färbung, d. h. auf mehr oder minder lichtbraungelbem Grunde unregelmäßig dunkelbraun oder schwarz gebändert, gestrichelt, gepunktet und sonstwie gezeichnet, auf der Unterseite hingegen rein und einfarbig lichtgelb gefärbt.
Wenn der Zug der Pilger nach der Stadt des Heils sich rüstet, und der erwählte Chalife oder der Häuptling und Anführer der Pilger in Kairo seinen feierlichen Aufzug hält, finden sich regelmäßig Tausende von Menschen zusammen, um den Abziehenden Segenswünsche zu spenden, und sie bis vor die Thore der "Mutter der Welt" zu geleiten. Eine Festlichkeit eigener Art beginnt. Der Chalife, auf einem prächtigen, edlen Rosse sitzend, reitet vor allem Volke seines Weges dahin, -- aber nicht über den Erdboden, sondern über eine Brücke, welche im buchstäblichen Sinne des Wortes aus Menschen besteht. Denn auch unter den Mahammedanern bringt die so oft gepriesene Gläubigkeit sonderbare Früchte hervor. Zu Echternach am Rheine springen Menschen, denen man keine Geistes- störung anmerkt, wie die Narren mit gewaltigen Sätzen der Kapelle des heiligen Vitus zu, in der Absicht, die sündige Seele zu entlasten; in Spanien rutscht ein schwachgeistiges Weib auf den Knien einen Berg hinan, um das einem Marienbilde gethane Gelübde zu erfüllen: in Egypten gefällt sich der Glaubenswahnsinn darin, das Pferd, welches einen Nachkommen des Profeten trägt, über sich wegschreiten zu lassen. Von zwei reichgekleideten Reitknechten geführt, welche ebenfalls auf der Menschenbrücke wandeln, schreitet das verständige Roß sorgsam dahin; trotzdem aber geschieht es, daß einzelne der gläubigen Narren durch die Hufe des Pferdes verletzt werden -- ein Beweis für Allmänniglich, daß der Betreffende noch nicht fest im Glauben oder, wie der christlichpfäffische Kunst- ausdruck lautet, daß bei ihm die Gnade noch nicht zum Durchbruche gekommen war: da Jeder, welcher fest glaubt, nicht blos Berge zu versetzen vermag, sondern auch nicht verletzt oder überhaupt von einem Unglücke betroffen werden kann.
Für den Vorgeschrittenen hat der Anblick dieser glaubenstollen Menschen etwas ungemein Abschreckendes, ja fast Entmuthigendes, zumal wenn er gerecht genug ist, sich ähnlicher Umzüge oder Bittgänge in der lieben Heimat zu erinnern. Er möchte verzweifeln an der Menschheit, wenn er diese "Ebenbilder Gottes" sich selbst unter das Vieh herabwürdigen sieht, und bemüht sich längere Zeit vergebens, die Ruhe des Weltweisen wiederzugewinnen. Doch tragen einzelne der frommen Umzügler dazu bei, die Aufmerksamkeit von dem widrigen Schauspiele abzulenken, obgleich sich auch bei ihnen "die Bestialität ganz herrlich offenbart". Der "Tuhs el Chalife", wie dieser Ritt des Glaubensfürsten genannt wird, erhält nämlich regelmäßig eine ganz besondere Verherrlichung durch die anwesenden Schlangenbeschwörer, welche heute beweisen, daß vor Allah kein Ding unmöglich ist, und Schaustellungen zum Besten geben, wie man sie sonst nicht zu sehen bekommt.
Mit einem zerrissenen Tuche um die Lenden geschürzt, sonst nackend, tanzend und springend, ebenso treu wie die Bittgänger am Rheine die Geberden der Verrückten nachahmend, traben und hüpfen, laufen und rennen sie vor dem Zuge dahin und theilweise über die Menschenbrücke hinweg, jedem gläubigen Brückenklotze den verdienten Fußtritt auf die rechte Stelle versetzend, greifen bald mit der einen, bald mit der anderen Hand in einen über ihre Schulter hängenden Quersack, holen eine Anzahl von Schlangen hervor, schleudern sie mit wüthenden Handbewegungen hin und her, lassen sie sich um Arm und Hals schlingen, setzen sie sich an die Brust, gestatten ihnen, zu beißen, sogut sie Das vermögen, packen plötzlich eine mit beiden Händen, beißen ihr den Kopf ab, fressen ihn oder reißen mit den Zähnen ein Stück aus der Mitte ihres Leibes heraus, stoßen dazwischen "Allah hu akbar" (Gott ist der Größte) und ähnliche Glaubensseufzer hervor, bis sich der Schaum ihres Mundes mit dem Blute der Schlange vermischt und endlich das vollendete Vieh vor dem schier entsetzten Auge des Beschauers steht: -- Alles zur Ehre Gottes und des Profeten!
