Keine einzige deutsche Schlange wird so oft gefangen als die Aeskulapnatter. Jn Schlangen- bad bildet ihre Jagd einen Erwerbszweig der ärmeren Leute. Man sucht sie nach ihrem Erwachen aus dem Winterschlafe auf, zähmt sie und belustigt dann mit ihr die Badegäste, oder verkauft auch ein und das andere Stück an Liebhaber. Nach Beendigung der Badezeit läßt man die Gefangenen wieder frei, da sie im Käfige nur selten Futter zu sich nehmen, man in Schlangenbad wenigstens allgemein glaubt, daß Dies niemals der Fall sei. Hiermit stimmen denn auch Lenz und Linck überein. "Jch habe", sagt der erstere, "sie nie in der Gefangenschaft zum Fressen bringen können und dennoch gegen ein Jahr lebend erhalten. Einstmals entwischte mir eine drei Fuß lange am ersten August, nachdem sie seit dem vergangenen Herbste bei mir gewesen und unter Hunger und Kummer matt und mager geworden war. Als eben ein Monat vergangen, erschallte ein lauter Hilferuf des Tagelöhners im Garten; er hatte das Thier laufen sehen und schnell mit einer Gieß- kanne niedergedrückt. Als ich hineilte, sah ich zu meiner großen Freude meine entwischte Natter. Sie war sehr munter und wohlbeleibt, wurde ergriffen und wieder in die Gefangenschaft zurück- geführt." Linck versichert, daß die Gefangenen schlechterdings keine Speise zu sich nehmen und daher, obwohl sie einige Monate fastend aushalten, vor dem Frühjahre elendiglich zu Grunde gehen müssen. Daß beide Beobachter Unrecht haben, obgleich sie nur das Ergebniß ihrer eigenen Erfahrungen mittheilen, geht aus einem Bericht von Erber hervor, welcher das freiwillige Hungern der Gefangenen als bemerkenswerth bezeichnet, da er an zwei Aeskulapschlangen, welche er längere Zeit im Käfig hielt, beobachtete, daß sie zusammen im Laufe eines Sommers hundertundacht Mäuse und zwei Eidechsen verzehrten. Auch eine, welche vierzehn Monate lang keine Nahrung zu sich nahm, sich während dieser Zeit aber regelmäßig häutete und trotz dieser Hungerkur nicht sichtlich abmagerte, hatte sich schließlich noch zum Fressen bequemt, lag aber bald darauf todt im Zwinger: "das erste Thier dieser Art, welches mir zu Grunde ging."
Jm Anfange der Gefangenschaft ist die Aeskulapschlange sehr boshaft und beißt mit Wuth nach der Hand des Fängers oder nach Mäusen, welche in ihren Käfig gebracht werden. "Sie macht dann", sagt Lenz, "den Kopf äußerst breit, sodaß sie ein ganz anderes Ansehen bekommt und der Kopf einem Dreiecke gleicht, zieht den Hals ein und schnellt ihn hierauf äußerst rasch zum Bisse los. Selbst wenn ihre Augen bei bevorstehender Häutung verdüstert sind, zielt sie gut, weit besser als die Kreuz- otter. Ehe sie beißt, züngelt sie, wie jene, schnell; beim Bisse selbst aber ist die Zunge eingezogen. Zuweilen beißt sie, ohne vorher den Rachen zu öffnen, schnell zu; zuweilen öffnet sie vorher den Rachen weit.... Wenn zwei gerade recht böse sind, beißen sie auch mitunter eine die andere; übrigens vertragen sie sich gegenseitig und mit anderen Kriechthieren in der Gefangenschaft sehr gut." Die Bosheit hält manchmal lang an, bricht auch wieder vor, wenn die scheinbar gezähmte Natter