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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Muscheln. Dimyarier. Najaden.
vorgestreckte zungenförmige Fuß wühlt mit seiner Spitze im Sande, indem er sich bald ausstreckt,
bald zurückzieht. Die Schalen bleiben dabei bewegungslos, am hinteren Ende offen, die After-
röhre und der Mantelschlitz ragen über ihren Rand hervor. Nun erfolgt eine Pause. Alsdann
beginnt eine lebhafte Kiemenströmung, nach 1 bis 2 Minuten verengert sich die Afterröhre, die
Tentakeln legen sich durch gegenseitiges Jneinandergreifen aneinander und das eingesogene Wasser
wird aus ersterer in dickem Strahle ausgepreßt; dabei schließt sich das hintere Schalenende, öffnet
sich jedoch schnell wieder. Der freie, außerhalb der Schale befindliche Theil des Fußes bleibt
unbeweglich, der innerhalb derselben befindliche zieht diese nach, indem er sich verkürzt. Nun
erfolgt eine abermalige kurze Pause. Nach dieser beginnt der erste Akt von Neuem, und fand
die Bewegung des Fußes, sowie das Ausspritzen des Wassers in Verbindung mit dem Fortrücken
der Schalen mehrmals statt, so tritt eine längere Pause der Ruhe ein. Kommt die Muschel aus
irgend einem Grunde auf die Fläche ihrer Schalen zu liegen, so biegt sie den nach außen gestreckten
Theil ihres Fußes an seinem unteren Rande ein, greift damit in den Sand, zuerst rückwärts
gegen die Schale, dann vorwärts und hebt durch Anstemmen an den Sand gleichsam mit Hebelkraft
die Schale in die wagerechte Stellung, in welcher sie alsdann auf die eben angegebene Weise die
weiteren Bewegungen ihren Zwecken entsprechend ausführt.

So führen diese Thiere zwischen einer kaum zu nennenden Bewegung und einer meist
apathischen Ruhe ein langes, langes Leben, wenn nicht, außer der Frühlingsfluth, welche Gerölle
und Steine über sie hinwälzt, oder außer Einfrieren des Bodens der kleinen Bäche, die Habsucht
des Menschen, flüchtige Ottern oder diebische Elstern, Raben und Krähen demselben ein Ende
setzen. Doch nicht allein die Sucht nach Perlengewinn, welche oft ganze Kolonien verwüstet,
stellt ihnen feindlich nach, auch alter Brauch und Sitte weiß ihre Schalen zu verwenden. Jm
bayerischen Walde herrscht der Glaube, eine Kuh, die zum Kälbern gehe, bedürfe einer guten
Perle; selbst Damen, meist alte Jungfern, reichen noch an manchen Orten jungen Hunden eine
edle Perle in Branntwein, um sie klein zu erhalten; erblindenden Pferden und Hunden streut
man das Pulver der gestoßenen Schalen in die Augen. Als ein guter Köder für Fische und
Krebse, als Futter für Enten und Schweinen zur Mast gilt der Körper der Muschel. Welch
hohes Alter dieselbe erreichen könne, ist nicht erwiesen, für ein solches spricht jedoch schon die Dicke
ihrer Schalen bei der Kalkarmuth der Gewässer; als mittleres gelten 50 bis 60 Jahre. Doch
haben Muscheln, mit Jahreszahlen gezeichnet, bewiesen, daß sie 70 bis 80 Jahre erreichen können;
der Glaube an ein noch höheres Alter, selbst bis zu 200 Jahren, bleibt immer problematisch und
ist mit Vorsicht aufzunehmen.

