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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Verschiedenheit der Gallen, mit ihnen behaftete Pflanzen. Zucht der Gallwespen.
einkammerigen Gallen; welcher Art die mehrkammerigen sein müssen, erklärt sich hieraus
von selbst. Je nach ihrer Beschaffenheit, ob holzig, fleischig, mehlig etc., nach ihrer Anheftungs-
stelle, ob Blatt, Wurzel, Stengel sie erzeugten, ihrer Gestalt und der Art der Gruppirung,
wenn mehrere beisammen sind, gibt es eine Menge von näheren Bezeichnungen für die Galle,
welche allermeist keiner weitern Erklärung bedürfen. Der Regel nach hat jedes Produkt einer
Gallwespe seinen bestimmten Platz an einer bestimmten Pflanze und erscheint stets in derselben
Form. Keine Regel ohne Ausnahme: die Gallen des Spathegaster baccarum kommen an den
Schüppchen, aber auch an dem Stiele der Eichenkätzchen vor, die Rosen-Gallwespe sticht für
gewöhnlich die Zweige an, welche zu den bekannten "rosenkönigen" auswachsen, kann aber auch
außer der Wurzel jeden andern Theil des Rosenstrauches beglücken. Eine interessante ungeflügelte
Gallwespe, die Biorhiza aptera, lebt für gewöhnlich in Wurzelgallen der Eiche, ist aber auch
an der Wurzel der Kiefer gefunden worden. Möglich, daß sich bei aufmerksamer und eifrig
fortgesetzter Beobachtung die Zahl derer noch vermehrt, welche ihren Standort verändern. Nicht
nur in der Größe wechselnd, sondern auch in der Farbe und unwesentlichen Abänderungen
der Form, kommen bisweilen Gallen ein und derselben Art vor. Ja Baron Osten-Sacken
will neuerdings in Nordamerika aus zwei verschiedenen Gallformen die verschiedenen Geschlechter
ein und derselben Art erzogen haben. -- Die Pflanzen, an welchen Cynipidengallen vorkommen,
beschräuken sich auf eine geringe Zahl, von Gallmücken werden bedeutend mehr angegriffen.
Obeuan steht die Eiche, von welcher kein Theil verschont bleibt, und die man insofern recht
eigentlich den "Baum der Einheit" nennen könnte, weil sich in seinem Jnnern wie an seinem
Aeußern mehr Jnsekten ernähren und friedlich bei einander wohnen, als irgend wo anders.
An der Eiche kommen allein in Deutschland vor: zwanzig Blatt-, vier Blattstielgallen, acht
Gallen an den männlichen Blüthen, mehr denn zehn an den Knospen, sieben an Zweigen
und jungen Trieben, drei am Stamm, eine gleiche Anzahl an der Wurzel und dem oberirdischen
Wurzelstocke. Für Frankreich und das südliche Europa gestalten sich die Verhältnisse wieder anders,
ebenso ernähren die nordamerikanischen Eichen andere, ich wage nicht zu behaupten, ob eben so
zahlreiche Gallwespen, wie die unsrigen. Außer der Eiche kommen Ahorn, Vogelbeerbaum, wilde
Nosen und Brombeeren in Betracht. Von krautartigen Pflanzen sind in dieser Beziehung
kaum der Rede werth einige Compositen (Hieracium, Centaurea, Scorzonera), wilder Mohn,
Königskerze und noch einige dikotyle Gewächse. Nach den unzureichenden Beobachtungen in außer-
euxopäischen Ländern, welche über diesen Gegenstand bekannt geworden sind, fehlt es zwar nirgends
an Gallen, wohl aber überall an der Menge von Gall wespen, welche unsere Heimat ernährt. Osten-
Sacken
zählt achtundzwanzig an den nordamerikanischen Eichen, besonders um Washington, auf.
