und daß gewisse Arten erst in einer Tiefe von vier Fuß gefunden werden. "Darum sind auch diese Winterlager leicht zu finden; denn es sieht aus, als ob eine Herde Schweine an solchen Stellen gewühlt habe." Jm Norden Amerikas kommen sie bei einem nicht zu spät eintretenden Frühjahre einzeln schon im April oder doch Anfangs Mai aus ihrer Winterherberge wieder zum Vorscheine und beginnen dann ihr Sommerleben, zunächst das Fortpflanzungsgeschäft.
Die Begattung dauert bei ihnen Tage lang, und während der Dauer derselben sind sie für alles Andere wie abgestorben; ihre gewöhnliche Vorsicht und Schüchternheit verläßt sie gänzlich. "Jch habe", bemerkt Müller, "die gemalte Sumpfschildkröte Amerikas während der Begattung auf der Oberfläche des Wassers schwimmend gefunden und sie mittels eines Netzes leicht herausfischen können, da sie sich nicht im geringsten stören ließ." Sie hängen, mit den Schildern gegen einander gekehrt und halten, mit den Beinen umklammert, so fest zusammen, daß hier eine ziemliche Kraft angewendet werden muß, um sie auseinander zu reißen. Kurze Zeit später gräbt das Weibchen Löcher in die Erde oder in den Sand und legt in diese ihre sechs bis acht Eier ab.
Diese Eier sind für manche Völkerschaften von hoher Bedeutung, wie aus der nachstehenden lebendigen Schilderung Humboldt's zur Genüge hervorgeht. "Gegen elf Uhr vormittags stiegen wir an einer Jnsel mitten im Strome aus, welche die Jndianer in der Mission Uruana als ihr Eigen- thum betrachten. Die Jnsel ist berühmt wegen ihres Schildkrötenfanges, oder, wie man hier sagt, wegen der Eierernte, welche jährlich hier gehalten wird. Wir fanden mehr als dreihundert Jndianer unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Außer den Guanos und Otomakos aus Uruana, welche beide für wilde unbezähmbare Stämme gelten, waren Caraiben und andere Jndianer vom unteren Orinoko da. Jeder Stamm lagerte für sich und unterschied sich durch die Farbe, mit der die Haut bemalt war. Jn dem lärmenden Haufen bemerkten wir einige Weiße, namentlich Krämer aus Angostura, die den Fluß heraufgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkröteneieröl zu kaufen, trafen auch den Missionär von Uruana, welcher uns erzählte, daß er mit den Jndianern wegen der Eierernte herübergekommen sei, um jeden Morgen unter freiem Himmel die Messe zu lesen und sich das Oel für die Altarlampe zu beschaffen, besonders aber um diesen "Freistaat der Jndianer und Kastilianer" in Ordnung zu halten, in welchem Jeder für sich allein haben wolle, was Gott Allen beschert.
"Jn Begleitung dieses Missionärs und eines Krämers, welcher sich rühmte, seit zehn Jahren zur Eierernte zu kommen, umgingen wir die Jnsel, welche man besucht wie bei uns zu Lande die Messen. Wir befanden uns auf einem ebenen Sandstriche. "Soweit das Auge an den Ufern hin- reicht", sagte man uns, "liegen Schildkröteneier unter der Erdschicht." Der Missionär trug eine lange Stange in der Hand und zeigte uns, wie man mit ihr untersuche, um zu sehen, wie weit die Eierschicht reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raseneisenstein oder Steinkohle ermittelt. Stößt man die Stange senkrecht in den Boden, so spürt man, wenn der Widerstand auf einmal aufhört, daran, daß man die Höhlung oder das lose Erdreich, in welchem die Eier liegen, erreicht hat. Wie wir sahen, ist die Schicht im ganzen so gleichförmig verbreitet, daß die Stange in einem Halbmesser von zehn Toisen rings um einen gegebenen Punkt sicher darauf stößt. Auch spricht man hier nur von Geviertstangen Eiern, als ob man ein Bodenstück, unter dem Mineralien liegen, in Loose theilte und ganz gleichmäßig abbaute. Jndessen bedeckt die Eierschicht bei weitem nicht die ganze Jnsel, hört vielmehr überall auf, wo der Boden rasch ansteigt, weil die Schildkröte zu diesen kleinen Hochebenen nicht emporkriechen kann. Jch erzählte meinen Führern von den übertriebenen Beschreibungen Pater Gumillas, nach denen die Ufer des Orinoko nicht soviel Sandkörner enthalten als der Strom Schildkröten, ja daß sie die Schiffe in ihrem Laufe aufhalten würden, wenn Menschen und Tiger nicht alljährlich so viele tödteten. "Das sind Pfaffenmährchen", sagte der Krämer aus Angostura leise. Die Jndianer versicherten uns, von der Mündung des Orinoko bis zum Einflusse des Apure hinauf finde man keine Jnsel und kein einziges Gestade, wo man Schildkröteneier in Masse sammeln könnte. Die Uferstrecken, auf denen fast sämmtliche Schild-
Die Schildkröten. Sumpfſchildkröten.
