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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Guttulina. Dendritina. Fundorte und Vorkommen.
alle über Linie großen Körnchen ab. Das Zurückgebliebene bestand, wie die mikroskopische
Untersuchung zeigte, etwa zur einen Hälfte aus wohlerhaltenen Rhizopodenschalen, zur andern
aus Bruchstücken mineralischer und organischer Substanzen, ein Verhältniß, wie es auch nach
d'Orbigny's Angaben kaum irgendwo günstiger gefunden wird. Jn 1 Centigramm dieses feinen
Sandes zählte ich 500 Rhizopodenschalen, das sind auf die Unze, zu 30 Grammen gerechnet,
1,500,000. d'Orbigny's Zahl ist demnach als weit übertrieben zu beseitigen."

"Hat man den Reichthum des Küstensandes an Polythalamienschalen erkannt, so liegt es
nahe, unfern der Küste auf dem Grunde des Meeres nach lebenden Exemplaren zu suchen. Bei
Ankona, wo im Hafen, wie längs der nördlichen flachen Küste ein stellenweise an solchen Schalen
sehr reicher Sand den Meeresboden bedeckt, habe ich bis zu 20 Fuß tief an vielen Stellen kleinere
Mengen desselben gesammelt und in Gläsern längere Zeit aufbewahrt; jedoch nie erhob sich aus
dem Bodensatze ein lebendes Thier an der Glaswand kriechend, und die Untersuchung des Sandes
zeigte, daß nur wenige der zahlreich vorhandenen Schalen noch Reste einer organischen Erfüllung
enthielten. Als ich jedoch auf einer mit Algen bedeckten kleinen Felseninsel südlich vom Hafen
nur wenige Fuß unter der Oberfläche des Wassers, ja selbst an Stellen, die zur Zeit der Ebbe
fast trocken lagen, mit einem feinen Netze schabend fischte, dann durch Schlämmen des erhaltenen
Gemisches von thierischen und pflanzlichen Theilen das leichter Suspendirbare entfernt und den
übrigen Sand im Glase ruhig stehen ließ, sah ich schon nach einigen Stunden zahlreiche Rhizo-
poden an den Glaswänden in die Höhe kriechen, und die Untersuchung des Bodens zeigte fast
sämmtliche Polythalamien mit organischer Erfüllung und lebend. Aehnliche Erfahrungen machte
ich auch bei Venedig. Die Untersuchung des Lidosandes führte mir, auch wenn derselbe in einiger
Entfernung von der Küste gesammelt war, nie ein lebendes Exemplar in die Hände, während der
mit Algen durchwachsene Lagunenschlamm, nachdem er von den leicht zersetzbaren organischen
Resten gereinigt war, mir zahlreiche lebende Rotalien, Milioliden und Gromien lieferte. Die
Rhizopoden des Meeres scheinen demnach zu ihrem Aufenthalte am liebsten solche Stellen zu
wählen, wo ihnen durch eine reiche Vegetation Schutz vor dem Andrange der Wellen, und ihren
zarten Bewegungsorganen eine sichere Stütze zum Anheften geboten ist. Hier finden sie zugleich
an den den größeren und kleineren Seepflanzen stets anhaftenden Diatomen und Jnfusorien eine
reichliche Nahrung." Der Lieblingsaufenthalt sehr vieler Polythalamien sind aber Schwämme
aller Art, wo ihnen Schutz und Nahrungszufuhr in noch höherem Maße gewährt sind.

Ehrenberg hat im Laufe der letzten dreißig Jahre viele Hunderte von Schlammproben
untersucht, die ihm von allen Meeren gesammelt worden waren, unter anderen auch aus den
Tiefen von 10,000 bis 12,000 Fuß, die bei den Lothungen zur Kabellegung erreicht wurden. Fast
regelmäßig bilden die Polythalamienschalen davon einen bedeutenden Procentsatz, was nach ihrem
massenhaften Vorkommen an seichten Uferstellen nicht befremden kann. Der berliner große
Naturforscher fand häufig in solchen mit dem Loth emporgehobenen Schalen Reste des weichen
thierischen Körpers und glaubte daraus schließen zu dürfen, daß die Thiere wirklich "dort unten"
lebten und durch ihre massenhafte Vermehrung an Ort und Stelle zur allmäligen Ausgleichung
der untermeerischen Thäler beitrügen. Das ist nicht unmöglich, jedoch zweifelhaft, seitdem aus
Schultze's Beobachtungen sich ergab, "daß selbst ein sechsmonatlicher Aufenthalt in süßem Wasser,
in Umgebung fauliger organischer Substanzen, noch wenig zersetzend auf die vorher lebenden
Thiere wirkt".

