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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Raupen der Schmetterlinge.
einen Begriff von der unendlichen Mauchfaltigkeit bekommen, welche in Bezug auf die Gestalt
und die äußere Erscheinung der Raupen überhaupt herrscht, und begnügen uns jetzt mit diesen
kurzen Andeutungen, nur noch Eins hinzufügend: der Kopf, welchen zwei seitliche Hornschalen
zusammensetzen, hat vollständig entwickelte beißende Mundtheile, an der vordern Ecke jeder Schale
eine Gruppe von fünf bis sechs Aeugelchen und davor einen aus wenigen zapfenartigen Gliedern
zusammengesetzten Fühler. Auch in Ansehung der Lebensweise kommen größere Unterschiede vor,
als man denken sollte. Die Einen finden sich immer nur einzeln, weil die Eier vereinzelt wurden,
die Anderen für kürzere oder längere Zeit gesellschaftlich bei einander, mit oder ohne gemeinsames
Gespinnst, in welchem sie wohnen. Die meisten leben auf den Blättern der verschiedensten Pflanzen,
und außer den Cryptogamen dürfte es wenige geben, an denen nicht wenigstens eine Raupenart
Geschmack fände; wird doch die Eiche, welche wir schon als den Liebling der Gallwespen kennen
lernten, von vierzig und etlichen aufgesucht. Wie sie sich auf ihren Blättern einrichten, ist eine
andere Frage, deren Beantwortung je nach der Art sehr verschieden ausfällt. Beim Fressen pflegt
eine jede wenigstens mit dem vordern Körpertheile auf dem Blattrande zu reiten, weil die
Schmetterlingsraupen, sobald sie die ersten Tage zarter Jugend hinter sich haben, nur vom Rande
her die Blätter abweiden, sie nicht durchlöchern, wie manche Afterraupen, Käferlarven und die
blätterfressenden Käfer selbst; daher ist der Raupenfraß als solcher immer leicht zu erkennen. Die
Unterschiede in den Gewohnheiten beziehen sich also auf die Ruhe. Die Einen pflegen derselben
auf dem Blatte selbst, an einer beliebigen Stelle der Fläche oder lang ausgestreckt auf der Mittel-
rippe, oben oder auf der schattigen Unterseite, andere verlassen das Blatt und kriechen auf den
benachbarten Stengel, bei Bäumen an den Stamm, zwischen die Risse der Rinde, oder unter
die Futterpflanze auf die Erde, von den Wurzelblättern jener bedeckt, auch flach unter die
Erde, wie besonders die an Gras und anderen niedrigen Pflauzen blos im Dunkeln fressenden
Raupen vieler Nachtschmetterlinge. Diese ziehen mit wenigen Fäden einen Theil des Blattrandes
über sich und sitzen in der dadurch gebildeten Höhlung, oder verwandeln das ganze Blatt in eine
Röhre, in welcher sie mit gleicher Gewandtheit rück- und vorwärts kriechen, um sich vor feindlichen
Angriffen zu schützen; jene wieder kleben zwei Blätter mit ihren Flächen an einander und betten
sich zwischen dieselben, oder sie spinnen sich nur ein kleines Seidenpolster, auf welchem sie zusammen-
gelegt ruhen, wie ein Schooßhündlein bei seiner Herrin. Jn allen diesen und anderen Fällen kann
man die verschiedensten Stellungen beobachten, welche zum Theil charakteriftische Merkmale zur
Unterscheidung der Arten darbieten: Schlingen- oder Kreisform, gerade und krumme Linie,
täuschende Aehnlichkeit mit einem dürren Zweig etc. Es gibt aber auch zahlreiche Raupen, welche
sich für immer unseren Blicken entziehen, weil sie entweder im Holze oder in den Stengeln kraut-
artiger Gewächse, besonders der Gräser, in Früchten, Blättern oder Wurzeln leben und das Tages-
licht scheuen. Dergleichen Raupen sehen meist bleich, schmuzigweiß aus und jede hat wieder ihre
besondere Art, wie sie minirt oder bohrt, und verräth dadurch ihre Gegenwart.

