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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Allgemeines.
zustände der Priken vom blinden Querder an bis zur ausgebildeten, großäugigen Sandpricke
aufzufinden und später festzustellen, daß die Entwicklung und Umwandlung der Priken oder des
gemeinen Neunauges genau in derselben Weise erfolgt. Es entstehen also aus den Eiern der Neun-
augen zunächst sogenannte Querder, wachsen binnen drei oder vier Jahren bis zur Größe von 6 bis
7 Zoll heran und wandeln sich sodann binnen sehr kurzer Zeit, im Verlaufe von wenigen Tagen
nämlich, in ausgebildete Fische um.

Die Feststellung dieser Thatsache gab noch einen weitern Ausschluß über das Leben unserer Fische.
Schon den alten Forschern war bekannt, daß die Lampreten um die Fortpflanzungszeit "durch viel
bewegnuß abnemmen vnd sterben, etliche ehe sie geberen oder leychen". Man wußte auch, daß sie
während des Sommers wenig oder nicht gefunden werden, hatte endlich viele von ihnen todt im
Wasser treibend gesehen; ja, ein italienischer Forscher, Panizza, sagt geradezu, daß man die See-
lampreten nach beendigtem Laichgeschäfte todt im Flusse ausfische. Als nun A. Müller ungeachtet
aller Nachsuchungen bald nach der Laichzeit keine Spur mehr von den in der Panke häufigen Sand-
priken auffinden, sondern nur einige ihrer Leichname im Wasser wahrnehmen, er bei genauester
Untersuchung der Eierstöcke außerdem niemals Eier verschiedener Entwicklungszustände, wie bei
anderen Thieren, sondern kurz nach der Laichzeit immer Nichts weiter als die leeren Kelche wahr-
nehmen konnte, hielt er sich für berechtigt zu schließen, daß die Neunaugen nach der Laichzeit unter-
gehen. Die Wahrheit dieser Annahme vorausgesetzt, ergibt sich also, daß unsere so tiefstehenden
Wirbelthiere ähnlich wie so viele wirbellose ein langes Leben als Larve und nur wenige Tage als
Erwachsene, bezüglich umgewandelte Fische durchleben.

Zum Fange der Lampreten bedient man sich meistens mehrkammeriger Reußen, welche aus
Binsen geflochten und an reißenden Stellen des Stromes aufgestellt werden, wendet hier und da auch
Garne an oder gebraucht endlich Gehren und Haken, um diejenigen, welche sich am Grunde fest-
gesogen haben, empor zu ziehen. Der Hauptfang auf Lampreten und Priken findet im Frühlinge
statt, wenn beide aus dem Meere aufsteigen; Priken werden aber auch im Herbste in großer Menge
erbeutet, da sie um diese Zeit von den Flüssen aus in das Meer hinaus wandern. Zum Versandt
röstet man die gefangenen Fische ein wenig und bringt sie dann in eine reichlich mit Essig und
Gewürzen versetzte Lake. Das Fleisch wird bei uns sehr in Ehren gehalten und war schon in
alten Zeiten hoch geschätzt. "Die Lampreten", sagt Geßner, "sind Frühlingszeit gantz gut vnd
löblich, auch je größer, je besser. Sehr angenem vnd lieblich sind sie zu essen: geberen doch ein dickes
vnd schleimiges Geblüt, auß vrsach man sie mit gutem Wein vnd Gewürtz bereyten soll." Jm Mittel-
alter wurden in Frankreich die Lampreten von Nantes sehr gerühmt, und es gab Händler, welche
keine anderen Fische nach Paris brachten als diese. Der Begehr war so stark, daß durch königlichen
Befehl verboten werden mußte, besagten Händlern entgegen zu gehen und deren Waare vorweg zu
kaufen. Auch in England hielt und hält man sie hoch; in Schottland dagegen pflegen die Fischer,
laut Parnell, diejenigen, welche zufällig in ihre Netze geriethen, stets wieder ins Wasser zu werfen,
weil sie ein nicht auszurottendes Vorurtheil gegen diese Fische hegen. Dem zu Folge sieht man sie
noch heutigentages nicht auf dem Fischmarkte von Edinburg.



