Gemeiner Vielfuß, platte Randassel, deutsche Saugassel.
durch längere Fühler und Beine, bewegliche Fußplatten und noch andere Merkmale von jenen ver- schiedene Arten wurden neuerdings unter mehrere Gattungen vertheilt.
Eine wesentlich andere Körperform erhalten die Randasseln (Polydesmus) dadurch, daß die Ringe, welche in der beschränkteren Anzahl von 20 aufzutreten pflegen, in Folge seitlicher, platten- artiger Ausbreitungen und Kanten den drehrunden Umriß aufgeben und daß die Beine nicht in der Mittellinie des Bauches zusammenstoßen, mithin auch an den Körperseiten deutlicher sichtbar werden. Gervais beobachtete neugeborne Jndividuen der platten Randassel (P. complanatus), ohne jedoch das Ausschlüpfen aus dem Eie mit angesehen zu haben; sie zeigten einschließlich des Kopfes und Afters sieben Glieder und sechs Beine. Drei Wochen später hatte das eine von ihnen zehn Ringe, acht ohne Kopf und After-
[Abbildung]
Die platte Randassel (Polydesmus complanatus).
glied und, statt der frühern drei, sechs Fußpaare, je eins am ersten zweiten und dritten, ein viertes und fünftes am folgenden und das sechste und zwar kegelförmige am darauf fol- genden Gliede. Er hielt dieses Jndividuum für ein Männchen, weil ein Weib- chen an diesem Gliede gleichfalls zwei Paare ge- tragen haben würde; dort aber waren die Ruthen noch nicht entwickelt. Die erwachsene platte Randassel, welche die Abbildung in starker Vergrößerung vergegenwärtigt, hat an dem ersten und den beiden letzten Körperringen keine Beine, an jedem der drei auf den ersten folgenden Ringe je ein Paar, weiterhin zwei Paare und keine Augen. Die plattenartig heraustretenden Seiten der Ringe sind vorn gerundet, hinten geeckt, die vorletzte tritt in einem stumpfen Mittelzahne etwas über das Afterglied hinaus und die bräunlich schiefergraue Oberfläche aller erscheint durch schwache, punktartige Erhebungen etwas uneben. Diese Randassel findet sich überall in Europa unter seuchtem Laube, Steinen, hinter Baumrinde, mitunter an saftigen Wurzeln, wie Möhren, fressend, und wickelt sich, wie die Julus-Arten, gleich einer Uhrfeder auf, wenn sie in ihrem Versteck gestört wird. Die Gattung ist reich an Arten, welche in den heißen Ländern zum Theil beträchtliche Größe erlangen, sich durch die Gestalt des Plattenrandes, die Spitze des vorletzten Rückensegments und so manches andere untergeordnete Merkmal von einander unterscheiden, und neuerdings zahlreichen Untergattungen zugetheilt worden sind.
Einige interessante Tausendfüßler unterscheiden sich von allen andern durch das kegelförmige Kopfschild, welches in Verbindung mit den verwachsenen Mundtheilen eine Saugröhre bildet, und wurden deshalb unter dem Namen der "Saugasseln" als besondere Familie abgeschieden. Die einzige bisher in Europa, in Deutschland, Frankreich, Polen und in dem Kaukasus beobachtete deutsche Saugassel (Polyzonium germanicum) erreicht nur einen halben Zoll in der Länge, ist etwas platt gedrückt, ungefähr fünfziggliederig und sehr weich, oberhalb glatt und hell rost- farben, unterhalb weißlich. Die Körperringe, welche mit Ausnahme der drei ersten einpaarfüßigen und der drei letzten fußlosen, je zwei Paare von Beinen tragen, stellen im Querschnitte keinen
durch längere Fühler und Beine, bewegliche Fußplatten und noch andere Merkmale von jenen ver- ſchiedene Arten wurden neuerdings unter mehrere Gattungen vertheilt.