und daß gewiſſe Arten erſt in einer Tiefe von vier Fuß gefunden werden. „Darum ſind auch dieſe Winterlager leicht zu finden; denn es ſieht aus, als ob eine Herde Schweine an ſolchen Stellen gewühlt habe.“ Jm Norden Amerikas kommen ſie bei einem nicht zu ſpät eintretenden Frühjahre einzeln ſchon im April oder doch Anfangs Mai aus ihrer Winterherberge wieder zum Vorſcheine und beginnen dann ihr Sommerleben, zunächſt das Fortpflanzungsgeſchäft.
Die Begattung dauert bei ihnen Tage lang, und während der Dauer derſelben ſind ſie für alles Andere wie abgeſtorben; ihre gewöhnliche Vorſicht und Schüchternheit verläßt ſie gänzlich. „Jch habe“, bemerkt Müller, „die gemalte Sumpfſchildkröte Amerikas während der Begattung auf der Oberfläche des Waſſers ſchwimmend gefunden und ſie mittels eines Netzes leicht herausfiſchen können, da ſie ſich nicht im geringſten ſtören ließ.“ Sie hängen, mit den Schildern gegen einander gekehrt und halten, mit den Beinen umklammert, ſo feſt zuſammen, daß hier eine ziemliche Kraft angewendet werden muß, um ſie auseinander zu reißen. Kurze Zeit ſpäter gräbt das Weibchen Löcher in die Erde oder in den Sand und legt in dieſe ihre ſechs bis acht Eier ab.
Dieſe Eier ſind für manche Völkerſchaften von hoher Bedeutung, wie aus der nachſtehenden lebendigen Schilderung Humboldt’s zur Genüge hervorgeht. „Gegen elf Uhr vormittags ſtiegen wir an einer Jnſel mitten im Strome aus, welche die Jndianer in der Miſſion Uruana als ihr Eigen- thum betrachten. Die Jnſel iſt berühmt wegen ihres Schildkrötenfanges, oder, wie man hier ſagt, wegen der Eierernte, welche jährlich hier gehalten wird. Wir fanden mehr als dreihundert Jndianer unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Außer den Guanos und Otomakos aus Uruana, welche beide für wilde unbezähmbare Stämme gelten, waren Caraiben und andere Jndianer vom unteren Orinoko da. Jeder Stamm lagerte für ſich und unterſchied ſich durch die Farbe, mit der die Haut bemalt war. Jn dem lärmenden Haufen bemerkten wir einige Weiße, namentlich Krämer aus Angoſtura, die den Fluß heraufgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkröteneieröl zu kaufen, trafen auch den Miſſionär von Uruana, welcher uns erzählte, daß er mit den Jndianern wegen der Eierernte herübergekommen ſei, um jeden Morgen unter freiem Himmel die Meſſe zu leſen und ſich das Oel für die Altarlampe zu beſchaffen, beſonders aber um dieſen „Freiſtaat der Jndianer und Kaſtilianer“ in Ordnung zu halten, in welchem Jeder für ſich allein haben wolle, was Gott Allen beſchert.