Frauenfeld fand von Alexandria bis zum Ende der sinaitischen Halbinsel sehr zahlreiche Gallen
an der Tamariske, behauptet aber, daß nicht eine davon einer Cynipide angehören könne. Schrader,
welcher sich über gallenerzeugende Jnsekten Australiens verbreitet, hat gleichfalls nur wenig
Gallwespen, sondern hauptsächlich Fliegen, Schild- und Blattläuse zu notiren. -- Das
Studium der Gallinsekten kann hauptsächlich nur durch die Zucht derselben gefördert werden,
welche aber -- Geduld erfordert, vornehmlich aus zwei Gründen. Sammelt man die Gallen zu
einer Zeit, welche ihrer Reife noch zu fern liegt, so vertrocknen sie und die Larven darin natür-
lich auch; sie in Wasser zu setzen, schützt wenig vor dem Mißlingen. Trifft man aber den günstigen
Zeitpunkt der Reife, so folgt noch lange nicht daraus, daß man nun auch Bekanntschaft mit ihren
Erzeugern werde machen müssen. Dieselben werden nämlich zu häufig von Schmarotzern bewohnt,
um nicht deren verhältnißmäßig mehr zu erziehen, als jene. Neben der Geduld wird daher auch
große Um- und Vorsicht nöthig, wenn die Wissenschaft in Wahrheit gefördert werden soll.

Die Gallwespen selbst, denen wir uns nun zuwenden, unterscheiden sich zunächst von allen
bisher besprochenen Jmmen durch die zwei gliederigen Schenkelringe, welche sie mit den übrigen
noch folgenden gemein haben, außerdem erkennt man sie leicht an der eigenthümlichen Bildung

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Verſchiedenheit der Gallen, mit ihnen behaftete Pflanzen. Zucht der Gallwespen.
einkammerigen Gallen; welcher Art die mehrkammerigen ſein müſſen, erklärt ſich hieraus
von ſelbſt. Je nach ihrer Beſchaffenheit, ob holzig, fleiſchig, mehlig ꝛc., nach ihrer Anheftungs-
ſtelle, ob Blatt, Wurzel, Stengel ſie erzeugten, ihrer Geſtalt und der Art der Gruppirung,
wenn mehrere beiſammen ſind, gibt es eine Menge von näheren Bezeichnungen für die Galle,
welche allermeiſt keiner weitern Erklärung bedürfen. Der Regel nach hat jedes Produkt einer
Gallwespe ſeinen beſtimmten Platz an einer beſtimmten Pflanze und erſcheint ſtets in derſelben
Form. Keine Regel ohne Ausnahme: die Gallen des Spathegaster baccarum kommen an den
Schüppchen, aber auch an dem Stiele der Eichenkätzchen vor, die Roſen-Gallwespe ſticht für
gewöhnlich die Zweige an, welche zu den bekannten „roſenkönigen“ auswachſen, kann aber auch
außer der Wurzel jeden andern Theil des Roſenſtrauches beglücken. Eine intereſſante ungeflügelte
Gallwespe, die Biorhiza aptera, lebt für gewöhnlich in Wurzelgallen der Eiche, iſt aber auch
an der Wurzel der Kiefer gefunden worden. Möglich, daß ſich bei aufmerkſamer und eifrig
fortgeſetzter Beobachtung die Zahl derer noch vermehrt, welche ihren Standort verändern. Nicht
nur in der Größe wechſelnd, ſondern auch in der Farbe und unweſentlichen Abänderungen
der Form, kommen bisweilen Gallen ein und derſelben Art vor. Ja Baron Oſten-Sacken
will neuerdings in Nordamerika aus zwei verſchiedenen Gallformen die verſchiedenen Geſchlechter
ein und derſelben Art erzogen haben. — Die Pflanzen, an welchen Cynipidengallen vorkommen,
beſchräuken ſich auf eine geringe Zahl, von Gallmücken werden bedeutend mehr angegriffen.
Obeuan ſteht die Eiche, von welcher kein Theil verſchont bleibt, und die man inſofern recht
eigentlich den „Baum der Einheit“ nennen könnte, weil ſich in ſeinem Jnnern wie an ſeinem
Aeußern mehr Jnſekten ernähren und friedlich bei einander wohnen, als irgend wo anders.