Eine weſentlich andere Körperform erhalten die Randaſſeln (Polydesmus) dadurch, daß die Ringe, welche in der beſchränkteren Anzahl von 20 aufzutreten pflegen, in Folge ſeitlicher, platten- artiger Ausbreitungen und Kanten den drehrunden Umriß aufgeben und daß die Beine nicht in der Mittellinie des Bauches zuſammenſtoßen, mithin auch an den Körperſeiten deutlicher ſichtbar werden. Gervais beobachtete neugeborne Jndividuen der platten Randaſſel (P. complanatus), ohne jedoch das Ausſchlüpfen aus dem Eie mit angeſehen zu haben; ſie zeigten einſchließlich des Kopfes und Afters ſieben Glieder und ſechs Beine. Drei Wochen ſpäter hatte das eine von ihnen zehn Ringe, acht ohne Kopf und After-
[Abbildung]
Die platte Randaſſel (Polydesmus complanatus).
glied und, ſtatt der frühern drei, ſechs Fußpaare, je eins am erſten zweiten und dritten, ein viertes und fünftes am folgenden und das ſechſte und zwar kegelförmige am darauf fol- genden Gliede. Er hielt dieſes Jndividuum für ein Männchen, weil ein Weib- chen an dieſem Gliede gleichfalls zwei Paare ge- tragen haben würde; dort aber waren die Ruthen noch nicht entwickelt. Die erwachſene platte Randaſſel, welche die Abbildung in ſtarker Vergrößerung vergegenwärtigt, hat an dem erſten und den beiden letzten Körperringen keine Beine, an jedem der drei auf den erſten folgenden Ringe je ein Paar, weiterhin zwei Paare und keine Augen. Die plattenartig heraustretenden Seiten der Ringe ſind vorn gerundet, hinten geeckt, die vorletzte tritt in einem ſtumpfen Mittelzahne etwas über das Afterglied hinaus und die bräunlich ſchiefergraue Oberfläche aller erſcheint durch ſchwache, punktartige Erhebungen etwas uneben. Dieſe Randaſſel findet ſich überall in Europa unter ſeuchtem Laube, Steinen, hinter Baumrinde, mitunter an ſaftigen Wurzeln, wie Möhren, freſſend, und wickelt ſich, wie die Julus-Arten, gleich einer Uhrfeder auf, wenn ſie in ihrem Verſteck geſtört wird. Die Gattung iſt reich an Arten, welche in den heißen Ländern zum Theil beträchtliche Größe erlangen, ſich durch die Geſtalt des Plattenrandes, die Spitze des vorletzten Rückenſegments und ſo manches andere untergeordnete Merkmal von einander unterſcheiden, und neuerdings zahlreichen Untergattungen zugetheilt worden ſind.
Einige intereſſante Tauſendfüßler unterſcheiden ſich von allen andern durch das kegelförmige Kopfſchild, welches in Verbindung mit den verwachſenen Mundtheilen eine Saugröhre bildet, und wurden deshalb unter dem Namen der „Saugaſſeln“ als beſondere Familie abgeſchieden. Die einzige bisher in Europa, in Deutſchland, Frankreich, Polen und in dem Kaukaſus beobachtete deutſche Saugaſſel (Polyzonium germanicum) erreicht nur einen halben Zoll in der Länge, iſt etwas platt gedrückt, ungefähr fünfziggliederig und ſehr weich, oberhalb glatt und hell roſt- farben, unterhalb weißlich. Die Körperringe, welche mit Ausnahme der drei erſten einpaarfüßigen und der drei letzten fußloſen, je zwei Paare von Beinen tragen, ſtellen im Querſchnitte keinen
<TEI><text><body><floatingText><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0587"n="551"/><fwplace="top"type="header">Gemeiner Vielfuß, platte Randaſſel, deutſche Saugaſſel.</fw><lb/>
durch längere Fühler und Beine, bewegliche Fußplatten und noch andere Merkmale von jenen ver-<lb/>ſchiedene Arten wurden neuerdings unter mehrere Gattungen vertheilt.</p><lb/><p>Eine weſentlich andere Körperform erhalten die <hirendition="#g">Randaſſeln</hi> (<hirendition="#aq">Polydesmus</hi>) dadurch, daß die<lb/>
Ringe, welche in der beſchränkteren Anzahl von 20 aufzutreten pflegen, in Folge ſeitlicher, platten-<lb/>