Manche Raupen gelten dem gemeinen Manne bei uns, wie jenseits des Oceans für giftig --
beispielsweise die Guzanos bravos auf Portorico -- und werden darum oft mehr gefürchtet, als
wegen des Schadens, den sie an Kulturpflanzen aurichten. Giftorgane hat keine Raupe, bei
manchen aber sind die Haare oder die fleischigen, mit beweglichen Seitenästen reichlich versehenen
Zapfen hohl, enthalten sehr concentrirte Ameisensäure und nesseln daher beim Abbrechen der
Spitzen. So haben wenigstens einige Larven ein Schutzmittel, während auch nicht ein Schmetter-
ling im Stande ist, sich zu vertheidigen, sondern bei drohender Gefahr durch seine Schwingen einzig
auf schleunige Flucht angewiesen ist.

Unter mehreren Häntungen, mit welchen häufiger ein Farben- als ein Formenwechsel ver-
bunden ist, wachsen die Raupen in kürzerer oder längerer Zeit, welche nicht selten einen Winter
in sich schließt, heran und werden reif zur Verpuppung. Die Puppe ist hier mehr verwahrt,
als bei jedem andern Jnsekt; denn die einzelnen Glieder hüllen sich nicht nur in die zarten Häute,

Raupen der Schmetterlinge.
einen Begriff von der unendlichen Mauchfaltigkeit bekommen, welche in Bezug auf die Geſtalt
und die äußere Erſcheinung der Raupen überhaupt herrſcht, und begnügen uns jetzt mit dieſen
kurzen Andeutungen, nur noch Eins hinzufügend: der Kopf, welchen zwei ſeitliche Hornſchalen
zuſammenſetzen, hat vollſtändig entwickelte beißende Mundtheile, an der vordern Ecke jeder Schale
eine Gruppe von fünf bis ſechs Aeugelchen und davor einen aus wenigen zapfenartigen Gliedern
zuſammengeſetzten Fühler. Auch in Anſehung der Lebensweiſe kommen größere Unterſchiede vor,
als man denken ſollte. Die Einen finden ſich immer nur einzeln, weil die Eier vereinzelt wurden,
die Anderen für kürzere oder längere Zeit geſellſchaftlich bei einander, mit oder ohne gemeinſames
Geſpinnſt, in welchem ſie wohnen. Die meiſten leben auf den Blättern der verſchiedenſten Pflanzen,
und außer den Cryptogamen dürfte es wenige geben, an denen nicht wenigſtens eine Raupenart
Geſchmack fände; wird doch die Eiche, welche wir ſchon als den Liebling der Gallwespen kennen
lernten, von vierzig und etlichen aufgeſucht. Wie ſie ſich auf ihren Blättern einrichten, iſt eine
andere Frage, deren Beantwortung je nach der Art ſehr verſchieden ausfällt. Beim Freſſen pflegt
eine jede wenigſtens mit dem vordern Körpertheile auf dem Blattrande zu reiten, weil die
Schmetterlingsraupen, ſobald ſie die erſten Tage zarter Jugend hinter ſich haben, nur vom Rande
her die Blätter abweiden, ſie nicht durchlöchern, wie manche Afterraupen, Käferlarven und die
blätterfreſſenden Käfer ſelbſt; daher iſt der Raupenfraß als ſolcher immer leicht zu erkennen. Die
Unterſchiede in den Gewohnheiten beziehen ſich alſo auf die Ruhe. Die Einen pflegen derſelben
auf dem Blatte ſelbſt, an einer beliebigen Stelle der Fläche oder lang ausgeſtreckt auf der Mittel-
rippe, oben oder auf der ſchattigen Unterſeite, andere verlaſſen das Blatt und kriechen auf den
benachbarten Stengel, bei Bäumen an den Stamm, zwiſchen die Riſſe der Rinde, oder unter
die Futterpflanze auf die Erde, von den Wurzelblättern jener bedeckt, auch flach unter die
Erde, wie beſonders die an Gras und anderen niedrigen Pflauzen blos im Dunkeln freſſenden
Raupen vieler Nachtſchmetterlinge. Dieſe ziehen mit wenigen Fäden einen Theil des Blattrandes
