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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Vorbemerkung.
aufoctroyirten Lagen zu schicken hat. Was soll von dem äußeren Leben eines Seesternes viel
Jnteressantes erzählt werden? Aber von höchstem Jnteresse ist die Verwandlung die er zu bestehen
hat. Wie kann ich dem Dasein eines unbrauchbaren Schwammes, der einsam am Grunde des
Meeres auf einem Felsen steht, anders meine Wißbegier zuwenden, als wenn ich mit dem Mikroskop
die unendlich manchfaltigen Kieselbildungen dieser Geschöpfe enthülle, aus deren Varietäten ich auch
dem wissenschaftlichen Laien einleuchtende Beweise für die vielberufene Umwandlungstheorie schöpfe.
Ein an den Kiemen eines Fisches hängender, für sein ganzes Leben unverrückbar befestigter
Schmarotzerkrebs ist außer dem Zusammenhange mit seiner Entwickelungsgeschichte und ohne Berück-
sichtigung seines Verhältnisses zu den übrigen Krebsen kaum das Ansehens werth: aber als Beispiel
der merkwürdigen sogenannten rückschreitenden Metamorphose und nebenbei als Symbol der durch
Nichtgebrauch der natürlichen Kräfte und Anlagen eintretenden Versimpelung vermag er uns zu fesseln.

Der aufmerksame Leser und Freund der Natur entnimmt aus diesen wenigen Zeilen, daß
dem Verfasser dieser Abtheilung eine etwas andere Aufgabe gestellt ist, als sie für die übrigen,
und namentlich die ersten Bände vorschwebte. Auf vielen, über einen großen Theil von Europa
und seine Meere sich erstreckenden Reisen habe ich die niedere Thierwelt eingehend kennen zu lernen
mich bemüht. Jch darf daher über ihr Vorkommen, Lebensbedingungen und Lebensverhältnisse,
die gegenseitige Stellung im Kampfe um das Dasein, die Gewinnung nützlicher Produkte aus
dieser und jener Gruppe, -- über diese und ähnliche Dinge darf ich meist aus eigner Anschauung
reden. Es versteht sich also von selbst, daß diese Seiten der Darstellung ihre volle Berücksichtigung
fanden. Daneben muß aber, wie angedeutet und wie es in der Natur des zu behandelnden
Gegenstandes liegt, der innere Zusammenhang der vielen Neihen und Abtheilungen der Lebewesen
in der heutigen Welt, ihre Abstammung aus der Vorwelt, kurz ihre innere und äußere Ganzheit
etwas mehr berücksichtigt werden, wofern dieses Vorhaben einen würdigen Abschluß finden soll.

Jch wende mich zu demselben, nachdem ich so eben die speziellsten mikroskopischen Studien
über eine der niedrigsten Thierklassen, soweit sie dem Mittelmeere angehört, vollendet und daran
wiederum die Erfahrung gemacht, wie in der Detailforschung und nur darin der Blick für das
Allgemeine sich schärft.

Jn unserer Zeit ist das Studium der belebten Natur den gebildeten Menschen näher gelegt
wie je, indem die Entwickelung der Wissenschaft gerade jetzt mit Nothwendigkeit die Aufgabe
stellte, das eigentliche natürliche Verhältniß unseres Geschlechtes zur Thierwelt zu ergründen.
Die Frage ist eine so verwickelte, in viele hergebrachte Ansichten einschneidende, daß nicht Jedem
zugemuthet werden kann, sie zu durchdringen und sich mit ihr zu befreunden: allein sich wenigstens
über diese wichtigste, unsere Stellung zur Natur betreffende Angelegenheit zu orientiren, gehört
offenbar auf das Progamm der Erziehung jedes Gebildeten. Gerade darum ist das Studium der
Thierwelt im Lichte der neueren wissenschaftlichen Eroberungen für den Denkenden geboten.

