"Die Laichzeit, während welcher der bedeutendste Fang geschieht, fällt in die Wintermonate, scheint aber je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüssen oft um Wochen und Monate abzuändern. Die Fischer haben verschiedene Anzeichen, aus welchen sie das Herannahen der Heringsschwärme beurtheilen; doch sind dieselben so ungenau, daß die Holländer sagen, sie gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein sicheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann und wo die Heringe erscheinen sollen. Auch sind die Jahre sehr verschieden. Jn einem Winter erscheinen an einem gewissen Orte ungeheuere Massen, während im nächsten Winter nur einzelne Fische in die Netze gerathen. Jst Dies aber zu verwundern, wenn man weiß, daß es uns noch nicht gelungen ist, die Ursachen zu enträthseln, weshalb in unseren Seen und Flüssen die Lachse und Lachsforellen ganz dieselben Erscheinungen darbieten?"
"Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Heringe vom Polarmeer aus ist leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Der nordamerikanische Hering, welcher an der ganzen Küste bis hinunter nach New-York gefangen wird, ist entschieden eine andere Art als derjenige der europäischen Küsten. Unter den europäischen Heringen unterscheidet man auch viele Rassen, wenn- gleich ein artlicher Unterschied nicht anerkannt werden kann. Der Hering der Ostsee ist der kleinste und schwächste, der holländische wie der englische Hering schon größer, während der Hering der Shetlandsinseln und der norwegischen Küste der größte und fetteste ist. Die Fischer an der Küste unterscheiden selbst, ebensogut wie die Lachsfischer, in den Flußmündungen den landstehenden Hering, welcher in der Nähe der Küste sich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von so feinem Geschmack ist, von dem Seehering, welcher aus größeren Entfernungen an die Küste heranschwimmt. Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte im Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die verschiedenen Schwärme sich so genau nach Größe, Gestalt und inneren Eigenschaften abtrennen würden, daß sie wie Regimenter und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu bestimmter Zeit sich einstellen, ohne daß die Alles bezwingende Liebe eine Vermischung der Schwärme bedingt hätte?"
"Was nun aber vollends dem Fasse den Boden ausschlägt, ist einerseits die verhältnißmäßige Seltenheit in den nördlichen Gegenden, andererseits der Zeitunterschied in der Erscheinung an den verschiedenen Arten. Um Grönland herum, wo doch der eine Hauptstrom gen Amerika vorüber- ziehen soll, ist der Hering so selten, daß viele Naturforscher ihn gar nicht unter den Fischen des Landes aufführen. An den Küsten von Jsland, an denen der ganze Zug sich spalten soll, ist der Hering zwar bekannt, aber niemals so häufig, daß eine besondere Fischerei auf ihn angestellt würde, und das Gleiche ist der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo so wenige Heringe gefangen werden, daß man sich nicht einmal die Mühe gibt, sie zu salzen, während in der südlichen Hälfte zwischen Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger- und Moldefjord der Heringsfang fast die einzige Lebensquelle der Küstenbewohner bildet. Wie wäre eine solche Ver- theilung möglich, wenn der Hering vom Norden käme, wie behauptet wird?"
"Wie wäre es auch möglich, daß der Hering an den südlichen Küsten bei Holland und Stavanger früher erscheint, als an den schottischen und irischen Küsten, wie Dies doch häufig beobachtet wurde, wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Heringe von allen Größen an den Küsten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn sie nicht in der Nähe dieser Küste geboren würden, auswüchsen und stürben?"
"Man hat als Beweis für das Schwärmen der Heringe auch den Umstand aufgeführt, daß früher in der Ostsee und namentlich an der schwedischen Küste bei Gothenburg ein sehr schwungreicher Heringsfang geübt wurde, während Dies sich jetzt so sehr verändert hat, daß die Fischer in die tiefste Armuth versunken seien. Gerade dieser Umstand aber scheint uns ein Beweis für unsere Ansicht zu sein. Es wäre kein Grund abzusehen, warum die Schwärme nicht mehr die Ostsee besuchen sollten; man müßte denn die Dampfschiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Ursache der Verscheuchung ansehen. Die Ostsee ist ein sehr beschränktes und oben ein sehr flaches Becken, und sie ist dergestalt
Die Edelfiſche. Heringe.