in ihrer Behaglichkeit gestört oder nach einem längeren Ausfluge wieder in den Käfig zurückgebracht wird; nach einigen Wochen aber wird der Gefangene, wenn man sich viel mit ihm abgibt, so zahm und gutmüthig, daß er sich mit seinem Pfleger wirklich befreundet, ihn aus freien Stücken und selbst geneckt nie mehr zu beißen sucht; ja, er soll, wie Erber behauptet, freigekommen, sogar sein Gefängniß wieder aufsuchen. Wie rasch gerade diese Schlange sich an den Menschen gewöhnt, geht aus einer Beobachtung des Letztgenannten hervor, welche er anstellte, als er eine Aekulapschlange in der Nähe eines Steinbruches fing. "Dieses Thier", erzählt er, "war so zahm, daß ich vermuthete, es müsse schon früher in Gefangenschaft gewesen sein; von den in der Nähe beschäftigten Arbeitern erfuhr ich jedoch, daß sie die Natter schon längere Zeit bemerkt hatten und sie deshalb nicht tödteten, weil sie gesehen, wie sie Mäuse fresse und vertilge. Aus dieser Schonung mußte ich mir ihre geringe Scheu bei Annäherung des Menschen erklären." Dieselbe Natter wurde später von Erber, da alle Ver- suche sie zum Fressen zu bewegen, fruchtlos blieben, wieder ausgesetzt, ohne indessen die gehegten Erwartungen ihres bisherigen Pflegers zu rechtfertigen. "Sie schien sich der erlangten Freiheit wenig zu freuen, rollte sich zusammen und blieb in meiner Nähe an einer sonnigen Stelle ruhig liegen; meine Entfernung beunruhigte sie wenig. Als ich nach geraumer Zeit an die Stelle zurück-
Die Schlangen. Nattern. Kletternattern.
Keine einzige deutſche Schlange wird ſo oft gefangen als die Aeskulapnatter. Jn Schlangen- bad bildet ihre Jagd einen Erwerbszweig der ärmeren Leute. Man ſucht ſie nach ihrem Erwachen aus dem Winterſchlafe auf, zähmt ſie und beluſtigt dann mit ihr die Badegäſte, oder verkauft auch ein und das andere Stück an Liebhaber. Nach Beendigung der Badezeit läßt man die Gefangenen wieder frei, da ſie im Käfige nur ſelten Futter zu ſich nehmen, man in Schlangenbad wenigſtens allgemein glaubt, daß Dies niemals der Fall ſei. Hiermit ſtimmen denn auch Lenz und Linck überein. „Jch habe“, ſagt der erſtere, „ſie nie in der Gefangenſchaft zum Freſſen bringen können und dennoch gegen ein Jahr lebend erhalten. Einſtmals entwiſchte mir eine drei Fuß lange am erſten Auguſt, nachdem ſie ſeit dem vergangenen Herbſte bei mir geweſen und unter Hunger und Kummer matt und mager geworden war. Als eben ein Monat vergangen, erſchallte ein lauter Hilferuf des Tagelöhners im Garten; er hatte das Thier laufen ſehen und ſchnell mit einer Gieß- kanne niedergedrückt. Als ich hineilte, ſah ich zu meiner großen Freude meine entwiſchte Natter. Sie war ſehr munter und wohlbeleibt, wurde ergriffen und wieder in die Gefangenſchaft zurück- geführt.