akklimatisiren. Es wird jedoch angegeben, daß sie mit einer Herzmuschel von dort in einige Flüsse weit hinauf gedrungen sind, wo sie auch noch von dem letzten Meeressalz-Bedürfniß sich emancipirt hätten.
Man benutzt die Mießmuschel überall, wo sie gedeiht, theils als Köder, theils auch für die menschliche Küche und hat für diesen letzteren Bedarf an vielen Orten eine eigene Muschel- wirthschaft und Zucht eingerichtet. Die neuesten genauen Nachrichten über eine solche geregelte Mießmuschelzucht haben uns Meyer und Möbius in ihrem schönen Werke über die Fauna der Kieler Bucht gegeben. "Auf der Oberfläche der Hafenpfähle und Bretter, der Badeschiffe, Boote und Landungsbrücken siedeln sich, soweit sie unter Wasser stehen, Mießmuscheln an, deren junge Brut oft wie ein dichter Rasen darauf wuchert. Jhre künstlichen Wohnplätze sind die Muschel- pfähle, die Bäume, welche die Fischer bei Ellerbeck, einem alten malerischen Fischerdorfe, das Kiel gegenüber liegt, auf den zu ihren Häusern gehörenden Plätzen unter Wasser pflanzen. Zu solchen Muschelbäumen werden vorzugsweise Ellern benutzt, weil sie billiger als Eichen und Buchen sind, die jedoch auch dazu dienen. Diesen Bäumen nimmt der Fischer die dünnsten Zweige, schneidet die Jahreszahl in den Stamm, spitzt sie unten zu und setzt sie mit Hülfe eines Taues und einer Gabel in die Region des lebenden oder todten Seegrases auf 2 bis 3 Faden Tiefe fest in den Grund. Das "Setzen" der Muschelbäume geschieht zu jeder Jahreszeit, "gezogen" werden sie aber nur im Winter, am häufigsten auf dem Eis, da dann die Muscheln am besten schmecken und ungefährlich sind. Die Muschelbäume ziehen sich an beiden Seiten der Bucht dem Düsternbrooker und Ellerbecker Ufer entlang, gleichsam wie unterseeische Gärten, die man nur bei ruhiger See unter dem klaren Wasser sehen kann. Treiben anhaltende Westwinde viel Wasser aus der Bucht hinaus, so ragt wohl hie und da die höchste Spitze eines Baumes über den niedrigen Wasserspiegel heraus. Sonst bleiben sie immer bedeckt und unsichtbar. Wir haben oft Muschelpfähle ziehen lassen, um die Bewohner derselben zu sammeln, und uns dabei an den Hantirungen und Bemerkungen der Ellenbecker Fischer ergötzt. Sie haben Kähne von uralter Form mit flachem Boden und steilen Seitenwänden und rudern dieselben mit spatenförmigen Schaufeln. Den Stand ihrer Muschelpfähle wissen sie durch Merkzeichen am Lande, die sie aus der Ferne fixiren, aufzufinden. Und wenn sie über einem Baum angekommen sind, so treiben sie eine Stange in den Grund, um den Kahn daran festzubinden; dann schlingen sie ein Tau um einen Haken, führen dieses unter Wasser um den Stamm des Muschelbaumes herum und winden denselben damit in die Höhe. Sobald er erst aus dem Grunde gezogen ist, hebt er sich viel leichter, erscheint dann bald an der Oberfläche und wird so weit über das Wasser gehoben, daß die Muscheln von den Zweigen gepflückt werden können. Gewöhnlich sind diese recht besetzt. Jn Büscheln und Klumpen hängen daran große Muscheln, die ihre Byssusfäden entweder am Holze oder an den Schalen ihrer Nachbarn festgesponnen haben, und zwischen ihnen und auf ihren Schalen wimmelt es von verschiedenen Thieren."
"Jn der Kieler Bucht werden jährlich gegen tausend Muschelpfähle gesetzt und ebensoviel gezogen, nachdem sie drei bis fünf Jahre gestanden haben; denn so viel Zeit braucht die Mieß- muschel, um sich zu einer beliebten Speise auszubilden. Auf dem Kieler Markte kommen im Jahre ungefähr 800 Tonnen Muscheln zum Verkauf, wovon jede durchschnittlich 4200 Stück enthält. Also werden zusammen in einem Winter 3,360,000 Stück geerntet. Es giebt gute und schlechte Jahr- gänge und zwar nicht bloß in Rücksicht der Menge, sondern auch der Qualität der Muscheln."