Die Schlangen, welche bei diesem durch die saftigste Gläubigkeit gewürzten Schauspiele -- für den Vernünftigen Trauerspiele -- benutzt werden, sind Brillenschlangen und Efavipern, die einen wie die anderen selbstverständlich nur solche Stücke, welche ihrer Giftzähne beraubt wurden. Denn so dumm sind die Schlangenbeschwörer doch nicht, daß sie meinen möchten, ihre erhabene Gläubig-
Die Schlangen. Vipern. Rauhottern.
färbung, d. h. auf mehr oder minder lichtbraungelbem Grunde unregelmäßig dunkelbraun oder ſchwarz gebändert, geſtrichelt, gepunktet und ſonſtwie gezeichnet, auf der Unterſeite hingegen rein und einfarbig lichtgelb gefärbt.
Wenn der Zug der Pilger nach der Stadt des Heils ſich rüſtet, und der erwählte Chalife oder der Häuptling und Anführer der Pilger in Kairo ſeinen feierlichen Aufzug hält, finden ſich regelmäßig Tauſende von Menſchen zuſammen, um den Abziehenden Segenswünſche zu ſpenden, und ſie bis vor die Thore der „Mutter der Welt“ zu geleiten. Eine Feſtlichkeit eigener Art beginnt. Der Chalife, auf einem prächtigen, edlen Roſſe ſitzend, reitet vor allem Volke ſeines Weges dahin, — aber nicht über den Erdboden, ſondern über eine Brücke, welche im buchſtäblichen Sinne des Wortes aus Menſchen beſteht. Denn auch unter den Mahammedanern bringt die ſo oft geprieſene Gläubigkeit ſonderbare Früchte hervor. Zu Echternach am Rheine ſpringen Menſchen, denen man keine Geiſtes- ſtörung anmerkt, wie die Narren mit gewaltigen Sätzen der Kapelle des heiligen Vitus zu, in der Abſicht, die ſündige Seele zu entlaſten; in Spanien rutſcht ein ſchwachgeiſtiges Weib auf den Knien einen Berg hinan, um das einem Marienbilde gethane Gelübde zu erfüllen: in Egypten gefällt ſich der Glaubenswahnſinn darin, das Pferd, welches einen Nachkommen des Profeten trägt, über ſich wegſchreiten zu laſſen. Von zwei reichgekleideten Reitknechten geführt, welche ebenfalls auf der Menſchenbrücke wandeln, ſchreitet das verſtändige Roß ſorgſam dahin; trotzdem aber geſchieht es, daß einzelne der gläubigen Narren durch die Hufe des Pferdes verletzt werden — ein Beweis für Allmänniglich, daß der Betreffende noch nicht feſt im Glauben oder, wie der chriſtlichpfäffiſche Kunſt- ausdruck lautet, daß bei ihm die Gnade noch nicht zum Durchbruche gekommen war: da Jeder, welcher feſt glaubt, nicht blos Berge zu verſetzen vermag, ſondern auch nicht verletzt oder überhaupt von einem Unglücke betroffen werden kann.
