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Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909.

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Soldaten. Außerdem bedeutet die Schlechterstellung der Militäruntaug-
lichen eine Ungerechtigkeit gegenüber den körperlich Schwachen und eine
Jnkonsequenz. Soll die Stimme eine Belohnung für geleistete
Militärdienste darstellen, so müßte sie logischerweise besonders den
aktiven Militärpersonen gegeben werden - die aber dürfen bekanntlich
garnicht wählen, ihr Wahlrecht ruht, solange sie sich bei der Fahne
befinden. Daß die Frau durch die Bindung der Wahlstimme an die
Dienstpflicht wieder benachteiligt würde, ist selbstverständlich.

Aus dem gesagten geht wohl hervor, daß ein Pluralwahlrecht
von den Frauen keinesfalls erstrebt werden darf, daß sie vielmehr
dagegen kämpfen müssen von dem Augenblick an, wo die Regierung
ernsthaft mit ähnlichen Vorschlägen kommt. Und wir dürfen uns
nicht von denen beirren lassen, die darauf hinweisen, daß auch das
allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht nicht ganz voll-
kommen sei. Daß auch bei diesem Wahlrecht Mängel zu finden sind,
die Minoritäten kommen z. B. nicht in genügender Weise zur Geltung
- ist sicher. Aber es ist das beste und gerechteste Wahlrecht, das bis jetzt
in einen großen Staate erprobt ist; es ist einfach in seiner Anwendung,
den Massen verständlich und sichert bei einer gerechten Wahlkreiseinteilung
und einer strengen Kontrolle der Wahlbeeinflussungen dem einzelnen Wähler
einen größeren Anteil an politischem Einfluß als die bisher genannten
Systeme. Für die Bundesstaaten des deutschen Reiches ist die For-
derung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts
schon deshalb die nächstliegende, weil immer wieder darauf hingewiesen
werden kann, daß der schlechte Einfluß, den es nach der Ansicht seiner
Gegner auf die Zusammensetzung der Volksvertretung ausüben soll,
sich beim deutschen Reichstag in keiner Weise bemerkbar macht. Es
denkt heute im deutschen Reiche wohl niemand mehr daran, das Reichs-
tagswahlrecht abzuschaffen; warum soll es sich nicht auch für den
preußischen Landtag eignen?

Vielleicht böte das Proportionalwahlrecht für die
Frauen mehr Aussicht, selbst einmal Kandidatinnen in das Parlament
zu bringen. Vor allen Dingen dadurch, daß nur wenige ganz große
Wahlkreise gebildet werden, für die dann nicht einer, sondern eine
ganze Anzahl von Abgeordneten zu wählen sind. Kann aber jede
Partei in jedem Wahlkreis mehrere Kandidaten aufstellen - sie wird
natürlich möglichst soviel aufstellen als Abgeordneten zu wählen sind, -
so ist auch eher anzunehmen, daß sie vielleicht an dritter oder vierter
Stelle eine Frau aufstellen würde, während sie heute wohl alle vor-
ziehen einen männlichen Parteigenossen aufzustellen. Jn den sogenann-
ten Einmannswahlkreisen wäre selbstverständlich auch eine von Frauen-

Soldaten. Außerdem bedeutet die Schlechterstellung der Militäruntaug-
lichen eine Ungerechtigkeit gegenüber den körperlich Schwachen und eine
Jnkonsequenz. Soll die Stimme eine Belohnung für geleistete
Militärdienste darstellen, so müßte sie logischerweise besonders den
aktiven Militärpersonen gegeben werden – die aber dürfen bekanntlich
garnicht wählen, ihr Wahlrecht ruht, solange sie sich bei der Fahne
befinden. Daß die Frau durch die Bindung der Wahlstimme an die
Dienstpflicht wieder benachteiligt würde, ist selbstverständlich.

Aus dem gesagten geht wohl hervor, daß ein Pluralwahlrecht
von den Frauen keinesfalls erstrebt werden darf, daß sie vielmehr
dagegen kämpfen müssen von dem Augenblick an, wo die Regierung
ernsthaft mit ähnlichen Vorschlägen kommt. Und wir dürfen uns
nicht von denen beirren lassen, die darauf hinweisen, daß auch das
allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht nicht ganz voll-
kommen sei. Daß auch bei diesem Wahlrecht Mängel zu finden sind,
die Minoritäten kommen z. B. nicht in genügender Weise zur Geltung
– ist sicher. Aber es ist das beste und gerechteste Wahlrecht, das bis jetzt
in einen großen Staate erprobt ist; es ist einfach in seiner Anwendung,
den Massen verständlich und sichert bei einer gerechten Wahlkreiseinteilung
und einer strengen Kontrolle der Wahlbeeinflussungen dem einzelnen Wähler
einen größeren Anteil an politischem Einfluß als die bisher genannten
Systeme. Für die Bundesstaaten des deutschen Reiches ist die For-
derung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts
schon deshalb die nächstliegende, weil immer wieder darauf hingewiesen
werden kann, daß der schlechte Einfluß, den es nach der Ansicht seiner
Gegner auf die Zusammensetzung der Volksvertretung ausüben soll,
sich beim deutschen Reichstag in keiner Weise bemerkbar macht. Es
denkt heute im deutschen Reiche wohl niemand mehr daran, das Reichs-
tagswahlrecht abzuschaffen; warum soll es sich nicht auch für den
preußischen Landtag eignen?

Vielleicht böte das Proportionalwahlrecht für die
Frauen mehr Aussicht, selbst einmal Kandidatinnen in das Parlament
zu bringen. Vor allen Dingen dadurch, daß nur wenige ganz große
Wahlkreise gebildet werden, für die dann nicht einer, sondern eine
ganze Anzahl von Abgeordneten zu wählen sind. Kann aber jede
Partei in jedem Wahlkreis mehrere Kandidaten aufstellen – sie wird
natürlich möglichst soviel aufstellen als Abgeordneten zu wählen sind, –
so ist auch eher anzunehmen, daß sie vielleicht an dritter oder vierter
Stelle eine Frau aufstellen würde, während sie heute wohl alle vor-
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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-19T09:11:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-10-19T09:11:18Z)

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Zitationshilfe: Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/breitscheid_notwendigkeit_1909/12>, abgerufen am 21.11.2024.