Modiola weicht von der vorhergehenden Gattung nur sehr unwesentlich ab. Das Thier scheint in Nichts von Mytilus verschieden. Nur die Wirbel des Gehäuses stehen nicht auf der vorderen Spitze selbst, sondern sind seitlich auf die kurze Seite geneigt. Die Arten sind auch hier ziemlich zahlreich und kommen in allen Meeren vor. Jnteressant sind diejenigen, welche sich mit Hülfe ihres Byssus mit einem Gespinnst oder Nest umgeben. "Eine wunderliche Hülle", sagt Philippi von Modiola vestita, "welche wie ein Sack die ganze Schale verbirgt, ist innen aus
58 *
Eßbare Mießmuſchel. Modiola.
akklimatiſiren. Es wird jedoch angegeben, daß ſie mit einer Herzmuſchel von dort in einige Flüſſe weit hinauf gedrungen ſind, wo ſie auch noch von dem letzten Meeresſalz-Bedürfniß ſich emancipirt hätten.
Man benutzt die Mießmuſchel überall, wo ſie gedeiht, theils als Köder, theils auch für die menſchliche Küche und hat für dieſen letzteren Bedarf an vielen Orten eine eigene Muſchel- wirthſchaft und Zucht eingerichtet. Die neueſten genauen Nachrichten über eine ſolche geregelte Mießmuſchelzucht haben uns Meyer und Möbius in ihrem ſchönen Werke über die Fauna der Kieler Bucht gegeben. „Auf der Oberfläche der Hafenpfähle und Bretter, der Badeſchiffe, Boote und Landungsbrücken ſiedeln ſich, ſoweit ſie unter Waſſer ſtehen, Mießmuſcheln an, deren junge Brut oft wie ein dichter Raſen darauf wuchert. Jhre künſtlichen Wohnplätze ſind die Muſchel- pfähle, die Bäume, welche die Fiſcher bei Ellerbeck, einem alten maleriſchen Fiſcherdorfe, das Kiel gegenüber liegt, auf den zu ihren Häuſern gehörenden Plätzen unter Waſſer pflanzen. Zu ſolchen Muſchelbäumen werden vorzugsweiſe Ellern benutzt, weil ſie billiger als Eichen und Buchen ſind, die jedoch auch dazu dienen. Dieſen Bäumen nimmt der Fiſcher die dünnſten Zweige, ſchneidet die Jahreszahl in den Stamm, ſpitzt ſie unten zu und ſetzt ſie mit Hülfe eines Taues und einer Gabel in die Region des lebenden oder todten Seegraſes auf 2 bis 3 Faden Tiefe feſt in den Grund. Das „Setzen“ der Muſchelbäume geſchieht zu jeder Jahreszeit, „gezogen“ werden ſie aber nur im Winter, am häufigſten auf dem Eis, da dann die Muſcheln am beſten ſchmecken und ungefährlich ſind. Die Muſchelbäume ziehen ſich an beiden Seiten der Bucht dem Düſternbrooker und Ellerbecker Ufer entlang, gleichſam wie unterſeeiſche Gärten, die man nur bei ruhiger See unter dem klaren Waſſer ſehen kann. Treiben anhaltende Weſtwinde viel Waſſer aus der Bucht hinaus, ſo ragt wohl hie und da die höchſte Spitze eines Baumes über den niedrigen Waſſerſpiegel heraus. Sonſt bleiben ſie immer bedeckt und unſichtbar. Wir haben oft Muſchelpfähle ziehen laſſen, um die Bewohner derſelben zu ſammeln, und uns dabei an den Hantirungen und Bemerkungen der Ellenbecker Fiſcher ergötzt. Sie haben Kähne von uralter Form mit flachem Boden und ſteilen Seitenwänden und rudern dieſelben mit ſpatenförmigen Schaufeln. Den Stand ihrer Muſchelpfähle wiſſen ſie durch Merkzeichen am Lande, die ſie aus der