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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Fliedermotte. Lärchen-Minirmotte.
Hat sie keinen geeigneten Stengel, so verpuppt sie sich in der etwas zurecht genagten und
zugesponnenen Dolde, wie viele ihrer Gattungsgenossen, oder auch frei an der Erde. Zur Zeit,
in welcher man den Kümmel rauft, sind alle Raupen in den Stengeln verpuppt, einzelne
Schmetterlinge schon ausgeschlüpft. Jn den ersten Tagen des Juni erhielt ich bereits dergleichen
aus zerbohrten Stengeln, welche ich eingetragen hatte. Jn einem andern Jahre traf ich dagegen
am 13. August noch Raupen und Puppen in den Stengeln der Oenanthe aquatica und erzog
aus letzteren nach zwei Tagen die ersten Schmetterlinge. So können die Entwickelungszeiten in
verschiedenen Jahren und an verschiedenen Futterpflanzen aus einander gehen; denn diese Erfah-
rungen möchten schwerlich zu der Annahme von zwei Generationen berechtigen.

Vor mehreren Jahren fiel mir die Verunstaltung der Blätter an den Syringen in den
städtischen Promenaden auf, und nachdem ich den Urheber kennen gelernt und in seinem Treiben
beobachtet hatte, lese ich in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, daß auch dort die öffent-
lichen Anlagen und die Privatgärten in gleicher Weise seit längerer Zeit verunstaltet werden; denn
sicher ist es nur Verunstaltung zu nennen, wenn die überwiegende Anzahl der Blätter eines
Baumes oder Strauches nicht ihre natürliche Gestalt und Farbe hat, sondern eingerollt, zerfressen
und schließlich gebräunt [er]scheint. Das winzige Räupchen der eben so winzigen Gracilaria syrin-
gella
beleidigt hier so ganz entschieden das Auge. Das sechzehnfüßige, lichtgrüne Wesen mit
braunem Kopfe lebt in Gesellschaften bis zu zwanzig, nicht nur an den Blättern des gemeinen
und persischen Flieders, sondern auch an denen der Esche (Fraxinus excelsior), des Pfaffenhütchens
(Evonymus europaeus), der Rainweide (Ligustrum vulgare) und noch einiger anderen Sträucher.
Sie nagen zunächst die Oberhaut weg, dann das darunter befindliche Blattfleisch, die Haut der
Unterseite bleibt immer stehen und bräunt sich allmälig. Nach der ersten Häutung verlassen sie
die Mine des Nachts und bewirken durch gezogene Fäden, daß sich die ausgefressene Blattspitze
aufzieht und allmälig aufrollt. So treiben sie es allnächtlich, kriechen am Tage wieder in die Rolle
und verzehren die Blattsubstanz mit Ausnahme der untern Haut. Zwischen je zehn oder zwölf
Tagen häuten sie sich, und zwar dreimal, hierauf suchen sie sich ein frisches Blatt, behandeln es
wie das frühere und lassen sich nach der gleichen Zeit herab, um in der Erde die Verpuppung
in einem sehr dünnen Cocon zu bestehen. Die gelbbraune, spindelförmige Puppe endigt stumpf,
die Scheiden ihrer Fühler und Hinterbeine reichen bis zur Spitze, letztere nicht genau so weit; sie
liefert in vierzehn Tagen den Schmetterling, Ende Juni, Anfangs Juli. Gegen Abend fliegen
diese um die Futterpflanze, um sich zu paaren, und sofort wird der Grund zu einer zweiten Brut
gelegt, deren Raupen es vorzugsweise sind, welche die oben geschilderten Verunglimpfungen
vornehmen; sie gelaugen vor Wintersanfang bis zur Verpuppung. Jm nächsten April und Mai
fliegen ihre Schmetterlinge aus. Jedes Weibchen kann durchschnittlich hundert Eier legen. Der
zierliche Falter sieht staubgrau aus und hat ungemein lange, gleichgefärbte Fransen an seinen
Flügeln, besonders am Jnnenwinkel der vorderen, die wie ein hoher Kamm hervortreten, wenn
sie in der Ruhelage dachartig den Leib verstecken. Die Vorderflügel erscheinen gescheckt durch sechs
silberweiße Querbinden, deren drei hinterste feiner und unvollständiger sind, als die vorderen.