über ſich und ſitzen in der dadurch gebildeten Höhlung, oder verwandeln das ganze Blatt in eine
Röhre, in welcher ſie mit gleicher Gewandtheit rück- und vorwärts kriechen, um ſich vor feindlichen
Angriffen zu ſchützen; jene wieder kleben zwei Blätter mit ihren Flächen an einander und betten
ſich zwiſchen dieſelben, oder ſie ſpinnen ſich nur ein kleines Seidenpolſter, auf welchem ſie zuſammen-
gelegt ruhen, wie ein Schooßhündlein bei ſeiner Herrin. Jn allen dieſen und anderen Fällen kann
man die verſchiedenſten Stellungen beobachten, welche zum Theil charakteriftiſche Merkmale zur
Unterſcheidung der Arten darbieten: Schlingen- oder Kreisform, gerade und krumme Linie,
täuſchende Aehnlichkeit mit einem dürren Zweig ꝛc. Es gibt aber auch zahlreiche Raupen, welche
ſich für immer unſeren Blicken entziehen, weil ſie entweder im Holze oder in den Stengeln kraut-
artiger Gewächſe, beſonders der Gräſer, in Früchten, Blättern oder Wurzeln leben und das Tages-
licht ſcheuen. Dergleichen Raupen ſehen meiſt bleich, ſchmuzigweiß aus und jede hat wieder ihre
beſondere Art, wie ſie minirt oder bohrt, und verräth dadurch ihre Gegenwart.

Manche Raupen gelten dem gemeinen Manne bei uns, wie jenſeits des Oceans für giftig —
beiſpielsweiſe die Guzanos bravos auf Portorico — und werden darum oft mehr gefürchtet, als
wegen des Schadens, den ſie an Kulturpflanzen aurichten. Giftorgane hat keine Raupe, bei
manchen aber ſind die Haare oder die fleiſchigen, mit beweglichen Seitenäſten reichlich verſehenen
Zapfen hohl, enthalten ſehr concentrirte Ameiſenſäure und neſſeln daher beim Abbrechen der
Spitzen. So haben wenigſtens einige Larven ein Schutzmittel, während auch nicht ein Schmetter-
ling im Stande iſt, ſich zu vertheidigen, ſondern bei drohender Gefahr durch ſeine Schwingen einzig
auf ſchleunige Flucht angewieſen iſt.

Unter mehreren Häntungen, mit welchen häufiger ein Farben- als ein Formenwechſel ver-
bunden iſt, wachſen die Raupen in kürzerer oder längerer Zeit, welche nicht ſelten einen Winter
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als bei jedem andern Jnſekt; denn die einzelnen Glieder hüllen ſich nicht nur in die zarten Häute,

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[293/0315] Raupen der Schmetterlinge. einen Begriff von der unendlichen Mauchfaltigkeit bekommen, welche in Bezug auf die Geſtalt und die äußere Erſcheinung der Raupen überhaupt herrſcht, und begnügen uns jetzt mit dieſen kurzen Andeutungen, nur noch Eins hinzufügend: der Kopf, welchen zwei ſeitliche Hornſchalen zuſammenſetzen, hat vollſtändig entwickelte beißende Mundtheile, an der vordern Ecke jeder Schale eine Gruppe von fünf bis ſechs Aeugelchen und davor einen aus wenigen zapfenartigen Gliedern zuſammengeſetzten Fühler. Auch in Anſehung der Lebensweiſe kommen größere Unterſchiede vor, als man denken ſollte. Die Einen finden ſich immer nur einzeln, weil die Eier vereinzelt wurden, die Anderen für kürzere oder längere Zeit geſellſchaftlich bei einander, mit oder ohne gemeinſames Geſpinnſt, in welchem ſie wohnen. Die meiſten leben auf den Blättern der verſchiedenſten Pflanzen, und außer den Cryptogamen dürfte es wenige geben, an denen nicht wenigſtens eine Raupenart Geſchmack fände; wird doch die Eiche, welche wir ſchon als den Liebling der Gallwespen kennen lernten, von vierzig und etlichen aufgeſucht. Wie ſie ſich auf ihren Blättern einrichten, iſt eine andere Frage, deren