Daß die Polythalamien durch Anhäufung ihrer Schalenreste weit mehr bei dem Aufbau der
Schichten der Erdrinde sich betheiligt haben, als vielleicht alle übrigen Thiere zusammengenommen,
hat Ehrenberg längst nachgewiesen. "Manche Kreide- und insbesondere manche Grünsand-
Gesteine sind, selbst bis in die silurischen Gebirge hinab, großentheils aus ihren Schalen oder
den kieseligen Ausfüllungen der Kammern derselben zusammengesetzt. Jnsbesondere zählt Ehren-
berg
über 300 ganz kleine mikroskopische Arten auf, welche sich nur an der Bildung der Schreib-

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Guttulina. Dendritina. Fundorte und Vorkommen.
alle über ⅒ Linie großen Körnchen ab. Das Zurückgebliebene beſtand, wie die mikroſkopiſche
Unterſuchung zeigte, etwa zur einen Hälfte aus wohlerhaltenen Rhizopodenſchalen, zur andern
aus Bruchſtücken mineraliſcher und organiſcher Subſtanzen, ein Verhältniß, wie es auch nach
d’Orbigny’s Angaben kaum irgendwo günſtiger gefunden wird. Jn 1 Centigramm dieſes feinen
Sandes zählte ich 500 Rhizopodenſchalen, das ſind auf die Unze, zu 30 Grammen gerechnet,
1,500,000. d’Orbigny’s Zahl iſt demnach als weit übertrieben zu beſeitigen.“

„Hat man den Reichthum des Küſtenſandes an Polythalamienſchalen erkannt, ſo liegt es
nahe, unfern der Küſte auf dem Grunde des Meeres nach lebenden Exemplaren zu ſuchen. Bei
Ankona, wo im Hafen, wie längs der nördlichen flachen Küſte ein ſtellenweiſe an ſolchen Schalen
ſehr reicher Sand den Meeresboden bedeckt, habe ich bis zu 20 Fuß tief an vielen Stellen kleinere
Mengen deſſelben geſammelt und in Gläſern längere Zeit aufbewahrt; jedoch nie erhob ſich aus
dem Bodenſatze ein lebendes Thier an der Glaswand kriechend, und die Unterſuchung des Sandes
zeigte, daß nur wenige der zahlreich vorhandenen Schalen noch Reſte einer organiſchen Erfüllung
enthielten. Als ich jedoch auf einer mit Algen bedeckten kleinen Felſeninſel ſüdlich vom Hafen
nur wenige Fuß unter der Oberfläche des Waſſers, ja ſelbſt an Stellen, die zur Zeit der Ebbe
faſt trocken lagen, mit einem feinen Netze ſchabend fiſchte, dann durch Schlämmen des erhaltenen
Gemiſches von thieriſchen und pflanzlichen Theilen das leichter Suspendirbare entfernt und den
übrigen Sand im Glaſe ruhig ſtehen ließ, ſah ich ſchon nach einigen Stunden zahlreiche Rhizo-
poden an den Glaswänden in die Höhe kriechen, und die Unterſuchung des Bodens zeigte faſt
ſämmtliche Polythalamien mit organiſcher Erfüllung und lebend. Aehnliche Erfahrungen machte
ich auch bei Venedig. Die Unterſuchung des Lidoſandes führte mir, auch wenn derſelbe in einiger
Entfernung von der Küſte geſammelt war, nie ein lebendes Exemplar in die Hände, während der
mit Algen durchwachſene Lagunenſchlamm, nachdem er von den leicht zerſetzbaren organiſchen
Reſten gereinigt war, mir zahlreiche lebende Rotalien, Milioliden und Gromien lieferte. Die
Rhizopoden des Meeres ſcheinen demnach zu ihrem Aufenthalte am liebſten ſolche Stellen zu
wählen, wo ihnen durch eine reiche Vegetation Schutz vor dem Andrange der Wellen, und ihren
zarten Bewegungsorganen eine ſichere Stütze zum Anheften geboten iſt. Hier finden ſie zugleich
an den den größeren und kleineren Seepflanzen ſtets anhaftenden Diatomen und Jnfuſorien eine
reichliche Nahrung.“ Der Lieblingsaufenthalt ſehr vieler Polythalamien ſind aber Schwämme
aller Art, wo ihnen Schutz und Nahrungszufuhr in noch höherem Maße gewährt ſind.