Ferne fixiren, aufzufinden. Und wenn ſie über einem Baum angekommen ſind, ſo treiben ſie eine Stange in den Grund, um den Kahn daran feſtzubinden; dann ſchlingen ſie ein Tau um einen Haken, führen dieſes unter Waſſer um den Stamm des Muſchelbaumes herum und winden denſelben damit in die Höhe. Sobald er erſt aus dem Grunde gezogen iſt, hebt er ſich viel leichter, erſcheint dann bald an der Oberfläche und wird ſo weit über das Waſſer gehoben, daß die Muſcheln von den Zweigen gepflückt werden können. Gewöhnlich ſind dieſe recht beſetzt. Jn Büſcheln und Klumpen hängen daran große Muſcheln, die ihre Byſſusfäden entweder am Holze oder an den Schalen ihrer Nachbarn feſtgeſponnen haben, und zwiſchen ihnen und auf ihren Schalen wimmelt es von verſchiedenen Thieren.“
„Jn der Kieler Bucht werden jährlich gegen tauſend Muſchelpfähle geſetzt und ebenſoviel gezogen, nachdem ſie drei bis fünf Jahre geſtanden haben; denn ſo viel Zeit braucht die Mieß- muſchel, um ſich zu einer beliebten Speiſe auszubilden. Auf dem Kieler Markte kommen im Jahre ungefähr 800 Tonnen Muſcheln zum Verkauf, wovon jede durchſchnittlich 4200 Stück enthält. Alſo werden zuſammen in einem Winter 3,360,000 Stück geerntet. Es giebt gute und ſchlechte Jahr- gänge und zwar nicht bloß in Rückſicht der Menge, ſondern auch der Qualität der Muſcheln.“
Modiola weicht von der vorhergehenden Gattung nur ſehr unweſentlich ab. Das Thier ſcheint in Nichts von Mytilus verſchieden. Nur die Wirbel des Gehäuſes ſtehen nicht auf der vorderen Spitze ſelbſt, ſondern ſind ſeitlich auf die kurze Seite geneigt. Die Arten ſind auch hier ziemlich zahlreich und kommen in allen Meeren vor. Jntereſſant ſind diejenigen, welche ſich mit Hülfe ihres Byſſus mit einem Geſpinnſt oder Neſt umgeben. „Eine wunderliche Hülle“, ſagt Philippi von Modiola vestita, „welche wie ein Sack die ganze Schale verbirgt, iſt innen aus
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Eßbare Mießmuſchel. Modiola.
akklimatiſiren. Es wird jedoch angegeben, daß ſie mit einer Herzmuſchel von dort in einige
Flüſſe weit hinauf gedrungen ſind, wo ſie auch noch von dem letzten Meeresſalz-Bedürfniß ſich
emancipirt hätten.
Man benutzt die Mießmuſchel überall, wo ſie gedeiht, theils als Köder, theils auch für die
menſchliche Küche und hat für dieſen letzteren Bedarf an vielen Orten eine eigene Muſchel-
wirthſchaft und Zucht eingerichtet. Die neueſten genauen Nachrichten über eine ſolche geregelte
Mießmuſchelzucht haben uns Meyer und Möbius in ihrem ſchönen Werke über die Fauna der
Kieler Bucht gegeben. „Auf der Oberfläche der Hafenpfähle und Bretter, der Badeſchiffe, Boote
und Landungsbrücken ſiedeln ſich, ſoweit ſie unter Waſſer ſtehen, Mießmuſcheln an, deren junge
Brut oft wie ein dichter Raſen darauf wuchert. Jhre künſtlichen Wohnplätze ſind die Muſchel-
pfähle, die Bäume, welche die Fiſcher bei Ellerbeck, einem alten maleriſchen Fiſcherdorfe, das
Kiel gegenüber liegt, auf den zu ihren Häuſern gehörenden Plätzen unter Waſſer pflanzen.