Wahre Würmer an Gestalt und Wesen sind die nächsten Verwandten der Lampreten, die
Schleimsackfische (Hyperotreti). Sie bilden eine kleine, sippen- und artenarme Familie, nach
Johannes Müller, welcher die sie kennzeichnenden Merkmale als höchst bedeutsame ansieht, sogar
eine besondere Ordnung, und stehen gewissermaßen zwischen den Lampreten und den Schlauchfischen in
der Mitte. Jhr walziger Leib trägt nur am verdünnten Ende eine niedere Rundflosse, die Lippe des
Maules grobe, durch Knorpel gestützte Bärteln, der Gaumen einen einzigen, die Zunge einige wenige
Zähne. Aeußere Augen fehlen gänzlich, Anfänge dazu liegen unter Haut und Muskeln versteckt;

Allgemeines.
zuſtände der Priken vom blinden Querder an bis zur ausgebildeten, großäugigen Sandpricke
aufzufinden und ſpäter feſtzuſtellen, daß die Entwicklung und Umwandlung der Priken oder des
gemeinen Neunauges genau in derſelben Weiſe erfolgt. Es entſtehen alſo aus den Eiern der Neun-
augen zunächſt ſogenannte Querder, wachſen binnen drei oder vier Jahren bis zur Größe von 6 bis
7 Zoll heran und wandeln ſich ſodann binnen ſehr kurzer Zeit, im Verlaufe von wenigen Tagen
nämlich, in ausgebildete Fiſche um.

Die Feſtſtellung dieſer Thatſache gab noch einen weitern Auſſchluß über das Leben unſerer Fiſche.
Schon den alten Forſchern war bekannt, daß die Lampreten um die Fortpflanzungszeit „durch viel
bewegnuß abnemmen vnd ſterben, etliche ehe ſie geberen oder leychen“. Man wußte auch, daß ſie
während des Sommers wenig oder nicht gefunden werden, hatte endlich viele von ihnen todt im
Waſſer treibend geſehen; ja, ein italieniſcher Forſcher, Panizza, ſagt geradezu, daß man die See-
lampreten nach beendigtem Laichgeſchäfte todt im Fluſſe auſfiſche. Als nun A. Müller ungeachtet
aller Nachſuchungen bald nach der Laichzeit keine Spur mehr von den in der Panke häufigen Sand-
priken auffinden, ſondern nur einige ihrer Leichname im Waſſer wahrnehmen, er bei genaueſter
Unterſuchung der Eierſtöcke außerdem niemals Eier verſchiedener Entwicklungszuſtände, wie bei
anderen Thieren, ſondern kurz nach der Laichzeit immer Nichts weiter als die leeren Kelche wahr-
nehmen konnte, hielt er ſich für berechtigt zu ſchließen, daß die Neunaugen nach der Laichzeit unter-
gehen. Die Wahrheit dieſer Annahme vorausgeſetzt, ergibt ſich alſo, daß unſere ſo tiefſtehenden
Wirbelthiere ähnlich wie ſo viele wirbelloſe ein langes Leben als Larve und nur wenige Tage als
Erwachſene, bezüglich umgewandelte Fiſche durchleben.