Für den Vorgeſchrittenen hat der Anblick dieſer glaubenstollen Menſchen etwas ungemein Abſchreckendes, ja faſt Entmuthigendes, zumal wenn er gerecht genug iſt, ſich ähnlicher Umzüge oder Bittgänge in der lieben Heimat zu erinnern. Er möchte verzweifeln an der Menſchheit, wenn er dieſe „Ebenbilder Gottes“ ſich ſelbſt unter das Vieh herabwürdigen ſieht, und bemüht ſich längere Zeit vergebens, die Ruhe des Weltweiſen wiederzugewinnen. Doch tragen einzelne der frommen Umzügler dazu bei, die Aufmerkſamkeit von dem widrigen Schauſpiele abzulenken, obgleich ſich auch bei ihnen „die Beſtialität ganz herrlich offenbart“. Der „Tuhs el Chalife“, wie dieſer Ritt des Glaubensfürſten genannt wird, erhält nämlich regelmäßig eine ganz beſondere Verherrlichung durch die anweſenden Schlangenbeſchwörer, welche heute beweiſen, daß vor Allah kein Ding unmöglich iſt, und Schauſtellungen zum Beſten geben, wie man ſie ſonſt nicht zu ſehen bekommt.
Mit einem zerriſſenen Tuche um die Lenden geſchürzt, ſonſt nackend, tanzend und ſpringend, ebenſo treu wie die Bittgänger am Rheine die Geberden der Verrückten nachahmend, traben und hüpfen, laufen und rennen ſie vor dem Zuge dahin und theilweiſe über die Menſchenbrücke hinweg, jedem gläubigen Brückenklotze den verdienten Fußtritt auf die rechte Stelle verſetzend, greifen bald mit der einen, bald mit der anderen Hand in einen über ihre Schulter hängenden Querſack, holen eine Anzahl von Schlangen hervor, ſchleudern ſie mit wüthenden Handbewegungen hin und her, laſſen ſie ſich um Arm und Hals ſchlingen, ſetzen ſie ſich an die Bruſt, geſtatten ihnen, zu beißen, ſogut ſie Das vermögen, packen plötzlich eine mit beiden Händen, beißen ihr den Kopf ab, freſſen ihn oder reißen mit den Zähnen ein Stück aus der Mitte ihres Leibes heraus, ſtoßen dazwiſchen „Allah hu akbar“ (Gott iſt der Größte) und ähnliche Glaubensſeufzer hervor, bis ſich der Schaum ihres Mundes mit dem Blute der Schlange vermiſcht und endlich das vollendete Vieh vor dem ſchier entſetzten Auge des Beſchauers ſteht: — Alles zur Ehre Gottes und des Profeten!
Die Schlangen, welche bei dieſem durch die ſaftigſte Gläubigkeit gewürzten Schauſpiele — für den Vernünftigen Trauerſpiele — benutzt werden, ſind Brillenſchlangen und Efavipern, die einen wie die anderen ſelbſtverſtändlich nur ſolche Stücke, welche ihrer Giftzähne beraubt wurden. Denn ſo dumm ſind die Schlangenbeſchwörer doch nicht, daß ſie meinen möchten, ihre erhabene Gläubig-
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Die Schlangen. Vipern. Rauhottern.
färbung, d. h. auf mehr oder minder lichtbraungelbem Grunde unregelmäßig dunkelbraun oder
ſchwarz gebändert, geſtrichelt, gepunktet und ſonſtwie gezeichnet, auf der Unterſeite hingegen rein
und einfarbig lichtgelb gefärbt.
Wenn der Zug der Pilger nach der Stadt des Heils ſich rüſtet, und der erwählte Chalife oder
der Häuptling und Anführer der Pilger in Kairo ſeinen feierlichen Aufzug hält, finden ſich regelmäßig
Tauſende von Menſchen zuſammen, um den Abziehenden Segenswünſche zu ſpenden, und ſie bis vor
die Thore der „Mutter der Welt“ zu geleiten. Eine Feſtlichkeit eigener Art beginnt. Der Chalife,
auf einem prächtigen, edlen Roſſe ſitzend, reitet vor allem Volke ſeines Weges dahin, — aber nicht
über den Erdboden, ſondern über eine Brücke, welche im buchſtäblichen Sinne des Wortes aus
Menſchen beſteht. Denn auch unter den Mahammedanern bringt die ſo oft geprieſene Gläubigkeit
ſonderbare Früchte hervor. Zu Echternach am Rheine ſpringen Menſchen, denen man keine Geiſtes-
ſtörung anmerkt, wie die Narren mit gewaltigen Sätzen der Kapelle des heiligen Vitus zu, in der
Abſicht, die ſündige Seele zu entlaſten; in Spanien rutſcht ein ſchwachgeiſtiges Weib auf den Knien
einen Berg hinan, um das einem Marienbilde gethane Gelübde zu erfüllen: in Egypten gefällt ſich
der Glaubenswahnſinn darin, das Pferd, welches einen Nachkommen des Profeten trägt, über ſich
wegſchreiten zu laſſen. Von zwei reichgekleideten Reitknechten geführt, welche ebenfalls auf der
Menſchenbrücke wandeln, ſchreitet das verſtändige Roß ſorgſam dahin; trotzdem aber geſchieht es,
daß einzelne der gläubigen Narren durch die Hufe des Pferdes verletzt werden — ein Beweis für
Allmänniglich, daß der Betreffende noch nicht feſt im Glauben oder, wie der chriſtlichpfäffiſche Kunſt-
ausdruck lautet, daß bei ihm die Gnade noch nicht zum Durchbruche gekommen war: da Jeder,
welcher feſt glaubt, nicht blos Berge zu verſetzen vermag, ſondern auch nicht verletzt oder überhaupt
von einem Unglücke betroffen werden kann.
