſich hier den Unbilden des Winters zu entziehen. „Niedlichere Geſchöpfe, als ſolch ein Natterchen“, ruft Linck aus, „kann es kaum geben! Die Flecken des Rückens ziehen ſich in glänzend- zierlichen Reihen bis zur nadelfeinen Schwanzſpitze, die Farbenzierden des etwas breiten Schädels treten klar und auffallend hervor, und mit Luſt blickt das Auge auf den ſteten Wechſel von Arabesken, welche der Leib des unendlich gelenken Thierchens im Durchgleiten durch den Finger oder durch niederes Pflanzengeſtrüpp flicht.“
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[228/0250]
Die Schlangen. Nattern. Jachſchlangen.
Natter nicht richtig an, ſo erwiſcht die Eidechſe den oberen oder unteren Kiefer der Natter, und mit
krampfhaft ſich ſchließendem Munde, mit Hilfe der ebenfalls hakenförmig umgebogenen Zähne iſt ſie
im Stande, ſtundenlang den gepackten Theil ihrer Feindin zu behaupten. Umſonſt ſucht ſich die
Schlange zu befreien. Beide Thiere haben ſich mit krampfhaft geſchloſſenen Kiefern wie Doggen in
einander verbiſſen; wüthend wickelt die Schlange von ihrem Opfer ſich los, zieht ſich zurück — doch
vergebens. Endlich läßt die Eidechſe los, macht ſich natürlich ſogleich aus dem Staube und die
mitunter blutende Schlange hat das Nachſehen.“
Falls ich dieſe lebendige Schilderung noch ergänzen ſoll, habe ich hinzuzufügen, daß die Schling-
natter regelmäßig drei Ringe um ihr Opfer zieht und dieſelben ſo eng ſchlingt, daß ſie einſchneiden
bis auf die Knochen, ohne jedoch die Haut zu verletzen, jede Regung des umfaßten Leibes, ja jeden
Herzſchlag faſt unmöglich machend. Bei Blindſchleichen, der nächſt den Eidechſen am meiſten beliebten
Beute, legt ſie die Ringe weiter auseinander, immer aber ſo, daß der Kopf des Opfers nach oben
gerichtet iſt. Erber ſagt, daß die Schlingnatter auch Mäuſe frißt, und die Beobachtungen von
Lenz, welcher ſah, daß ſie nach Mäuſen biß und dabei ziſchte, ſcheinen Dies zu beſtätigen. Trotzdem
darf man annehmen, daß ſie ſich, ſolange ſie Eidechſen und Blindſchleichen haben kann, nur von
dieſen ernährt. Dementſprechend muß man Lenz vollſtändig Recht geben, wenn er auch dieſe Natter
als ſchädlich bezeichnet, da es ja außer allem Zweifel ſteht, daß die Eidechſen und Blindſchleichen,
welche ſie vernichtet, uns nützen.
Linck behauptet, daß die Schlingnatter Feuchtigkeit verabſcheut, ins Waſſer geworfen, mit Auf-
bietung aller Kraft, leicht und gewandt über die Oberfläche gleitend, aber voll Entſetzen dem Ufer
zuflieht, im Käfige, wenn ſie beim Begießen des Raſenbodens auch nur ein Geringes von der
verhaßten Flüſſigkeit trifft, verlangend nach einem trockenen Plätzchen ſucht, „Trinken ihr ein
Greuel ſei“, und ſie ſelbſt feuchterer Atmoſphäre den Zutritt in ihr Jnneres zu verwehren ſuche, ja
daß er beobachtet habe, wie eine ſeiner Gefangenen, welcher es nicht raſch genug gelang, auf dieſe
Weiſe ſich vor dem aufſteigenden Waſſerdunſte zu ſichern, den trocken gebliebenen Leib einer Schweſter
in den Rachen faßte, um dieſen dadurch vollſtändig zu ſchließen. Dieſen Behauptungen ſtehen
Beobachtungen anderer Forſcher ſo entſchieden entgegen, daß man auf jene gewiß kein Gewicht legen
darf. Martin beobachtete, daß eine von ihm gefangen gehaltene Schlingnatter, welche er mit
Fröſchen und Mäuſen zu füttern gedachte, dieſe nicht anrührte und, gleichſam, um ihren Hunger zu
ſtillen, begierig Waſſertropfen von dem feuchten Moſe oder von dem Glasdeckel ableckte, und Durſy
ſagt ausdrücklich, daß die gefangene Schlingnatter, wenn man eine Schüſſel mit Waſſer in ihren
Käfig ſetzt, zuweilen trinkt, dabei den Vorderkopf ganz eintaucht und deutliche Schluckbewegungen
ausführt. Obgleich ich bisher noch niemals gefangene Schlingnattern trinken ſah, trage ich doch kein
Bedenken, mich für die Glaubwürdigkeit letzterer Angaben zu erklären.
Wyder bemerkte zuerſt, daß die Schlingnatter zu den lebendig gebährenden Schlangen gehört,
d. h. ihre Eier ſoweit austrägt, daß die Jungen ſofort nach dem Legen die Schale ſprengen und aus-
ſchlüpfen. Lenz fand Mitte Mai’s bei großen Stücken die Eier 7½ Linien lang und 3 Linien dick,
ſchon in der letzten Hälfte des Juni aber über 1 Zoll lang und etwa ½ Zoll breit, dann in ihnen
auch weiße, dünn zuſammengewundene Junge von 2½ Zoll Länge mit dicken Köpfen und großen
ſchwarzen Augen. Ende Auguſts oder Anfangs September werden die Eier gelegt, und dann kriechen
ſofort die 6 Zoll langen ſchreibfederdicken Jungen aus, drei bis dreizehn an der Zahl, ſuchen ſich bei
gutem Wetter noch etwas Nahrung zu verſchaffen und verbergen ſich ſpäter in einen paſſenden Schlupf-
winkel, um ſich hier den Unbilden des Winters zu entziehen. „Niedlichere Geſchöpfe, als ſolch ein
Natterchen“, ruft Linck aus, „kann es kaum geben! Die Flecken des Rückens ziehen ſich in glänzend-
zierlichen Reihen bis zur nadelfeinen Schwanzſpitze, die Farbenzierden des etwas breiten Schädels
treten klar und auffallend hervor, und mit Luſt blickt das Auge auf den ſteten Wechſel von Arabesken,
welche der Leib des unendlich gelenken Thierchens im Durchgleiten durch den Finger oder durch niederes
Pflanzengeſtrüpp flicht.“
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/250>, abgerufen am 22.12.2024.
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