Zum Fange der Lampreten bedient man ſich meiſtens mehrkammeriger Reußen, welche aus
Binſen geflochten und an reißenden Stellen des Stromes aufgeſtellt werden, wendet hier und da auch
Garne an oder gebraucht endlich Gehren und Haken, um diejenigen, welche ſich am Grunde feſt-
geſogen haben, empor zu ziehen. Der Hauptfang auf Lampreten und Priken findet im Frühlinge
ſtatt, wenn beide aus dem Meere aufſteigen; Priken werden aber auch im Herbſte in großer Menge
erbeutet, da ſie um dieſe Zeit von den Flüſſen aus in das Meer hinaus wandern. Zum Verſandt
röſtet man die gefangenen Fiſche ein wenig und bringt ſie dann in eine reichlich mit Eſſig und
Gewürzen verſetzte Lake. Das Fleiſch wird bei uns ſehr in Ehren gehalten und war ſchon in
alten Zeiten hoch geſchätzt. „Die Lampreten“, ſagt Geßner, „ſind Frühlingszeit gantz gut vnd
löblich, auch je größer, je beſſer. Sehr angenem vnd lieblich ſind ſie zu eſſen: geberen doch ein dickes
vnd ſchleimiges Geblüt, auß vrſach man ſie mit gutem Wein vnd Gewürtz bereyten ſoll.“ Jm Mittel-
alter wurden in Frankreich die Lampreten von Nantes ſehr gerühmt, und es gab Händler, welche
keine anderen Fiſche nach Paris brachten als dieſe. Der Begehr war ſo ſtark, daß durch königlichen
Befehl verboten werden mußte, beſagten Händlern entgegen zu gehen und deren Waare vorweg zu
kaufen. Auch in England hielt und hält man ſie hoch; in Schottland dagegen pflegen die Fiſcher,
laut Parnell, diejenigen, welche zufällig in ihre Netze geriethen, ſtets wieder ins Waſſer zu werfen,
weil ſie ein nicht auszurottendes Vorurtheil gegen dieſe Fiſche hegen. Dem zu Folge ſieht man ſie
noch heutigentages nicht auf dem Fiſchmarkte von Edinburg.