Zu ſolchen Muſchelbäumen werden vorzugsweiſe Ellern benutzt, weil ſie billiger als Eichen und
Buchen ſind, die jedoch auch dazu dienen. Dieſen Bäumen nimmt der Fiſcher die dünnſten
Zweige, ſchneidet die Jahreszahl in den Stamm, ſpitzt ſie unten zu und ſetzt ſie mit Hülfe
eines Taues und einer Gabel in die Region des lebenden oder todten Seegraſes auf 2 bis
3 Faden Tiefe feſt in den Grund. Das „Setzen“ der Muſchelbäume geſchieht zu jeder Jahreszeit,
„gezogen“ werden ſie aber nur im Winter, am häufigſten auf dem Eis, da dann die Muſcheln
am beſten ſchmecken und ungefährlich ſind. Die Muſchelbäume ziehen ſich an beiden Seiten der
Bucht dem Düſternbrooker und Ellerbecker Ufer entlang, gleichſam wie unterſeeiſche Gärten, die
man nur bei ruhiger See unter dem klaren Waſſer ſehen kann. Treiben anhaltende Weſtwinde
viel Waſſer aus der Bucht hinaus, ſo ragt wohl hie und da die höchſte Spitze eines Baumes
über den niedrigen Waſſerſpiegel heraus. Sonſt bleiben ſie immer bedeckt und unſichtbar. Wir
haben oft Muſchelpfähle ziehen laſſen, um die Bewohner derſelben zu ſammeln, und uns dabei an
den Hantirungen und Bemerkungen der Ellenbecker Fiſcher ergötzt. Sie haben Kähne von uralter
Form mit flachem Boden und ſteilen Seitenwänden und rudern dieſelben mit ſpatenförmigen
Schaufeln. Den Stand ihrer Muſchelpfähle wiſſen ſie durch Merkzeichen am Lande, die ſie aus
der Ferne fixiren, aufzufinden. Und wenn ſie über einem Baum angekommen ſind, ſo treiben ſie
eine Stange in den Grund, um den Kahn daran feſtzubinden; dann ſchlingen ſie ein Tau um
einen Haken, führen dieſes unter Waſſer um den Stamm des Muſchelbaumes herum und winden
denſelben damit in die Höhe. Sobald er erſt aus dem Grunde gezogen iſt, hebt er ſich viel
leichter, erſcheint dann bald an der Oberfläche und wird ſo weit über das Waſſer gehoben, daß
die Muſcheln von den Zweigen gepflückt werden können. Gewöhnlich ſind dieſe recht beſetzt.
Jn Büſcheln und Klumpen hängen daran große Muſcheln, die ihre Byſſusfäden entweder am
Holze oder an den Schalen ihrer Nachbarn feſtgeſponnen haben, und zwiſchen ihnen und auf
ihren Schalen wimmelt es von verſchiedenen Thieren.“
„Jn der Kieler Bucht werden jährlich gegen tauſend Muſchelpfähle geſetzt und ebenſoviel
gezogen, nachdem ſie drei bis fünf Jahre geſtanden haben; denn ſo viel Zeit braucht die Mieß-
muſchel, um ſich zu einer beliebten Speiſe auszubilden. Auf dem Kieler Markte kommen im
Jahre ungefähr 800 Tonnen Muſcheln zum Verkauf, wovon jede durchſchnittlich 4200 Stück enthält.
Alſo werden zuſammen in einem Winter 3,360,000 Stück geerntet. Es giebt gute und ſchlechte Jahr-
gänge und zwar nicht bloß in Rückſicht der Menge, ſondern auch der Qualität der Muſcheln.“
Modiola weicht von der vorhergehenden Gattung nur ſehr unweſentlich ab. Das Thier
ſcheint in Nichts von Mytilus verſchieden. Nur die Wirbel des Gehäuſes ſtehen nicht auf der
vorderen Spitze ſelbſt, ſondern ſind ſeitlich auf die kurze Seite geneigt. Die Arten ſind auch hier
ziemlich zahlreich und kommen in allen Meeren vor. Jntereſſant ſind diejenigen, welche ſich mit
Hülfe ihres Byſſus mit einem Geſpinnſt oder Neſt umgeben. „Eine wunderliche Hülle“, ſagt
Philippi von Modiola vestita, „welche wie ein Sack die ganze Schale verbirgt, iſt innen aus
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 915. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/963>, abgerufen am 23.11.2024.
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