“ Linck verſichert, daß die Gefangenen ſchlechterdings keine Speiſe zu ſich nehmen und daher, obwohl ſie einige Monate faſtend aushalten, vor dem Frühjahre elendiglich zu Grunde gehen müſſen. Daß beide Beobachter Unrecht haben, obgleich ſie nur das Ergebniß ihrer eigenen Erfahrungen mittheilen, geht aus einem Bericht von Erber hervor, welcher das freiwillige Hungern der Gefangenen als bemerkenswerth bezeichnet, da er an zwei Aeskulapſchlangen, welche er längere Zeit im Käfig hielt, beobachtete, daß ſie zuſammen im Laufe eines Sommers hundertundacht Mäuſe und zwei Eidechſen verzehrten. Auch eine, welche vierzehn Monate lang keine Nahrung zu ſich nahm, ſich während dieſer Zeit aber regelmäßig häutete und trotz dieſer Hungerkur nicht ſichtlich abmagerte, hatte ſich ſchließlich noch zum Freſſen bequemt, lag aber bald darauf todt im Zwinger: „das erſte Thier dieſer Art, welches mir zu Grunde ging.“
Jm Anfange der Gefangenſchaft iſt die Aeskulapſchlange ſehr boshaft und beißt mit Wuth nach der Hand des Fängers oder nach Mäuſen, welche in ihren Käfig gebracht werden. „Sie macht dann“, ſagt Lenz, „den Kopf äußerſt breit, ſodaß ſie ein ganz anderes Anſehen bekommt und der Kopf einem Dreiecke gleicht, zieht den Hals ein und ſchnellt ihn hierauf äußerſt raſch zum Biſſe los. Selbſt wenn ihre Augen bei bevorſtehender Häutung verdüſtert ſind, zielt ſie gut, weit beſſer als die Kreuz- otter. Ehe ſie beißt, züngelt ſie, wie jene, ſchnell; beim Biſſe ſelbſt aber iſt die Zunge eingezogen. Zuweilen beißt ſie, ohne vorher den Rachen zu öffnen, ſchnell zu; zuweilen öffnet ſie vorher den Rachen weit.... Wenn zwei gerade recht böſe ſind, beißen ſie auch mitunter eine die andere; übrigens vertragen ſie ſich gegenſeitig und mit anderen Kriechthieren in der Gefangenſchaft ſehr gut.“ Die Bosheit hält manchmal lang an, bricht auch wieder vor, wenn die ſcheinbar gezähmte Natter in ihrer Behaglichkeit geſtört oder nach einem längeren Ausfluge wieder in den Käfig zurückgebracht wird; nach einigen Wochen aber wird der Gefangene, wenn man ſich viel mit ihm abgibt, ſo zahm und gutmüthig, daß er ſich mit ſeinem Pfleger wirklich befreundet, ihn aus freien Stücken und ſelbſt geneckt nie mehr zu beißen ſucht; ja, er ſoll, wie Erber behauptet, freigekommen, ſogar ſein Gefängniß wieder aufſuchen. Wie raſch gerade dieſe Schlange ſich an den Menſchen gewöhnt, geht aus einer Beobachtung des Letztgenannten hervor, welche er anſtellte, als er eine Aekulapſchlange in der Nähe eines Steinbruches fing. „Dieſes Thier“, erzählt er, „war ſo zahm, daß ich vermuthete, es müſſe ſchon früher in Gefangenſchaft geweſen ſein; von den in der Nähe beſchäftigten Arbeitern erfuhr ich jedoch, daß ſie die Natter ſchon längere Zeit bemerkt hatten und ſie deshalb nicht tödteten, weil ſie geſehen, wie ſie Mäuſe freſſe und vertilge. Aus dieſer Schonung mußte ich mir ihre geringe Scheu bei Annäherung des Menſchen erklären.“ Dieſelbe Natter wurde ſpäter von Erber, da alle Ver- ſuche ſie zum Freſſen zu bewegen, fruchtlos blieben, wieder ausgeſetzt, ohne indeſſen die gehegten Erwartungen ihres bisherigen Pflegers zu rechtfertigen. „Sie ſchien ſich der erlangten Freiheit wenig zu freuen, rollte ſich zuſammen und blieb in meiner Nähe an einer ſonnigen Stelle ruhig liegen; meine Entfernung beunruhigte ſie wenig. Als ich nach geraumer Zeit an die Stelle zurück-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0254"n="232"/><fwplace="top"type="header">Die Schlangen. Nattern. Kletternattern.</fw><lb/><p>Keine einzige deutſche Schlange wird ſo oft gefangen als die Aeskulapnatter. Jn Schlangen-<lb/>