„Jn Begleitung dieſes Miſſionärs und eines Krämers, welcher ſich rühmte, ſeit zehn Jahren zur Eierernte zu kommen, umgingen wir die Jnſel, welche man beſucht wie bei uns zu Lande die Meſſen. Wir befanden uns auf einem ebenen Sandſtriche. „Soweit das Auge an den Ufern hin- reicht“, ſagte man uns, „liegen Schildkröteneier unter der Erdſchicht.“ Der Miſſionär trug eine lange Stange in der Hand und zeigte uns, wie man mit ihr unterſuche, um zu ſehen, wie weit die Eierſchicht reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raſeneiſenſtein oder Steinkohle ermittelt. Stößt man die Stange ſenkrecht in den Boden, ſo ſpürt man, wenn der Widerſtand auf einmal aufhört, daran, daß man die Höhlung oder das loſe Erdreich, in welchem die Eier liegen, erreicht hat. Wie wir ſahen, iſt die Schicht im ganzen ſo gleichförmig verbreitet, daß die Stange in einem Halbmeſſer von zehn Toiſen rings um einen gegebenen Punkt ſicher darauf ſtößt. Auch ſpricht man hier nur von Geviertſtangen Eiern, als ob man ein Bodenſtück, unter dem Mineralien liegen, in Looſe theilte und ganz gleichmäßig abbaute. Jndeſſen bedeckt die Eierſchicht bei weitem nicht die ganze Jnſel, hört vielmehr überall auf, wo der Boden raſch anſteigt, weil die Schildkröte zu dieſen kleinen Hochebenen nicht emporkriechen kann. Jch erzählte meinen Führern von den übertriebenen Beſchreibungen Pater Gumillas, nach denen die Ufer des Orinoko nicht ſoviel Sandkörner enthalten als der Strom Schildkröten, ja daß ſie die Schiffe in ihrem Laufe aufhalten würden, wenn Menſchen und Tiger nicht alljährlich ſo viele tödteten. „Das ſind Pfaffenmährchen“, ſagte der Krämer aus Angoſtura leiſe. Die Jndianer verſicherten uns, von der Mündung des Orinoko bis zum Einfluſſe des Apure hinauf finde man keine Jnſel und kein einziges Geſtade, wo man Schildkröteneier in Maſſe ſammeln könnte. Die Uferſtrecken, auf denen faſt ſämmtliche Schild-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0044"n="32"/><fwplace="top"type="header">Die Schildkröten. Sumpfſchildkröten.</fw><lb/>
und daß gewiſſe Arten erſt in einer Tiefe von vier Fuß gefunden werden. „Darum ſind auch dieſe<lb/>
Winterlager leicht zu finden; denn es ſieht aus, als ob eine Herde Schweine an ſolchen Stellen<lb/>
gewühlt habe.“ Jm Norden Amerikas kommen ſie bei einem nicht zu ſpät eintretenden Frühjahre<lb/>
einzeln ſchon im April oder doch Anfangs Mai aus ihrer Winterherberge wieder zum Vorſcheine und<lb/>
beginnen dann ihr Sommerleben, zunächſt das Fortpflanzungsgeſchäft.</p><lb/><p>Die Begattung dauert bei ihnen Tage lang, und während der Dauer derſelben ſind ſie für alles<lb/>
Andere wie abgeſtorben; ihre gewöhnliche Vorſicht und Schüchternheit verläßt ſie gänzlich. „Jch<lb/>
habe“, bemerkt <hirendition="#g">Müller,</hi>„die gemalte Sumpfſchildkröte Amerikas während der Begattung auf der<lb/>
Oberfläche des Waſſers ſchwimmend gefunden und ſie mittels eines Netzes leicht herausfiſchen können,<lb/>
da ſie ſich nicht im geringſten ſtören ließ.“ Sie hängen, mit den Schildern gegen einander gekehrt<lb/>
und halten, mit den Beinen umklammert, ſo feſt zuſammen, daß hier eine ziemliche Kraft angewendet<lb/>
werden muß, um ſie auseinander zu reißen. Kurze Zeit ſpäter gräbt das Weibchen Löcher in die<lb/>
Erde oder in den Sand und legt in dieſe ihre ſechs bis acht Eier ab.</p><lb/><p>Dieſe Eier ſind für manche Völkerſchaften von hoher Bedeutung, wie aus der nachſtehenden<lb/>
lebendigen Schilderung <hirendition="#g">Humboldt’s</hi> zur Genüge hervorgeht. „Gegen elf Uhr vormittags ſtiegen<lb/>
wir an einer Jnſel mitten im Strome aus, welche die Jndianer in der Miſſion Uruana als ihr Eigen-<lb/>
thum betrachten. Die Jnſel iſt berühmt wegen ihres Schildkrötenfanges, oder, wie man hier ſagt,<lb/>
wegen der Eierernte, welche jährlich hier gehalten wird. Wir fanden mehr als dreihundert Jndianer<lb/>
unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Außer den Guanos und Otomakos aus Uruana, welche<lb/>
beide für wilde unbezähmbare Stämme gelten, waren Caraiben und andere Jndianer vom unteren<lb/>