„Die Laichzeit, während welcher der bedeutendſte Fang geſchieht, fällt in die Wintermonate, ſcheint aber je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüſſen oft um Wochen und Monate abzuändern. Die Fiſcher haben verſchiedene Anzeichen, aus welchen ſie das Herannahen der Heringsſchwärme beurtheilen; doch ſind dieſelben ſo ungenau, daß die Holländer ſagen, ſie gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein ſicheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann und wo die Heringe erſcheinen ſollen. Auch ſind die Jahre ſehr verſchieden. Jn einem Winter erſcheinen an einem gewiſſen Orte ungeheuere Maſſen, während im nächſten Winter nur einzelne Fiſche in die Netze gerathen. Jſt Dies aber zu verwundern, wenn man weiß, daß es uns noch nicht gelungen iſt, die Urſachen zu enträthſeln, weshalb in unſeren Seen und Flüſſen die Lachſe und Lachsforellen ganz dieſelben Erſcheinungen darbieten?“
„Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Heringe vom Polarmeer aus iſt leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Der nordamerikaniſche Hering, welcher an der ganzen Küſte bis hinunter nach New-York gefangen wird, iſt entſchieden eine andere Art als derjenige der europäiſchen Küſten. Unter den europäiſchen Heringen unterſcheidet man auch viele Raſſen, wenn- gleich ein artlicher Unterſchied nicht anerkannt werden kann. Der Hering der Oſtſee iſt der kleinſte und ſchwächſte, der holländiſche wie der engliſche Hering ſchon größer, während der Hering der Shetlandsinſeln und der norwegiſchen Küſte der größte und fetteſte iſt. Die Fiſcher an der Küſte unterſcheiden ſelbſt, ebenſogut wie die Lachsfiſcher, in den Flußmündungen den landſtehenden Hering, welcher in der Nähe der Küſte ſich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von ſo feinem Geſchmack iſt, von dem Seehering, welcher aus größeren Entfernungen an die Küſte heranſchwimmt. Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemeinſchaftlichen Mittelpunkte im Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die verſchiedenen Schwärme ſich ſo genau nach Größe, Geſtalt und inneren Eigenſchaften abtrennen würden, daß ſie wie Regimenter und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu beſtimmter Zeit ſich einſtellen, ohne daß die Alles bezwingende Liebe eine Vermiſchung der Schwärme bedingt hätte?“
„Was nun aber vollends dem Faſſe den Boden ausſchlägt, iſt einerſeits die verhältnißmäßige Seltenheit in den nördlichen Gegenden, andererſeits der Zeitunterſchied in der Erſcheinung an den verſchiedenen Arten. Um Grönland herum, wo doch der eine Hauptſtrom gen Amerika vorüber- ziehen ſoll, iſt der Hering ſo ſelten, daß viele Naturforſcher ihn gar nicht unter den Fiſchen des Landes aufführen. An den Küſten von Jsland, an denen der ganze Zug ſich ſpalten ſoll, iſt der Hering zwar bekannt, aber niemals ſo häufig, daß eine beſondere Fiſcherei auf ihn angeſtellt würde, und das Gleiche iſt der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo ſo wenige Heringe gefangen werden, daß man ſich nicht einmal die Mühe gibt, ſie zu ſalzen, während in der ſüdlichen Hälfte zwiſchen Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger- und Moldefjord der Heringsfang faſt die einzige Lebensquelle der Küſtenbewohner bildet. Wie wäre eine ſolche Ver- theilung möglich, wenn der Hering vom Norden käme, wie behauptet wird?“
„Wie wäre es auch möglich, daß der Hering an den ſüdlichen Küſten bei Holland und Stavanger früher erſcheint, als an den ſchottiſchen und iriſchen Küſten, wie Dies doch häufig beobachtet wurde, wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Heringe von allen Größen an den Küſten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn ſie nicht in der Nähe dieſer Küſte geboren würden, auswüchſen und ſtürben?“