bad bildet ihre Jagd einen Erwerbszweig der ärmeren Leute. Man ſucht ſie nach ihrem Erwachen<lb/>
aus dem Winterſchlafe auf, zähmt ſie und beluſtigt dann mit ihr die Badegäſte, oder verkauft auch<lb/>
ein und das andere Stück an Liebhaber. Nach Beendigung der Badezeit läßt man die Gefangenen<lb/>
wieder frei, da ſie im Käfige nur ſelten Futter zu ſich nehmen, man in Schlangenbad wenigſtens<lb/>
allgemein glaubt, daß Dies niemals der Fall ſei. Hiermit ſtimmen denn auch <hirendition="#g">Lenz</hi> und <hirendition="#g">Linck</hi><lb/>
überein. „Jch habe“, ſagt der erſtere, „ſie nie in der Gefangenſchaft zum Freſſen bringen können<lb/>
und dennoch gegen ein Jahr lebend erhalten. Einſtmals entwiſchte mir eine drei Fuß lange am<lb/>
erſten Auguſt, nachdem ſie ſeit dem vergangenen Herbſte bei mir geweſen und unter Hunger und<lb/>
Kummer matt und mager geworden war. Als eben ein Monat vergangen, erſchallte ein lauter<lb/>
Hilferuf des Tagelöhners im Garten; er hatte das Thier laufen ſehen und ſchnell mit einer Gieß-<lb/>
kanne niedergedrückt. Als ich hineilte, ſah ich zu meiner großen Freude meine entwiſchte Natter.<lb/>
Sie war ſehr munter und wohlbeleibt, wurde ergriffen und wieder in die Gefangenſchaft zurück-<lb/>
geführt.“<hirendition="#g">Linck</hi> verſichert, daß die Gefangenen ſchlechterdings keine Speiſe zu ſich nehmen und<lb/>
daher, obwohl ſie einige Monate faſtend aushalten, vor dem Frühjahre elendiglich zu Grunde gehen<lb/>
müſſen. Daß beide Beobachter Unrecht haben, obgleich ſie nur das Ergebniß ihrer eigenen<lb/>
Erfahrungen mittheilen, geht aus einem Bericht von <hirendition="#g">Erber</hi> hervor, welcher das freiwillige Hungern<lb/>
der Gefangenen als bemerkenswerth bezeichnet, da er an zwei Aeskulapſchlangen, welche er längere<lb/>
Zeit im Käfig hielt, beobachtete, daß ſie zuſammen im Laufe eines Sommers hundertundacht Mäuſe<lb/>
und zwei Eidechſen verzehrten. Auch eine, welche vierzehn Monate lang keine Nahrung zu ſich nahm,<lb/>ſich während dieſer Zeit aber regelmäßig häutete und trotz dieſer Hungerkur nicht ſichtlich abmagerte,<lb/>
hatte ſich ſchließlich noch zum Freſſen bequemt, lag aber bald darauf todt im Zwinger: „das erſte<lb/>
Thier dieſer Art, welches mir zu Grunde ging.“</p><lb/><p>Jm Anfange der Gefangenſchaft iſt die Aeskulapſchlange ſehr boshaft und beißt mit Wuth nach<lb/>
der Hand des Fängers oder nach Mäuſen, welche in ihren Käfig gebracht werden. „Sie macht dann“,<lb/>ſagt <hirendition="#g">Lenz</hi>, „den Kopf äußerſt breit, ſodaß ſie ein ganz anderes Anſehen bekommt und der Kopf<lb/>
einem Dreiecke gleicht, zieht den Hals ein und ſchnellt ihn hierauf äußerſt raſch zum Biſſe los. Selbſt<lb/>
wenn ihre Augen bei bevorſtehender Häutung verdüſtert ſind, zielt ſie gut, weit beſſer als die Kreuz-<lb/>
otter. Ehe ſie beißt, züngelt ſie, wie jene, ſchnell; beim Biſſe ſelbſt aber iſt die Zunge eingezogen.<lb/>
Zuweilen beißt ſie, ohne vorher den Rachen zu öffnen, ſchnell zu; zuweilen öffnet ſie vorher den<lb/>