Wahre Würmer an Geſtalt und Weſen ſind die nächſten Verwandten der Lampreten, die
Schleimſackfiſche (Hyperotreti). Sie bilden eine kleine, ſippen- und artenarme Familie, nach
Johannes Müller, welcher die ſie kennzeichnenden Merkmale als höchſt bedeutſame anſieht, ſogar
eine beſondere Ordnung, und ſtehen gewiſſermaßen zwiſchen den Lampreten und den Schlauchfiſchen in
der Mitte. Jhr walziger Leib trägt nur am verdünnten Ende eine niedere Rundfloſſe, die Lippe des
Maules grobe, durch Knorpel geſtützte Bärteln, der Gaumen einen einzigen, die Zunge einige wenige
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[809/0855] Allgemeines. zuſtände der Priken vom blinden Querder an bis zur ausgebildeten, großäugigen Sandpricke aufzufinden und ſpäter feſtzuſtellen, daß die Entwicklung und Umwandlung der Priken oder des gemeinen Neunauges genau in derſelben Weiſe erfolgt. Es entſtehen alſo aus den Eiern der Neun- augen zunächſt ſogenannte Querder, wachſen binnen drei oder vier Jahren bis zur Größe von 6 bis 7 Zoll heran und wandeln ſich ſodann binnen ſehr kurzer Zeit, im Verlaufe von wenigen Tagen nämlich, in ausgebildete Fiſche um. Die Feſtſtellung dieſer Thatſache gab noch einen weitern Auſſchluß über das Leben unſerer Fiſche. Schon den alten Forſchern war bekannt, daß die Lampreten um die Fortpflanzungszeit „durch viel bewegnuß abnemmen vnd ſterben, etliche ehe ſie geberen oder leychen“. Man wußte auch, daß ſie während des Sommers wenig oder nicht gefunden werden, hatte endlich viele von ihnen todt im Waſſer treibend geſehen; ja, ein italieniſcher Forſcher, Panizza, ſagt geradezu, daß man die See- lampreten nach beendigtem Laichgeſchäfte todt im Fluſſe auſfiſche. Als nun A. Müller ungeachtet aller Nachſuchungen bald nach der Laichzeit keine Spur mehr von den in der Panke häufigen Sand- priken auffinden, ſondern nur einige ihrer Leichname im Waſſer wahrnehmen, er bei genaueſter Unterſuchung der Eierſtöcke außerdem niemals Eier verſchiedener Entwicklungszuſtände, wie bei anderen Thieren, ſondern kurz nach der Laichzeit immer Nichts weiter als die leeren Kelche wahr- nehmen konnte, hielt er ſich für berechtigt zu ſchließen, daß die Neunaugen nach der Laichzeit unter- gehen. Die Wahrheit dieſer Annahme vorausgeſetzt, ergibt ſich alſo, daß unſere ſo tiefſtehenden Wirbelthiere ähnlich wie ſo viele wirbelloſe ein langes Leben als Larve und nur wenige Tage als Erwachſene, bezüglich umgewandelte Fiſche durchleben. Zum Fange der Lampreten bedient man ſich meiſtens mehrkammeriger Reußen, welche aus Binſen geflochten und an reißenden Stellen des Stromes aufgeſtellt werden, wendet hier und da auch Garne an oder gebraucht endlich Gehren und Haken, um diejenigen, welche ſich am Grunde feſt- geſogen haben, empor zu ziehen. Der Hauptfang auf Lampreten und Priken findet im Frühlinge ſtatt, wenn beide aus dem Meere aufſteigen; Priken werden aber auch im Herbſte in großer Menge erbeutet, da ſie um dieſe Zeit von den Flüſſen aus in das Meer hinaus wandern. Zum Verſandt röſtet man die gefangenen Fiſche ein wenig und bringt ſie dann in eine reichlich mit Eſſig und Gewürzen verſetzte Lake. Das Fleiſch wird bei uns ſehr in Ehren gehalten und war ſchon in alten Zeiten hoch geſchätzt. „Die Lampreten“, ſagt Geßner, „ſind Frühlingszeit gantz gut vnd löblich, auch je größer, je beſſer. Sehr angenem vnd lieblich ſind ſie zu eſſen: geberen doch ein dickes vnd ſchleimiges Geblüt, auß vrſach man ſie mit gutem Wein vnd Gewürtz bereyten ſoll.“ Jm Mittel- alter wurden in Frankreich die Lampreten von Nantes ſehr gerühmt, und es gab Händler, welche keine anderen Fiſche nach Paris brachten als dieſe. Der Begehr war ſo ſtark, daß durch königlichen Befehl verboten werden mußte, beſagten Händlern entgegen zu gehen und deren Waare vorweg zu kaufen. Auch in England hielt und hält man ſie hoch; in Schottland dagegen pflegen die Fiſcher, laut Parnell, diejenigen, welche zufällig in ihre Netze geriethen, ſtets wieder ins Waſſer zu werfen, weil ſie ein nicht auszurottendes Vorurtheil gegen dieſe Fiſche hegen. Dem zu Folge ſieht man ſie noch heutigentages nicht auf dem Fiſchmarkte von Edinburg. Wahre Würmer an Geſtalt und Weſen ſind die nächſten Verwandten der Lampreten, die Schleimſackfiſche (Hyperotreti). Sie bilden eine kleine, ſippen- und artenarme Familie, nach Johannes Müller, welcher die ſie kennzeichnenden Merkmale als höchſt bedeutſame anſieht, ſogar eine beſondere Ordnung, und ſtehen gewiſſermaßen zwiſchen den Lampreten und den Schlauchfiſchen in der Mitte. Jhr walziger Leib trägt nur am verdünnten Ende eine niedere Rundfloſſe, die Lippe des Maules grobe, durch Knorpel geſtützte Bärteln, der Gaumen einen einzigen, die Zunge einige wenige Zähne. Aeußere Augen fehlen gänzlich, Anfänge dazu liegen unter Haut und Muskeln verſteckt;

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/855>, abgerufen am 17.05.2024.