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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Drehflügler.
durch wenige Fäden unter Steinen fest. Wenn die verschiedenen Arten im Einzelnen auch von
einander abweichen, so finden sich bei ihnen allen die Freßwerkzeuge, besonders die Kinnbacken ent-
wickelter als nachher bei der Fliege, ihre Fühler sind klein oder fehlen gänzlich, auch die Augen
lassen sich schwer erkennen. Die sieben ersten, weißen und weichen Hinterleibsglieder oder eben
so viele vom zweiten ab tragen bei den meisten jederseits zwei bis fünf anliegende oder abstehende
Kiemenfäden oder Kiemenbüschel als Werkzeuge zum Athmen. Sie häuten sich während des
Wachsthums mehrere Male und arbeiten dabei gewiß das alle Gehäuse nur um, wenn erweiterter
Ansatz am Rande ihnen nicht den nöthigen Raum verschaffen kann; daß sie ein ganz neues
anfertigen, wie Rösel meint, ist kaum denkbar. Bald nach dem Erwachen im Frühjahre sind
die Larven erwachsen, und vom Mai an erscheinen die Köcherfliegen. Jene spinnen sich dann
an eine Wasserpflanze fest und beide Oeffnungen des Gehäuses zu, manche sollen sogar noch
ein besonderes Cocon anfertigen. Schon nach wenigen Wochen entläßt die gemeiselte Puppe
das geflügelte Wesen. Die befruchteten Weibchen legen die Eier als Gallertklümpchen an Wasser-
pflanzen und andere dem Wasser zunächst stehende Gegenstände. Man sollte meinen, die Larven
der Wassermotten wenigstens wären vor den feindlichen Nachstellungen der Schlupfwespen gesichert.
Dem ist aber nicht so, wie die überraschende Entdeckung von Siebold's bewiesen hat, daß einige
der Gattung Aspatherium angehörige Phryganiden, welche ein walziges glattes Haus bewohnen,
von dem höchst interessanten Agriotypus armatus heimgesucht werden. Das Weibchen dieses kleinen
Schmarotzers taucht unter Wasser, verweilt längere Zeit darunter, um mittelst seines kurzen
Bohrers die Eier der Larve einzuverleiben. Diese entledigt sich vor ihrem Absterben im erwachsenen
Alter des Spinnstoffes, welcher in Form eines langen Bandes aus dem Kopfende des Gehäuses
hervordringt und dadurch zum Verräther jeder angestochenen Larve wird.

Obschon die Phryganeen in allen Erdtheilen vertreten sind, so herrschen sie doch in den
gemäßigten Gürteln vor.



Mehr anhangsweise, als unter Annahme unzweifelhafter Verwandtschaft sei an dieser Stelle
der eigenthümlichsten aller Schmarotzerkerfe, der Fächer- oder Drehflügler (Strepsiptera,
Rhipiptera, Stylopidae
) gedacht, über deren Stellung im Systeme sich die Gelehrten noch nicht
einigen konnten. Die Einen, besonders die Engländer wollen sie zu einer besonderen Ordnung
erhoben wissen, Andere, darunter auch neuerdings Lacordaire, rechnen sie zu den Käfern, wieder
Andere, wie A. Gerstäcker, behaupten, es dürfe ihnen nirgends anders als hier bei den Netz-
flüglern ein Platz eingeräumt werden.

Die Strepsipteren wurden lange Zeit nur von den Engländern der näheren Betrachtung
gewürdigt, bis ihnen von Siebold unter den Deutschen vor nun länger als einem Vierteljahr-
hundert seine besondere Aufmerksamkeit schenkte, ihr Wesen mit Eifer studirte und manche den
Forschern bis dahin entgangene Wahrheit aufdeckte. Die männlichen Puppen oder die lange ver-
kannten wurmförmigen Weibchen, welche sich beide mit dem Kopfbruststücke (Kephalothorax) zwischen
zwei Hinterleibsgliedern gewisser Hautflügler herausbohren, führten zuerst zu der Entdeckung dieser
interessanten Kerse. Bei Andrena, Halictus, Vespa, Odynerus, Polistes, Sphex und Pelopoeus fand
man vorzugsweise die Spuren jener Schmarotzer, einen, höchstens zwei an einem Jndividuum,
welches deshalb auch "stylopisirt" genannt wird. Acht bis zehn Tage später, als sich die reife
männliche Larve aus dem Hinterleibe des Wohnthieres theilweise herausbohrte, um zur Puppe
zu werden, an welcher das Kopfbruststück eine hornige Beschaffenheit annimmt und schwarz wird,
unter Beibehaltung seiner früheren Form, hebt sich der vordere Theil wie ein Deckelchen ab und
das neugeborne Männchen kommt zum Vorschein. Jhm sind nur wenige Stunden Lebenszeit ver-
gönnt, welche auf das Begattungsgeschäft verwendet werden. Während dieser kurzen Frist befindet