Die grau und weiß geringelten Fühler erreichen die Länge der Vorderflügel, die anliegend beschuppten
und daher dünnen Lippentaster stehen schwertförmig vor dem glatten, runden Kopfe, ihr Endglied
spitzt sich zu und bildet die Hälfte ihrer ganzen Länge; Rollzunge und Kiefertaster sind deutlich.
Eine interessante Stellung nimmt das Mottchen am Tage ein, wenn es schläft. Der Körper
ist schräg aufgerichtet und ruht auf den beiden langen Vorderbeinen, deren Kniee in einer
Fluchtlinie mit der Stirn liegen, die Tarsen greifen weiter hinten Platz, von den anderen Beinen
sieht man nichts, weil sie sich zwischen Leib und Flügel verbergen, an deren Fläche nach außen
angedrückt der geringelte Fühlerfaden in schnurgerader Linie nach hinten zieht. Die Flügelspannung
beträgt fünf Linien und wenig mehr.

Fliedermotte. Lärchen-Minirmotte.
Hat ſie keinen geeigneten Stengel, ſo verpuppt ſie ſich in der etwas zurecht genagten und
zugeſponnenen Dolde, wie viele ihrer Gattungsgenoſſen, oder auch frei an der Erde. Zur Zeit,
in welcher man den Kümmel rauft, ſind alle Raupen in den Stengeln verpuppt, einzelne
Schmetterlinge ſchon ausgeſchlüpft. Jn den erſten Tagen des Juni erhielt ich bereits dergleichen
aus zerbohrten Stengeln, welche ich eingetragen hatte. Jn einem andern Jahre traf ich dagegen
am 13. Auguſt noch Raupen und Puppen in den Stengeln der Oenanthe aquatica und erzog
aus letzteren nach zwei Tagen die erſten Schmetterlinge. So können die Entwickelungszeiten in
verſchiedenen Jahren und an verſchiedenen Futterpflanzen aus einander gehen; denn dieſe Erfah-
rungen möchten ſchwerlich zu der Annahme von zwei Generationen berechtigen.

Vor mehreren Jahren fiel mir die Verunſtaltung der Blätter an den Syringen in den
ſtädtiſchen Promenaden auf, und nachdem ich den Urheber kennen gelernt und in ſeinem Treiben
beobachtet hatte, leſe ich in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, daß auch dort die öffent-
lichen Anlagen und die Privatgärten in gleicher Weiſe ſeit längerer Zeit verunſtaltet werden; denn
ſicher iſt es nur Verunſtaltung zu nennen, wenn die überwiegende Anzahl der Blätter eines
Baumes oder Strauches nicht ihre natürliche Geſtalt und Farbe hat, ſondern eingerollt, zerfreſſen
und ſchließlich gebräunt [er]ſcheint. Das winzige Räupchen der eben ſo winzigen Gracilaria syrin-
gella
beleidigt hier ſo ganz entſchieden das Auge. Das ſechzehnfüßige, lichtgrüne Weſen mit
braunem Kopfe lebt in Geſellſchaften bis zu zwanzig, nicht nur an den Blättern des gemeinen
und perſiſchen Flieders, ſondern auch an denen der Eſche (Fraxinus excelsior), des Pfaffenhütchens
(Evonymus europaeus), der Rainweide (Ligustrum vulgare) und noch einiger anderen Sträucher.
