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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Bau des Flußkrebses. Mundwerkzeuge.
aufnehmenden und leitenden Apparate, der geradezu mit einem für einen bestimmten Zweck gebauten
physikalischen Jnstrumente verglichen werden kann, und aus einem Nerven, auf welchen jene
Eindrücke -- Lichtwellen, Schallwellen etc. -- übertragen, und von dem sie dem Gehirn zu weiterer
Verarbeitung übermittelt werden. Der physikalische Apparat des Gehörorgans muß geeignet sein,
durch die Schallwellen leicht in Zitterungen versetzt zu werden, und wird um so künstlicher und
vollkommener, auf je feinere Unterschiede der Wellen er in verschiedener Weise seinerseits antworten
kann, und je mehr auch die feinsten Formbestandtheile des Nerven diesen Nüancen des aufnehmenden
Apparates entsprechen. Ein haarförmiger Fortsatz, welcher von den Schallwellen in Zitterungen
versetzt wird und diese Zitterungen auf einen an seine Wurzel sich anlegenden Nerven überträgt,
kann demnach ein, wenn auch in dieser Einfachheit sehr unvollkommenes Gehörorgan sein. Nun,
nach diesem Princip, nach diesem einfachen Grundplane, sind die Gehörwerkzeuge aller der Krebse
gebaut, welche sich dem Flußkrebs anschließen. Jn der Basis ihrer inneren Antennen ist ein
geschlossenes oder mit einem nach außen sich öffnenden Spalte versehenes Säckchen enthalten, auf
dessen Jnnenwand einige Reihen oder viele federförmige oder einfachere Haare sich befinden. Die
Erzitterungen des die geschlossene Höhle ausfüllenden Gehörwassers, des gewöhnlichen Wassers bei
offener Höhle, übertragen sich auf die Gehörhaare, und die Wirkung wird verstärkt durch die
sogenannten Gehörsteine. Der genane Beobachter dieser Verhältnisse, Professor Hensen, sah,
wie ein kleiner Seekrebs sich seine Ohren voll feinen Kies stopfte und somit die verloren gegangenen
Gehörsteine ergänzte. Höchst interessant sind auch die von dem Genannten angestellten Versuche,
sich die Ueberzeugung zu verschaffen, daß die Krebse wirklich hören. Er bediente sich dabei besonders
einer bei Kiel vorkommenden Garneele (s. S. 646), des Palaemon antennarius. "Wenn man jüngere
Thiere, frisch eingefangen, in das Aquarium bringt, wird jeder Ton, der vom Fußboden oder von
den Wandungen der Gefäße aus erzeugt wird, sie momentan zu einem lebhaften Satz über das Wasser
hinaus bewegen, eine Erschütterung der Wände ohne Schall läßt sie dagegen ruhig. Wenn
man diese Thiere in mit Strychnin versetztes Salzwasser auf mehrere Stunden hineinbringt, läßt
sich der Nachweis ihrer Hörkraft noch besser führen. Dann erzeugen selbst leise Töne im Hause,
am Tische oder Glase Neflere (d. h. sie werden durch die Tonempfindung unwillkürlich zu
[Abbildung] Mundwertzenge des Flußkrebses.
Bewegungen angeregt), und man kann das Thier durch wiederholte Töne in entsprechend häufigen
Sprüngen im Glase umhertreiben.

Andere Versuche bezogen sich auf das Wie? der Tonempfindungen. Sollten die Krebse ähnlich
wie wir hören, so ließ sich voraussetzen, daß die in Länge und Dicke verschiedenen Hörhaare auch
nur von verschieden hohen Tönen in Schwingungen würden versetzt werden. Auch dieß konnte
im Einklang mit den berühmten Untersuchungen von Helmholtz über das Hören im Allgemeinen
bestätigt werden.

Wir kehren wieder zu unserem Flußkrebs zurück. Geht man an der Unterseite von den inneren
Fühlern weiter nach abwärts, so gelangt man an die von zahlreichen beweglichen Theilen umgebene
Mundöffnung. Außer der quer vor dem Munde liegenden ansehnlichen Oberlippe gehören
in das Bereich der Mundwerkzeuge nicht weniger als sechs Paare von Organen, die von der
linken Seite in der obenstehenden Figur auseinander gelegt sind.