An der Eiche kommen allein in Deutſchland vor: zwanzig Blatt-, vier Blattſtielgallen, acht
Gallen an den männlichen Blüthen, mehr denn zehn an den Knospen, ſieben an Zweigen
und jungen Trieben, drei am Stamm, eine gleiche Anzahl an der Wurzel und dem oberirdiſchen
Wurzelſtocke. Für Frankreich und das ſüdliche Europa geſtalten ſich die Verhältniſſe wieder anders,
ebenſo ernähren die nordamerikaniſchen Eichen andere, ich wage nicht zu behaupten, ob eben ſo
zahlreiche Gallwespen, wie die unſrigen. Außer der Eiche kommen Ahorn, Vogelbeerbaum, wilde
Noſen und Brombeeren in Betracht. Von krautartigen Pflanzen ſind in dieſer Beziehung
kaum der Rede werth einige Compoſiten (Hieracium, Centaurea, Scorzonera), wilder Mohn,
Königskerze und noch einige dikotyle Gewächſe. Nach den unzureichenden Beobachtungen in außer-
euxopäiſchen Ländern, welche über dieſen Gegenſtand bekannt geworden ſind, fehlt es zwar nirgends
an Gallen, wohl aber überall an der Menge von Gall wespen, welche unſere Heimat ernährt. Oſten-
Sacken
zählt achtundzwanzig an den nordamerikaniſchen Eichen, beſonders um Waſhington, auf.
Frauenfeld fand von Alexandria bis zum Ende der ſinaitiſchen Halbinſel ſehr zahlreiche Gallen
an der Tamariske, behauptet aber, daß nicht eine davon einer Cynipide angehören könne. Schrader,
welcher ſich über gallenerzeugende Jnſekten Auſtraliens verbreitet, hat gleichfalls nur wenig
Gallwespen, ſondern hauptſächlich Fliegen, Schild- und Blattläuſe zu notiren. — Das
Studium der Gallinſekten kann hauptſächlich nur durch die Zucht derſelben gefördert werden,
welche aber — Geduld erfordert, vornehmlich aus zwei Gründen. Sammelt man die Gallen zu
einer Zeit, welche ihrer Reife noch zu fern liegt, ſo vertrocknen ſie und die Larven darin natür-
lich auch; ſie in Waſſer zu ſetzen, ſchützt wenig vor dem Mißlingen. Trifft man aber den günſtigen
Zeitpunkt der Reife, ſo folgt noch lange nicht daraus, daß man nun auch Bekanntſchaft mit ihren
Erzeugern werde machen müſſen. Dieſelben werden nämlich zu häufig von Schmarotzern bewohnt,
um nicht deren verhältnißmäßig mehr zu erziehen, als jene. Neben der Geduld wird daher auch
große Um- und Vorſicht nöthig, wenn die Wiſſenſchaft in Wahrheit gefördert werden ſoll.

Die Gallwespen ſelbſt, denen wir uns nun zuwenden, unterſcheiden ſich zunächſt von allen
bisher beſprochenen Jmmen durch die zwei gliederigen Schenkelringe, welche ſie mit den übrigen
noch folgenden gemein haben, außerdem erkennt man ſie leicht an der eigenthümlichen Bildung

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[243/0265] Verſchiedenheit der Gallen, mit ihnen behaftete Pflanzen. Zucht der Gallwespen. einkammerigen Gallen; welcher Art die mehrkammerigen ſein müſſen, erklärt ſich hieraus von ſelbſt. Je nach ihrer Beſchaffenheit, ob holzig, fleiſchig, mehlig ꝛc., nach ihrer Anheftungs- ſtelle, ob Blatt, Wurzel, Stengel ſie erzeugten, ihrer Geſtalt und der Art der Gruppirung, wenn mehrere beiſammen ſind, gibt es eine Menge von näheren Bezeichnungen für die Galle, welche allermeiſt keiner weitern Erklärung bedürfen. Der Regel nach hat jedes Produkt einer Gallwespe ſeinen beſtimmten Platz an einer beſtimmten Pflanze und erſcheint ſtets in derſelben Form. Keine Regel ohne Ausnahme: die Gallen des Spathegaster baccarum kommen an den Schüppchen, aber auch an dem Stiele der Eichenkätzchen vor, die Roſen-Gallwespe ſticht für gewöhnlich die Zweige an, welche zu den bekannten „roſenkönigen“ auswachſen, kann aber auch außer der Wurzel jeden andern Theil des Roſenſtrauches beglücken. Eine intereſſante ungeflügelte Gallwespe, die