Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
Mokassinschlange. Bodru.

Gegen den Pfleger zeigen sich die Mokassinschlangen auffallend gutmüthig und zahm, man
möchte fast sagen, dankbar. Eher als andere Giftschlangen verlieren sie ihm gegenüber ihre Beißlust,
und leichter als jede ihrer Verwandten gewöhnen sie sich daran, ihre Nahrung von ihm zu empfangen.
Jch selbst habe gesehen, daß, wenn Effeldt ihnen Fische und rohes Fleisch mit der Zange vorhielt,
sie augenblicklich herbeikamen und dasselbe wegnahmen, ja, daß sie augenblicklich rege wurden, sobald
er nur die Thüre ihres Käfigs öffnete. Den ersten Bissen Fisch oder Fleisch pflegen sie mit einer
gewissen Zartheit anzufassen und schlingen ihn rasch hinab; bei den übrigen zeigen sie sich gieriger, da
auch bei ihnen die Eßlust mit dem Essen kommt. Dann geschieht es allerdings, daß sie auch einmal
nach der Zange beißen, offenbar nur, weil sie sich täuschten; denn dieselben Thiere haben, nach
übereinstimmender Versicherung Effeldt's und seines Freundes Wagenführ, niemals versucht,
ihren Pfleger zu bedrohen, sich vielmehr stets so harmlos gezeigt, daß jener geradezu leichtfertig mit
ihnen umging, beim Füttern unbesorgt die Thüre offen stehen ließ und gestattete, daß die Schlangen
fast mit halbem Leibe aus dem Behälter hervorkamen, in der Absicht, nach Futter zu suchen. Bei
einer solchen Gelegenheit geschah es, daß Wagenführ plötzlich Etwas auf feiner Hand verspürte,
die Zunge der Schlange nämlich, welche die Hand betastete, offenbar in der Meinung, etwas Genieß-
bares zu erkunden, ohne jedoch daran zu denken, den mehr als sorglosen Mann zu verletzen. Eine
ähnliche Zahmheit ist schwerlich bei irgend einer anderen Schlange beobachtet worden.



Die artenreichste Sippe der Familie ist die der Lochottern (Bothrops), von denen Jan sechzehn
Arten unterscheidet, obwohl er viele von jenen, welche Reisende und Naturforscher aufstellten, nur
als Spielarten anderer ansieht. Die hierher zu zählenden Grubenottern sind verhältnißmäßig schlank
gebaut, wegen ihres dreieckigen, deutlich vom Halse geschiedenen, hinten aufgetriebenen Kopfes aber
leicht als Giftschlangen zu erkennen. Als bezeichnendes Merkmal der Sippe gilt hauptsächlich die
Bekleidung des Kopfes, welche nur aus schwachgekielten Schuppen besteht.

Auch die Lochottern leben vorzugsweise, jedoch nicht ausschließlich in Südamerika; denn einzelne
Arten der Gruppen werden auch in der alten Welt und zwar in Ostindien und auf den benachbarten
großen Eilanden gefunden; ja, wahrscheinlich traten sie hier in größerer Artenzahl auf, als man
bisher angenommen hat. Die altweltlichen Arten stehen jedoch in jeder Hinsicht hinter den neu-
weltlichen zurück, ebensowohl was Größe als das häufige Vorkommen anlangt.

Um eine altweltliche Lochotter zu nennen, will ich den Bodru der Jndier (Bothrops viridis)
hier erwähnen, eine Schlange von ungefähr 2 Fuß Länge und einfach dunkelgrüner, gegen den
Schwanz hin bläulich schimmernder Färbung der Oberseite, welche durch einen breiten, gelben Streifen
von dem gelblichgrünen des Bauches getrennt wird.

Ueber Verbreitung, Vorkommen, Aufenthalt und Lebensweise des Bodru sind wir noch sehr
mangelhaft unterrichtet. Wie es scheint, kommt das Thier in ganz Ost- und Hinterindien und
ebenso auf Sumatra, Java und Borneo vor, seinen Aufenthalt der grünen Färbung entsprechend
vorzugsweise in Waldungen oder auf grasigen Ebenen erwählend. Falls die Beobachtungen eines
deutschen Gärtners, welcher längere Zeit in Ostindien lebte, richtig sind, besteigt der Bodru Bäume,
und wenn Dies der Fall, läßt sich die Verläumdung der eigentlichen Baumschlangen wohl
erklären.