Ehrenberg hat im Laufe der letzten dreißig Jahre viele Hunderte von Schlammproben
unterſucht, die ihm von allen Meeren geſammelt worden waren, unter anderen auch aus den
Tiefen von 10,000 bis 12,000 Fuß, die bei den Lothungen zur Kabellegung erreicht wurden. Faſt
regelmäßig bilden die Polythalamienſchalen davon einen bedeutenden Procentſatz, was nach ihrem
maſſenhaften Vorkommen an ſeichten Uferſtellen nicht befremden kann. Der berliner große
Naturforſcher fand häufig in ſolchen mit dem Loth emporgehobenen Schalen Reſte des weichen
thieriſchen Körpers und glaubte daraus ſchließen zu dürfen, daß die Thiere wirklich „dort unten“
lebten und durch ihre maſſenhafte Vermehrung an Ort und Stelle zur allmäligen Ausgleichung
der untermeeriſchen Thäler beitrügen. Das iſt nicht unmöglich, jedoch zweifelhaft, ſeitdem aus
Schultze’s Beobachtungen ſich ergab, „daß ſelbſt ein ſechsmonatlicher Aufenthalt in ſüßem Waſſer,
in Umgebung fauliger organiſcher Subſtanzen, noch wenig zerſetzend auf die vorher lebenden
Thiere wirkt“.

Daß die Polythalamien durch Anhäufung ihrer Schalenreſte weit mehr bei dem Aufbau der
Schichten der Erdrinde ſich betheiligt haben, als vielleicht alle übrigen Thiere zuſammengenommen,
hat Ehrenberg längſt nachgewieſen. „Manche Kreide- und insbeſondere manche Grünſand-
Geſteine ſind, ſelbſt bis in die ſiluriſchen Gebirge hinab, großentheils aus ihren Schalen oder
den kieſeligen Ausfüllungen der Kammern derſelben zuſammengeſetzt. Jnsbeſondere zählt Ehren-
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über 300 ganz kleine mikroſkopiſche Arten auf, welche ſich nur an der Bildung der Schreib-

