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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Hautflügler.
treffen mehrerer günstigen Umstände, gleich sind die Schlupfwespen da, sie finden ihre Wohnthiere
zahlreicher als gewöhnlich, können sich also stärker vermehren und führen jene gar bald auf ihr
gewöhnliches Maß zurück. Jn der Regel leben die größeren Zehrwespen nur einzeln in einem
Wirth, die kleineren nicht selten in Familien zu Hunderten, und man wird sich einen Begriff
machen können von der Winzigkeit vieler, wenn man erfährt, daß die kleinen Blattläuse von
Schmarotzern heimgesucht werden, ja daß Jnsekten eier, noch kleiner als diese, wieder anderen das
Leben geben. Die Weibchen der meisten Arten stechen Larven an, um sie mit einem oder
mehreren Eiern zu beschenken, und die diesen entschlüpfenden Maden leben verborgen im Leibe des
Wohnthieres. Mauche sitzen aber auch äußerlich daran. Die Gattungen Pteromalus, Bracon,
Spathius, Tryphon, Phygadenon, Cryptus, Pimpla
u. a., welche wir später kennen lernen werden,
enthalten Arten, welche sich gewisse Asterraupen von Blattwespen, Raupen einiger Wickler und
Eulen unter den Schmetterlingen und von Käferlarven solche vorzugsweise auszusuchen scheinen,
welche hinter Baumrinde oder im Holze wohnen, um als Larven ein äußerliches Schmarotzerleben
daran zu führen. Auch in anderer Beziehung, als der eben berührten, gestaltet sich das Verhältniß
des Wirthes zum Einmiether je nach der Art verschieden. Hier bohren sich, und dies gilt besonders
von den geselligen Schmarotzern, die reifen Larven aus der Raupe, um sich an ihrer Haut, denn
nichts weiter ist jetzt von der sterbenden übrig, zu verpuppen. Dort fertigte die Raupe gleich
einer gesunden das Cocon, und man erwartet später ihre Puppe darin. Wie oft aber täuschte
sich schon der Schmetterlingssammler, welcher auf einen schönen Falter hoffte! Er sindet statt der
rechtmäßigen Puppe ein schwarzes, längliches Cocon und weiß aus Erfahrung, daß es von einer
erwachsenen Schlupfwespenmade fest und dauerhaft, wie von Pergament, angefertigt wurde. Jn
einem dritten Falle hat die Raupe, welche nicht spinnt, noch Kraft genug, um zur anscheinend
gesunden Puppe zu werden. Doch wehe! Mit der Zeit verliert diese ihre Beweglichkeit, sie hat
nicht mehr das Gewicht, welches ihr von Rechts wegen zukommt. Beides sichere Anzeigen, daß
hier abermals Betrug und Täuschung im Spiele sind. Eines schönen Morgens liegt sie da mit
durchbohrtem Scheitel, dieser als abgenagtes Deckelchen daneben, und lustig spaziert eine stattliche
Schlupfwespe, vielleicht ein zierliches Jchneumon, im Zwinger umher. Wer sich mit dem überaus
interessanten Studium der Gallwespen beschäftigte und fleißig ihre Erzeugnisse einsammelte, ein
schlechterdings unerläßliches Verfahren, um diese Thierchen kennen und unterscheiden zu lernen,
weiß nur zu gut, daß er gar häufig nicht ein Stück davon zu sehen bekommt, aber die wunder-
barsten Gestalten von allerlei Zehrwespchen, zwei, wohl drei Arten aus einer Galle und unter
Umständen, wenn er deren mehr einsammelte, auch den rechtmäßigen Bewohner dazu. Solche
und ähnliche Erfahrungen werden von denen gesammelt, welche das Treiben der Natur unter
Verhältnissen belauschen, welche die Beobachtung erleichtern, andere müssen draußen im Freien
gemacht werden. Da kann man z. B. auch sehen, wie ein Schlupfwespchen bei seinen Streifzügen
sich einstellt bei einer eben erst vollendeten, noch ganz weichen Faltenpuppe, welche sich an einem
Baumstamme aufhing. Es spaziert mit sichtlichem Behagen auf der sich windenden Puppe umher,
tastet mit seinen ewig beweglichen Fühlern und -- jetzt sitzt sein Bohrer in der weichen Haut, senkt
sich tiefer und tiefer, und die Eier gleiten hindurch, was sich freilich nicht sehen läßt, aber stark
vermuthen; denn seiner Zeit kommt kein Schmetterling aus der Puppe zum Vorscheine, sondern
eine Schaar genau solcher Schlupfwespchen, deren eines damals seine Künste zeigte. Jn einzelnen
Fällen, welche als Ausnahmen von der Regel zu betrachten sind, hat man Larven von Schmarotzern
oder diese selbst aus bereits vollkommen entwickelten Jnsekten herauskommen sehen. Hier mag
das Jmago von der Schlupfwespe angestochen worden sein, oder aber der Wirth den Schmarotzer
in seiner Entwickelung überholt, die schädlichen Einwirkungen desselben überwunden haben, und
beide gelangten nun nebeneinander zur Vollendung. -- Nicht genug, daß ein Jnsekt in einem
andern auf dessen Kosten lebt, das unfreiwillige Verhältniß zwischen Wirth und Einmiether setzt
sich noch weiter fort, diese letzteren müssen sich gefallen lassen, wieder anderen als Wirthe zu

Die Hautflügler.
