von dem man nicht weiß, ob es Liebe, ob es Wuth bedeute. Zwischen dem Volke wilder Braut- paare, welche von nichts zu wissen scheinen, irren Ungeflügelte umher und greifen besonders die an, welche sich am meisten verwickelt haben, beißen sie, zerren sie so stark, daß man meinen sollte, sie wollten sie vernichten. Das ist aber nicht ihre Absicht, sie wollen sie zum Gehorsam, zu sich selbst zurückbringen. Diese Jungfrauen überwachen also auch die Liebenden und führen eine strenge Aufsicht über die Vorfeier der Hochzeit, dieses wahre Volksfest. Doch jetzt grenzt die Wildheit an Raserei, in taumelndem Wirbel erhebt sich die geflügelte Schaar, zunächst im wechselnden Steigen und Sinken, zuletzt hoch in die Lüfte und verschwindet zum Theil in weiter Ferne. Oben in der Luft findet die Vereinigung Statt, und diejenigen Weibchen, welche sich in der Nähe des Nestes wieder niederlassen, werden von den Arbeitern ergriffen und in das Nest zurückgebracht, wo sie alsbald ihre Flügel verlieren, indem sie ausfallen, oder abgebissen werden. Die einmalige Befruchtung genügt für das Weibchen, so lange es lebt. Andere fallen an entfernteren Stellen nieder und gründen da neue Kolonien. Die Männchen finden sehr bald ihren Tod. Uebrigens werden bei dieser Gelegenheit Tausende beiderlei Geschlechts die Beute der Vögel, oder kommen sonst wie um ihr Leben.
Die Ameisenschwärme, besonders wenn sich mehrere einer Gegend vereinigen, haben bisweilen die Menschen in Furcht und Schrecken versetzt, indem sie für mächtige Rauchwolken gehalten wurden. Am 4. August 1856 regnete es bei St. Saphorin in der Schweiz Myriaden schwarzer, geflügelter Ameisen. Am 10. August Abends 5 Uhr 20 Minuten bis 6 Uhr wurde von Wettwyl bis Lichtenstein, der Thur entlang, eine von Südwest nach Nordost ziehende Wolke geflügelter Ameisen von schwarzbrauner Farbe in etwa dreihundert Fuß Höhe beobachtet. Zwischen beiden Orten löste sie sich auf und zertheilte sich auf Bäume, Häuser und Gräser. Jm September 1814 berichtet ein englischer Chirurg vom Bord eines Schiffes, daß eine acht bis zehn Fuß breite Kolonne von sechs Zoll Höhe, bestehend aus großen Ameisen, das Wasser auf eine Strecke von fünf bis sechs (englischen) Meilen bedeckt habe. Auch die alten Chroniken erzählen von dergleichen Dingen. Am 2. August 1687 um 3 Uhr Nachmittags schwärmte eine solche Menge von Ameisen über dem Thurme der Elisabethenkirche zu Breslau, daß das Volk sie für Rauch ansah und einen Brand fürchtete. Kurz darauf wiederholte sich dieselbe Erscheinung um die übrigen Thürme; es dauerte aber kaum eine Stunde, so fielen sie zu Boden, daß man sie hätte haufenweise aufraffen können. Am 19. Juli 1679 gegen 2 Uhr ist eine Wolke großer Ameisen über Preßburg geflogen und nach einer Viertelstunde so dicht herunter gefallen, daß man auf dem Markte keinen Fuß vorsetzen konnte, ohne einige Dutzende zu zertreten; sie hatten alle die Flügel verloren, schlichen langsam umher und waren nach zwei Stunden gänzlich verschwunden.
Jn der neuen Kolonie haben die Weibchen anfangs die Pflege der Brut zu besorgen und gründen dieselbe noch in demselben Jahre, oder erst im nächsten. Sie legen die Eier in eine kleine Grube und überlassen den daraus entstandenen Arbeitern die weitere Anlage eines ordent- lichen Baues.