artiger Ausbreitungen und Kanten den drehrunden Umriß aufgeben und daß die Beine nicht in der<lb/>
Mittellinie des Bauches zuſammenſtoßen, mithin auch an den Körperſeiten deutlicher ſichtbar werden.<lb/><hirendition="#g">Gervais</hi> beobachtete neugeborne Jndividuen der <hirendition="#g">platten Randaſſel</hi> (<hirendition="#aq">P. complanatus</hi>), ohne<lb/>
jedoch das Ausſchlüpfen aus dem Eie mit angeſehen zu haben; ſie zeigten einſchließlich des Kopfes<lb/>
und Afters ſieben Glieder und ſechs Beine. Drei Wochen ſpäter hatte das eine von ihnen zehn Ringe,<lb/>
acht ohne Kopf und After-<lb/><figure><head><hirendition="#c"><hirendition="#g">Die platte Randaſſel</hi> (<hirendition="#aq">Polydesmus<lb/>
complanatus</hi>).</hi></head></figure><lb/>
glied und, ſtatt der frühern<lb/>
drei, ſechs Fußpaare, je<lb/>
eins am erſten zweiten<lb/>
und dritten, ein viertes<lb/>
und fünftes am folgenden<lb/>
und das ſechſte und zwar<lb/>
kegelförmige am darauf fol-<lb/>
genden Gliede. Er hielt<lb/>
dieſes Jndividuum für ein<lb/>
Männchen, weil ein Weib-<lb/>
chen an dieſem Gliede<lb/>
gleichfalls zwei Paare ge-<lb/>
tragen haben würde; dort<lb/>
aber waren die Ruthen noch nicht entwickelt. Die erwachſene platte Randaſſel, welche die Abbildung<lb/>
in ſtarker Vergrößerung vergegenwärtigt, hat an dem erſten und den beiden letzten Körperringen keine<lb/>
Beine, an jedem der drei auf den erſten folgenden Ringe je ein Paar, weiterhin zwei Paare und<lb/>
keine Augen. Die plattenartig heraustretenden Seiten der Ringe ſind vorn gerundet, hinten geeckt,<lb/>
die vorletzte tritt in einem ſtumpfen Mittelzahne etwas über das Afterglied hinaus und die bräunlich<lb/>ſchiefergraue Oberfläche aller erſcheint durch ſchwache, punktartige Erhebungen etwas uneben. Dieſe<lb/>
Randaſſel findet ſich überall in Europa unter ſeuchtem Laube, Steinen, hinter Baumrinde, mitunter<lb/>
an ſaftigen Wurzeln, wie Möhren, freſſend, und wickelt ſich, wie die Julus-Arten, gleich einer<lb/>
Uhrfeder auf, wenn ſie in ihrem Verſteck geſtört wird. Die Gattung iſt reich an Arten, welche in<lb/>
den heißen Ländern zum Theil beträchtliche Größe erlangen, ſich durch die Geſtalt des Plattenrandes,<lb/>
die Spitze des vorletzten Rückenſegments und ſo manches andere untergeordnete Merkmal von<lb/>
einander unterſcheiden, und neuerdings zahlreichen Untergattungen zugetheilt worden ſind.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Einige intereſſante Tauſendfüßler unterſcheiden ſich von allen andern durch das kegelförmige<lb/>
Kopfſchild, welches in Verbindung mit den verwachſenen Mundtheilen eine <hirendition="#g">Saugröhre</hi> bildet,<lb/>
und wurden deshalb unter dem Namen der „Saugaſſeln“ als beſondere Familie abgeſchieden. Die<lb/>
einzige bisher in Europa, in Deutſchland, Frankreich, Polen und in dem Kaukaſus beobachtete<lb/><hirendition="#g">deutſche Saugaſſel</hi> (<hirendition="#aq">Polyzonium germanicum</hi>) erreicht nur einen halben Zoll in der Länge,<lb/>
iſt etwas platt gedrückt, ungefähr fünfziggliederig und ſehr weich, oberhalb glatt und hell roſt-<lb/>
farben, unterhalb weißlich. Die Körperringe, welche mit Ausnahme der drei erſten einpaarfüßigen<lb/>
und der drei letzten fußloſen, je zwei Paare von Beinen tragen, ſtellen im Querſchnitte keinen<lb/></p></div></div></div></body></floatingText></body></text></TEI>
[551/0587]
Gemeiner Vielfuß, platte Randaſſel, deutſche Saugaſſel.
durch längere Fühler und Beine, bewegliche Fußplatten und noch andere Merkmale von jenen ver-
ſchiedene Arten wurden neuerdings unter mehrere Gattungen vertheilt.