treffen mehrerer günſtigen Umſtände, gleich ſind die Schlupfwespen da, ſie finden ihre Wohnthiere
zahlreicher als gewöhnlich, können ſich alſo ſtärker vermehren und führen jene gar bald auf ihr
gewöhnliches Maß zurück. Jn der Regel leben die größeren Zehrwespen nur einzeln in einem
Wirth, die kleineren nicht ſelten in Familien zu Hunderten, und man wird ſich einen Begriff
machen können von der Winzigkeit vieler, wenn man erfährt, daß die kleinen Blattläuſe von
Schmarotzern heimgeſucht werden, ja daß Jnſekten eier, noch kleiner als dieſe, wieder anderen das
Leben geben. Die Weibchen der meiſten Arten ſtechen Larven an, um ſie mit einem oder
mehreren Eiern zu beſchenken, und die dieſen entſchlüpfenden Maden leben verborgen im Leibe des
Wohnthieres. Mauche ſitzen aber auch äußerlich daran. Die Gattungen Pteromalus, Bracon,
Spathius, Tryphon, Phygadenon, Cryptus, Pimpla
u. a., welche wir ſpäter kennen lernen werden,
enthalten Arten, welche ſich gewiſſe Aſterraupen von Blattwespen, Raupen einiger Wickler und
Eulen unter den Schmetterlingen und von Käferlarven ſolche vorzugsweiſe auszuſuchen ſcheinen,
welche hinter Baumrinde oder im Holze wohnen, um als Larven ein äußerliches Schmarotzerleben
daran zu führen. Auch in anderer Beziehung, als der eben berührten, geſtaltet ſich das Verhältniß
des Wirthes zum Einmiether je nach der Art verſchieden. Hier bohren ſich, und dies gilt beſonders
von den geſelligen Schmarotzern, die reifen Larven aus der Raupe, um ſich an ihrer Haut, denn
nichts weiter iſt jetzt von der ſterbenden übrig, zu verpuppen. Dort fertigte die Raupe gleich
einer geſunden das Cocon, und man erwartet ſpäter ihre Puppe darin. Wie oft aber täuſchte
ſich ſchon der Schmetterlingsſammler, welcher auf einen ſchönen Falter hoffte! Er ſindet ſtatt der
rechtmäßigen Puppe ein ſchwarzes, längliches Cocon und weiß aus Erfahrung, daß es von einer
erwachſenen Schlupfwespenmade feſt und dauerhaft, wie von Pergament, angefertigt wurde. Jn
einem dritten Falle hat die Raupe, welche nicht ſpinnt, noch Kraft genug, um zur anſcheinend
geſunden Puppe zu werden. Doch wehe! Mit der Zeit verliert dieſe ihre Beweglichkeit, ſie hat
nicht mehr das Gewicht, welches ihr von Rechts wegen zukommt. Beides ſichere Anzeigen, daß
hier abermals Betrug und Täuſchung im Spiele ſind. Eines ſchönen Morgens liegt ſie da mit
durchbohrtem Scheitel, dieſer als abgenagtes Deckelchen daneben, und luſtig ſpaziert eine ſtattliche
Schlupfwespe, vielleicht ein zierliches Jchneumon, im Zwinger umher. Wer ſich mit dem überaus
intereſſanten Studium der Gallwespen beſchäftigte und fleißig ihre Erzeugniſſe einſammelte, ein
ſchlechterdings unerläßliches Verfahren, um dieſe Thierchen kennen und unterſcheiden zu lernen,
weiß nur zu gut, daß er gar häufig nicht ein Stück davon zu ſehen bekommt, aber die wunder-
barſten Geſtalten von allerlei Zehrwespchen, zwei, wohl drei Arten aus einer Galle und unter
Umſtänden, wenn er deren mehr einſammelte, auch den rechtmäßigen Bewohner dazu. Solche