Die ersten drei (a, b, c) entsprechen den bei den Jnsekten (S. 4) beschriebenen Theilen der übrigen
Gliederthiere; a ist der starke, mit einem beweglichen Taster versehene Oberkiefer, b Unter-
kiefer
und entspricht der Unterlippe der Jnsekten, ist aber vollständig getheilt und wird zweiter

Taschenberg und Schmidt, wirbellose Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 40

Bau des Flußkrebſes. Mundwerkzeuge.
aufnehmenden und leitenden Apparate, der geradezu mit einem für einen beſtimmten Zweck gebauten
phyſikaliſchen Jnſtrumente verglichen werden kann, und aus einem Nerven, auf welchen jene
Eindrücke — Lichtwellen, Schallwellen ꝛc. — übertragen, und von dem ſie dem Gehirn zu weiterer
Verarbeitung übermittelt werden. Der phyſikaliſche Apparat des Gehörorgans muß geeignet ſein,
durch die Schallwellen leicht in Zitterungen verſetzt zu werden, und wird um ſo künſtlicher und
vollkommener, auf je feinere Unterſchiede der Wellen er in verſchiedener Weiſe ſeinerſeits antworten
kann, und je mehr auch die feinſten Formbeſtandtheile des Nerven dieſen Nüancen des aufnehmenden
Apparates entſprechen. Ein haarförmiger Fortſatz, welcher von den Schallwellen in Zitterungen
verſetzt wird und dieſe Zitterungen auf einen an ſeine Wurzel ſich anlegenden Nerven überträgt,
kann demnach ein, wenn auch in dieſer Einfachheit ſehr unvollkommenes Gehörorgan ſein. Nun,
nach dieſem Princip, nach dieſem einfachen Grundplane, ſind die Gehörwerkzeuge aller der Krebſe
gebaut, welche ſich dem Flußkrebs anſchließen. Jn der Baſis ihrer inneren Antennen iſt ein
geſchloſſenes oder mit einem nach außen ſich öffnenden Spalte verſehenes Säckchen enthalten, auf
deſſen Jnnenwand einige Reihen oder viele federförmige oder einfachere Haare ſich befinden. Die
Erzitterungen des die geſchloſſene Höhle ausfüllenden Gehörwaſſers, des gewöhnlichen Waſſers bei
offener Höhle, übertragen ſich auf die Gehörhaare, und die Wirkung wird verſtärkt durch die
ſogenannten Gehörſteine. Der genane Beobachter dieſer Verhältniſſe, Profeſſor Henſen, ſah,
wie ein kleiner Seekrebs ſich ſeine Ohren voll feinen Kies ſtopfte und ſomit die verloren gegangenen
Gehörſteine ergänzte. Höchſt intereſſant ſind auch die von dem Genannten angeſtellten Verſuche,
ſich die Ueberzeugung zu verſchaffen, daß die Krebſe wirklich hören. Er bediente ſich dabei beſonders
einer bei Kiel vorkommenden Garneele (ſ. S. 646), des Palaemon antennarius. „Wenn man jüngere
Thiere, friſch eingefangen, in das Aquarium bringt, wird jeder Ton, der vom Fußboden oder von
den Wandungen der Gefäße aus erzeugt wird, ſie momentan zu einem lebhaften Satz über das Waſſer
hinaus bewegen, eine Erſchütterung der Wände ohne Schall läßt ſie dagegen ruhig. Wenn
man dieſe Thiere in mit Strychnin verſetztes Salzwaſſer auf mehrere Stunden hineinbringt, läßt
ſich der Nachweis ihrer Hörkraft noch beſſer führen. Dann erzeugen ſelbſt leiſe Töne im Hauſe,
am Tiſche oder Glaſe Neflere (d. h. ſie werden durch die Tonempfindung unwillkürlich zu
[Abbildung] Mundwertzenge des Flußkrebſes.
Bewegungen angeregt), und man kann das Thier durch wiederholte Töne in entſprechend häufigen
Sprüngen im Glaſe umhertreiben.

Andere Verſuche bezogen ſich auf das Wie? der Tonempfindungen. Sollten die Krebſe ähnlich
wie wir hören, ſo ließ ſich vorausſetzen, daß die in Länge und Dicke verſchiedenen Hörhaare auch
nur von verſchieden hohen Tönen in Schwingungen würden verſetzt werden. Auch dieß konnte
im Einklang mit den berühmten Unterſuchungen von Helmholtz über das Hören im Allgemeinen
beſtätigt werden.

Wir kehren wieder zu unſerem Flußkrebs zurück. Geht man an der Unterſeite von den inneren
Fühlern weiter nach abwärts, ſo gelangt man an die von zahlreichen beweglichen Theilen umgebene
Mundöffnung. Außer der quer vor dem Munde liegenden anſehnlichen Oberlippe gehören
in das Bereich der Mundwerkzeuge nicht weniger als ſechs Paare von Organen, die von der
linken Seite in der obenſtehenden Figur auseinander gelegt ſind.