Alle wesentlichen Züge dieses von von Heßling so anziehend gezeichneten Gemäldes des
Stilllebens der Flußperlenmuschel finden ihre Bestätigung bei allen übrigen Najaden unserer
fließenden und stehenden Gewässer. Wir müssen es aber noch ergänzen durch einige Angaben aus
der Fortpflanzungs- und Entwicklungsgeschichte, die zwar zunächst von der Malermuschel
(Unio pictorum) gelten, aber mit sehr geringen Modifikationen auf alle Najaden auszudehnen
sind, nach von Heßling's Angabe speciell auch auf die Flußperlenmuschel. Daß diese und ihre
Familiengenossinnen in ihrer Stabilität keine weitläufigen Bewerbungen und Hochzeitsreisen unter-
nahmen, bedarf keiner besonderen Versicherung. Die Fortpflanzung findet in den Sommermonaten
statt. Die Eier werden nicht nach außen entleert, sondern sie treten, gefördert durch die Flimmerung
und die dadurch hervorgerufenen, oben besprochenen Wasserströme, durch bestimmte Oeffnungen in
die gitterförmigen Fächer und Hohlräume der äußeren, mitunter auch der inneren Kiemenblätter,
welche somit bei den Weibchen die Rolle von Bruttaschen zeitweilig übernehmen. Die befruchtende
Flüssigkeit der männlichen Thiere gelangt aus diesen zuerst frei ins Wasser, ohne sich mit diesem
zu mischen und wird in der Regel in unmittelbarer Nachbarschaft von den weiblichen Jndividuen
mit dem einströmenden Athemwasser aufgenommen und denselben inneren Kiemenräumen zugeleitet,
wo entweder die reifen Eier schon angelangt sind oder demnächst abgelagert werden. Die Eier,

Muſcheln. Dimyarier. Najaden.
vorgeſtreckte zungenförmige Fuß wühlt mit ſeiner Spitze im Sande, indem er ſich bald ausſtreckt,
bald zurückzieht. Die Schalen bleiben dabei bewegungslos, am hinteren Ende offen, die After-
röhre und der Mantelſchlitz ragen über ihren Rand hervor. Nun erfolgt eine Pauſe. Alsdann
beginnt eine lebhafte Kiemenſtrömung, nach 1 bis 2 Minuten verengert ſich die Afterröhre, die
Tentakeln legen ſich durch gegenſeitiges Jneinandergreifen aneinander und das eingeſogene Waſſer
wird aus erſterer in dickem Strahle ausgepreßt; dabei ſchließt ſich das hintere Schalenende, öffnet
ſich jedoch ſchnell wieder. Der freie, außerhalb der Schale befindliche Theil des Fußes bleibt
unbeweglich, der innerhalb derſelben befindliche zieht dieſe nach, indem er ſich verkürzt. Nun
erfolgt eine abermalige kurze Pauſe. Nach dieſer beginnt der erſte Akt von Neuem, und fand
die Bewegung des Fußes, ſowie das Ausſpritzen des Waſſers in Verbindung mit dem Fortrücken
der Schalen mehrmals ſtatt, ſo tritt eine längere Pauſe der Ruhe ein. Kommt die Muſchel aus
irgend einem Grunde auf die Fläche ihrer Schalen zu liegen, ſo biegt ſie den nach außen geſtreckten
Theil ihres Fußes an ſeinem unteren Rande ein, greift damit in den Sand, zuerſt rückwärts
gegen die Schale, dann vorwärts und hebt durch Anſtemmen an den Sand gleichſam mit Hebelkraft
die Schale in die wagerechte Stellung, in welcher ſie alsdann auf die eben angegebene Weiſe die
weiteren Bewegungen ihren Zwecken entſprechend ausführt.

So führen dieſe Thiere zwiſchen einer kaum zu nennenden Bewegung und einer meiſt
apathiſchen Ruhe ein langes, langes Leben, wenn nicht, außer der Frühlingsfluth, welche Gerölle
und Steine über ſie hinwälzt, oder außer Einfrieren des Bodens der kleinen Bäche, die Habſucht
des Menſchen, flüchtige Ottern oder diebiſche Elſtern, Raben und Krähen demſelben ein Ende
ſetzen. Doch nicht allein die Sucht nach Perlengewinn, welche oft ganze Kolonien verwüſtet,
ſtellt ihnen feindlich nach, auch alter Brauch und Sitte weiß ihre Schalen zu verwenden. Jm
bayeriſchen Walde herrſcht der Glaube, eine Kuh, die zum Kälbern gehe, bedürfe einer guten
Perle; ſelbſt Damen, meiſt alte Jungfern, reichen noch an manchen Orten jungen Hunden eine
edle Perle in Branntwein, um ſie klein zu erhalten; erblindenden Pferden und Hunden ſtreut
man das Pulver der geſtoßenen Schalen in die Augen. Als ein guter Köder für Fiſche und
Krebſe, als Futter für Enten und Schweinen zur Maſt gilt der Körper der Muſchel. Welch
hohes Alter dieſelbe erreichen könne, iſt nicht erwieſen, für ein ſolches ſpricht jedoch ſchon die Dicke
ihrer Schalen bei der Kalkarmuth der Gewäſſer; als mittleres gelten 50 bis 60 Jahre. Doch
haben Muſcheln, mit Jahreszahlen gezeichnet, bewieſen, daß ſie 70 bis 80 Jahre erreichen können;
der Glaube an ein noch höheres Alter, ſelbſt bis zu 200 Jahren, bleibt immer problematiſch und
iſt mit Vorſicht aufzunehmen.