und ähnliche Erfahrungen werden von denen geſammelt, welche das Treiben der Natur unter
Verhältniſſen belauſchen, welche die Beobachtung erleichtern, andere müſſen draußen im Freien
gemacht werden. Da kann man z. B. auch ſehen, wie ein Schlupfwespchen bei ſeinen Streifzügen
ſich einſtellt bei einer eben erſt vollendeten, noch ganz weichen Faltenpuppe, welche ſich an einem
Baumſtamme aufhing. Es ſpaziert mit ſichtlichem Behagen auf der ſich windenden Puppe umher,
taſtet mit ſeinen ewig beweglichen Fühlern und — jetzt ſitzt ſein Bohrer in der weichen Haut, ſenkt
ſich tiefer und tiefer, und die Eier gleiten hindurch, was ſich freilich nicht ſehen läßt, aber ſtark
vermuthen; denn ſeiner Zeit kommt kein Schmetterling aus der Puppe zum Vorſcheine, ſondern
eine Schaar genau ſolcher Schlupfwespchen, deren eines damals ſeine Künſte zeigte. Jn einzelnen
Fällen, welche als Ausnahmen von der Regel zu betrachten ſind, hat man Larven von Schmarotzern
oder dieſe ſelbſt aus bereits vollkommen entwickelten Jnſekten herauskommen ſehen. Hier mag
das Jmago von der Schlupfwespe angeſtochen worden ſein, oder aber der Wirth den Schmarotzer
in ſeiner Entwickelung überholt, die ſchädlichen Einwirkungen deſſelben überwunden haben, und
beide gelangten nun nebeneinander zur Vollendung. — Nicht genug, daß ein Jnſekt in einem
andern auf deſſen Koſten lebt, das unfreiwillige Verhältniß zwiſchen Wirth und Einmiether ſetzt
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[160/0178] Die Hautflügler. treffen mehrerer günſtigen Umſtände, gleich ſind die Schlupfwespen da, ſie finden ihre Wohnthiere zahlreicher als gewöhnlich, können ſich alſo ſtärker vermehren und führen jene gar bald auf ihr gewöhnliches Maß zurück. Jn der Regel leben die größeren Zehrwespen nur einzeln in einem Wirth, die kleineren nicht ſelten in Familien zu Hunderten, und man wird ſich einen Begriff machen können von der Winzigkeit vieler, wenn man erfährt, daß die kleinen Blattläuſe von Schmarotzern heimgeſucht werden, ja daß Jnſekten eier, noch kleiner als dieſe, wieder anderen das Leben geben. Die Weibchen der meiſten Arten ſtechen Larven an, um ſie mit einem oder mehreren Eiern zu beſchenken, und die dieſen entſchlüpfenden Maden leben verborgen im Leibe des Wohnthieres. Mauche ſitzen aber auch äußerlich daran. Die Gattungen Pteromalus, Bracon, Spathius, Tryphon, Phygadenon, Cryptus, Pimpla u. a., welche wir ſpäter kennen lernen werden, enthalten Arten, welche ſich gewiſſe Aſterraupen von Blattwespen, Raupen einiger Wickler und Eulen unter den Schmetterlingen und von Käferlarven ſolche vorzugsweiſe auszuſuchen ſcheinen, welche hinter Baumrinde oder im Holze wohnen, um als Larven ein äußerliches Schmarotzerleben daran zu führen. Auch in anderer Beziehung, als der eben berührten, geſtaltet ſich das Verhältniß des Wirthes zum Einmiether je nach der Art verſchieden. Hier bohren ſich, und dies gilt beſonders von den geſelligen Schmarotzern, die reifen Larven aus der Raupe, um ſich an ihrer Haut, denn nichts weiter iſt jetzt von der ſterbenden übrig, zu verpuppen. Dort