Die erſten drei (a, b, c) entſprechen den bei den Jnſekten (S. 4) beſchriebenen Theilen der übrigen
Gliederthiere; a iſt der ſtarke, mit einem beweglichen Taſter verſehene Oberkiefer, b Unter-
kiefer
und entſpricht der Unterlippe der Jnſekten, iſt aber vollſtändig getheilt und wird zweiter

Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 40
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[625/0663] Bau des Flußkrebſes. Mundwerkzeuge. aufnehmenden und leitenden Apparate, der geradezu mit einem für einen beſtimmten Zweck gebauten phyſikaliſchen Jnſtrumente verglichen werden kann, und aus einem Nerven, auf welchen jene Eindrücke — Lichtwellen, Schallwellen ꝛc. — übertragen, und von dem ſie dem Gehirn zu weiterer Verarbeitung übermittelt werden. Der phyſikaliſche Apparat des Gehörorgans muß geeignet ſein, durch die Schallwellen leicht in Zitterungen verſetzt zu werden, und wird um ſo künſtlicher und vollkommener, auf je feinere Unterſchiede der Wellen er in verſchiedener Weiſe ſeinerſeits antworten kann, und je mehr auch die feinſten Formbeſtandtheile des Nerven dieſen Nüancen des aufnehmenden Apparates entſprechen. Ein haarförmiger Fortſatz, welcher von den Schallwellen in Zitterungen verſetzt wird und dieſe Zitterungen auf einen an ſeine Wurzel ſich anlegenden Nerven überträgt, kann demnach ein, wenn auch in dieſer Einfachheit ſehr unvollkommenes Gehörorgan ſein. Nun, nach dieſem Princip, nach dieſem einfachen Grundplane, ſind die Gehörwerkzeuge aller der Krebſe gebaut, welche ſich dem Flußkrebs anſchließen. Jn der Baſis ihrer inneren Antennen iſt ein geſchloſſenes oder mit einem nach außen ſich öffnenden Spalte verſehenes Säckchen enthalten, auf deſſen Jnnenwand einige Reihen oder viele federförmige oder einfachere Haare ſich befinden. Die Erzitterungen des die geſchloſſene Höhle ausfüllenden Gehörwaſſers, des gewöhnlichen Waſſers bei offener Höhle, übertragen ſich auf die Gehörhaare, und die Wirkung wird verſtärkt durch die ſogenannten Gehörſteine. Der genane Beobachter dieſer Verhältniſſe, Profeſſor Henſen, ſah, wie ein kleiner Seekrebs ſich ſeine Ohren voll feinen Kies ſtopfte und ſomit die verloren gegangenen Gehörſteine ergänzte. Höchſt intereſſant ſind auch die von dem Genannten angeſtellten Verſuche, ſich die Ueberzeugung zu verſchaffen, daß die Krebſe wirklich hören. Er bediente ſich dabei beſonders einer bei Kiel vorkommenden Garneele (ſ. S. 646), des Palaemon antennarius. „Wenn man jüngere Thiere, friſch eingefangen, in das Aquarium bringt, wird jeder Ton, der vom Fußboden oder von den Wandungen der Gefäße aus erzeugt wird, ſie momentan zu einem lebhaften Satz über das Waſſer hinaus bewegen, eine Erſchütterung der Wände ohne Schall läßt ſie dagegen ruhig. Wenn man dieſe Thiere in mit Strychnin verſetztes Salzwaſſer auf mehrere Stunden hineinbringt, läßt ſich der Nachweis ihrer Hörkraft noch beſſer führen. Dann erzeugen ſelbſt leiſe Töne im Hauſe, am Tiſche oder Glaſe Neflere (d. h. ſie werden durch die Tonempfindung unwillkürlich zu [Abbildung Mundwertzenge des Flußkrebſes.] Bewegungen angeregt), und man kann das Thier durch wiederholte Töne in entſprechend häufigen Sprüngen im Glaſe umhertreiben. Andere Verſuche bezogen ſich auf das Wie? der Tonempfindungen. Sollten die Krebſe ähnlich wie wir hören, ſo ließ ſich vorausſetzen, daß die in Länge und Dicke verſchiedenen Hörhaare auch nur von verſchieden hohen Tönen in Schwingungen würden verſetzt werden. Auch dieß konnte im Einklang mit den berühmten Unterſuchungen von Helmholtz über das Hören im Allgemeinen beſtätigt werden. Wir kehren wieder zu unſerem Flußkrebs zurück. Geht man an der Unterſeite von den inneren Fühlern weiter nach abwärts, ſo gelangt man an die von zahlreichen beweglichen Theilen umgebene Mundöffnung. Außer der quer vor dem Munde liegenden anſehnlichen Oberlippe gehören in das Bereich der Mundwerkzeuge nicht weniger als ſechs Paare von Organen, die von der linken Seite in der obenſtehenden Figur auseinander gelegt ſind. Die erſten drei (a, b, c) entſprechen den bei den Jnſekten (S. 4) beſchriebenen Theilen der übrigen Gliederthiere; a iſt der ſtarke, mit einem beweglichen Taſter verſehene Oberkiefer, b Unter- kiefer und entſpricht der Unterlippe der Jnſekten, iſt aber vollſtändig getheilt und wird zweiter Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 40

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/663>, abgerufen am 27.11.2024.