Orinoko da. Jeder Stamm lagerte für ſich und unterſchied ſich durch die Farbe, mit der die Haut<lb/>
bemalt war. Jn dem lärmenden Haufen bemerkten wir einige Weiße, namentlich Krämer aus<lb/>
Angoſtura, die den Fluß heraufgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkröteneieröl zu<lb/>
kaufen, trafen auch den Miſſionär von Uruana, welcher uns erzählte, daß er mit den Jndianern wegen<lb/>
der Eierernte herübergekommen ſei, um jeden Morgen unter freiem Himmel die Meſſe zu leſen und<lb/>ſich das Oel für die Altarlampe zu beſchaffen, beſonders aber um dieſen „Freiſtaat der Jndianer und<lb/>
Kaſtilianer“ in Ordnung zu halten, in welchem Jeder für ſich allein haben wolle, was Gott Allen<lb/>
beſchert.</p><lb/><p>„Jn Begleitung dieſes Miſſionärs und eines Krämers, welcher ſich rühmte, ſeit zehn Jahren<lb/>
zur Eierernte zu kommen, umgingen wir die Jnſel, welche man beſucht wie bei uns zu Lande die<lb/>
Meſſen. Wir befanden uns auf einem ebenen Sandſtriche. „Soweit das Auge an den Ufern hin-<lb/>
reicht“, ſagte man uns, „liegen Schildkröteneier unter der Erdſchicht.“ Der Miſſionär trug eine<lb/>
lange Stange in der Hand und zeigte uns, wie man mit ihr unterſuche, um zu ſehen, wie weit die<lb/>
Eierſchicht reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raſeneiſenſtein oder<lb/>
Steinkohle ermittelt. Stößt man die Stange ſenkrecht in den Boden, ſo ſpürt man, wenn der<lb/>
Widerſtand auf einmal aufhört, daran, daß man die Höhlung oder das loſe Erdreich, in welchem<lb/>
die Eier liegen, erreicht hat. Wie wir ſahen, iſt die Schicht im ganzen ſo gleichförmig verbreitet,<lb/>
daß die Stange in einem Halbmeſſer von zehn Toiſen rings um einen gegebenen Punkt ſicher darauf<lb/>ſtößt. Auch ſpricht man hier nur von Geviertſtangen Eiern, als ob man ein Bodenſtück, unter dem<lb/>
Mineralien liegen, in Looſe theilte und ganz gleichmäßig abbaute. Jndeſſen bedeckt die Eierſchicht<lb/>
bei weitem nicht die ganze Jnſel, hört vielmehr überall auf, wo der Boden raſch anſteigt, weil die<lb/>
Schildkröte zu dieſen kleinen Hochebenen nicht emporkriechen kann. Jch erzählte meinen Führern von<lb/>
den übertriebenen Beſchreibungen Pater <hirendition="#g">Gumillas,</hi> nach denen die Ufer des Orinoko nicht ſoviel<lb/>
Sandkörner enthalten als der Strom Schildkröten, ja daß ſie die Schiffe in ihrem Laufe aufhalten<lb/>
würden, wenn Menſchen und Tiger nicht alljährlich ſo viele tödteten. „Das ſind Pfaffenmährchen“,<lb/>ſagte der Krämer aus Angoſtura leiſe. Die Jndianer verſicherten uns, von der Mündung des<lb/>
Orinoko bis zum Einfluſſe des Apure hinauf finde man keine Jnſel und kein einziges Geſtade, wo<lb/>
man Schildkröteneier in Maſſe ſammeln könnte. Die Uferſtrecken, auf denen faſt ſämmtliche Schild-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[32/0044]
Die Schildkröten. Sumpfſchildkröten.
und daß gewiſſe Arten erſt in einer Tiefe von vier Fuß gefunden werden. „Darum ſind auch dieſe
Winterlager leicht zu finden; denn es ſieht aus, als ob eine Herde Schweine an ſolchen Stellen
gewühlt habe.“ Jm Norden Amerikas kommen ſie bei einem nicht zu ſpät eintretenden Frühjahre
einzeln ſchon im April oder doch Anfangs Mai aus ihrer Winterherberge wieder zum Vorſcheine und
beginnen dann ihr Sommerleben, zunächſt das Fortpflanzungsgeſchäft.
Die Begattung dauert bei ihnen Tage lang, und während der Dauer derſelben ſind ſie für alles
Andere wie abgeſtorben; ihre gewöhnliche Vorſicht und Schüchternheit verläßt ſie gänzlich. „Jch
habe“, bemerkt Müller, „die gemalte Sumpfſchildkröte Amerikas während der Begattung auf der
Oberfläche des Waſſers ſchwimmend gefunden und ſie mittels eines Netzes leicht herausfiſchen können,
da ſie ſich nicht im geringſten ſtören ließ.“ Sie hängen, mit den Schildern gegen einander gekehrt
und halten, mit den Beinen umklammert, ſo feſt zuſammen, daß hier eine ziemliche Kraft angewendet
werden muß, um ſie auseinander zu reißen. Kurze Zeit ſpäter gräbt das Weibchen Löcher in die
Erde oder in den Sand und legt in dieſe ihre ſechs bis acht Eier ab.