Sie nagen zunächſt die Oberhaut weg, dann das darunter befindliche Blattfleiſch, die Haut der
Unterſeite bleibt immer ſtehen und bräunt ſich allmälig. Nach der erſten Häutung verlaſſen ſie
die Mine des Nachts und bewirken durch gezogene Fäden, daß ſich die ausgefreſſene Blattſpitze
aufzieht und allmälig aufrollt. So treiben ſie es allnächtlich, kriechen am Tage wieder in die Rolle
und verzehren die Blattſubſtanz mit Ausnahme der untern Haut. Zwiſchen je zehn oder zwölf
Tagen häuten ſie ſich, und zwar dreimal, hierauf ſuchen ſie ſich ein friſches Blatt, behandeln es
wie das frühere und laſſen ſich nach der gleichen Zeit herab, um in der Erde die Verpuppung
in einem ſehr dünnen Cocon zu beſtehen. Die gelbbraune, ſpindelförmige Puppe endigt ſtumpf,
die Scheiden ihrer Fühler und Hinterbeine reichen bis zur Spitze, letztere nicht genau ſo weit; ſie
liefert in vierzehn Tagen den Schmetterling, Ende Juni, Anfangs Juli. Gegen Abend fliegen
dieſe um die Futterpflanze, um ſich zu paaren, und ſofort wird der Grund zu einer zweiten Brut
gelegt, deren Raupen es vorzugsweiſe ſind, welche die oben geſchilderten Verunglimpfungen
vornehmen; ſie gelaugen vor Wintersanfang bis zur Verpuppung. Jm nächſten April und Mai
fliegen ihre Schmetterlinge aus. Jedes Weibchen kann durchſchnittlich hundert Eier legen. Der
zierliche Falter ſieht ſtaubgrau aus und hat ungemein lange, gleichgefärbte Franſen an ſeinen
Flügeln, beſonders am Jnnenwinkel der vorderen, die wie ein hoher Kamm hervortreten, wenn
ſie in der Ruhelage dachartig den Leib verſtecken. Die Vorderflügel erſcheinen geſcheckt durch ſechs
ſilberweiße Querbinden, deren drei hinterſte feiner und unvollſtändiger ſind, als die vorderen.
Die grau und weiß geringelten Fühler erreichen die Länge der Vorderflügel, die anliegend beſchuppten
und daher dünnen Lippentaſter ſtehen ſchwertförmig vor dem glatten, runden Kopfe, ihr Endglied
ſpitzt ſich zu und bildet die Hälfte ihrer ganzen Länge; Rollzunge und Kiefertaſter ſind deutlich.
Eine intereſſante Stellung nimmt das Mottchen am Tage ein, wenn es ſchläft. Der Körper
iſt ſchräg aufgerichtet und ruht auf den beiden langen Vorderbeinen, deren Kniee in einer
Fluchtlinie mit der Stirn liegen, die Tarſen greifen weiter hinten Platz, von den anderen Beinen
ſieht man nichts, weil ſie ſich zwiſchen Leib und Flügel verbergen, an deren Fläche nach außen
angedrückt der geringelte Fühlerfaden in ſchnurgerader Linie nach hinten zieht. Die Flügelſpannung
beträgt fünf Linien und wenig mehr.

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[373/0397] Fliedermotte. Lärchen-Minirmotte. Hat ſie keinen geeigneten Stengel, ſo verpuppt ſie ſich in der etwas zurecht genagten und zugeſponnenen Dolde, wie viele ihrer Gattungsgenoſſen, oder auch frei an der Erde. Zur Zeit, in welcher man den Kümmel rauft, ſind alle Raupen in den Stengeln verpuppt, einzelne Schmetterlinge ſchon ausgeſchlüpft. Jn den erſten Tagen des Juni erhielt ich bereits dergleichen aus zerbohrten Stengeln, welche ich eingetragen hatte. Jn einem andern Jahre traf ich dagegen am 13. Auguſt noch Raupen und Puppen in den Stengeln der Oenanthe aquatica und erzog aus letzteren nach zwei Tagen die erſten Schmetterlinge. So können die Entwickelungszeiten in verſchiedenen Jahren und an verſchiedenen Futterpflanzen aus einander gehen; denn dieſe Erfah- rungen möchten ſchwerlich zu der Annahme von zwei Generationen berechtigen. Vor mehreren Jahren fiel mir die Verunſtaltung der Blätter an den Syringen in den ſtädtiſchen Promenaden