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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Muscheln. Dimyarier. Tellinaceen u. a.
sitzen. Sie werden theils wegen ihres minder guten Fleisches, theils wegen des Byssus gesucht,
aus welchem in Unteritalien allerhand Geflechte und Webereien angefertigt werden, jedoch mehr
der Kuriosität wegen, als daß ein eigentlicher Handelsartikel daraus würde.

Schon die Alten haben beobachtet, daß sehr häufig (sie glauben, immer) die Pinne in
ihrer Mantelhöhle einen rundlichen Krebs beherbergt, den sie Pinnotheres oder Pinnophylax, den
Pinnenwächter nannten. "Das Amt dieser Hüter", sagt noch Rumpf, dem Plinius folgend,
"besteht darinnen, daß sie die Steckmuschel kneipen müssen, wenn etwa einige Speise in der
Schale vorhanden, oder irgend eine Gefahr zu befürchten ist, damit die Muschel gleich ihre Schalen
zusammenziehe." Plinius fügt noch hinzu, daß der Wächter für seinen Dienst einen Theil der
Beute erhalte. Wir haben diese Fabeln schon oben, Seite 632, angedeutet. Es bedarf kaum
der Erwähnung, daß die dem Krebs zugedachte Rolle zum Besten der Muschel eben nichts als
ein artiges Mährchen ist.



Wir lassen nun einige der Familien oder wenigstens Sippen als Familien-Repräsentanten
folgen, deren Mantel hinten in zwei mehr oder minder lange Röhren oder Siphonen ausgeht
und deren Schale die Mantelbucht zeigt. Man sehe die Abbildung Seite 896.

Eine der umfangreichsten Muschelfamilien ist diejenige der Tellinaceen (Tellinacea).
Das Thier hat den Mantel in seiner ganzen Länge getheilt. Der Fuß ist zusammengedrückt und
erzeugt nie einen Bart. Die Kiemen sind blattartig. Die Schale ist ziemlich gleichschalig. Die
hierher gehörigen Arten, über alle Zonen der Erde verbreitet, leben frei im Sande. Sie sind
theils Meer-theils Süßwasserbewohner. Unter jenen finden sich viele eßbare Muscheln, namentlich
aus der Sippe Venus, welche zugleich viele durch Schönheit der Farben und mancherlei stachelige
Auswüchse ausgezeichnete, von den Muschelsammlern sehr gesuchte und ehemals hoch bezahlte
Arten enthält. Seit einigen Jahren hat man angefangen, auch manche dieser im Sande und
Schlamme sich vergrabenden Muscheln in den Aquarien zu halten, nachdem man die Schen über-
wunden, den Boden mit einigen Zoll hoch Schlamm zu bedecken. Der feinst vertheilte Schlamm
setzt sich bald und aus ihm strecken alsdann die Muscheln ihre After- und Athemröhre in das
klare Wasser heraus.

Nächst Venus ist Tellina die artenreichste Gattung, indem über 200 bekannt sind. Jhre
Schalen sind flach und meist sehr zart gefärbt. Manche Tellinen und Donax-Arten sind im
Stande, sich springend fortzubewegen. Sie suchen zuerst sich durch passende Manöver des Fußes
auf den Rücken zu legen, strecken dann den sehr dehnbaren, geknieten Fuß vorn um die Schale
herum und lassen ihn dann, gleich einer Feder, gegen den Sand anschnellen.