Beantwortung je nach der Art ſehr verſchieden ausfällt. Beim Freſſen pflegt eine jede wenigſtens mit dem vordern Körpertheile auf dem Blattrande zu reiten, weil die Schmetterlingsraupen, ſobald ſie die erſten Tage zarter Jugend hinter ſich haben, nur vom Rande her die Blätter abweiden, ſie nicht durchlöchern, wie manche Afterraupen, Käferlarven und die blätterfreſſenden Käfer ſelbſt; daher iſt der Raupenfraß als ſolcher immer leicht zu erkennen. Die Unterſchiede in den Gewohnheiten beziehen ſich alſo auf die Ruhe. Die Einen pflegen derſelben auf dem Blatte ſelbſt, an einer beliebigen Stelle der Fläche oder lang ausgeſtreckt auf der Mittel- rippe, oben oder auf der ſchattigen Unterſeite, andere verlaſſen das Blatt und kriechen auf den benachbarten Stengel, bei Bäumen an den Stamm, zwiſchen die Riſſe der Rinde, oder unter die Futterpflanze auf die Erde, von den Wurzelblättern jener bedeckt, auch flach unter die Erde, wie beſonders die an Gras und anderen niedrigen Pflauzen blos im Dunkeln freſſenden Raupen vieler Nachtſchmetterlinge. Dieſe ziehen mit wenigen Fäden einen Theil des Blattrandes über ſich und ſitzen in der dadurch gebildeten Höhlung, oder verwandeln das ganze Blatt in eine Röhre, in welcher ſie mit gleicher Gewandtheit rück- und vorwärts kriechen, um ſich vor feindlichen Angriffen zu ſchützen; jene wieder kleben zwei Blätter mit ihren Flächen an einander und betten ſich zwiſchen dieſelben, oder ſie ſpinnen ſich nur ein kleines Seidenpolſter, auf welchem ſie zuſammen- gelegt ruhen, wie ein Schooßhündlein bei ſeiner Herrin. Jn allen dieſen und anderen Fällen kann man die verſchiedenſten Stellungen beobachten, welche zum Theil charakteriftiſche Merkmale zur Unterſcheidung der Arten darbieten: Schlingen- oder Kreisform, gerade und krumme Linie, täuſchende Aehnlichkeit mit einem dürren Zweig ꝛc. Es gibt aber auch zahlreiche Raupen, welche ſich für immer unſeren Blicken entziehen, weil ſie entweder im Holze oder in den Stengeln kraut- artiger Gewächſe, beſonders der Gräſer, in Früchten, Blättern oder Wurzeln leben und das Tages- licht ſcheuen. Dergleichen Raupen ſehen meiſt bleich, ſchmuzigweiß aus und jede hat wieder ihre beſondere Art, wie ſie minirt oder bohrt, und verräth dadurch ihre Gegenwart. Manche Raupen gelten dem gemeinen Manne bei uns, wie jenſeits des Oceans für giftig — beiſpielsweiſe die Guzanos bravos auf Portorico — und werden darum oft mehr gefürchtet, als wegen des Schadens, den ſie an Kulturpflanzen aurichten. Giftorgane hat keine Raupe, bei manchen aber ſind die Haare oder die fleiſchigen, mit beweglichen Seitenäſten reichlich verſehenen Zapfen hohl, enthalten ſehr concentrirte Ameiſenſäure und neſſeln daher beim Abbrechen der Spitzen. So haben wenigſtens einige Larven ein Schutzmittel, während auch nicht ein Schmetter- ling im Stande iſt, ſich zu vertheidigen, ſondern bei drohender Gefahr durch ſeine Schwingen einzig auf ſchleunige Flucht angewieſen iſt. Unter mehreren Häntungen, mit welchen häufiger ein Farben- als ein Formenwechſel ver- bunden iſt, wachſen die Raupen in kürzerer oder längerer Zeit, welche nicht ſelten einen Winter in ſich ſchließt, heran und werden reif zur Verpuppung. Die Puppe iſt hier mehr verwahrt, als bei jedem andern Jnſekt; denn die einzelnen Glieder hüllen ſich nicht nur in die zarten Häute,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/315>, abgerufen am 23.11.2024.