„Man hat als Beweis für das Schwärmen der Heringe auch den Umſtand aufgeführt, daß früher in der Oſtſee und namentlich an der ſchwediſchen Küſte bei Gothenburg ein ſehr ſchwungreicher Heringsfang geübt wurde, während Dies ſich jetzt ſo ſehr verändert hat, daß die Fiſcher in die tiefſte Armuth verſunken ſeien. Gerade dieſer Umſtand aber ſcheint uns ein Beweis für unſere Anſicht zu ſein. Es wäre kein Grund abzuſehen, warum die Schwärme nicht mehr die Oſtſee beſuchen ſollten; man müßte denn die Dampfſchiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Urſache der Verſcheuchung anſehen. Die Oſtſee iſt ein ſehr beſchränktes und oben ein ſehr flaches Becken, und ſie iſt dergeſtalt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0762"n="722"/><fwplace="top"type="header">Die Edelfiſche. Heringe.</fw><lb/><p>„Die Laichzeit, während welcher der bedeutendſte Fang geſchieht, fällt in die Wintermonate,<lb/>ſcheint aber je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüſſen oft um Wochen und<lb/>
Monate abzuändern. Die Fiſcher haben verſchiedene Anzeichen, aus welchen ſie das Herannahen<lb/>
der Heringsſchwärme beurtheilen; doch ſind dieſelben ſo ungenau, daß die Holländer ſagen, ſie<lb/>
gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein ſicheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann<lb/>
und wo die Heringe erſcheinen ſollen. Auch ſind die Jahre ſehr verſchieden. Jn einem Winter<lb/>
erſcheinen an einem gewiſſen Orte ungeheuere Maſſen, während im nächſten Winter nur einzelne<lb/>
Fiſche in die Netze gerathen. Jſt Dies aber zu verwundern, wenn man weiß, daß es uns noch nicht<lb/>
gelungen iſt, die Urſachen zu enträthſeln, weshalb in unſeren Seen und Flüſſen die Lachſe und<lb/>
Lachsforellen ganz dieſelben Erſcheinungen darbieten?“</p><lb/><p>„Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Heringe vom Polarmeer aus<lb/>
iſt leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Der nordamerikaniſche Hering, welcher an der ganzen<lb/>
Küſte bis hinunter nach New-York gefangen wird, iſt entſchieden eine andere Art als derjenige der<lb/>
europäiſchen Küſten. Unter den europäiſchen Heringen unterſcheidet man auch viele Raſſen, wenn-<lb/>
gleich ein artlicher Unterſchied nicht anerkannt werden kann. Der Hering der Oſtſee iſt der kleinſte<lb/>
und ſchwächſte, der holländiſche wie der engliſche Hering ſchon größer, während der Hering der<lb/>
Shetlandsinſeln und der norwegiſchen Küſte der größte und fetteſte iſt. Die Fiſcher an der Küſte<lb/>
unterſcheiden ſelbſt, ebenſogut wie die Lachsfiſcher, in den Flußmündungen den landſtehenden Hering,<lb/>
welcher in der Nähe der Küſte ſich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von ſo feinem<lb/>
Geſchmack iſt, von dem Seehering, welcher aus größeren Entfernungen an die Küſte heranſchwimmt.<lb/>
Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemeinſchaftlichen Mittelpunkte im<lb/>
Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die verſchiedenen Schwärme ſich<lb/>ſo genau nach Größe, Geſtalt und inneren Eigenſchaften abtrennen würden, daß ſie wie Regimenter<lb/>
und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu beſtimmter Zeit ſich einſtellen, ohne daß<lb/>
die Alles bezwingende Liebe eine Vermiſchung der Schwärme bedingt hätte?“</p><lb/><p>„Was nun aber vollends dem Faſſe den Boden ausſchlägt, iſt einerſeits die verhältnißmäßige<lb/>
Seltenheit in den nördlichen Gegenden, andererſeits der Zeitunterſchied in der Erſcheinung an den<lb/>
verſchiedenen Arten. Um Grönland herum, wo doch der eine Hauptſtrom gen Amerika vorüber-<lb/>
ziehen ſoll, iſt der Hering ſo ſelten, daß viele Naturforſcher ihn gar nicht unter den Fiſchen des<lb/>