Ueber die Wirkung ihres Bisses hat Russell Versuche angestellt. Ein Huhn, welches in den
Schenkel gebissen wurde, zog diesen sogleich in die Höhe, legte sich nach zwei Minuten nieder, versuchte
aufzustehen, konnte sich aber nicht mehr halten, bewegte fünf Minuten später Kopf und Hals sehr
heftig und starb acht Minuten nach dem Bisse. Ein Schwein, welches an demselben Tage von

Mokaſſinſchlange. Bodru.

Gegen den Pfleger zeigen ſich die Mokaſſinſchlangen auffallend gutmüthig und zahm, man
möchte faſt ſagen, dankbar. Eher als andere Giftſchlangen verlieren ſie ihm gegenüber ihre Beißluſt,
und leichter als jede ihrer Verwandten gewöhnen ſie ſich daran, ihre Nahrung von ihm zu empfangen.
Jch ſelbſt habe geſehen, daß, wenn Effeldt ihnen Fiſche und rohes Fleiſch mit der Zange vorhielt,
ſie augenblicklich herbeikamen und daſſelbe wegnahmen, ja, daß ſie augenblicklich rege wurden, ſobald
er nur die Thüre ihres Käfigs öffnete. Den erſten Biſſen Fiſch oder Fleiſch pflegen ſie mit einer
gewiſſen Zartheit anzufaſſen und ſchlingen ihn raſch hinab; bei den übrigen zeigen ſie ſich gieriger, da
auch bei ihnen die Eßluſt mit dem Eſſen kommt. Dann geſchieht es allerdings, daß ſie auch einmal
nach der Zange beißen, offenbar nur, weil ſie ſich täuſchten; denn dieſelben Thiere haben, nach
übereinſtimmender Verſicherung Effeldt’s und ſeines Freundes Wagenführ, niemals verſucht,
ihren Pfleger zu bedrohen, ſich vielmehr ſtets ſo harmlos gezeigt, daß jener geradezu leichtfertig mit
ihnen umging, beim Füttern unbeſorgt die Thüre offen ſtehen ließ und geſtattete, daß die Schlangen
faſt mit halbem Leibe aus dem Behälter hervorkamen, in der Abſicht, nach Futter zu ſuchen. Bei
einer ſolchen Gelegenheit geſchah es, daß Wagenführ plötzlich Etwas auf feiner Hand verſpürte,
die Zunge der Schlange nämlich, welche die Hand betaſtete, offenbar in der Meinung, etwas Genieß-
bares zu erkunden, ohne jedoch daran zu denken, den mehr als ſorgloſen Mann zu verletzen. Eine
ähnliche Zahmheit iſt ſchwerlich bei irgend einer anderen Schlange beobachtet worden.



Die artenreichſte Sippe der Familie iſt die der Lochottern (Bothrops), von denen Jan ſechzehn
Arten unterſcheidet, obwohl er viele von jenen, welche Reiſende und Naturforſcher aufſtellten, nur
als Spielarten anderer anſieht. Die hierher zu zählenden Grubenottern ſind verhältnißmäßig ſchlank
gebaut, wegen ihres dreieckigen, deutlich vom Halſe geſchiedenen, hinten aufgetriebenen Kopfes aber
leicht als Giftſchlangen zu erkennen. Als bezeichnendes Merkmal der Sippe gilt hauptſächlich die
Bekleidung des Kopfes, welche nur aus ſchwachgekielten Schuppen beſteht.

Auch die Lochottern leben vorzugsweiſe, jedoch nicht ausſchließlich in Südamerika; denn einzelne
Arten der Gruppen werden auch in der alten Welt und zwar in Oſtindien und auf den benachbarten
großen Eilanden gefunden; ja, wahrſcheinlich traten ſie hier in größerer Artenzahl auf, als man
bisher angenommen hat. Die altweltlichen Arten ſtehen jedoch in jeder Hinſicht hinter den neu-
weltlichen zurück, ebenſowohl was Größe als das häufige Vorkommen anlangt.

Um eine altweltliche Lochotter zu nennen, will ich den Bodru der Jndier (Bothrops viridis)
hier erwähnen, eine Schlange von ungefähr 2 Fuß Länge und einfach dunkelgrüner, gegen den
Schwanz hin bläulich ſchimmernder Färbung der Oberſeite, welche durch einen breiten, gelben Streifen
von dem gelblichgrünen des Bauches getrennt wird.

Ueber Verbreitung, Vorkommen, Aufenthalt und Lebensweiſe des Bodru ſind wir noch ſehr
mangelhaft unterrichtet. Wie es ſcheint, kommt das Thier in ganz Oſt- und Hinterindien und
ebenſo auf Sumatra, Java und Borneo vor, ſeinen Aufenthalt der grünen Färbung entſprechend
vorzugsweiſe in Waldungen oder auf graſigen Ebenen erwählend. Falls die Beobachtungen eines
deutſchen Gärtners, welcher längere Zeit in Oſtindien lebte, richtig ſind, beſteigt der Bodru Bäume,
und wenn Dies der Fall, läßt ſich die Verläumdung der eigentlichen Baumſchlangen wohl
erklären.

