treu seine Pflicht thut und das Gute nach Kräften fördert. Ja der Mensch ist der König der sichtbaren Schöpfung. Schön und wahr sagt von ihm der fürst- liche Sänger und Prophet David: "
Du hast ihn, o Herr, nur wenig unter die Engel ernie- drigt, mit Herrlichkeit und Ehre ihn ge- krönt und ihn gesetzt über die Werke deiner Hände. Alles hast du seinen Füßen unter- worfen, Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die Thiere des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, welche die Wege des Meeres wandeln." (Ps. 8, 6-9.)
Diese hohe menschliche Würde nun wird durch die Trunksucht tief erniedrigt. Da hat ein Mann stunden- lang im Wirthshause gesessen und, wie man sich aus- zudrücken pflegt, zu tief in's Glas geschaut. Endlich erhebt er sich, sucht die Thüre und tritt unsicher auf die Straße hinaus. Betrachtet ihn, wie er dahin wankt, jetzt nach rechts, dann nach links. Gott hat diesem Manne Vernunft und Verstand gegeben, damit er denken und überlegen könne. Doch jetzt ist derselbe nicht im Stande, einen einzigen vernünftigen Gedanken zu fassen; Alles geht ihm wirr und bunt im Kopfe herum, fast noch schlimmer wie bei einem Wahnsinnigen. Der Schöpfer hat ihm die Sprache verliehen, eine herrliche Gabe, die den Menschen vor den Thieren so sehr aus- zeichnet; doch die stotternde Zunge des Betrunkenen kann nur unarticulirte Laute hervorbringen, oder spricht thörichte Worte wie ein verstandloser Knabe, oder schreit
treu seine Pflicht thut und das Gute nach Kräften fördert. Ja der Mensch ist der König der sichtbaren Schöpfung. Schön und wahr sagt von ihm der fürst- liche Sänger und Prophet David: „
Du hast ihn, o Herr, nur wenig unter die Engel ernie- drigt, mit Herrlichkeit und Ehre ihn ge- krönt und ihn gesetzt über die Werke deiner Hände. Alles hast du seinen Füßen unter- worfen, Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die Thiere des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, welche die Wege des Meeres wandeln.“ (Ps. 8, 6-9.)
Diese hohe menschliche Würde nun wird durch die Trunksucht tief erniedrigt. Da hat ein Mann stunden- lang im Wirthshause gesessen und, wie man sich aus- zudrücken pflegt, zu tief in's Glas geschaut. Endlich erhebt er sich, sucht die Thüre und tritt unsicher auf die Straße hinaus. Betrachtet ihn, wie er dahin wankt, jetzt nach rechts, dann nach links. Gott hat diesem Manne Vernunft und Verstand gegeben, damit er denken und überlegen könne. Doch jetzt ist derselbe nicht im Stande, einen einzigen vernünftigen Gedanken zu fassen; Alles geht ihm wirr und bunt im Kopfe herum, fast noch schlimmer wie bei einem Wahnsinnigen. Der Schöpfer hat ihm die Sprache verliehen, eine herrliche Gabe, die den Menschen vor den Thieren so sehr aus- zeichnet; doch die stotternde Zunge des Betrunkenen kann nur unarticulirte Laute hervorbringen, oder spricht thörichte Worte wie ein verstandloser Knabe, oder schreit
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[208/0220]
treu seine Pflicht thut und das Gute nach Kräften
fördert. Ja der Mensch ist der König der sichtbaren
Schöpfung. Schön und wahr sagt von ihm der fürst-
liche Sänger und Prophet David: „ Du hast ihn,
o Herr, nur wenig unter die Engel ernie-
drigt, mit Herrlichkeit und Ehre ihn ge-
krönt und ihn gesetzt über die Werke deiner
Hände. Alles hast du seinen Füßen unter-
worfen, Schafe und Rinder allzumal, dazu
auch die Thiere des Feldes, die Vögel des
Himmels und die Fische des Meeres, welche
die Wege des Meeres wandeln.“ (Ps. 8, 6-9.)
Diese hohe menschliche Würde nun wird durch die
Trunksucht tief erniedrigt. Da hat ein Mann stunden-
lang im Wirthshause gesessen und, wie man sich aus-
zudrücken pflegt, zu tief in's Glas geschaut. Endlich
erhebt er sich, sucht die Thüre und tritt unsicher auf
die Straße hinaus. Betrachtet ihn, wie er dahin wankt,
jetzt nach rechts, dann nach links. Gott hat diesem
Manne Vernunft und Verstand gegeben, damit er
denken und überlegen könne. Doch jetzt ist derselbe nicht
im Stande, einen einzigen vernünftigen Gedanken zu
fassen; Alles geht ihm wirr und bunt im Kopfe herum,
fast noch schlimmer wie bei einem Wahnsinnigen. Der
Schöpfer hat ihm die Sprache verliehen, eine herrliche
Gabe, die den Menschen vor den Thieren so sehr aus-
zeichnet; doch die stotternde Zunge des Betrunkenen
kann nur unarticulirte Laute hervorbringen, oder spricht
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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/220>, abgerufen am 24.11.2024.
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