Biorhiza aptera, lebt für gewöhnlich in Wurzelgallen der Eiche, iſt aber auch an der Wurzel der Kiefer gefunden worden. Möglich, daß ſich bei aufmerkſamer und eifrig fortgeſetzter Beobachtung die Zahl derer noch vermehrt, welche ihren Standort verändern. Nicht nur in der Größe wechſelnd, ſondern auch in der Farbe und unweſentlichen Abänderungen der Form, kommen bisweilen Gallen ein und derſelben Art vor. Ja Baron Oſten-Sacken will neuerdings in Nordamerika aus zwei verſchiedenen Gallformen die verſchiedenen Geſchlechter ein und derſelben Art erzogen haben. — Die Pflanzen, an welchen Cynipidengallen vorkommen, beſchräuken ſich auf eine geringe Zahl, von Gallmücken werden bedeutend mehr angegriffen. Obeuan ſteht die Eiche, von welcher kein Theil verſchont bleibt, und die man inſofern recht eigentlich den „Baum der Einheit“ nennen könnte, weil ſich in ſeinem Jnnern wie an ſeinem Aeußern mehr Jnſekten ernähren und friedlich bei einander wohnen, als irgend wo anders. An der Eiche kommen allein in Deutſchland vor: zwanzig Blatt-, vier Blattſtielgallen, acht Gallen an den männlichen Blüthen, mehr denn zehn an den Knospen, ſieben an Zweigen und jungen Trieben, drei am Stamm, eine gleiche Anzahl an der Wurzel und dem oberirdiſchen Wurzelſtocke. Für Frankreich und das ſüdliche Europa geſtalten ſich die Verhältniſſe wieder anders, ebenſo ernähren die nordamerikaniſchen Eichen andere, ich wage nicht zu behaupten, ob eben ſo zahlreiche Gallwespen, wie die unſrigen. Außer der Eiche kommen Ahorn, Vogelbeerbaum, wilde Noſen und Brombeeren in Betracht. Von krautartigen Pflanzen ſind in dieſer Beziehung kaum der Rede werth einige Compoſiten (Hieracium, Centaurea, Scorzonera), wilder Mohn, Königskerze und noch einige dikotyle Gewächſe. Nach den unzureichenden Beobachtungen in außer- euxopäiſchen Ländern, welche über dieſen Gegenſtand bekannt geworden ſind, fehlt es zwar nirgends an Gallen, wohl aber überall an der Menge von Gall wespen, welche unſere Heimat ernährt. Oſten- Sacken zählt achtundzwanzig an den nordamerikaniſchen Eichen, beſonders um Waſhington, auf. Frauenfeld fand von Alexandria bis zum Ende der ſinaitiſchen Halbinſel ſehr zahlreiche Gallen an der Tamariske, behauptet aber, daß nicht eine davon einer Cynipide angehören könne. Schrader, welcher ſich über gallenerzeugende Jnſekten Auſtraliens verbreitet, hat gleichfalls nur wenig Gallwespen, ſondern hauptſächlich Fliegen, Schild- und Blattläuſe zu notiren. — Das Studium der Gallinſekten kann hauptſächlich nur durch die Zucht derſelben gefördert werden, welche aber — Geduld erfordert, vornehmlich aus zwei Gründen. Sammelt man die Gallen zu einer Zeit, welche ihrer Reife noch zu fern liegt, ſo vertrocknen ſie und die Larven darin natür- lich auch; ſie in Waſſer zu ſetzen, ſchützt wenig vor dem Mißlingen. Trifft man aber den günſtigen Zeitpunkt der Reife, ſo folgt noch lange nicht daraus, daß man nun auch Bekanntſchaft mit ihren Erzeugern werde machen müſſen. Dieſelben werden nämlich zu häufig von Schmarotzern bewohnt, um nicht deren verhältnißmäßig mehr zu erziehen, als jene. Neben der Geduld wird daher auch große Um- und Vorſicht nöthig, wenn die Wiſſenſchaft in Wahrheit gefördert werden ſoll. Die Gallwespen ſelbſt, denen wir uns nun zuwenden, unterſcheiden ſich zunächſt von allen bisher beſprochenen Jmmen durch die zwei gliederigen Schenkelringe, welche ſie mit den übrigen noch folgenden gemein haben, außerdem erkennt man ſie leicht an der eigenthümlichen Bildung 16*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/265>, abgerufen am 23.11.2024.