fertigte die Raupe gleich einer geſunden das Cocon, und man erwartet ſpäter ihre Puppe darin. Wie oft aber täuſchte ſich ſchon der Schmetterlingsſammler, welcher auf einen ſchönen Falter hoffte! Er ſindet ſtatt der rechtmäßigen Puppe ein ſchwarzes, längliches Cocon und weiß aus Erfahrung, daß es von einer erwachſenen Schlupfwespenmade feſt und dauerhaft, wie von Pergament, angefertigt wurde. Jn einem dritten Falle hat die Raupe, welche nicht ſpinnt, noch Kraft genug, um zur anſcheinend geſunden Puppe zu werden. Doch wehe! Mit der Zeit verliert dieſe ihre Beweglichkeit, ſie hat nicht mehr das Gewicht, welches ihr von Rechts wegen zukommt. Beides ſichere Anzeigen, daß hier abermals Betrug und Täuſchung im Spiele ſind. Eines ſchönen Morgens liegt ſie da mit durchbohrtem Scheitel, dieſer als abgenagtes Deckelchen daneben, und luſtig ſpaziert eine ſtattliche Schlupfwespe, vielleicht ein zierliches Jchneumon, im Zwinger umher. Wer ſich mit dem überaus intereſſanten Studium der Gallwespen beſchäftigte und fleißig ihre Erzeugniſſe einſammelte, ein ſchlechterdings unerläßliches Verfahren, um dieſe Thierchen kennen und unterſcheiden zu lernen, weiß nur zu gut, daß er gar häufig nicht ein Stück davon zu ſehen bekommt, aber die wunder- barſten Geſtalten von allerlei Zehrwespchen, zwei, wohl drei Arten aus einer Galle und unter Umſtänden, wenn er deren mehr einſammelte, auch den rechtmäßigen Bewohner dazu. Solche und ähnliche Erfahrungen werden von denen geſammelt, welche das Treiben der Natur unter Verhältniſſen belauſchen, welche die Beobachtung erleichtern, andere müſſen draußen im Freien gemacht werden. Da kann man z. B. auch ſehen, wie ein Schlupfwespchen bei ſeinen Streifzügen ſich einſtellt bei einer eben erſt vollendeten, noch ganz weichen Faltenpuppe, welche ſich an einem Baumſtamme aufhing. Es ſpaziert mit ſichtlichem Behagen auf der ſich windenden Puppe umher, taſtet mit ſeinen ewig beweglichen Fühlern und — jetzt ſitzt ſein Bohrer in der weichen Haut, ſenkt ſich tiefer und tiefer, und die Eier gleiten hindurch, was ſich freilich nicht ſehen läßt, aber ſtark vermuthen; denn ſeiner Zeit kommt kein Schmetterling aus der Puppe zum Vorſcheine, ſondern eine Schaar genau ſolcher Schlupfwespchen, deren eines damals ſeine Künſte zeigte. Jn einzelnen Fällen, welche als Ausnahmen von der Regel zu betrachten ſind, hat man Larven von Schmarotzern oder dieſe ſelbſt aus bereits vollkommen entwickelten Jnſekten herauskommen ſehen. Hier mag das Jmago von der Schlupfwespe angeſtochen worden ſein, oder aber der Wirth den Schmarotzer in ſeiner Entwickelung überholt, die ſchädlichen Einwirkungen deſſelben überwunden haben, und beide gelangten nun nebeneinander zur Vollendung. — Nicht genug, daß ein Jnſekt in einem andern auf deſſen Koſten lebt, das unfreiwillige Verhältniß zwiſchen Wirth und Einmiether ſetzt ſich noch weiter fort, dieſe letzteren müſſen ſich gefallen laſſen, wieder anderen als Wirthe zu

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/178>, abgerufen am 23.11.2024.