Ueber die Wirkung ihres Biſſes hat Ruſſell Verſuche angeſtellt. Ein Huhn, welches in den
Schenkel gebiſſen wurde, zog dieſen ſogleich in die Höhe, legte ſich nach zwei Minuten nieder, verſuchte
aufzuſtehen, konnte ſich aber nicht mehr halten, bewegte fünf Minuten ſpäter Kopf und Hals ſehr
heftig und ſtarb acht Minuten nach dem Biſſe. Ein Schwein, welches an demſelben Tage von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0367" n="341"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Moka&#x017F;&#x017F;in&#x017F;chlange. Bodru.</hi> </fw><lb/>
          <p>Gegen den Pfleger zeigen &#x017F;ich die Moka&#x017F;&#x017F;in&#x017F;chlangen auffallend gutmüthig und zahm, man<lb/>
möchte fa&#x017F;t &#x017F;agen, dankbar. Eher als andere Gift&#x017F;chlangen verlieren &#x017F;ie ihm gegenüber ihre Beißlu&#x017F;t,<lb/>
und leichter als jede ihrer Verwandten gewöhnen &#x017F;ie &#x017F;ich daran, ihre Nahrung von ihm zu empfangen.<lb/>
Jch &#x017F;elb&#x017F;t habe ge&#x017F;ehen, daß, wenn <hi rendition="#g">Effeldt</hi> ihnen Fi&#x017F;che und rohes Flei&#x017F;ch mit der Zange vorhielt,<lb/>
&#x017F;ie augenblicklich herbeikamen und da&#x017F;&#x017F;elbe wegnahmen, ja, daß &#x017F;ie augenblicklich rege wurden, &#x017F;obald<lb/>
er nur die Thüre ihres Käfigs öffnete. Den er&#x017F;ten Bi&#x017F;&#x017F;en Fi&#x017F;ch oder Flei&#x017F;ch pflegen &#x017F;ie mit einer<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Zartheit anzufa&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;chlingen ihn ra&#x017F;ch hinab; bei den übrigen zeigen &#x017F;ie &#x017F;ich gieriger, da<lb/>
auch bei ihnen die Eßlu&#x017F;t mit dem E&#x017F;&#x017F;en kommt. Dann ge&#x017F;chieht es allerdings, daß &#x017F;ie auch einmal<lb/>
nach der Zange beißen, offenbar nur, weil &#x017F;ie &#x017F;ich täu&#x017F;chten; denn die&#x017F;elben Thiere haben, nach<lb/>
überein&#x017F;timmender Ver&#x017F;icherung <hi rendition="#g">Effeldt&#x2019;s</hi> und &#x017F;eines Freundes <hi rendition="#g">Wagenführ,</hi> niemals ver&#x017F;ucht,<lb/>
ihren Pfleger zu bedrohen, &#x017F;ich vielmehr &#x017F;tets &#x017F;o harmlos gezeigt, daß jener geradezu leichtfertig mit<lb/>
ihnen umging, beim Füttern unbe&#x017F;orgt die Thüre offen &#x017F;tehen ließ und ge&#x017F;tattete, daß die Schlangen<lb/>
fa&#x017F;t mit halbem Leibe aus dem Behälter hervorkamen, in der Ab&#x017F;icht, nach Futter zu &#x017F;uchen. Bei<lb/>
einer &#x017F;olchen Gelegenheit ge&#x017F;chah es, daß <hi rendition="#g">Wagenführ</hi> plötzlich Etwas auf feiner Hand ver&#x017F;pürte,<lb/>
die Zunge der Schlange nämlich, welche die Hand beta&#x017F;tete, offenbar in der Meinung, etwas Genieß-<lb/>
bares zu erkunden, ohne jedoch daran zu denken, den mehr als &#x017F;orglo&#x017F;en Mann zu verletzen. Eine<lb/>
ähnliche Zahmheit i&#x017F;t &#x017F;chwerlich bei irgend einer anderen Schlange beobachtet worden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die artenreich&#x017F;te Sippe der Familie i&#x017F;t die der <hi rendition="#g">Lochottern</hi> (<hi rendition="#aq">Bothrops</hi>), von denen <hi rendition="#g">Jan</hi> &#x017F;echzehn<lb/>
Arten unter&#x017F;cheidet, obwohl er viele von jenen, welche Rei&#x017F;ende und Naturfor&#x017F;cher auf&#x017F;tellten, nur<lb/>
als Spielarten anderer an&#x017F;ieht. Die hierher zu zählenden Grubenottern &#x017F;ind verhältnißmäßig &#x017F;chlank<lb/>