Alle weſentlichen Züge dieſes von von Heßling ſo anziehend gezeichneten Gemäldes des
Stilllebens der Flußperlenmuſchel finden ihre Beſtätigung bei allen übrigen Najaden unſerer
fließenden und ſtehenden Gewäſſer. Wir müſſen es aber noch ergänzen durch einige Angaben aus
der Fortpflanzungs- und Entwicklungsgeſchichte, die zwar zunächſt von der Malermuſchel
(Unio pictorum) gelten, aber mit ſehr geringen Modifikationen auf alle Najaden auszudehnen
ſind, nach von Heßling’s Angabe ſpeciell auch auf die Flußperlenmuſchel. Daß dieſe und ihre
Familiengenoſſinnen in ihrer Stabilität keine weitläufigen Bewerbungen und Hochzeitsreiſen unter-
nahmen, bedarf keiner beſonderen Verſicherung. Die Fortpflanzung findet in den Sommermonaten
ſtatt. Die Eier werden nicht nach außen entleert, ſondern ſie treten, gefördert durch die Flimmerung
und die dadurch hervorgerufenen, oben beſprochenen Waſſerſtröme, durch beſtimmte Oeffnungen in
die gitterförmigen Fächer und Hohlräume der äußeren, mitunter auch der inneren Kiemenblätter,
welche ſomit bei den Weibchen die Rolle von Bruttaſchen zeitweilig übernehmen. Die befruchtende
Flüſſigkeit der männlichen Thiere gelangt aus dieſen zuerſt frei ins Waſſer, ohne ſich mit dieſem
zu miſchen und wird in der Regel in unmittelbarer Nachbarſchaft von den weiblichen Jndividuen
mit dem einſtrömenden Athemwaſſer aufgenommen und denſelben inneren Kiemenräumen zugeleitet,
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[902/0950] Muſcheln. Dimyarier. Najaden. vorgeſtreckte zungenförmige Fuß wühlt mit ſeiner Spitze im Sande, indem er ſich bald ausſtreckt, bald zurückzieht. Die Schalen bleiben dabei bewegungslos, am hinteren Ende offen, die After- röhre und der Mantelſchlitz ragen über ihren Rand hervor. Nun erfolgt eine Pauſe. Alsdann beginnt eine lebhafte Kiemenſtrömung, nach 1 bis 2 Minuten verengert ſich die Afterröhre, die Tentakeln legen ſich durch gegenſeitiges Jneinandergreifen aneinander und das eingeſogene Waſſer wird aus erſterer in dickem Strahle ausgepreßt; dabei ſchließt ſich das hintere Schalenende, öffnet ſich jedoch ſchnell wieder. Der freie, außerhalb der Schale befindliche Theil des Fußes bleibt unbeweglich, der innerhalb derſelben befindliche zieht dieſe nach, indem er ſich verkürzt. Nun erfolgt eine abermalige kurze Pauſe. Nach dieſer beginnt der erſte Akt von Neuem, und fand die Bewegung des Fußes, ſowie das Ausſpritzen des Waſſers in Verbindung mit dem Fortrücken der Schalen mehrmals ſtatt, ſo tritt eine längere Pauſe der Ruhe ein. Kommt die Muſchel aus irgend einem Grunde auf die Fläche ihrer Schalen zu liegen, ſo biegt ſie den nach außen geſtreckten Theil ihres Fußes an ſeinem unteren Rande ein, greift damit in den Sand, zuerſt rückwärts gegen die Schale, dann vorwärts und hebt durch Anſtemmen an den Sand gleichſam mit Hebelkraft die Schale in die wagerechte Stellung, in welcher ſie alsdann auf die eben angegebene Weiſe die weiteren Bewegungen ihren Zwecken entſprechend ausführt. So führen dieſe Thiere zwiſchen einer