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[1027/1085] Guttulina. Dendritina. Fundorte und Vorkommen. alle über ⅒ Linie großen Körnchen ab. Das Zurückgebliebene beſtand, wie die mikroſkopiſche Unterſuchung zeigte, etwa zur einen Hälfte aus wohlerhaltenen Rhizopodenſchalen, zur andern aus Bruchſtücken mineraliſcher und organiſcher Subſtanzen, ein Verhältniß, wie es auch nach d’Orbigny’s Angaben kaum irgendwo günſtiger gefunden wird. Jn 1 Centigramm dieſes feinen Sandes zählte ich 500 Rhizopodenſchalen, das ſind auf die Unze, zu 30 Grammen gerechnet, 1,500,000. d’Orbigny’s Zahl iſt demnach als weit übertrieben zu beſeitigen.“ „Hat man den Reichthum des Küſtenſandes an Polythalamienſchalen erkannt, ſo liegt es nahe, unfern der Küſte auf dem Grunde des Meeres nach lebenden Exemplaren zu ſuchen. Bei Ankona, wo im Hafen, wie längs der nördlichen flachen Küſte ein ſtellenweiſe an ſolchen Schalen ſehr reicher Sand den Meeresboden bedeckt, habe ich bis zu 20 Fuß tief an vielen Stellen kleinere Mengen deſſelben geſammelt und in Gläſern längere Zeit aufbewahrt; jedoch nie erhob ſich aus dem Bodenſatze ein lebendes Thier an der Glaswand kriechend, und die Unterſuchung des Sandes zeigte, daß nur wenige der zahlreich vorhandenen Schalen noch Reſte einer organiſchen Erfüllung enthielten. Als ich jedoch auf einer mit Algen bedeckten kleinen Felſeninſel ſüdlich vom Hafen nur wenige Fuß unter der Oberfläche des Waſſers, ja ſelbſt an Stellen, die zur Zeit der Ebbe faſt trocken lagen, mit einem feinen Netze ſchabend fiſchte, dann durch Schlämmen des erhaltenen Gemiſches von thieriſchen und pflanzlichen Theilen das leichter Suspendirbare entfernt und den übrigen Sand im Glaſe ruhig ſtehen ließ, ſah ich ſchon nach einigen Stunden zahlreiche Rhizo- poden an den Glaswänden in die Höhe kriechen, und die Unterſuchung des Bodens zeigte faſt ſämmtliche Polythalamien mit organiſcher Erfüllung und lebend. Aehnliche Erfahrungen machte ich auch bei Venedig. Die Unterſuchung des Lidoſandes führte mir, auch wenn derſelbe in einiger Entfernung von der Küſte geſammelt war, nie ein lebendes Exemplar in die Hände, während der mit Algen durchwachſene Lagunenſchlamm, nachdem er von den leicht zerſetzbaren organiſchen Reſten gereinigt war, mir zahlreiche lebende Rotalien, Milioliden und Gromien lieferte. Die Rhizopoden des Meeres ſcheinen demnach zu ihrem Aufenthalte am liebſten ſolche Stellen zu wählen, wo ihnen durch eine reiche Vegetation Schutz vor dem Andrange der Wellen, und ihren zarten Bewegungsorganen eine ſichere Stütze zum Anheften geboten iſt. Hier finden ſie zugleich an den den größeren und kleineren Seepflanzen ſtets anhaftenden Diatomen und Jnfuſorien eine reichliche Nahrung.“ Der Lieblingsaufenthalt ſehr vieler Polythalamien ſind aber Schwämme aller Art, wo ihnen Schutz und Nahrungszufuhr in noch höherem Maße gewährt ſind. Ehrenberg hat im Laufe der letzten dreißig Jahre viele Hunderte von Schlammproben unterſucht, die ihm von allen Meeren geſammelt worden waren, unter anderen auch aus den Tiefen von 10,000 bis 12,000 Fuß, die bei den Lothungen zur Kabellegung erreicht wurden. Faſt regelmäßig bilden die Polythalamienſchalen davon einen bedeutenden Procentſatz, was nach ihrem maſſenhaften Vorkommen an ſeichten Uferſtellen nicht befremden kann. Der berliner große Naturforſcher fand häufig in ſolchen mit dem Loth emporgehobenen Schalen Reſte des weichen thieriſchen Körpers und glaubte daraus ſchließen zu dürfen, daß die Thiere wirklich „dort unten“ lebten und durch ihre maſſenhafte Vermehrung an Ort und Stelle zur allmäligen Ausgleichung der untermeeriſchen Thäler beitrügen. Das iſt nicht unmöglich, jedoch zweifelhaft, ſeitdem aus Schultze’s Beobachtungen ſich ergab, „daß ſelbſt ein ſechsmonatlicher Aufenthalt in ſüßem Waſſer, in Umgebung fauliger organiſcher Subſtanzen, noch wenig zerſetzend auf die vorher lebenden Thiere wirkt“. Daß die Polythalamien durch Anhäufung ihrer Schalenreſte weit mehr bei dem Aufbau der Schichten der Erdrinde ſich betheiligt haben, als vielleicht alle übrigen Thiere zuſammengenommen, hat Ehrenberg längſt nachgewieſen. „Manche Kreide- und insbeſondere manche Grünſand- Geſteine ſind, ſelbſt bis in die ſiluriſchen Gebirge hinab, großentheils aus ihren Schalen oder den kieſeligen Ausfüllungen der Kammern derſelben zuſammengeſetzt. Jnsbeſondere zählt Ehren- berg über 300 ganz kleine mikroſkopiſche Arten auf, welche ſich nur an der Bildung der Schreib- 65*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 1027. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1085>, abgerufen am 23.11.2024.