Für den Vorgeſchrittenen hat der Anblick dieſer glaubenstollen Menſchen etwas ungemein
Abſchreckendes, ja faſt Entmuthigendes, zumal wenn er gerecht genug iſt, ſich ähnlicher Umzüge
oder Bittgänge in der lieben Heimat zu erinnern. Er möchte verzweifeln an der Menſchheit, wenn
er dieſe „Ebenbilder Gottes“ ſich ſelbſt unter das Vieh herabwürdigen ſieht, und bemüht ſich
längere Zeit vergebens, die Ruhe des Weltweiſen wiederzugewinnen. Doch tragen einzelne der
frommen Umzügler dazu bei, die Aufmerkſamkeit von dem widrigen Schauſpiele abzulenken, obgleich
ſich auch bei ihnen „die Beſtialität ganz herrlich offenbart“. Der „Tuhs el Chalife“, wie dieſer Ritt
des Glaubensfürſten genannt wird, erhält nämlich regelmäßig eine ganz beſondere Verherrlichung
durch die anweſenden Schlangenbeſchwörer, welche heute beweiſen, daß vor Allah kein Ding unmöglich
iſt, und Schauſtellungen zum Beſten geben, wie man ſie ſonſt nicht zu ſehen bekommt.
Mit einem zerriſſenen Tuche um die Lenden geſchürzt, ſonſt nackend, tanzend und ſpringend,
ebenſo treu wie die Bittgänger am Rheine die Geberden der Verrückten nachahmend, traben und
hüpfen, laufen und rennen ſie vor dem Zuge dahin und theilweiſe über die Menſchenbrücke hinweg,
jedem gläubigen Brückenklotze den verdienten Fußtritt auf die rechte Stelle verſetzend, greifen bald
mit der einen, bald mit der anderen Hand in einen über ihre Schulter hängenden Querſack, holen
eine Anzahl von Schlangen hervor, ſchleudern ſie mit wüthenden Handbewegungen hin und her, laſſen
ſie ſich um Arm und Hals ſchlingen, ſetzen ſie ſich an die Bruſt, geſtatten ihnen, zu beißen, ſogut ſie
Das vermögen, packen plötzlich eine mit beiden Händen, beißen ihr den Kopf ab, freſſen ihn oder
reißen mit den Zähnen ein Stück aus der Mitte ihres Leibes heraus, ſtoßen dazwiſchen „Allah hu
akbar“ (Gott iſt der Größte) und ähnliche Glaubensſeufzer hervor, bis ſich der Schaum ihres Mundes
mit dem Blute der Schlange vermiſcht und endlich das vollendete Vieh vor dem ſchier entſetzten
Auge des Beſchauers ſteht: — Alles zur Ehre Gottes und des Profeten!
Die Schlangen, welche bei dieſem durch die ſaftigſte Gläubigkeit gewürzten Schauſpiele — für
den Vernünftigen Trauerſpiele — benutzt werden, ſind Brillenſchlangen und Efavipern, die einen
wie die anderen ſelbſtverſtändlich nur ſolche Stücke, welche ihrer Giftzähne beraubt wurden. Denn
ſo dumm ſind die Schlangenbeſchwörer doch nicht, daß ſie meinen möchten, ihre erhabene Gläubig-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/342>, abgerufen am 22.12.2024.
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