Dieſe Eier ſind für manche Völkerſchaften von hoher Bedeutung, wie aus der nachſtehenden
lebendigen Schilderung Humboldt’s zur Genüge hervorgeht. „Gegen elf Uhr vormittags ſtiegen
wir an einer Jnſel mitten im Strome aus, welche die Jndianer in der Miſſion Uruana als ihr Eigen-
thum betrachten. Die Jnſel iſt berühmt wegen ihres Schildkrötenfanges, oder, wie man hier ſagt,
wegen der Eierernte, welche jährlich hier gehalten wird. Wir fanden mehr als dreihundert Jndianer
unter Hütten aus Palmblättern gelagert. Außer den Guanos und Otomakos aus Uruana, welche
beide für wilde unbezähmbare Stämme gelten, waren Caraiben und andere Jndianer vom unteren
Orinoko da. Jeder Stamm lagerte für ſich und unterſchied ſich durch die Farbe, mit der die Haut
bemalt war. Jn dem lärmenden Haufen bemerkten wir einige Weiße, namentlich Krämer aus
Angoſtura, die den Fluß heraufgekommen waren, um von den Eingeborenen Schildkröteneieröl zu
kaufen, trafen auch den Miſſionär von Uruana, welcher uns erzählte, daß er mit den Jndianern wegen
der Eierernte herübergekommen ſei, um jeden Morgen unter freiem Himmel die Meſſe zu leſen und
ſich das Oel für die Altarlampe zu beſchaffen, beſonders aber um dieſen „Freiſtaat der Jndianer und
Kaſtilianer“ in Ordnung zu halten, in welchem Jeder für ſich allein haben wolle, was Gott Allen
beſchert.
„Jn Begleitung dieſes Miſſionärs und eines Krämers, welcher ſich rühmte, ſeit zehn Jahren
zur Eierernte zu kommen, umgingen wir die Jnſel, welche man beſucht wie bei uns zu Lande die
Meſſen. Wir befanden uns auf einem ebenen Sandſtriche. „Soweit das Auge an den Ufern hin-
reicht“, ſagte man uns, „liegen Schildkröteneier unter der Erdſchicht.“ Der Miſſionär trug eine
lange Stange in der Hand und zeigte uns, wie man mit ihr unterſuche, um zu ſehen, wie weit die
Eierſchicht reicht, wie der Bergmann die Grenzen eines Lagers von Mergel, Raſeneiſenſtein oder
Steinkohle ermittelt. Stößt man die Stange ſenkrecht in den Boden, ſo ſpürt man, wenn der
Widerſtand auf einmal aufhört, daran, daß man die Höhlung oder das loſe Erdreich, in welchem
die Eier liegen, erreicht hat. Wie wir ſahen, iſt die Schicht im ganzen ſo gleichförmig verbreitet,
daß die Stange in einem Halbmeſſer von zehn Toiſen rings um einen gegebenen Punkt ſicher darauf
ſtößt. Auch ſpricht man hier nur von Geviertſtangen Eiern, als ob man ein Bodenſtück, unter dem
Mineralien liegen, in Looſe theilte und ganz gleichmäßig abbaute. Jndeſſen bedeckt die Eierſchicht
bei weitem nicht die ganze Jnſel, hört vielmehr überall auf, wo der Boden raſch anſteigt, weil die
Schildkröte zu dieſen kleinen Hochebenen nicht emporkriechen kann. Jch erzählte meinen Führern von
den übertriebenen Beſchreibungen Pater Gumillas, nach denen die Ufer des Orinoko nicht ſoviel
Sandkörner enthalten als der Strom Schildkröten, ja daß ſie die Schiffe in ihrem Laufe aufhalten
würden, wenn Menſchen und Tiger nicht alljährlich ſo viele tödteten. „Das ſind Pfaffenmährchen“,
ſagte der Krämer aus Angoſtura leiſe. Die Jndianer verſicherten uns, von der Mündung des
Orinoko bis zum Einfluſſe des Apure hinauf finde man keine Jnſel und kein einziges Geſtade, wo
man Schildkröteneier in Maſſe ſammeln könnte. Die Uferſtrecken, auf denen faſt ſämmtliche Schild-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/44>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.