Bewegung zu bringen, ohne daß ein diese Einheit vermittelndes Organ vorhanden ist. Und dieses ist vorhanden. Wir holen hier nach, daß jedes Einzelthier einen Nervenknoten zwischen Schlund und After und Nerven für seinen eigenen Bedarf hat. Daneben besteht aber in den Kolonien der Moosthiere noch ein besonderes Nervensystem, welches mit dem der Einzelthiere in Verbindung steht, aber von Nachbar zu Nachbar geht durch Oeffnungen, durch welche auch die Leibesflüssigkeit des einen den übrigen zu statten kommt, ein Kommunismus idealster Art. Es besteht also ein Kolonial-Nervensystem, durch welches ohne Zweifel auch die Kolonial- bewegungen geregelt werden.
[Abbildung]
[Spaltenumbruch]Cristatella mucedo. [Spaltenumbruch]
Statoplast der Cristatella mucedo mit drei jungen Thieren. Vergr.
Außer den Eiern entstehen in der Leibeshöhle der Cristatella und überhaupt der meisten Phylactolämen eigenthümliche, ungefähr linsenförmige Körper, die sogenannten Statoplasten, welche im Herbst, wenn die Stöcke zu Grunde gehen, frei werden und auf dem Boden der Gewässer im Schlamm überwintern. Jm Frühjahr füllen sich die Zellen, welche den den Umkreis der Linse bildenden Wulst zusammensetzen, mit Luft, die Statoplasten erscheinen an der Oberfläche, und aus ihnen bricht bei einigen Sippen ein junges Thier, bei unserer Cristatella aber ein Drilling hervor. Damit ist der Anfang eines neuen reichen Sommerlebens gemacht.
Ungleich zahlreicher sind die Familien, denen der Munddeckel, das Epistom fehlt, deren Mund daher unbedeckt ist. Jhre Kiemen sind nicht hufeisenförmig, sondern die Fäden stehen im Kreise auf einer Scheibe. Der systematische Name für diese Ordnung ist Gymnolaemata, womit eben das Unbedecktsein des Mundes bezeichnet wird. Zu den wenigen Süßwasserbewohnern dieser Gruppe gehört die oben näher beschriebene Paludicella, an welcher die Kiemenkrone unvoll- kommen ausstülpbar ist und daher auch im Zustande der größten Ausdehnung des Thieres von einem doppelten Kragen umgeben erscheint.
Eine andere und zwar sehr umfangreiche Gruppe der Gymnolämen sind die sogenannten Chilostomen, von deren Beschaffenheit uns die in unseren Meeren gemeine Flustra foliacea eine Vorstellung geben kann. Die vergrößerten Zellen, welche wir vor uns sehen, sind jener erhärtende Theil des Thieres, in welchen sich der weich bleibende Vordertheil zurückziehen kann. Dieß geschieht nun durch eine quere Oeffnung, an welcher sich ein lippenartiger elastischer Deckel befindet. Die Thierchen können also in diesem Gehäus sich abschließen und sichern, und diejenigen Sippen, die nicht, wie Flustra u. a., mit einem besonderen Deckel ausgestattet sind, können die Querspalte durch Muskeln zusammenziehen. Die Kolonien unserer Flustra bilden blattartige, ver- zweigte Lappen, auf beiden Seiten aus einer Lage eng aneinander liegender Jndividuen zusammen-
Criſtatella. Paludicella. Fluſtra.
Bewegung zu bringen, ohne daß ein dieſe Einheit vermittelndes Organ vorhanden iſt. Und dieſes iſt vorhanden. Wir holen hier nach, daß jedes Einzelthier einen Nervenknoten zwiſchen Schlund und After und Nerven für ſeinen eigenen Bedarf hat. Daneben beſteht aber in den Kolonien der Moosthiere noch ein beſonderes Nervenſyſtem, welches mit dem der Einzelthiere in Verbindung ſteht, aber von Nachbar zu Nachbar geht durch Oeffnungen, durch welche auch die Leibesflüſſigkeit des einen den übrigen zu ſtatten kommt, ein Kommunismus idealſter Art. Es beſteht alſo ein Kolonial-Nervenſyſtem, durch welches ohne Zweifel auch die Kolonial- bewegungen geregelt werden.
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[Spaltenumbruch]Cristatella mucedo. [Spaltenumbruch]
Statoplaſt der Cristatella mucedo mit drei jungen Thieren. Vergr.
Außer den Eiern entſtehen in der Leibeshöhle der Cristatella und überhaupt der meiſten Phylactolämen eigenthümliche, ungefähr linſenförmige Körper, die ſogenannten Statoplaſten, welche im Herbſt, wenn die Stöcke zu Grunde gehen, frei werden und auf dem Boden der Gewäſſer im Schlamm überwintern. Jm Frühjahr füllen ſich die Zellen, welche den den Umkreis der Linſe bildenden Wulſt zuſammenſetzen, mit Luft, die Statoplaſten erſcheinen an der Oberfläche, und aus ihnen bricht bei einigen Sippen ein junges Thier, bei unſerer Cristatella aber ein Drilling hervor. Damit iſt der Anfang eines neuen reichen Sommerlebens gemacht.