Aus dem so höchst anziehenden Leben der Ameisen müssen wir noch zweier Erscheinungen gedenken, der Sklaven und der Ameisenfreunde, wie man die geselligen Verhältnisse der betreffenden Thiere bezeichnet hat. Es gibt nämlich Ameisen, deren Arbeiter nicht von Eiern der Stammmutter des Nestes herrühren, sondern als Larven oder Puppen aus den Nestern ganz bestimmter anderer Arten geraubt wurden. Die Ameisen, bei denen diese Unsitte herrscht, hat man Raubameisen genannt, ihre Kolonie eine gemischte. Sie überlassen den entführten Ameisen, ihren "Sklaven", entweder ausschließlich alle Arbeiten, welche diesem Stande zukommen, ja sie lassen sich sogar von ihnen füttern, und gehen selbst nur dem Räuberhandwerke nach, oder die Geschäfte werden gemeinschaftlich verrichtet. Zu den Raubameisen der ersteren Art gehören Polyergus rufescens und Strongylognathus testaceus, beide haben, abweichend von allen
Schwärmen. Sklaven und Ameiſenfreunde.
von dem man nicht weiß, ob es Liebe, ob es Wuth bedeute. Zwiſchen dem Volke wilder Braut- paare, welche von nichts zu wiſſen ſcheinen, irren Ungeflügelte umher und greifen beſonders die an, welche ſich am meiſten verwickelt haben, beißen ſie, zerren ſie ſo ſtark, daß man meinen ſollte, ſie wollten ſie vernichten. Das iſt aber nicht ihre Abſicht, ſie wollen ſie zum Gehorſam, zu ſich ſelbſt zurückbringen. Dieſe Jungfrauen überwachen alſo auch die Liebenden und führen eine ſtrenge Aufſicht über die Vorfeier der Hochzeit, dieſes wahre Volksfeſt. Doch jetzt grenzt die Wildheit an Raſerei, in taumelndem Wirbel erhebt ſich die geflügelte Schaar, zunächſt im wechſelnden Steigen und Sinken, zuletzt hoch in die Lüfte und verſchwindet zum Theil in weiter Ferne. Oben in der Luft findet die Vereinigung Statt, und diejenigen Weibchen, welche ſich in der Nähe des Neſtes wieder niederlaſſen, werden von den Arbeitern ergriffen und in das Neſt zurückgebracht, wo ſie alsbald ihre Flügel verlieren, indem ſie ausfallen, oder abgebiſſen werden. Die einmalige Befruchtung genügt für das Weibchen, ſo lange es lebt. Andere fallen an entfernteren Stellen nieder und gründen da neue Kolonien. Die Männchen finden ſehr bald ihren Tod. Uebrigens werden bei dieſer Gelegenheit Tauſende beiderlei Geſchlechts die Beute der Vögel, oder kommen ſonſt wie um ihr Leben.
Die Ameiſenſchwärme, beſonders wenn ſich mehrere einer Gegend vereinigen, haben bisweilen die Menſchen in Furcht und Schrecken verſetzt, indem ſie für mächtige Rauchwolken gehalten wurden. Am 4. Auguſt 1856 regnete es bei St. Saphorin in der Schweiz Myriaden ſchwarzer, geflügelter Ameiſen. Am 10. Auguſt Abends 5 Uhr 20 Minuten bis 6 Uhr wurde von Wettwyl bis Lichtenſtein, der Thur entlang, eine von Südweſt nach Nordoſt ziehende Wolke geflügelter Ameiſen von ſchwarzbrauner Farbe in etwa dreihundert Fuß Höhe beobachtet. Zwiſchen beiden Orten löſte ſie ſich auf und zertheilte ſich auf Bäume, Häuſer und Gräſer. Jm September 1814 berichtet ein engliſcher Chirurg vom Bord eines Schiffes, daß eine acht bis zehn Fuß breite Kolonne von ſechs Zoll Höhe, beſtehend aus großen Ameiſen, das Waſſer auf eine Strecke von fünf bis ſechs (engliſchen) Meilen bedeckt habe. Auch die alten Chroniken erzählen von dergleichen Dingen. Am 2. Auguſt 1687 um 3 Uhr Nachmittags ſchwärmte eine ſolche Menge von Ameiſen über dem Thurme der Eliſabethenkirche zu Breslau, daß das Volk ſie für Rauch anſah und einen Brand fürchtete. Kurz darauf wiederholte ſich dieſelbe Erſcheinung um die übrigen Thürme; es dauerte aber kaum eine Stunde, ſo fielen ſie zu Boden, daß man ſie hätte haufenweiſe aufraffen können. Am 19. Juli 1679 gegen 2 Uhr iſt eine Wolke großer Ameiſen über Preßburg geflogen und nach einer Viertelſtunde ſo dicht herunter gefallen, daß man auf dem Markte keinen Fuß vorſetzen konnte, ohne einige Dutzende zu zertreten; ſie hatten alle die Flügel verloren, ſchlichen langſam umher und waren nach zwei Stunden gänzlich verſchwunden.