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Drehflügler.
durch wenige Fäden unter Steinen feſt. Wenn die verſchiedenen Arten im Einzelnen auch von
einander abweichen, ſo finden ſich bei ihnen allen die Freßwerkzeuge, beſonders die Kinnbacken ent-
wickelter als nachher bei der Fliege, ihre Fühler ſind klein oder fehlen gänzlich, auch die Augen
laſſen ſich ſchwer erkennen. Die ſieben erſten, weißen und weichen Hinterleibsglieder oder eben
ſo viele vom zweiten ab tragen bei den meiſten jederſeits zwei bis fünf anliegende oder abſtehende
Kiemenfäden oder Kiemenbüſchel als Werkzeuge zum Athmen. Sie häuten ſich während des
Wachsthums mehrere Male und arbeiten dabei gewiß das alle Gehäuſe nur um, wenn erweiterter
Anſatz am Rande ihnen nicht den nöthigen Raum verſchaffen kann; daß ſie ein ganz neues
anfertigen, wie Röſel meint, iſt kaum denkbar. Bald nach dem Erwachen im Frühjahre ſind
die Larven erwachſen, und vom Mai an erſcheinen die Köcherfliegen. Jene ſpinnen ſich dann
an eine Waſſerpflanze feſt und beide Oeffnungen des Gehäuſes zu, manche ſollen ſogar noch
ein beſonderes Cocon anfertigen. Schon nach wenigen Wochen entläßt die gemeiſelte Puppe
das geflügelte Weſen. Die befruchteten Weibchen legen die Eier als Gallertklümpchen an Waſſer-
pflanzen und andere dem Waſſer zunächſt ſtehende Gegenſtände. Man ſollte meinen, die Larven
der Waſſermotten wenigſtens wären vor den feindlichen Nachſtellungen der Schlupfwespen geſichert.
Dem iſt aber nicht ſo, wie die überraſchende Entdeckung von Siebold’s bewieſen hat, daß einige
der Gattung Aspatherium angehörige Phryganiden, welche ein walziges glattes Haus bewohnen,
von dem höchſt intereſſanten Agriotypus armatus heimgeſucht werden. Das Weibchen dieſes kleinen
Schmarotzers taucht unter Waſſer, verweilt längere Zeit darunter, um mittelſt ſeines kurzen
Bohrers die Eier der Larve einzuverleiben. Dieſe entledigt ſich vor ihrem Abſterben im erwachſenen
Alter des Spinnſtoffes, welcher in Form eines langen Bandes aus dem Kopfende des Gehäuſes
hervordringt und dadurch zum Verräther jeder angeſtochenen Larve wird.

Obſchon die Phryganeen in allen Erdtheilen vertreten ſind, ſo herrſchen ſie doch in den
gemäßigten Gürteln vor.



Mehr anhangsweiſe, als unter Annahme unzweifelhafter Verwandtſchaft ſei an dieſer Stelle
der eigenthümlichſten aller Schmarotzerkerfe, der Fächer- oder Drehflügler (Strepsiptera,
Rhipiptera, Stylopidae
) gedacht, über deren Stellung im Syſteme ſich die Gelehrten noch nicht
einigen konnten. Die Einen, beſonders die Engländer wollen ſie zu einer beſonderen Ordnung
erhoben wiſſen, Andere, darunter auch neuerdings Lacordaire, rechnen ſie zu den Käfern, wieder
Andere, wie A. Gerſtäcker, behaupten, es dürfe ihnen nirgends anders als hier bei den Netz-
flüglern ein Platz eingeräumt werden.

Die Strepſipteren wurden lange Zeit nur von den Engländern der näheren Betrachtung
gewürdigt, bis ihnen von Siebold unter den Deutſchen vor nun länger als einem Vierteljahr-
hundert ſeine beſondere Aufmerkſamkeit ſchenkte, ihr Weſen mit Eifer ſtudirte und manche den
Forſchern bis dahin entgangene Wahrheit aufdeckte. Die männlichen Puppen oder die lange ver-
kannten wurmförmigen Weibchen, welche ſich beide mit dem Kopfbruſtſtücke (Kephalothorax) zwiſchen
zwei Hinterleibsgliedern gewiſſer Hautflügler herausbohren, führten zuerſt zu der Entdeckung dieſer
intereſſanten Kerſe. Bei Andrena, Halictus, Vespa, Odynerus, Polistes, Sphex und Pelopoeus fand
man vorzugsweiſe die Spuren jener Schmarotzer, einen, höchſtens zwei an einem Jndividuum,
welches deshalb auch „ſtylopiſirt“ genannt wird. Acht bis zehn Tage ſpäter, als ſich die reife
männliche Larve aus dem Hinterleibe des Wohnthieres theilweiſe herausbohrte, um zur Puppe
zu werden, an welcher das Kopfbruſtſtück eine hornige Beſchaffenheit annimmt und ſchwarz wird,
unter Beibehaltung ſeiner früheren Form, hebt ſich der vordere Theil wie ein Deckelchen ab und
das neugeborne Männchen kommt zum Vorſchein. Jhm ſind nur wenige Stunden Lebenszeit ver-
gönnt, welche auf das Begattungsgeſchäft verwendet werden. Während dieſer kurzen Friſt befindet