Die Beobachtung und wissenschaftliche Untersuchung hat sich mit Vorliebe mit einigen dem
süßen Wasser angehörigen Tellinaceen beschäftigt, namentlich der ziemlich viele Arten enthaltenden
und weit verbreiteten Gattung Cyclas. Sie graben sich seltener ein, sondern halten sich lieber zwischen
den Stengeln der Pflanzen auf, wo sie mit einer für eine Muschel ganz anständigen Beweglichkeit
und minderen Langsamkeit einhersteigen. Sie sollen auch, was ich jedoch nicht gesehen, gleich den
Süßwasserschnecken an dem Wasserspiegel hängen und kriechen können. Die größte der einheimischen,
Cyclas rivicola, wird 10 Linien lang, die übrigen kaum halb so lang, darunter die gemeinste
Cyclas cornea, so genannt von dem graulich hornfarbenem Aussehen ihrer Schale. Auch bei
den Cycladen gelangen die Eier, um sich zu entwickeln, nicht ins Freie, sondern in eigenthümliche,
an der Jnnenseite der Kiemenblätter zur Brutzeit auftretende Bruttaschen. Wir haben neuerlich
durch Stepanoff erfahren, daß die Entstehung dieser Bruttaschen große Analogie bietet mit den
Wulsten, welche bei der Krötengattung Pipa um die auf den Rücken des Weibchens gebrachten
Eier sich legen. Stepanoff fand gewöhnlich an einem Kiemenblatte eine ganze Reihe von
Bruttaschen auf verschiedenen Entwicklungsstadien. "Jn den einzelnen Bruttaschen findet sich eine

Muſcheln. Dimyarier. Tellinaceen u. a.
ſitzen. Sie werden theils wegen ihres minder guten Fleiſches, theils wegen des Byſſus geſucht,
aus welchem in Unteritalien allerhand Geflechte und Webereien angefertigt werden, jedoch mehr
der Kurioſität wegen, als daß ein eigentlicher Handelsartikel daraus würde.

Schon die Alten haben beobachtet, daß ſehr häufig (ſie glauben, immer) die Pinne in
ihrer Mantelhöhle einen rundlichen Krebs beherbergt, den ſie Pinnotheres oder Pinnophylax, den
Pinnenwächter nannten. „Das Amt dieſer Hüter“, ſagt noch Rumpf, dem Plinius folgend,
„beſteht darinnen, daß ſie die Steckmuſchel kneipen müſſen, wenn etwa einige Speiſe in der
Schale vorhanden, oder irgend eine Gefahr zu befürchten iſt, damit die Muſchel gleich ihre Schalen
zuſammenziehe.“ Plinius fügt noch hinzu, daß der Wächter für ſeinen Dienſt einen Theil der
Beute erhalte. Wir haben dieſe Fabeln ſchon oben, Seite 632, angedeutet. Es bedarf kaum
der Erwähnung, daß die dem Krebs zugedachte Rolle zum Beſten der Muſchel eben nichts als
ein artiges Mährchen iſt.



Wir laſſen nun einige der Familien oder wenigſtens Sippen als Familien-Repräſentanten
folgen, deren Mantel hinten in zwei mehr oder minder lange Röhren oder Siphonen ausgeht
und deren Schale die Mantelbucht zeigt. Man ſehe die Abbildung Seite 896.

Eine der umfangreichſten Muſchelfamilien iſt diejenige der Tellinaceen (Tellinacea).
Das Thier hat den Mantel in ſeiner ganzen Länge getheilt. Der Fuß iſt zuſammengedrückt und
erzeugt nie einen Bart. Die Kiemen ſind blattartig. Die Schale iſt ziemlich gleichſchalig. Die
hierher gehörigen Arten, über alle Zonen der Erde verbreitet, leben frei im Sande. Sie ſind
theils Meer-theils Süßwaſſerbewohner. Unter jenen finden ſich viele eßbare Muſcheln, namentlich
aus der Sippe Venus, welche zugleich viele durch Schönheit der Farben und mancherlei ſtachelige
Auswüchſe ausgezeichnete, von den Muſchelſammlern ſehr geſuchte und ehemals hoch bezahlte
Arten enthält. Seit einigen Jahren hat man angefangen, auch manche dieſer im Sande und
Schlamme ſich vergrabenden Muſcheln in den Aquarien zu halten, nachdem man die Schen über-
wunden, den Boden mit einigen Zoll hoch Schlamm zu bedecken. Der feinſt vertheilte Schlamm
ſetzt ſich bald und aus ihm ſtrecken alsdann die Muſcheln ihre After- und Athemröhre in das
klare Waſſer heraus.