Auf keinem Gebiete sind nun die Ergebnisse der neueren Forschungen so zahlreich und
ausgedehnt, wie auf dem der Naturgeschichte der niederen und niedrigsten Thiere, auf keinem ist
die Arbeitstheilung der Forscher so weit gediehen, wie auf diesem. Jch werde natürlich bemüht
sein, immer den besten Quellen zu folgen, und halte es, wie auch die beiden anderen Herrn Ver-
fasser des illustrirten Thierlebens, im Jnteresse des Werkes, möglichst oft die Originalschilderungen wört-
lich mitzutheilen, gleichsam um den Leser selbst aus dem Gediegensten der Literatur schöpfen zu lassen.

Was die Abbildungen betrifft, so liegt es auf der Hand, daß hier, wo es sich fast nie mehr
um Stellungen und Gruppirungen höherer Thiere in landschaftlicher Umgebung handelt, für den
Text vorzugsweise Kopien aus guten Monographien und Sammelwerken zu geben sind. Wir werden
die Quellen am Ende des Bandes angeben. Ein großer Theil der niederen Thierwelt ist mikroskopisch;
schon dieser Umstand muß den Bildern eine andere Auffassung geben, und dazu gehört u. a.,
daß fast nie der äußere Umriß zur naturhistorischen Kennzeichnung des Gegenstandes ausreicht.



Vorbemerkung.
aufoctroyirten Lagen zu ſchicken hat. Was ſoll von dem äußeren Leben eines Seeſternes viel
Jntereſſantes erzählt werden? Aber von höchſtem Jntereſſe iſt die Verwandlung die er zu beſtehen
hat. Wie kann ich dem Daſein eines unbrauchbaren Schwammes, der einſam am Grunde des
Meeres auf einem Felſen ſteht, anders meine Wißbegier zuwenden, als wenn ich mit dem Mikroſkop
die unendlich manchfaltigen Kieſelbildungen dieſer Geſchöpfe enthülle, aus deren Varietäten ich auch
dem wiſſenſchaftlichen Laien einleuchtende Beweiſe für die vielberufene Umwandlungstheorie ſchöpfe.
Ein an den Kiemen eines Fiſches hängender, für ſein ganzes Leben unverrückbar befeſtigter
Schmarotzerkrebs iſt außer dem Zuſammenhange mit ſeiner Entwickelungsgeſchichte und ohne Berück-
ſichtigung ſeines Verhältniſſes zu den übrigen Krebſen kaum das Anſehens werth: aber als Beiſpiel
der merkwürdigen ſogenannten rückſchreitenden Metamorphoſe und nebenbei als Symbol der durch
Nichtgebrauch der natürlichen Kräfte und Anlagen eintretenden Verſimpelung vermag er uns zu feſſeln.

Der aufmerkſame Leſer und Freund der Natur entnimmt aus dieſen wenigen Zeilen, daß
dem Verfaſſer dieſer Abtheilung eine etwas andere Aufgabe geſtellt iſt, als ſie für die übrigen,
und namentlich die erſten Bände vorſchwebte. Auf vielen, über einen großen Theil von Europa
und ſeine Meere ſich erſtreckenden Reiſen habe ich die niedere Thierwelt eingehend kennen zu lernen
mich bemüht. Jch darf daher über ihr Vorkommen, Lebensbedingungen und Lebensverhältniſſe,
die gegenſeitige Stellung im Kampfe um das Daſein, die Gewinnung nützlicher Produkte aus
dieſer und jener Gruppe, — über dieſe und ähnliche Dinge darf ich meiſt aus eigner Anſchauung
reden. Es verſteht ſich alſo von ſelbſt, daß dieſe Seiten der Darſtellung ihre volle Berückſichtigung
fanden. Daneben muß aber, wie angedeutet und wie es in der Natur des zu behandelnden
Gegenſtandes liegt, der innere Zuſammenhang der vielen Neihen und Abtheilungen der Lebeweſen
in der heutigen Welt, ihre Abſtammung aus der Vorwelt, kurz ihre innere und äußere Ganzheit
etwas mehr berückſichtigt werden, wofern dieſes Vorhaben einen würdigen Abſchluß finden ſoll.