Jn der neuen Kolonie haben die Weibchen anfangs die Pflege der Brut zu beſorgen und gründen dieſelbe noch in demſelben Jahre, oder erſt im nächſten. Sie legen die Eier in eine kleine Grube und überlaſſen den daraus entſtandenen Arbeitern die weitere Anlage eines ordent- lichen Baues.
Aus dem ſo höchſt anziehenden Leben der Ameiſen müſſen wir noch zweier Erſcheinungen gedenken, der Sklaven und der Ameiſenfreunde, wie man die geſelligen Verhältniſſe der betreffenden Thiere bezeichnet hat. Es gibt nämlich Ameiſen, deren Arbeiter nicht von Eiern der Stammmutter des Neſtes herrühren, ſondern als Larven oder Puppen aus den Neſtern ganz beſtimmter anderer Arten geraubt wurden. Die Ameiſen, bei denen dieſe Unſitte herrſcht, hat man Raubameiſen genannt, ihre Kolonie eine gemiſchte. Sie überlaſſen den entführten Ameiſen, ihren „Sklaven“, entweder ausſchließlich alle Arbeiten, welche dieſem Stande zukommen, ja ſie laſſen ſich ſogar von ihnen füttern, und gehen ſelbſt nur dem Räuberhandwerke nach, oder die Geſchäfte werden gemeinſchaftlich verrichtet. Zu den Raubameiſen der erſteren Art gehören Polyergus rufescens und Strongylognathus testaceus, beide haben, abweichend von allen
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Schwärmen. Sklaven und Ameiſenfreunde.
von dem man nicht weiß, ob es Liebe, ob es Wuth bedeute. Zwiſchen dem Volke wilder Braut-
paare, welche von nichts zu wiſſen ſcheinen, irren Ungeflügelte umher und greifen beſonders die
an, welche ſich am meiſten verwickelt haben, beißen ſie, zerren ſie ſo ſtark, daß man meinen ſollte,
ſie wollten ſie vernichten. Das iſt aber nicht ihre Abſicht, ſie wollen ſie zum Gehorſam, zu ſich
ſelbſt zurückbringen. Dieſe Jungfrauen überwachen alſo auch die Liebenden und führen eine ſtrenge
Aufſicht über die Vorfeier der Hochzeit, dieſes wahre Volksfeſt. Doch jetzt grenzt die Wildheit
an Raſerei, in taumelndem Wirbel erhebt ſich die geflügelte Schaar, zunächſt im wechſelnden
Steigen und Sinken, zuletzt hoch in die Lüfte und verſchwindet zum Theil in weiter Ferne. Oben
in der Luft findet die Vereinigung Statt, und diejenigen Weibchen, welche ſich in der Nähe des
Neſtes wieder niederlaſſen, werden von den Arbeitern ergriffen und in das Neſt zurückgebracht,
wo ſie alsbald ihre Flügel verlieren, indem ſie ausfallen, oder abgebiſſen werden. Die einmalige
Befruchtung genügt für das Weibchen, ſo lange es lebt. Andere fallen an entfernteren Stellen
nieder und gründen da neue Kolonien. Die Männchen finden ſehr bald ihren Tod. Uebrigens
werden bei dieſer Gelegenheit Tauſende beiderlei Geſchlechts die Beute der Vögel, oder kommen
ſonſt wie um ihr Leben.