Nächſt Venus iſt Tellina die artenreichſte Gattung, indem über 200 bekannt ſind. Jhre
Schalen ſind flach und meiſt ſehr zart gefärbt. Manche Tellinen und Donax-Arten ſind im
Stande, ſich ſpringend fortzubewegen. Sie ſuchen zuerſt ſich durch paſſende Manöver des Fußes
auf den Rücken zu legen, ſtrecken dann den ſehr dehnbaren, geknieten Fuß vorn um die Schale
herum und laſſen ihn dann, gleich einer Feder, gegen den Sand anſchnellen.

Die Beobachtung und wiſſenſchaftliche Unterſuchung hat ſich mit Vorliebe mit einigen dem
ſüßen Waſſer angehörigen Tellinaceen beſchäftigt, namentlich der ziemlich viele Arten enthaltenden
und weit verbreiteten Gattung Cyclas. Sie graben ſich ſeltener ein, ſondern halten ſich lieber zwiſchen
den Stengeln der Pflanzen auf, wo ſie mit einer für eine Muſchel ganz anſtändigen Beweglichkeit
und minderen Langſamkeit einherſteigen. Sie ſollen auch, was ich jedoch nicht geſehen, gleich den
Süßwaſſerſchnecken an dem Waſſerſpiegel hängen und kriechen können. Die größte der einheimiſchen,
Cyclas rivicola, wird 10 Linien lang, die übrigen kaum halb ſo lang, darunter die gemeinſte
Cyclas cornea, ſo genannt von dem graulich hornfarbenem Ausſehen ihrer Schale. Auch bei
den Cycladen gelangen die Eier, um ſich zu entwickeln, nicht ins Freie, ſondern in eigenthümliche,
an der Jnnenſeite der Kiemenblätter zur Brutzeit auftretende Bruttaſchen. Wir haben neuerlich
durch Stepanoff erfahren, daß die Entſtehung dieſer Bruttaſchen große Analogie bietet mit den
Wulſten, welche bei der Krötengattung Pipa um die auf den Rücken des Weibchens gebrachten
Eier ſich legen. Stepanoff fand gewöhnlich an einem Kiemenblatte eine ganze Reihe von
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[920/0968] Muſcheln. Dimyarier. Tellinaceen u. a. ſitzen. Sie werden theils wegen ihres minder guten Fleiſches, theils wegen des Byſſus geſucht, aus welchem in Unteritalien allerhand Geflechte und Webereien angefertigt werden, jedoch mehr der Kurioſität wegen, als daß ein eigentlicher Handelsartikel daraus würde. Schon die Alten haben beobachtet, daß ſehr häufig (ſie glauben, immer) die Pinne in ihrer Mantelhöhle einen rundlichen Krebs beherbergt, den ſie Pinnotheres oder Pinnophylax, den Pinnenwächter nannten. „Das Amt dieſer Hüter“, ſagt noch Rumpf, dem Plinius folgend, „beſteht darinnen, daß ſie die Steckmuſchel kneipen müſſen, wenn etwa einige Speiſe in der Schale vorhanden, oder irgend eine Gefahr zu befürchten iſt, damit die Muſchel gleich ihre Schalen zuſammenziehe.“ Plinius fügt noch hinzu, daß der Wächter für ſeinen Dienſt einen Theil der Beute erhalte. Wir haben dieſe Fabeln ſchon oben, Seite 632, angedeutet. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die dem Krebs zugedachte Rolle zum Beſten der Muſchel eben nichts als ein artiges Mährchen iſt. Wir laſſen nun einige der Familien oder wenigſtens Sippen als Familien-Repräſentanten folgen, deren Mantel hinten in zwei mehr oder minder lange Röhren oder Siphonen ausgeht und deren Schale die Mantelbucht zeigt. Man ſehe die Abbildung Seite 896. Eine der umfangreichſten Muſchelfamilien iſt diejenige der Tellinaceen (Tellinacea). Das Thier hat den Mantel in ſeiner ganzen Länge getheilt. Der Fuß iſt zuſammengedrückt und erzeugt nie einen Bart. Die Kiemen ſind blattartig. Die Schale iſt ziemlich gleichſchalig. Die hierher gehörigen Arten, über alle Zonen der Erde verbreitet, leben frei im Sande. Sie ſind theils Meer-theils Süßwaſſerbewohner. Unter jenen finden ſich viele eßbare Muſcheln, namentlich aus der Sippe Venus, welche zugleich viele durch Schönheit der Farben und mancherlei ſtachelige Auswüchſe ausgezeichnete, von den Muſchelſammlern ſehr geſuchte und ehemals hoch bezahlte Arten enthält. Seit einigen Jahren hat man angefangen, auch manche dieſer im Sande und Schlamme ſich vergrabenden Muſcheln in den Aquarien zu halten, nachdem man die Schen über- wunden, den Boden mit einigen Zoll hoch Schlamm zu bedecken. Der feinſt vertheilte Schlamm ſetzt ſich bald und aus ihm ſtrecken alsdann die Muſcheln ihre After- und Athemröhre in das klare Waſſer heraus. Nächſt Venus iſt Tellina die artenreichſte Gattung, indem über 200 bekannt ſind. Jhre Schalen ſind flach und meiſt ſehr zart gefärbt. Manche Tellinen und Donax-Arten ſind im Stande, ſich ſpringend fortzubewegen. Sie ſuchen zuerſt ſich durch paſſende Manöver des Fußes auf den Rücken zu legen, ſtrecken dann den ſehr dehnbaren, geknieten Fuß vorn um die Schale herum und laſſen ihn dann, gleich einer Feder, gegen den Sand anſchnellen. Die Beobachtung und wiſſenſchaftliche Unterſuchung hat ſich mit Vorliebe mit einigen dem ſüßen Waſſer angehörigen Tellinaceen beſchäftigt, namentlich der ziemlich viele Arten enthaltenden und weit verbreiteten Gattung Cyclas. Sie graben ſich ſeltener ein, ſondern halten ſich lieber zwiſchen den Stengeln der Pflanzen auf, wo ſie mit einer für eine Muſchel ganz anſtändigen Beweglichkeit und minderen Langſamkeit einherſteigen. Sie ſollen auch, was ich jedoch nicht geſehen, gleich den Süßwaſſerſchnecken an dem Waſſerſpiegel hängen und kriechen können. Die größte der einheimiſchen, Cyclas rivicola, wird 10 Linien lang, die übrigen kaum halb ſo lang, darunter die gemeinſte Cyclas cornea, ſo genannt von dem graulich hornfarbenem Ausſehen ihrer Schale. Auch bei den Cycladen gelangen die Eier, um ſich zu entwickeln, nicht ins Freie, ſondern in eigenthümliche, an der Jnnenſeite der Kiemenblätter zur Brutzeit auftretende Bruttaſchen. Wir haben neuerlich durch Stepanoff erfahren, daß die Entſtehung dieſer Bruttaſchen große Analogie bietet mit den Wulſten, welche bei der Krötengattung Pipa um die auf den Rücken des Weibchens gebrachten Eier ſich legen. Stepanoff fand gewöhnlich an einem Kiemenblatte eine ganze Reihe von Bruttaſchen auf verſchiedenen Entwicklungsſtadien. „Jn den einzelnen Bruttaſchen findet ſich eine

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 920. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/968>, abgerufen am 23.11.2024.