gebaut, wegen ihres dreieckigen, deutlich vom Hal&#x017F;e ge&#x017F;chiedenen, hinten aufgetriebenen Kopfes aber<lb/>
leicht als Gift&#x017F;chlangen zu erkennen. Als bezeichnendes Merkmal der Sippe gilt haupt&#x017F;ächlich die<lb/>
Bekleidung des Kopfes, welche nur aus &#x017F;chwachgekielten Schuppen be&#x017F;teht.</p><lb/>
          <p>Auch die Lochottern leben vorzugswei&#x017F;e, jedoch nicht aus&#x017F;chließlich in Südamerika; denn einzelne<lb/>
Arten der Gruppen werden auch in der alten Welt und zwar in O&#x017F;tindien und auf den benachbarten<lb/>
großen Eilanden gefunden; ja, wahr&#x017F;cheinlich traten &#x017F;ie hier in größerer Artenzahl auf, als man<lb/>
bisher angenommen hat. Die altweltlichen Arten &#x017F;tehen jedoch in jeder Hin&#x017F;icht hinter den neu-<lb/>
weltlichen zurück, eben&#x017F;owohl was Größe als das häufige Vorkommen anlangt.</p><lb/>
          <p>Um eine altweltliche Lochotter zu nennen, will ich den <hi rendition="#g">Bodru</hi> der Jndier (<hi rendition="#aq">Bothrops viridis</hi>)<lb/>
hier erwähnen, eine Schlange von ungefähr 2 Fuß Länge und einfach dunkelgrüner, gegen den<lb/>
Schwanz hin bläulich &#x017F;chimmernder Färbung der Ober&#x017F;eite, welche durch einen breiten, gelben Streifen<lb/>
von dem gelblichgrünen des Bauches getrennt wird.</p><lb/>
          <p>Ueber Verbreitung, Vorkommen, Aufenthalt und Lebenswei&#x017F;e des Bodru &#x017F;ind wir noch &#x017F;ehr<lb/>
mangelhaft unterrichtet. Wie es &#x017F;cheint, kommt das Thier in ganz O&#x017F;t- und Hinterindien und<lb/>
eben&#x017F;o auf Sumatra, Java und Borneo vor, &#x017F;einen Aufenthalt der grünen Färbung ent&#x017F;prechend<lb/>
vorzugswei&#x017F;e in Waldungen oder auf gra&#x017F;igen Ebenen erwählend. Falls die Beobachtungen eines<lb/>
deut&#x017F;chen Gärtners, welcher längere Zeit in O&#x017F;tindien lebte, richtig &#x017F;ind, be&#x017F;teigt der Bodru Bäume,<lb/>
und wenn Dies der Fall, läßt &#x017F;ich die Verläumdung der eigentlichen Baum&#x017F;chlangen wohl<lb/>
erklären.</p><lb/>
          <p>Ueber die Wirkung ihres Bi&#x017F;&#x017F;es hat <hi rendition="#g">Ru&#x017F;&#x017F;ell</hi> Ver&#x017F;uche ange&#x017F;tellt. Ein Huhn, welches in den<lb/>
Schenkel gebi&#x017F;&#x017F;en wurde, zog die&#x017F;en &#x017F;ogleich in die Höhe, legte &#x017F;ich nach zwei Minuten nieder, ver&#x017F;uchte<lb/>
aufzu&#x017F;tehen, konnte &#x017F;ich aber nicht mehr halten, bewegte fünf Minuten &#x017F;päter Kopf und Hals &#x017F;ehr<lb/>
heftig und &#x017F;tarb acht Minuten nach dem Bi&#x017F;&#x017F;e. Ein Schwein, welches an dem&#x017F;elben Tage von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0367] Mokaſſinſchlange. Bodru. Gegen den Pfleger zeigen ſich die Mokaſſinſchlangen auffallend gutmüthig und zahm, man möchte faſt ſagen, dankbar. Eher als andere Giftſchlangen verlieren ſie ihm gegenüber ihre Beißluſt, und leichter als jede ihrer Verwandten gewöhnen ſie ſich daran, ihre Nahrung von ihm zu empfangen. Jch ſelbſt habe geſehen, daß, wenn Effeldt ihnen Fiſche und rohes Fleiſch mit der Zange vorhielt, ſie augenblicklich herbeikamen und daſſelbe wegnahmen, ja, daß ſie augenblicklich rege wurden, ſobald er nur die Thüre ihres Käfigs öffnete. Den erſten Biſſen Fiſch oder Fleiſch pflegen ſie mit einer gewiſſen Zartheit anzufaſſen und ſchlingen ihn raſch hinab; bei den übrigen zeigen ſie ſich