Der in diesem Werke eingeschlagene Weg, von den höheren zu den niederen Formen absteigend, läßt sich in vieler Beziehung rechtfertigen, hat aber, wir wiederholen diese Bemerkung, überhaupt und namentlich im Bereiche der niederen Thierwelt das Unbequeme, daß die auf den inneren natürlichen Zusammenhang der Formenreihen hinweisende Darstellung gerade in diesem Punkte gehemmt ist. Das Leben der einzelnen Thiere ist da, wo mit der Größe sich ein gewisses Maß von Jntelligenz und Kraftäußerung verbindet, sehr anziehend. Das Leben des Einzelthieres führt aber über sich hinaus auf das Leben und Werden der Art, auf den, wenn auch noch vielfach räthselhaften Gestaltungsprozeß der Thierklassen und Kreise; es lenkt den Blick mit Nothwendigkeit in die Vorwelt und auf die Reste der Vorgänger der heutigen Lebewesen. Und da muß es uns denn gehen, wie demjenigen, der in der Völkergeschichte mit den neuesten Perioden beginnen und sich allmälig bis zum Alterthum nach rückwärts durchschlagen wollte. Auch die Thiergeschichte verlangt jene entwickelnde, pragmatische Behandlung und um so mehr in den Regionen, wo das Leben der Jndividuen an Jnteresse ganz zurücksteht gegen das Leben, das heißt, das Auftauchen, Umändern und Verschwinden der Formenreihen, welche die Systematik als Arten vorzeichnet.
[Abbildung]
a Pentacrinus caput medusae. b Kelchscheibe desselben von oben, die Arme abgeschnitten.
Zu dieser kurzen Betrachtung -- ähnliche haben wir bei ähnlicher Gelegenheit angestellt -- drängt uns die Ordnung der Haarsterne, mögen wir sie nun in ihrer Jsolirung oder mit Bezug auf die übrigen Abtheilungen der Echinodermenklasse auffassen. Die heutige Welt zeigt uns nur noch die vereinzelten Reste einer einst reichen Abtheilung, der es also eben so ergangen ist, wie der Familie der Nautiliten (Seite 780 ff.) oder der ganzen Klasse der Brachiopoden (Seite 958). Die Abbildung läßt in a den Körper und das obere Ende eines seltenen, in den westindischen Meeren auf steinigem Grunde lebenden Thieres, des Pentacrinus caput Medusae, sehen und in b die Scheibe, welche nach aufwärts gekehrt und von den gespaltenen und rankenförmigen Armen umstellt ist. Der eigentliche Körper gleicht also einem Kelch, wie er auch wissenschaftlich ge- nannt wird. Die dem Stiele zugewendete Seite ist getäfelt und entspricht dem Rücken der Seesterne, die Bauchseite, die wir in b haben, ist von einer weichen biegsamen Haut bedeckt, in deren Mitte die Mundöffnung. Die Ausgangsöffnung des Darmkanals liegt seit- lich. Die den Ambulacren entsprechenden Rinnen sind deutlich. Dieser Körper mit seinen ver- zweigten Armen ruht nun auf einem längeren, im Rückenpole angesetzten Stiele, der sehr viel- gliedrig und daher biegsam und in regelmäßigen Abständen mit Quirlen von Ranken geziert ist.
Stachelhäuter. Haarſterue.
Vierte Ordnung. Haarſterne (Crinoidea).
Der in dieſem Werke eingeſchlagene Weg, von den höheren zu den niederen Formen abſteigend, läßt ſich in vieler Beziehung rechtfertigen, hat aber, wir wiederholen dieſe Bemerkung, überhaupt und namentlich im Bereiche der niederen Thierwelt das Unbequeme, daß die auf den inneren natürlichen Zuſammenhang der Formenreihen hinweiſende Darſtellung gerade in dieſem Punkte gehemmt iſt. Das Leben der einzelnen Thiere iſt da, wo mit der Größe ſich ein gewiſſes Maß von Jntelligenz und Kraftäußerung verbindet, ſehr anziehend. Das Leben des Einzelthieres führt aber über ſich hinaus auf das Leben und Werden der Art, auf den, wenn auch noch vielfach räthſelhaften Geſtaltungsprozeß der Thierklaſſen und Kreiſe; es lenkt den Blick mit Nothwendigkeit in die Vorwelt und auf die Reſte der Vorgänger der heutigen Lebeweſen. Und da muß es uns denn gehen, wie demjenigen, der in der Völkergeſchichte mit den neueſten Perioden beginnen und ſich allmälig bis zum Alterthum nach rückwärts durchſchlagen wollte. Auch die Thiergeſchichte verlangt jene entwickelnde, pragmatiſche Behandlung und um ſo mehr in den Regionen, wo das Leben der Jndividuen an Jntereſſe ganz zurückſteht gegen das Leben, das heißt, das Auftauchen, Umändern und Verſchwinden der Formenreihen, welche die Syſtematik als Arten vorzeichnet.
[Abbildung]
a Pentacrinus caput medusae. b Kelchſcheibe deſſelben von oben, die Arme abgeſchnitten.