auf, und nachdem ich den Urheber kennen gelernt und in ſeinem Treiben beobachtet hatte, leſe ich in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, daß auch dort die öffent- lichen Anlagen und die Privatgärten in gleicher Weiſe ſeit längerer Zeit verunſtaltet werden; denn ſicher iſt es nur Verunſtaltung zu nennen, wenn die überwiegende Anzahl der Blätter eines Baumes oder Strauches nicht ihre natürliche Geſtalt und Farbe hat, ſondern eingerollt, zerfreſſen und ſchließlich gebräunt erſcheint. Das winzige Räupchen der eben ſo winzigen Gracilaria syrin- gella beleidigt hier ſo ganz entſchieden das Auge. Das ſechzehnfüßige, lichtgrüne Weſen mit braunem Kopfe lebt in Geſellſchaften bis zu zwanzig, nicht nur an den Blättern des gemeinen und perſiſchen Flieders, ſondern auch an denen der Eſche (Fraxinus excelsior), des Pfaffenhütchens (Evonymus europaeus), der Rainweide (Ligustrum vulgare) und noch einiger anderen Sträucher. Sie nagen zunächſt die Oberhaut weg, dann das darunter befindliche Blattfleiſch, die Haut der Unterſeite bleibt immer ſtehen und bräunt ſich allmälig. Nach der erſten Häutung verlaſſen ſie die Mine des Nachts und bewirken durch gezogene Fäden, daß ſich die ausgefreſſene Blattſpitze aufzieht und allmälig aufrollt. So treiben ſie es allnächtlich, kriechen am Tage wieder in die Rolle und verzehren die Blattſubſtanz mit Ausnahme der untern Haut. Zwiſchen je zehn oder zwölf Tagen häuten ſie ſich, und zwar dreimal, hierauf ſuchen ſie ſich ein friſches Blatt, behandeln es wie das frühere und laſſen ſich nach der gleichen Zeit herab, um in der Erde die Verpuppung in einem ſehr dünnen Cocon zu beſtehen. Die gelbbraune, ſpindelförmige Puppe endigt ſtumpf, die Scheiden ihrer Fühler und Hinterbeine reichen bis zur Spitze, letztere nicht genau ſo weit; ſie liefert in vierzehn Tagen den Schmetterling, Ende Juni, Anfangs Juli. Gegen Abend fliegen dieſe um die Futterpflanze, um ſich zu paaren, und ſofort wird der Grund zu einer zweiten Brut gelegt, deren Raupen es vorzugsweiſe ſind, welche die oben geſchilderten Verunglimpfungen vornehmen; ſie gelaugen vor Wintersanfang bis zur Verpuppung. Jm nächſten April und Mai fliegen ihre Schmetterlinge aus. Jedes Weibchen kann durchſchnittlich hundert Eier legen. Der zierliche Falter ſieht ſtaubgrau aus und hat ungemein lange, gleichgefärbte Franſen an ſeinen Flügeln, beſonders am Jnnenwinkel der vorderen, die wie ein hoher Kamm hervortreten, wenn ſie in der Ruhelage dachartig den Leib verſtecken. Die Vorderflügel erſcheinen geſcheckt durch ſechs ſilberweiße Querbinden, deren drei hinterſte feiner und unvollſtändiger ſind, als die vorderen. Die grau und weiß geringelten Fühler erreichen die Länge der Vorderflügel, die anliegend beſchuppten und daher dünnen Lippentaſter ſtehen ſchwertförmig vor dem glatten, runden Kopfe, ihr Endglied ſpitzt ſich zu und bildet die Hälfte ihrer ganzen Länge; Rollzunge und Kiefertaſter ſind deutlich. Eine intereſſante Stellung nimmt das Mottchen am Tage ein, wenn es ſchläft. Der Körper iſt ſchräg aufgerichtet und ruht auf den beiden langen Vorderbeinen, deren Kniee in einer Fluchtlinie mit der Stirn liegen, die Tarſen greifen weiter hinten Platz, von den anderen Beinen ſieht man nichts, weil ſie ſich zwiſchen Leib und Flügel verbergen, an deren Fläche nach außen angedrückt der geringelte Fühlerfaden in ſchnurgerader Linie nach hinten zieht. Die Flügelſpannung beträgt fünf Linien und wenig mehr.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/397>, abgerufen am 23.11.2024.