Jch wende mich zu demſelben, nachdem ich ſo eben die ſpeziellſten mikroſkopiſchen Studien
über eine der niedrigſten Thierklaſſen, ſoweit ſie dem Mittelmeere angehört, vollendet und daran
wiederum die Erfahrung gemacht, wie in der Detailforſchung und nur darin der Blick für das
Allgemeine ſich ſchärft.

Jn unſerer Zeit iſt das Studium der belebten Natur den gebildeten Menſchen näher gelegt
wie je, indem die Entwickelung der Wiſſenſchaft gerade jetzt mit Nothwendigkeit die Aufgabe
ſtellte, das eigentliche natürliche Verhältniß unſeres Geſchlechtes zur Thierwelt zu ergründen.
Die Frage iſt eine ſo verwickelte, in viele hergebrachte Anſichten einſchneidende, daß nicht Jedem
zugemuthet werden kann, ſie zu durchdringen und ſich mit ihr zu befreunden: allein ſich wenigſtens
über dieſe wichtigſte, unſere Stellung zur Natur betreffende Angelegenheit zu orientiren, gehört
offenbar auf das Progamm der Erziehung jedes Gebildeten. Gerade darum iſt das Studium der
Thierwelt im Lichte der neueren wiſſenſchaftlichen Eroberungen für den Denkenden geboten.

Auf keinem Gebiete ſind nun die Ergebniſſe der neueren Forſchungen ſo zahlreich und
ausgedehnt, wie auf dem der Naturgeſchichte der niederen und niedrigſten Thiere, auf keinem iſt
die Arbeitstheilung der Forſcher ſo weit gediehen, wie auf dieſem. Jch werde natürlich bemüht
ſein, immer den beſten Quellen zu folgen, und halte es, wie auch die beiden anderen Herrn Ver-
faſſer des illuſtrirten Thierlebens, im Jntereſſe des Werkes, möglichſt oft die Originalſchilderungen wört-
lich mitzutheilen, gleichſam um den Leſer ſelbſt aus dem Gediegenſten der Literatur ſchöpfen zu laſſen.

Was die Abbildungen betrifft, ſo liegt es auf der Hand, daß hier, wo es ſich faſt nie mehr
um Stellungen und Gruppirungen höherer Thiere in landſchaftlicher Umgebung handelt, für den
Text vorzugsweiſe Kopien aus guten Monographien und Sammelwerken zu geben ſind. Wir werden
die Quellen am Ende des Bandes angeben. Ein großer Theil der niederen Thierwelt iſt mikroſkopiſch;
ſchon dieſer Umſtand muß den Bildern eine andere Auffaſſung geben, und dazu gehört u. a.,
daß faſt nie der äußere Umriß zur naturhiſtoriſchen Kennzeichnung des Gegenſtandes ausreicht.