gieriger, da auch bei ihnen die Eßluſt mit dem Eſſen kommt. Dann geſchieht es allerdings, daß ſie auch einmal nach der Zange beißen, offenbar nur, weil ſie ſich täuſchten; denn dieſelben Thiere haben, nach übereinſtimmender Verſicherung Effeldt’s und ſeines Freundes Wagenführ, niemals verſucht, ihren Pfleger zu bedrohen, ſich vielmehr ſtets ſo harmlos gezeigt, daß jener geradezu leichtfertig mit ihnen umging, beim Füttern unbeſorgt die Thüre offen ſtehen ließ und geſtattete, daß die Schlangen faſt mit halbem Leibe aus dem Behälter hervorkamen, in der Abſicht, nach Futter zu ſuchen. Bei einer ſolchen Gelegenheit geſchah es, daß Wagenführ plötzlich Etwas auf feiner Hand verſpürte, die Zunge der Schlange nämlich, welche die Hand betaſtete, offenbar in der Meinung, etwas Genieß- bares zu erkunden, ohne jedoch daran zu denken, den mehr als ſorgloſen Mann zu verletzen. Eine ähnliche Zahmheit iſt ſchwerlich bei irgend einer anderen Schlange beobachtet worden. Die artenreichſte Sippe der Familie iſt die der Lochottern (Bothrops), von denen Jan ſechzehn Arten unterſcheidet, obwohl er viele von jenen, welche Reiſende und Naturforſcher aufſtellten, nur als Spielarten anderer anſieht. Die hierher zu zählenden Grubenottern ſind verhältnißmäßig ſchlank gebaut, wegen ihres dreieckigen, deutlich vom Halſe geſchiedenen, hinten aufgetriebenen Kopfes aber leicht als Giftſchlangen zu erkennen. Als bezeichnendes Merkmal der Sippe gilt hauptſächlich die Bekleidung des Kopfes, welche nur aus ſchwachgekielten Schuppen beſteht. Auch die Lochottern leben vorzugsweiſe, jedoch nicht ausſchließlich in Südamerika; denn einzelne Arten der Gruppen werden auch in der alten Welt und zwar in Oſtindien und auf den benachbarten großen Eilanden gefunden; ja, wahrſcheinlich traten ſie hier in größerer Artenzahl auf, als man bisher angenommen hat. Die altweltlichen Arten ſtehen jedoch in jeder Hinſicht hinter den neu- weltlichen zurück, ebenſowohl was Größe als das häufige Vorkommen anlangt. Um eine altweltliche Lochotter zu nennen, will ich den Bodru der Jndier (Bothrops viridis) hier erwähnen, eine Schlange von ungefähr 2 Fuß Länge und einfach dunkelgrüner, gegen den Schwanz hin bläulich ſchimmernder Färbung der Oberſeite, welche durch einen breiten, gelben Streifen von dem gelblichgrünen des Bauches getrennt wird. Ueber Verbreitung, Vorkommen, Aufenthalt und Lebensweiſe des Bodru ſind wir noch ſehr mangelhaft unterrichtet. Wie es ſcheint, kommt das Thier in ganz Oſt- und Hinterindien und ebenſo auf Sumatra, Java und Borneo vor, ſeinen Aufenthalt der grünen Färbung entſprechend vorzugsweiſe in Waldungen oder auf graſigen Ebenen erwählend. Falls die Beobachtungen eines deutſchen Gärtners, welcher längere Zeit in Oſtindien lebte, richtig ſind, beſteigt der Bodru Bäume, und wenn Dies der Fall, läßt ſich die Verläumdung der eigentlichen Baumſchlangen wohl erklären. Ueber die Wirkung ihres Biſſes hat Ruſſell Verſuche angeſtellt. Ein Huhn, welches in den Schenkel gebiſſen wurde, zog dieſen ſogleich in die Höhe, legte ſich nach zwei Minuten nieder, verſuchte aufzuſtehen, konnte ſich aber nicht mehr halten, bewegte fünf Minuten ſpäter Kopf und Hals ſehr heftig und ſtarb acht Minuten nach dem Biſſe. Ein Schwein, welches an demſelben Tage von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/367
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/367>, abgerufen am 22.12.2024.