kaum zu nennenden Bewegung und einer meiſt apathiſchen Ruhe ein langes, langes Leben, wenn nicht, außer der Frühlingsfluth, welche Gerölle und Steine über ſie hinwälzt, oder außer Einfrieren des Bodens der kleinen Bäche, die Habſucht des Menſchen, flüchtige Ottern oder diebiſche Elſtern, Raben und Krähen demſelben ein Ende ſetzen. Doch nicht allein die Sucht nach Perlengewinn, welche oft ganze Kolonien verwüſtet, ſtellt ihnen feindlich nach, auch alter Brauch und Sitte weiß ihre Schalen zu verwenden. Jm bayeriſchen Walde herrſcht der Glaube, eine Kuh, die zum Kälbern gehe, bedürfe einer guten Perle; ſelbſt Damen, meiſt alte Jungfern, reichen noch an manchen Orten jungen Hunden eine edle Perle in Branntwein, um ſie klein zu erhalten; erblindenden Pferden und Hunden ſtreut man das Pulver der geſtoßenen Schalen in die Augen. Als ein guter Köder für Fiſche und Krebſe, als Futter für Enten und Schweinen zur Maſt gilt der Körper der Muſchel. Welch hohes Alter dieſelbe erreichen könne, iſt nicht erwieſen, für ein ſolches ſpricht jedoch ſchon die Dicke ihrer Schalen bei der Kalkarmuth der Gewäſſer; als mittleres gelten 50 bis 60 Jahre. Doch haben Muſcheln, mit Jahreszahlen gezeichnet, bewieſen, daß ſie 70 bis 80 Jahre erreichen können; der Glaube an ein noch höheres Alter, ſelbſt bis zu 200 Jahren, bleibt immer problematiſch und iſt mit Vorſicht aufzunehmen. Alle weſentlichen Züge dieſes von von Heßling ſo anziehend gezeichneten Gemäldes des Stilllebens der Flußperlenmuſchel finden ihre Beſtätigung bei allen übrigen Najaden unſerer fließenden und ſtehenden Gewäſſer. Wir müſſen es aber noch ergänzen durch einige Angaben aus der Fortpflanzungs- und Entwicklungsgeſchichte, die zwar zunächſt von der Malermuſchel (Unio pictorum) gelten, aber mit ſehr geringen Modifikationen auf alle Najaden auszudehnen ſind, nach von Heßling’s Angabe ſpeciell auch auf die Flußperlenmuſchel. Daß dieſe und ihre Familiengenoſſinnen in ihrer Stabilität keine weitläufigen Bewerbungen und Hochzeitsreiſen unter- nahmen, bedarf keiner beſonderen Verſicherung. Die Fortpflanzung findet in den Sommermonaten ſtatt. Die Eier werden nicht nach außen entleert, ſondern ſie treten, gefördert durch die Flimmerung und die dadurch hervorgerufenen, oben beſprochenen Waſſerſtröme, durch beſtimmte Oeffnungen in die gitterförmigen Fächer und Hohlräume der äußeren, mitunter auch der inneren Kiemenblätter, welche ſomit bei den Weibchen die Rolle von Bruttaſchen zeitweilig übernehmen. Die befruchtende Flüſſigkeit der männlichen Thiere gelangt aus dieſen zuerſt frei ins Waſſer, ohne ſich mit dieſem zu miſchen und wird in der Regel in unmittelbarer Nachbarſchaft von den weiblichen Jndividuen mit dem einſtrömenden Athemwaſſer aufgenommen und denſelben inneren Kiemenräumen zugeleitet, wo entweder die reifen Eier ſchon angelangt ſind oder demnächſt abgelagert werden. Die Eier,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 902. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/950>, abgerufen am 23.11.2024.