Rachen weit.... Wenn zwei gerade recht böſe ſind, beißen ſie auch mitunter eine die andere;<lb/>
übrigens vertragen ſie ſich gegenſeitig und mit anderen Kriechthieren in der Gefangenſchaft ſehr gut.“<lb/>
Die Bosheit hält manchmal lang an, bricht auch wieder vor, wenn die ſcheinbar gezähmte Natter in ihrer<lb/>
Behaglichkeit geſtört oder nach einem längeren Ausfluge wieder in den Käfig zurückgebracht wird;<lb/>
nach einigen Wochen aber wird der Gefangene, wenn man ſich viel mit ihm abgibt, ſo zahm und<lb/>
gutmüthig, daß er ſich mit ſeinem Pfleger wirklich befreundet, ihn aus freien Stücken und ſelbſt geneckt<lb/>
nie mehr zu beißen ſucht; ja, er ſoll, wie <hirendition="#g">Erber</hi> behauptet, freigekommen, ſogar ſein Gefängniß<lb/>
wieder aufſuchen. Wie raſch gerade dieſe Schlange ſich an den Menſchen gewöhnt, geht aus einer<lb/>
Beobachtung des Letztgenannten hervor, welche er anſtellte, als er eine Aekulapſchlange in der Nähe<lb/>
eines Steinbruches fing. „Dieſes Thier“, erzählt er, „war ſo zahm, daß ich vermuthete, es müſſe<lb/>ſchon früher in Gefangenſchaft geweſen ſein; von den in der Nähe beſchäftigten Arbeitern erfuhr ich<lb/>
jedoch, daß ſie die Natter ſchon längere Zeit bemerkt hatten und ſie deshalb nicht tödteten, weil ſie<lb/>
geſehen, wie ſie Mäuſe freſſe und vertilge. Aus dieſer Schonung mußte ich mir ihre geringe Scheu<lb/>
bei Annäherung des Menſchen erklären.“ Dieſelbe Natter wurde ſpäter von <hirendition="#g">Erber</hi>, da alle Ver-<lb/>ſuche ſie zum Freſſen zu bewegen, fruchtlos blieben, wieder ausgeſetzt, ohne indeſſen die gehegten<lb/>
Erwartungen ihres bisherigen Pflegers zu rechtfertigen. „Sie ſchien ſich der erlangten Freiheit<lb/>
wenig zu freuen, rollte ſich zuſammen und blieb in meiner Nähe an einer ſonnigen Stelle ruhig<lb/>
liegen; meine Entfernung beunruhigte ſie wenig. Als ich nach geraumer Zeit an die Stelle zurück-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[232/0254]
Die Schlangen. Nattern. Kletternattern.
Keine einzige deutſche Schlange wird ſo oft gefangen als die Aeskulapnatter. Jn Schlangen-
bad bildet ihre Jagd einen Erwerbszweig der ärmeren Leute. Man ſucht ſie nach ihrem Erwachen
aus dem Winterſchlafe auf, zähmt ſie und beluſtigt dann mit ihr die Badegäſte, oder verkauft auch
ein und das andere Stück an Liebhaber. Nach Beendigung der Badezeit läßt man die Gefangenen
wieder frei, da ſie im Käfige nur ſelten Futter zu ſich nehmen, man in Schlangenbad wenigſtens
allgemein glaubt, daß Dies niemals der Fall ſei. Hiermit ſtimmen denn auch Lenz und Linck
überein. „Jch habe“, ſagt der erſtere, „ſie nie in der Gefangenſchaft zum Freſſen bringen können
und dennoch gegen ein Jahr lebend erhalten. Einſtmals entwiſchte mir eine drei Fuß lange am
erſten Auguſt, nachdem ſie ſeit dem vergangenen Herbſte bei mir geweſen und unter Hunger und
Kummer matt und mager geworden war. Als eben ein Monat vergangen, erſchallte ein lauter
Hilferuf des Tagelöhners im Garten; er hatte das Thier laufen ſehen und ſchnell mit einer Gieß-
kanne niedergedrückt. Als ich hineilte, ſah ich zu meiner großen Freude meine entwiſchte Natter.