Zu dieſer kurzen Betrachtung — ähnliche haben wir bei ähnlicher Gelegenheit angeſtellt — drängt uns die Ordnung der Haarſterne, mögen wir ſie nun in ihrer Jſolirung oder mit Bezug auf die übrigen Abtheilungen der Echinodermenklaſſe auffaſſen. Die heutige Welt zeigt uns nur noch die vereinzelten Reſte einer einſt reichen Abtheilung, der es alſo eben ſo ergangen iſt, wie der Familie der Nautiliten (Seite 780 ff.) oder der ganzen Klaſſe der Brachiopoden (Seite 958). Die Abbildung läßt in a den Körper und das obere Ende eines ſeltenen, in den weſtindiſchen Meeren auf ſteinigem Grunde lebenden Thieres, des Pentacrinus caput Medusae, ſehen und in b die Scheibe, welche nach aufwärts gekehrt und von den geſpaltenen und rankenförmigen Armen umſtellt iſt. Der eigentliche Körper gleicht alſo einem Kelch, wie er auch wiſſenſchaftlich ge- nannt wird. Die dem Stiele zugewendete Seite iſt getäfelt und entſpricht dem Rücken der Seeſterne, die Bauchſeite, die wir in b haben, iſt von einer weichen biegſamen Haut bedeckt, in deren Mitte die Mundöffnung. Die Ausgangsöffnung des Darmkanals liegt ſeit- lich. Die den Ambulacren entſprechenden Rinnen ſind deutlich. Dieſer Körper mit ſeinen ver- zweigten Armen ruht nun auf einem längeren, im Rückenpole angeſetzten Stiele, der ſehr viel- gliedrig und daher biegſam und in regelmäßigen Abſtänden mit Quirlen von Ranken geziert iſt.
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Stachelhäuter. Haarſterue.
Vierte Ordnung.
Haarſterne (Crinoidea).
Der in dieſem Werke eingeſchlagene Weg, von den höheren zu den niederen Formen
abſteigend, läßt ſich in vieler Beziehung rechtfertigen, hat aber, wir wiederholen dieſe Bemerkung,
überhaupt und namentlich im Bereiche der niederen Thierwelt das Unbequeme, daß die auf den
inneren natürlichen Zuſammenhang der Formenreihen hinweiſende Darſtellung gerade in dieſem
Punkte gehemmt iſt. Das Leben der einzelnen Thiere iſt da, wo mit der Größe ſich ein gewiſſes
Maß von Jntelligenz und Kraftäußerung verbindet, ſehr anziehend. Das Leben des Einzelthieres
führt aber über ſich hinaus auf das Leben und Werden der Art, auf den, wenn auch noch vielfach
räthſelhaften Geſtaltungsprozeß der Thierklaſſen und Kreiſe; es lenkt den Blick mit Nothwendigkeit
in die Vorwelt und auf die Reſte der Vorgänger der heutigen Lebeweſen. Und da muß es uns
denn gehen, wie demjenigen, der in der Völkergeſchichte mit den neueſten Perioden beginnen und
ſich allmälig bis zum Alterthum nach rückwärts durchſchlagen wollte. Auch die Thiergeſchichte
verlangt jene entwickelnde, pragmatiſche Behandlung und um ſo mehr in den Regionen, wo das
Leben der Jndividuen an Jntereſſe ganz zurückſteht gegen das Leben, das heißt, das Auftauchen,
Umändern und Verſchwinden der Formenreihen, welche die Syſtematik als Arten vorzeichnet.
[Abbildung a Pentacrinus caput medusae. b Kelchſcheibe deſſelben von
oben, die Arme abgeſchnitten.]
Zu dieſer kurzen Betrachtung — ähnliche
haben wir bei ähnlicher Gelegenheit angeſtellt
— drängt uns die Ordnung der Haarſterne,
mögen wir ſie nun in ihrer Jſolirung oder
mit Bezug auf die übrigen Abtheilungen der
Echinodermenklaſſe auffaſſen. Die heutige Welt
zeigt uns nur noch die vereinzelten Reſte einer
einſt reichen Abtheilung, der es alſo eben ſo
ergangen iſt, wie der Familie der Nautiliten
(Seite 780 ff.) oder der ganzen Klaſſe der
Brachiopoden (Seite 958). Die Abbildung
läßt in a den Körper und das obere Ende
eines ſeltenen, in den weſtindiſchen Meeren
auf ſteinigem Grunde lebenden Thieres, des
Pentacrinus caput Medusae, ſehen und in b die
Scheibe, welche nach aufwärts gekehrt und von
den geſpaltenen und rankenförmigen Armen
umſtellt iſt. Der eigentliche Körper gleicht alſo
einem Kelch, wie er auch wiſſenſchaftlich ge-
nannt wird. Die dem Stiele zugewendete
Seite iſt getäfelt und entſpricht dem Rücken
der Seeſterne, die Bauchſeite, die wir in b
haben, iſt von einer weichen biegſamen Haut
bedeckt, in deren Mitte die Mundöffnung. Die
Ausgangsöffnung des Darmkanals liegt ſeit-
lich. Die den Ambulacren entſprechenden Rinnen ſind deutlich. Dieſer Körper mit ſeinen ver-
zweigten Armen ruht nun auf einem längeren, im Rückenpole angeſetzten Stiele, der ſehr viel-
gliedrig und daher biegſam und in regelmäßigen Abſtänden mit Quirlen von Ranken geziert iſt.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 986. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1036>, abgerufen am 23.11.2024.
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