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[435/0463] Drehflügler. durch wenige Fäden unter Steinen feſt. Wenn die verſchiedenen Arten im Einzelnen auch von einander abweichen, ſo finden ſich bei ihnen allen die Freßwerkzeuge, beſonders die Kinnbacken ent- wickelter als nachher bei der Fliege, ihre Fühler ſind klein oder fehlen gänzlich, auch die Augen laſſen ſich ſchwer erkennen. Die ſieben erſten, weißen und weichen Hinterleibsglieder oder eben ſo viele vom zweiten ab tragen bei den meiſten jederſeits zwei bis fünf anliegende oder abſtehende Kiemenfäden oder Kiemenbüſchel als Werkzeuge zum Athmen. Sie häuten ſich während des Wachsthums mehrere Male und arbeiten dabei gewiß das alle Gehäuſe nur um, wenn erweiterter Anſatz am Rande ihnen nicht den nöthigen Raum verſchaffen kann; daß ſie ein ganz neues anfertigen, wie Röſel meint, iſt kaum denkbar. Bald nach dem Erwachen im Frühjahre ſind die Larven erwachſen, und vom Mai an erſcheinen die Köcherfliegen. Jene ſpinnen ſich dann an eine Waſſerpflanze feſt und beide Oeffnungen des Gehäuſes zu, manche ſollen ſogar noch ein beſonderes Cocon anfertigen. Schon nach wenigen Wochen entläßt die gemeiſelte Puppe das geflügelte Weſen. Die befruchteten Weibchen legen die Eier als Gallertklümpchen an Waſſer- pflanzen und andere dem Waſſer zunächſt ſtehende Gegenſtände. Man ſollte meinen, die Larven der Waſſermotten wenigſtens wären vor den feindlichen Nachſtellungen der Schlupfwespen geſichert. Dem iſt aber nicht ſo, wie die überraſchende Entdeckung von Siebold’s bewieſen hat, daß einige der Gattung Aspatherium angehörige Phryganiden, welche ein walziges glattes Haus bewohnen, von dem höchſt intereſſanten Agriotypus armatus heimgeſucht werden. Das Weibchen dieſes kleinen Schmarotzers taucht unter Waſſer, verweilt längere Zeit darunter, um mittelſt ſeines kurzen Bohrers die Eier der Larve einzuverleiben. Dieſe entledigt ſich vor ihrem Abſterben im erwachſenen Alter des Spinnſtoffes, welcher in Form eines langen Bandes aus dem Kopfende des Gehäuſes hervordringt und dadurch zum Verräther jeder angeſtochenen Larve wird. Obſchon die Phryganeen in allen Erdtheilen vertreten ſind, ſo herrſchen ſie doch in den gemäßigten Gürteln vor. Mehr anhangsweiſe, als unter Annahme unzweifelhafter Verwandtſchaft ſei an dieſer Stelle der eigenthümlichſten aller Schmarotzerkerfe, der Fächer- oder Drehflügler (Strepsiptera, Rhipiptera, Stylopidae) gedacht, über deren Stellung im Syſteme ſich die Gelehrten noch nicht einigen konnten. Die Einen, beſonders die Engländer wollen ſie zu einer beſonderen Ordnung erhoben wiſſen, Andere, darunter auch neuerdings Lacordaire, rechnen ſie zu den Käfern, wieder Andere, wie A. Gerſtäcker, behaupten, es dürfe ihnen nirgends anders als hier bei den Netz- flüglern ein Platz eingeräumt werden. Die Strepſipteren wurden lange Zeit nur von den Engländern der näheren Betrachtung gewürdigt, bis ihnen von Siebold unter den Deutſchen vor nun länger als einem Vierteljahr- hundert ſeine beſondere Aufmerkſamkeit ſchenkte, ihr Weſen mit Eifer ſtudirte und manche den Forſchern bis dahin entgangene Wahrheit aufdeckte. Die männlichen Puppen oder die lange ver- kannten wurmförmigen Weibchen, welche ſich beide mit dem Kopfbruſtſtücke (Kephalothorax) zwiſchen zwei Hinterleibsgliedern gewiſſer Hautflügler herausbohren, führten zuerſt zu der Entdeckung dieſer intereſſanten Kerſe. Bei Andrena, Halictus, Vespa, Odynerus, Polistes, Sphex und Pelopoeus fand man vorzugsweiſe die Spuren jener Schmarotzer, einen, höchſtens zwei an einem Jndividuum, welches deshalb auch „ſtylopiſirt“ genannt wird. Acht bis zehn Tage ſpäter, als ſich die reife männliche Larve aus dem Hinterleibe des Wohnthieres theilweiſe herausbohrte, um zur Puppe zu werden, an welcher das Kopfbruſtſtück eine hornige Beſchaffenheit annimmt und ſchwarz wird, unter Beibehaltung ſeiner früheren Form, hebt ſich der vordere Theil wie ein Deckelchen ab und das neugeborne Männchen kommt zum Vorſchein. Jhm ſind nur wenige Stunden Lebenszeit ver- gönnt, welche auf das Begattungsgeſchäft verwendet werden. Während dieſer kurzen Friſt befindet 28*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/463>, abgerufen am 23.11.2024.