Ungleich zahlreicher ſind die Familien, denen der Munddeckel, das Epiſtom fehlt, deren Mund daher unbedeckt iſt. Jhre Kiemen ſind nicht hufeiſenförmig, ſondern die Fäden ſtehen im Kreiſe auf einer Scheibe. Der ſyſtematiſche Name für dieſe Ordnung iſt Gymnolaemata, womit eben das Unbedecktſein des Mundes bezeichnet wird. Zu den wenigen Süßwaſſerbewohnern dieſer Gruppe gehört die oben näher beſchriebene Paludicella, an welcher die Kiemenkrone unvoll- kommen ausſtülpbar iſt und daher auch im Zuſtande der größten Ausdehnung des Thieres von einem doppelten Kragen umgeben erſcheint.
Eine andere und zwar ſehr umfangreiche Gruppe der Gymnolämen ſind die ſogenannten Chiloſtomen, von deren Beſchaffenheit uns die in unſeren Meeren gemeine Flustra foliacea eine Vorſtellung geben kann. Die vergrößerten Zellen, welche wir vor uns ſehen, ſind jener erhärtende Theil des Thieres, in welchen ſich der weich bleibende Vordertheil zurückziehen kann. Dieß geſchieht nun durch eine quere Oeffnung, an welcher ſich ein lippenartiger elaſtiſcher Deckel befindet. Die Thierchen können alſo in dieſem Gehäus ſich abſchließen und ſichern, und diejenigen Sippen, die nicht, wie Flustra u. a., mit einem beſonderen Deckel ausgeſtattet ſind, können die Querſpalte durch Muskeln zuſammenziehen. Die Kolonien unſerer Fluſtra bilden blattartige, ver- zweigte Lappen, auf beiden Seiten aus einer Lage eng aneinander liegender Jndividuen zuſammen-
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Criſtatella. Paludicella. Fluſtra.
Bewegung zu bringen, ohne daß ein dieſe Einheit vermittelndes Organ vorhanden iſt. Und
dieſes iſt vorhanden. Wir holen hier nach, daß jedes Einzelthier einen Nervenknoten zwiſchen
Schlund und After und Nerven für ſeinen eigenen Bedarf hat. Daneben beſteht aber in
den Kolonien der Moosthiere noch ein beſonderes Nervenſyſtem, welches mit dem der Einzelthiere
in Verbindung ſteht, aber von Nachbar zu Nachbar geht durch Oeffnungen, durch welche auch
die Leibesflüſſigkeit des einen den übrigen zu ſtatten kommt, ein Kommunismus idealſter Art.
Es beſteht alſo ein Kolonial-Nervenſyſtem, durch welches ohne Zweifel auch die Kolonial-
bewegungen geregelt werden.
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Cristatella mucedo.
Statoplaſt der Cristatella mucedo mit
drei jungen Thieren. Vergr.]
Außer den Eiern entſtehen in der Leibeshöhle der Cristatella und überhaupt der meiſten
Phylactolämen eigenthümliche, ungefähr linſenförmige Körper, die ſogenannten Statoplaſten, welche
im Herbſt, wenn die Stöcke zu Grunde gehen, frei werden und auf dem Boden der Gewäſſer
im Schlamm überwintern. Jm Frühjahr füllen ſich die Zellen, welche den den Umkreis der
Linſe bildenden Wulſt zuſammenſetzen, mit Luft, die Statoplaſten erſcheinen an der Oberfläche,
und aus ihnen bricht bei einigen Sippen ein junges Thier, bei unſerer Cristatella aber ein
Drilling hervor. Damit iſt der Anfang eines neuen reichen Sommerlebens gemacht.
Ungleich zahlreicher ſind die Familien, denen der Munddeckel, das Epiſtom fehlt, deren
Mund daher unbedeckt iſt. Jhre Kiemen ſind nicht hufeiſenförmig, ſondern die Fäden ſtehen im
Kreiſe auf einer Scheibe. Der ſyſtematiſche Name für dieſe Ordnung iſt Gymnolaemata, womit
eben das Unbedecktſein des Mundes bezeichnet wird. Zu den wenigen Süßwaſſerbewohnern
dieſer Gruppe gehört die oben näher beſchriebene Paludicella, an welcher die Kiemenkrone unvoll-
kommen ausſtülpbar iſt und daher auch im Zuſtande der größten Ausdehnung des Thieres von
einem doppelten Kragen umgeben erſcheint.
Eine andere und zwar ſehr umfangreiche Gruppe der Gymnolämen ſind die ſogenannten
Chiloſtomen, von deren Beſchaffenheit uns die in unſeren Meeren gemeine Flustra foliacea
eine Vorſtellung geben kann. Die vergrößerten Zellen, welche wir vor uns ſehen, ſind jener
erhärtende Theil des Thieres, in welchen ſich der weich bleibende Vordertheil zurückziehen kann.
Dieß geſchieht nun durch eine quere Oeffnung, an welcher ſich ein lippenartiger elaſtiſcher Deckel
befindet. Die Thierchen können alſo in dieſem Gehäus ſich abſchließen und ſichern, und diejenigen
Sippen, die nicht, wie Flustra u. a., mit einem beſonderen Deckel ausgeſtattet ſind, können die
Querſpalte durch Muskeln zuſammenziehen. Die Kolonien unſerer Fluſtra bilden blattartige, ver-
zweigte Lappen, auf beiden Seiten aus einer Lage eng aneinander liegender Jndividuen zuſammen-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 973. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1021>, abgerufen am 23.11.2024.
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