Landes aufführen. An den Küſten von Jsland, an denen der ganze Zug ſich ſpalten ſoll, iſt der<lb/>
Hering zwar bekannt, aber niemals ſo häufig, daß eine beſondere Fiſcherei auf ihn angeſtellt würde,<lb/>
und das Gleiche iſt der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo ſo wenige Heringe gefangen werden,<lb/>
daß man ſich nicht einmal die Mühe gibt, ſie zu ſalzen, während in der ſüdlichen Hälfte zwiſchen<lb/>
Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger- und Moldefjord<lb/>
der Heringsfang faſt die einzige Lebensquelle der Küſtenbewohner bildet. Wie wäre eine ſolche Ver-<lb/>
theilung möglich, wenn der Hering vom Norden käme, wie behauptet wird?“</p><lb/><p>„Wie wäre es auch möglich, daß der Hering an den ſüdlichen Küſten bei Holland und Stavanger<lb/>
früher erſcheint, als an den ſchottiſchen und iriſchen Küſten, wie Dies doch häufig beobachtet wurde,<lb/>
wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Heringe von allen<lb/>
Größen an den Küſten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn ſie nicht in der Nähe dieſer Küſte<lb/>
geboren würden, auswüchſen und ſtürben?“</p><lb/><p>„Man hat als Beweis für das Schwärmen der Heringe auch den Umſtand aufgeführt, daß<lb/>
früher in der Oſtſee und namentlich an der ſchwediſchen Küſte bei Gothenburg ein ſehr ſchwungreicher<lb/>
Heringsfang geübt wurde, während Dies ſich jetzt ſo ſehr verändert hat, daß die Fiſcher in die tiefſte<lb/>
Armuth verſunken ſeien. Gerade dieſer Umſtand aber ſcheint uns ein Beweis für unſere Anſicht zu<lb/>ſein. Es wäre kein Grund abzuſehen, warum die Schwärme nicht mehr die Oſtſee beſuchen ſollten;<lb/>
man müßte denn die Dampfſchiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Urſache der Verſcheuchung<lb/>
anſehen. Die Oſtſee iſt ein ſehr beſchränktes und oben ein ſehr flaches Becken, und ſie iſt dergeſtalt<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[722/0762]
Die Edelfiſche. Heringe.
„Die Laichzeit, während welcher der bedeutendſte Fang geſchieht, fällt in die Wintermonate,
ſcheint aber je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüſſen oft um Wochen und
Monate abzuändern. Die Fiſcher haben verſchiedene Anzeichen, aus welchen ſie das Herannahen
der Heringsſchwärme beurtheilen; doch ſind dieſelben ſo ungenau, daß die Holländer ſagen, ſie
gäben mit Vergnügen eine Tonne Goldes für ein ſicheres Merkzeichen der Zeit und des Ortes, wann
und wo die Heringe erſcheinen ſollen. Auch ſind die Jahre ſehr verſchieden. Jn einem Winter
erſcheinen an einem gewiſſen Orte ungeheuere Maſſen, während im nächſten Winter nur einzelne
Fiſche in die Netze gerathen. Jſt Dies aber zu verwundern, wenn man weiß, daß es uns noch nicht
gelungen iſt, die Urſachen zu enträthſeln, weshalb in unſeren Seen und Flüſſen die Lachſe und
Lachsforellen ganz dieſelben Erſcheinungen darbieten?“
„Der Beweis gegen die angenommenen großen Wanderungen der Heringe vom Polarmeer aus
iſt leicht zu führen und wohl unwiderleglich. Der nordamerikaniſche Hering, welcher an der ganzen
Küſte bis hinunter nach New-York gefangen wird, iſt entſchieden eine andere Art als derjenige der
europäiſchen Küſten. Unter den europäiſchen Heringen unterſcheidet man auch viele Raſſen, wenn-
gleich ein artlicher Unterſchied nicht anerkannt werden kann. Der Hering der Oſtſee iſt der kleinſte
und ſchwächſte, der holländiſche wie der engliſche Hering ſchon größer, während der Hering der
Shetlandsinſeln und der norwegiſchen Küſte der größte und fetteſte iſt. Die Fiſcher an der Küſte
unterſcheiden ſelbſt, ebenſogut wie die Lachsfiſcher, in den Flußmündungen den landſtehenden Hering,
welcher in der Nähe der Küſte ſich aufhält und gewöhnlich zwar fetter, aber nicht von ſo feinem
Geſchmack iſt, von dem Seehering, welcher aus größeren Entfernungen an die Küſte heranſchwimmt.