Die Ameiſenſchwärme, beſonders wenn ſich mehrere einer Gegend vereinigen, haben bisweilen
die Menſchen in Furcht und Schrecken verſetzt, indem ſie für mächtige Rauchwolken gehalten
wurden. Am 4. Auguſt 1856 regnete es bei St. Saphorin in der Schweiz Myriaden ſchwarzer,
geflügelter Ameiſen. Am 10. Auguſt Abends 5 Uhr 20 Minuten bis 6 Uhr wurde von Wettwyl
bis Lichtenſtein, der Thur entlang, eine von Südweſt nach Nordoſt ziehende Wolke geflügelter
Ameiſen von ſchwarzbrauner Farbe in etwa dreihundert Fuß Höhe beobachtet. Zwiſchen beiden
Orten löſte ſie ſich auf und zertheilte ſich auf Bäume, Häuſer und Gräſer. Jm September 1814
berichtet ein engliſcher Chirurg vom Bord eines Schiffes, daß eine acht bis zehn Fuß breite
Kolonne von ſechs Zoll Höhe, beſtehend aus großen Ameiſen, das Waſſer auf eine Strecke von
fünf bis ſechs (engliſchen) Meilen bedeckt habe. Auch die alten Chroniken erzählen von dergleichen
Dingen. Am 2. Auguſt 1687 um 3 Uhr Nachmittags ſchwärmte eine ſolche Menge von Ameiſen über
dem Thurme der Eliſabethenkirche zu Breslau, daß das Volk ſie für Rauch anſah und einen Brand
fürchtete. Kurz darauf wiederholte ſich dieſelbe Erſcheinung um die übrigen Thürme; es dauerte
aber kaum eine Stunde, ſo fielen ſie zu Boden, daß man ſie hätte haufenweiſe aufraffen können.
Am 19. Juli 1679 gegen 2 Uhr iſt eine Wolke großer Ameiſen über Preßburg geflogen und nach
einer Viertelſtunde ſo dicht herunter gefallen, daß man auf dem Markte keinen Fuß vorſetzen konnte,
ohne einige Dutzende zu zertreten; ſie hatten alle die Flügel verloren, ſchlichen langſam umher
und waren nach zwei Stunden gänzlich verſchwunden.
Jn der neuen Kolonie haben die Weibchen anfangs die Pflege der Brut zu beſorgen und
gründen dieſelbe noch in demſelben Jahre, oder erſt im nächſten. Sie legen die Eier in eine
kleine Grube und überlaſſen den daraus entſtandenen Arbeitern die weitere Anlage eines ordent-
lichen Baues.
Aus dem ſo höchſt anziehenden Leben der Ameiſen müſſen wir noch zweier Erſcheinungen
gedenken, der Sklaven und der Ameiſenfreunde, wie man die geſelligen Verhältniſſe der
betreffenden Thiere bezeichnet hat. Es gibt nämlich Ameiſen, deren Arbeiter nicht von Eiern der
Stammmutter des Neſtes herrühren, ſondern als Larven oder Puppen aus den Neſtern ganz
beſtimmter anderer Arten geraubt wurden. Die Ameiſen, bei denen dieſe Unſitte herrſcht, hat
man Raubameiſen genannt, ihre Kolonie eine gemiſchte. Sie überlaſſen den entführten
Ameiſen, ihren „Sklaven“, entweder ausſchließlich alle Arbeiten, welche dieſem Stande zukommen,
ja ſie laſſen ſich ſogar von ihnen füttern, und gehen ſelbſt nur dem Räuberhandwerke nach, oder
die Geſchäfte werden gemeinſchaftlich verrichtet. Zu den Raubameiſen der erſteren Art gehören
Polyergus rufescens und Strongylognathus testaceus, beide haben, abweichend von allen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/235>, abgerufen am 25.11.2024.
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