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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901.

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Dasselbe Blut fließt in ihren Adern; sie haben in
einem und demselben Hause ihre Jugend zugebracht;
eine und dieselbe Mutter hat ihre Liebe an sie ver-
schwendet, hat sie mit Gott bekannt gemacht und zu
ihm beten gelehrt; ein und derselbe Vater hat für sie
seine Schweißtropfen vergossen und seine Kräfte und
seine Gesundheit für sie zum Opfer gebracht. Doch die
herzlose Geldliebe zerreißt dieses schöne Band, das die
Geschwister mit einander vereinigen soll. Kaum sind
die Thränen, die man am Grabe der kürzlich verstorbenen
Eltern geweint hat, getrocknet, so bricht schon Zank und
Streit aus zwischen Brüdern und Schwestern, weil
man glaubt, bei der Erbschaft um einige Mark be-
nachtheiligt worden zu sein.

Sollte nicht wahre Liebe, nicht eine edle Neigung
des Herzens den Ehebund schließen? Doch da will ein
junger Mann, der das Geld unordentlich liebt, in den
Ehestand treten. Worauf richtet er nun seine Aufmerksam-
keit bei der Wahl seiner Lebensgefährtin? Vielleicht
auf Frömmigkeit, auf Sittsamkeit und Bescheidenheit,
auf einen guten, sanften und doch gediegenen Charak-
ter? Nein, das ist ihm Nebensache. Geld ist der
Magnet, der ihn anzieht. Wenn seine Braut nur so
und so viele Tausende mit in den Ehestand bringt,
dann ist er zufrieden und überlegt nicht weiter, ob er
später auch mit ihr glücklich und tugendhaft leben könne.
Er heirathet mehr das Geld, als die Person. Und
befindet er sich im Ehestand, so bleibt ihm auch das
Geld theuerer als Frau und Kinder. Er sorgt vielleicht

Dasselbe Blut fließt in ihren Adern; sie haben in
einem und demselben Hause ihre Jugend zugebracht;
eine und dieselbe Mutter hat ihre Liebe an sie ver-
schwendet, hat sie mit Gott bekannt gemacht und zu
ihm beten gelehrt; ein und derselbe Vater hat für sie
seine Schweißtropfen vergossen und seine Kräfte und
seine Gesundheit für sie zum Opfer gebracht. Doch die
herzlose Geldliebe zerreißt dieses schöne Band, das die
Geschwister mit einander vereinigen soll. Kaum sind
die Thränen, die man am Grabe der kürzlich verstorbenen
Eltern geweint hat, getrocknet, so bricht schon Zank und
Streit aus zwischen Brüdern und Schwestern, weil
man glaubt, bei der Erbschaft um einige Mark be-
nachtheiligt worden zu sein.

Sollte nicht wahre Liebe, nicht eine edle Neigung
des Herzens den Ehebund schließen? Doch da will ein
junger Mann, der das Geld unordentlich liebt, in den
Ehestand treten. Worauf richtet er nun seine Aufmerksam-
keit bei der Wahl seiner Lebensgefährtin? Vielleicht
auf Frömmigkeit, auf Sittsamkeit und Bescheidenheit,
auf einen guten, sanften und doch gediegenen Charak-
ter? Nein, das ist ihm Nebensache. Geld ist der
Magnet, der ihn anzieht. Wenn seine Braut nur so
und so viele Tausende mit in den Ehestand bringt,
dann ist er zufrieden und überlegt nicht weiter, ob er
später auch mit ihr glücklich und tugendhaft leben könne.
Er heirathet mehr das Geld, als die Person. Und
befindet er sich im Ehestand, so bleibt ihm auch das
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[234/0246] Dasselbe Blut fließt in ihren Adern; sie haben in einem und demselben Hause ihre Jugend zugebracht; eine und dieselbe Mutter hat ihre Liebe an sie ver- schwendet, hat sie mit Gott bekannt gemacht und zu ihm beten gelehrt; ein und derselbe Vater hat für sie seine Schweißtropfen vergossen und seine Kräfte und seine Gesundheit für sie zum Opfer gebracht. Doch die herzlose Geldliebe zerreißt dieses schöne Band, das die Geschwister mit einander vereinigen soll. Kaum sind die Thränen, die man am Grabe der kürzlich verstorbenen Eltern geweint hat, getrocknet, so bricht schon Zank und Streit aus zwischen Brüdern und Schwestern, weil man glaubt, bei der Erbschaft um einige Mark be- nachtheiligt worden zu sein. Sollte nicht wahre Liebe, nicht eine edle Neigung des Herzens den Ehebund schließen? Doch da will ein junger Mann, der das Geld unordentlich liebt, in den Ehestand treten. Worauf richtet er nun seine Aufmerksam- keit bei der Wahl seiner Lebensgefährtin? Vielleicht auf Frömmigkeit, auf Sittsamkeit und Bescheidenheit, auf einen guten, sanften und doch gediegenen Charak- ter? Nein, das ist ihm Nebensache. Geld ist der Magnet, der ihn anzieht. Wenn seine Braut nur so und so viele Tausende mit in den Ehestand bringt, dann ist er zufrieden und überlegt nicht weiter, ob er später auch mit ihr glücklich und tugendhaft leben könne. Er heirathet mehr das Geld, als die Person. Und befindet er sich im Ehestand, so bleibt ihm auch das Geld theuerer als Frau und Kinder. Er sorgt vielleicht

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Zitationshilfe: Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/246>, abgerufen am 10.05.2024.