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[622/0660] Vorbemerkung. aufoctroyirten Lagen zu ſchicken hat. Was ſoll von dem äußeren Leben eines Seeſternes viel Jntereſſantes erzählt werden? Aber von höchſtem Jntereſſe iſt die Verwandlung die er zu beſtehen hat. Wie kann ich dem Daſein eines unbrauchbaren Schwammes, der einſam am Grunde des Meeres auf einem Felſen ſteht, anders meine Wißbegier zuwenden, als wenn ich mit dem Mikroſkop die unendlich manchfaltigen Kieſelbildungen dieſer Geſchöpfe enthülle, aus deren Varietäten ich auch dem wiſſenſchaftlichen Laien einleuchtende Beweiſe für die vielberufene Umwandlungstheorie ſchöpfe. Ein an den Kiemen eines Fiſches hängender, für ſein ganzes Leben unverrückbar befeſtigter Schmarotzerkrebs iſt außer dem Zuſammenhange mit ſeiner Entwickelungsgeſchichte und ohne Berück- ſichtigung ſeines Verhältniſſes zu den übrigen Krebſen kaum das Anſehens werth: aber als Beiſpiel der merkwürdigen ſogenannten rückſchreitenden Metamorphoſe und nebenbei als Symbol der durch Nichtgebrauch der natürlichen Kräfte und Anlagen eintretenden Verſimpelung vermag er uns zu feſſeln. Der aufmerkſame Leſer und Freund der Natur entnimmt aus dieſen wenigen Zeilen, daß dem Verfaſſer dieſer Abtheilung eine etwas andere Aufgabe geſtellt iſt, als ſie für die übrigen, und namentlich die erſten Bände vorſchwebte. Auf vielen, über einen großen Theil von Europa und ſeine Meere ſich erſtreckenden Reiſen habe ich die niedere Thierwelt eingehend kennen zu lernen mich bemüht. Jch darf daher über ihr Vorkommen, Lebensbedingungen und Lebensverhältniſſe, die gegenſeitige Stellung im Kampfe um das Daſein, die Gewinnung nützlicher Produkte aus dieſer und jener Gruppe, — über dieſe und ähnliche Dinge darf ich meiſt aus eigner Anſchauung reden. Es verſteht ſich alſo von ſelbſt, daß dieſe Seiten der Darſtellung ihre volle Berückſichtigung fanden. Daneben muß aber, wie angedeutet und wie es in der Natur des zu behandelnden Gegenſtandes liegt, der innere Zuſammenhang der vielen Neihen und Abtheilungen der Lebeweſen in der heutigen Welt, ihre Abſtammung aus der Vorwelt, kurz ihre innere und äußere Ganzheit etwas mehr berückſichtigt werden, wofern dieſes Vorhaben einen würdigen Abſchluß finden ſoll. Jch wende mich zu demſelben, nachdem ich ſo eben die ſpeziellſten mikroſkopiſchen Studien über eine der niedrigſten Thierklaſſen, ſoweit ſie dem Mittelmeere angehört, vollendet und daran wiederum die Erfahrung gemacht, wie in der Detailforſchung und nur darin der Blick für das Allgemeine ſich ſchärft. Jn unſerer Zeit iſt das Studium der belebten Natur den gebildeten Menſchen näher gelegt wie je, indem die Entwickelung der Wiſſenſchaft gerade jetzt mit Nothwendigkeit die Aufgabe ſtellte, das eigentliche natürliche Verhältniß unſeres Geſchlechtes zur Thierwelt zu ergründen. Die Frage iſt eine ſo verwickelte, in viele hergebrachte Anſichten einſchneidende, daß nicht Jedem zugemuthet werden kann, ſie zu durchdringen und ſich mit ihr zu befreunden: allein ſich wenigſtens über dieſe wichtigſte, unſere Stellung zur Natur betreffende Angelegenheit zu orientiren, gehört offenbar auf das Progamm der Erziehung jedes Gebildeten. Gerade darum iſt das Studium der Thierwelt im Lichte der neueren wiſſenſchaftlichen Eroberungen für den Denkenden geboten. Auf keinem Gebiete ſind nun die Ergebniſſe der neueren Forſchungen ſo zahlreich und ausgedehnt, wie auf dem der Naturgeſchichte der niederen und niedrigſten Thiere, auf keinem iſt die Arbeitstheilung der Forſcher ſo weit gediehen, wie auf dieſem. Jch werde natürlich bemüht ſein, immer den beſten Quellen zu folgen, und halte es, wie auch die beiden anderen Herrn Ver- faſſer des illuſtrirten Thierlebens, im Jntereſſe des Werkes, möglichſt oft die Originalſchilderungen wört- lich mitzutheilen, gleichſam um den Leſer ſelbſt aus dem Gediegenſten der Literatur ſchöpfen zu laſſen. Was die Abbildungen betrifft, ſo liegt es auf der Hand, daß hier, wo es ſich faſt nie mehr um Stellungen und Gruppirungen höherer Thiere in landſchaftlicher Umgebung handelt, für den Text vorzugsweiſe Kopien aus guten Monographien und Sammelwerken zu geben ſind. Wir werden die Quellen am Ende des Bandes angeben. Ein großer Theil der niederen Thierwelt iſt mikroſkopiſch; ſchon dieſer Umſtand muß den Bildern eine andere Auffaſſung geben, und dazu gehört u. a., daß faſt nie der äußere Umriß zur naturhiſtoriſchen Kennzeichnung des Gegenſtandes ausreicht.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/660>, abgerufen am 23.11.2024.