Eine weſentlich andere Körperform erhalten die Randaſſeln (Polydesmus) dadurch, daß die
Ringe, welche in der beſchränkteren Anzahl von 20 aufzutreten pflegen, in Folge ſeitlicher, platten-
artiger Ausbreitungen und Kanten den drehrunden Umriß aufgeben und daß die Beine nicht in der
Mittellinie des Bauches zuſammenſtoßen, mithin auch an den Körperſeiten deutlicher ſichtbar werden.
Gervais beobachtete neugeborne Jndividuen der platten Randaſſel (P. complanatus), ohne
jedoch das Ausſchlüpfen aus dem Eie mit angeſehen zu haben; ſie zeigten einſchließlich des Kopfes
und Afters ſieben Glieder und ſechs Beine. Drei Wochen ſpäter hatte das eine von ihnen zehn Ringe,
acht ohne Kopf und After-
[Abbildung Die platte Randaſſel (Polydesmus
complanatus).]
glied und, ſtatt der frühern
drei, ſechs Fußpaare, je
eins am erſten zweiten
und dritten, ein viertes
und fünftes am folgenden
und das ſechſte und zwar
kegelförmige am darauf fol-
genden Gliede. Er hielt
dieſes Jndividuum für ein
Männchen, weil ein Weib-
chen an dieſem Gliede
gleichfalls zwei Paare ge-
tragen haben würde; dort
aber waren die Ruthen noch nicht entwickelt. Die erwachſene platte Randaſſel, welche die Abbildung
in ſtarker Vergrößerung vergegenwärtigt, hat an dem erſten und den beiden letzten Körperringen keine
Beine, an jedem der drei auf den erſten folgenden Ringe je ein Paar, weiterhin zwei Paare und
keine Augen. Die plattenartig heraustretenden Seiten der Ringe ſind vorn gerundet, hinten geeckt,
die vorletzte tritt in einem ſtumpfen Mittelzahne etwas über das Afterglied hinaus und die bräunlich
ſchiefergraue Oberfläche aller erſcheint durch ſchwache, punktartige Erhebungen etwas uneben. Dieſe
Randaſſel findet ſich überall in Europa unter ſeuchtem Laube, Steinen, hinter Baumrinde, mitunter
an ſaftigen Wurzeln, wie Möhren, freſſend, und wickelt ſich, wie die Julus-Arten, gleich einer
Uhrfeder auf, wenn ſie in ihrem Verſteck geſtört wird. Die Gattung iſt reich an Arten, welche in
den heißen Ländern zum Theil beträchtliche Größe erlangen, ſich durch die Geſtalt des Plattenrandes,
die Spitze des vorletzten Rückenſegments und ſo manches andere untergeordnete Merkmal von
einander unterſcheiden, und neuerdings zahlreichen Untergattungen zugetheilt worden ſind.
Einige intereſſante Tauſendfüßler unterſcheiden ſich von allen andern durch das kegelförmige
Kopfſchild, welches in Verbindung mit den verwachſenen Mundtheilen eine Saugröhre bildet,
und wurden deshalb unter dem Namen der „Saugaſſeln“ als beſondere Familie abgeſchieden. Die
einzige bisher in Europa, in Deutſchland, Frankreich, Polen und in dem Kaukaſus beobachtete
deutſche Saugaſſel (Polyzonium germanicum) erreicht nur einen halben Zoll in der Länge,
iſt etwas platt gedrückt, ungefähr fünfziggliederig und ſehr weich, oberhalb glatt und hell roſt-
farben, unterhalb weißlich. Die Körperringe, welche mit Ausnahme der drei erſten einpaarfüßigen
und der drei letzten fußloſen, je zwei Paare von Beinen tragen, ſtellen im Querſchnitte keinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/587>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.