Sie war ſehr munter und wohlbeleibt, wurde ergriffen und wieder in die Gefangenſchaft zurück-
geführt.“ Linck verſichert, daß die Gefangenen ſchlechterdings keine Speiſe zu ſich nehmen und
daher, obwohl ſie einige Monate faſtend aushalten, vor dem Frühjahre elendiglich zu Grunde gehen
müſſen. Daß beide Beobachter Unrecht haben, obgleich ſie nur das Ergebniß ihrer eigenen
Erfahrungen mittheilen, geht aus einem Bericht von Erber hervor, welcher das freiwillige Hungern
der Gefangenen als bemerkenswerth bezeichnet, da er an zwei Aeskulapſchlangen, welche er längere
Zeit im Käfig hielt, beobachtete, daß ſie zuſammen im Laufe eines Sommers hundertundacht Mäuſe
und zwei Eidechſen verzehrten. Auch eine, welche vierzehn Monate lang keine Nahrung zu ſich nahm,
ſich während dieſer Zeit aber regelmäßig häutete und trotz dieſer Hungerkur nicht ſichtlich abmagerte,
hatte ſich ſchließlich noch zum Freſſen bequemt, lag aber bald darauf todt im Zwinger: „das erſte
Thier dieſer Art, welches mir zu Grunde ging.“
Jm Anfange der Gefangenſchaft iſt die Aeskulapſchlange ſehr boshaft und beißt mit Wuth nach
der Hand des Fängers oder nach Mäuſen, welche in ihren Käfig gebracht werden. „Sie macht dann“,
ſagt Lenz, „den Kopf äußerſt breit, ſodaß ſie ein ganz anderes Anſehen bekommt und der Kopf
einem Dreiecke gleicht, zieht den Hals ein und ſchnellt ihn hierauf äußerſt raſch zum Biſſe los. Selbſt
wenn ihre Augen bei bevorſtehender Häutung verdüſtert ſind, zielt ſie gut, weit beſſer als die Kreuz-
otter. Ehe ſie beißt, züngelt ſie, wie jene, ſchnell; beim Biſſe ſelbſt aber iſt die Zunge eingezogen.
Zuweilen beißt ſie, ohne vorher den Rachen zu öffnen, ſchnell zu; zuweilen öffnet ſie vorher den
Rachen weit.... Wenn zwei gerade recht böſe ſind, beißen ſie auch mitunter eine die andere;
übrigens vertragen ſie ſich gegenſeitig und mit anderen Kriechthieren in der Gefangenſchaft ſehr gut.“
Die Bosheit hält manchmal lang an, bricht auch wieder vor, wenn die ſcheinbar gezähmte Natter in ihrer
Behaglichkeit geſtört oder nach einem längeren Ausfluge wieder in den Käfig zurückgebracht wird;
nach einigen Wochen aber wird der Gefangene, wenn man ſich viel mit ihm abgibt, ſo zahm und
gutmüthig, daß er ſich mit ſeinem Pfleger wirklich befreundet, ihn aus freien Stücken und ſelbſt geneckt
nie mehr zu beißen ſucht; ja, er ſoll, wie Erber behauptet, freigekommen, ſogar ſein Gefängniß
wieder aufſuchen. Wie raſch gerade dieſe Schlange ſich an den Menſchen gewöhnt, geht aus einer
Beobachtung des Letztgenannten hervor, welche er anſtellte, als er eine Aekulapſchlange in der Nähe
eines Steinbruches fing. „Dieſes Thier“, erzählt er, „war ſo zahm, daß ich vermuthete, es müſſe
ſchon früher in Gefangenſchaft geweſen ſein; von den in der Nähe beſchäftigten Arbeitern erfuhr ich
jedoch, daß ſie die Natter ſchon längere Zeit bemerkt hatten und ſie deshalb nicht tödteten, weil ſie
geſehen, wie ſie Mäuſe freſſe und vertilge. Aus dieſer Schonung mußte ich mir ihre geringe Scheu
bei Annäherung des Menſchen erklären.“ Dieſelbe Natter wurde ſpäter von Erber, da alle Ver-
ſuche ſie zum Freſſen zu bewegen, fruchtlos blieben, wieder ausgeſetzt, ohne indeſſen die gehegten
Erwartungen ihres bisherigen Pflegers zu rechtfertigen. „Sie ſchien ſich der erlangten Freiheit
wenig zu freuen, rollte ſich zuſammen und blieb in meiner Nähe an einer ſonnigen Stelle ruhig
liegen; meine Entfernung beunruhigte ſie wenig. Als ich nach geraumer Zeit an die Stelle zurück-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/254>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.