Wenn die Behauptung der wandernden Schwärme von einem gemeinſchaftlichen Mittelpunkte im
Eismeere aus ihre Richtigkeit hätte, wie wäre es dann möglich, daß die verſchiedenen Schwärme ſich
ſo genau nach Größe, Geſtalt und inneren Eigenſchaften abtrennen würden, daß ſie wie Regimenter
und Bataillone eines Heeres an ihren Sammelplätzen zu beſtimmter Zeit ſich einſtellen, ohne daß
die Alles bezwingende Liebe eine Vermiſchung der Schwärme bedingt hätte?“
„Was nun aber vollends dem Faſſe den Boden ausſchlägt, iſt einerſeits die verhältnißmäßige
Seltenheit in den nördlichen Gegenden, andererſeits der Zeitunterſchied in der Erſcheinung an den
verſchiedenen Arten. Um Grönland herum, wo doch der eine Hauptſtrom gen Amerika vorüber-
ziehen ſoll, iſt der Hering ſo ſelten, daß viele Naturforſcher ihn gar nicht unter den Fiſchen des
Landes aufführen. An den Küſten von Jsland, an denen der ganze Zug ſich ſpalten ſoll, iſt der
Hering zwar bekannt, aber niemals ſo häufig, daß eine beſondere Fiſcherei auf ihn angeſtellt würde,
und das Gleiche iſt der Fall in den Finnmarken Norwegens, wo ſo wenige Heringe gefangen werden,
daß man ſich nicht einmal die Mühe gibt, ſie zu ſalzen, während in der ſüdlichen Hälfte zwiſchen
Trondhjem und Kap Lindesnäs, namentlich aber in der Umgegend vom Stavanger- und Moldefjord
der Heringsfang faſt die einzige Lebensquelle der Küſtenbewohner bildet. Wie wäre eine ſolche Ver-
theilung möglich, wenn der Hering vom Norden käme, wie behauptet wird?“
„Wie wäre es auch möglich, daß der Hering an den ſüdlichen Küſten bei Holland und Stavanger
früher erſcheint, als an den ſchottiſchen und iriſchen Küſten, wie Dies doch häufig beobachtet wurde,
wenn er in der That aus Norden käme? Wie wäre es endlich möglich, daß man Heringe von allen
Größen an den Küſten fängt zu allen Zeiten des Jahres, wenn ſie nicht in der Nähe dieſer Küſte
geboren würden, auswüchſen und ſtürben?“
„Man hat als Beweis für das Schwärmen der Heringe auch den Umſtand aufgeführt, daß
früher in der Oſtſee und namentlich an der ſchwediſchen Küſte bei Gothenburg ein ſehr ſchwungreicher
Heringsfang geübt wurde, während Dies ſich jetzt ſo ſehr verändert hat, daß die Fiſcher in die tiefſte
Armuth verſunken ſeien. Gerade dieſer Umſtand aber ſcheint uns ein Beweis für unſere Anſicht zu
ſein. Es wäre kein Grund abzuſehen, warum die Schwärme nicht mehr die Oſtſee beſuchen ſollten;
man müßte denn die Dampfſchiffe, welche das Kattegat durchkreuzen, als die Urſache der Verſcheuchung
anſehen. Die Oſtſee iſt ein ſehr beſchränktes und oben ein ſehr flaches Becken, und ſie iſt dergeſtalt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/762>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.