Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und eine so schöne Nacht mit Rosen und Thalern, wie mir, und auch einen Freund, der Ihm eine Bittschrift macht, wenn es Ihm Noth thut. Aber jetzt gehe Er nach Haus, lieber Freund, und kaufe Er sich einen Bogen Papier und schreibe Er die Bittschrift; ich will hier auf ihn warten. Noch eine Stunde, dann gehe ich zu meiner Pathe, Er kann mitgehen; sie wird sich auch freuen an der Bittschrift. Sie hat gewiß ein gut Herz, aber Gottes Gerichte sind wunderbar! Nach diesen Worten ward die Alte wieder still, senkte den Kopf und schien zu beten. Der Thaler lag noch auf ihrem Schoße. Sie weinte. Liebe Mutter, was fehlt Euch, was thut Euch so weh? Ihr weinet? sprach ich? Nun, warum soll ich denn nicht weinen, ich weine auf den Thaler, ich weine auf die Bittschrift, auf Alles weine ich. Aber es hilft Nichts, es ist doch Alles viel, viel besser auf Erden, als wir Menschen es verdienen, und gallenbittre Thränen sind noch viel zu süße. Sehe Er nur einmal das goldne Kameel da drüben, an der Apotheke. Wie doch Gott Alles so herrlich und wunderbar geschaffen hat; aber der Mensch erkennt es nicht. Und ein solch Kameel geht eher durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich. -- Aber, was sitzt Er denn immer da, gehe Er, den Bogen Papier zu kaufen, und bringe Er mir die Bittschrift. Liebe Mutter, sagte ich, wie kann ich Euch die Bitt- und eine so schöne Nacht mit Rosen und Thalern, wie mir, und auch einen Freund, der Ihm eine Bittschrift macht, wenn es Ihm Noth thut. Aber jetzt gehe Er nach Haus, lieber Freund, und kaufe Er sich einen Bogen Papier und schreibe Er die Bittschrift; ich will hier auf ihn warten. Noch eine Stunde, dann gehe ich zu meiner Pathe, Er kann mitgehen; sie wird sich auch freuen an der Bittschrift. Sie hat gewiß ein gut Herz, aber Gottes Gerichte sind wunderbar! Nach diesen Worten ward die Alte wieder still, senkte den Kopf und schien zu beten. Der Thaler lag noch auf ihrem Schoße. Sie weinte. Liebe Mutter, was fehlt Euch, was thut Euch so weh? Ihr weinet? sprach ich? Nun, warum soll ich denn nicht weinen, ich weine auf den Thaler, ich weine auf die Bittschrift, auf Alles weine ich. Aber es hilft Nichts, es ist doch Alles viel, viel besser auf Erden, als wir Menschen es verdienen, und gallenbittre Thränen sind noch viel zu süße. Sehe Er nur einmal das goldne Kameel da drüben, an der Apotheke. Wie doch Gott Alles so herrlich und wunderbar geschaffen hat; aber der Mensch erkennt es nicht. Und ein solch Kameel geht eher durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich. — Aber, was sitzt Er denn immer da, gehe Er, den Bogen Papier zu kaufen, und bringe Er mir die Bittschrift. Liebe Mutter, sagte ich, wie kann ich Euch die Bitt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023"/> und eine so schöne Nacht mit Rosen und Thalern, wie mir, und auch einen Freund, der Ihm eine Bittschrift macht, wenn es Ihm Noth thut. Aber jetzt gehe Er nach Haus, lieber Freund, und kaufe Er sich einen Bogen Papier und schreibe Er die Bittschrift; ich will hier auf ihn warten. Noch eine Stunde, dann gehe ich zu meiner Pathe, Er kann mitgehen; sie wird sich auch freuen an der Bittschrift. Sie hat gewiß ein gut Herz, aber Gottes Gerichte sind wunderbar!</p><lb/> <p>Nach diesen Worten ward die Alte wieder still, senkte den Kopf und schien zu beten. Der Thaler lag noch auf ihrem Schoße. Sie weinte. Liebe Mutter, was fehlt Euch, was thut Euch so weh? Ihr weinet? sprach ich?</p><lb/> <p>Nun, warum soll ich denn nicht weinen, ich weine auf den Thaler, ich weine auf die Bittschrift, auf Alles weine ich. Aber es hilft Nichts, es ist doch Alles viel, viel besser auf Erden, als wir Menschen es verdienen, und gallenbittre Thränen sind noch viel zu süße. Sehe Er nur einmal das goldne Kameel da drüben, an der Apotheke. Wie doch Gott Alles so herrlich und wunderbar geschaffen hat; aber der Mensch erkennt es nicht. Und ein solch Kameel geht eher durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich. — Aber, was sitzt Er denn immer da, gehe Er, den Bogen Papier zu kaufen, und bringe Er mir die Bittschrift.</p><lb/> <p>Liebe Mutter, sagte ich, wie kann ich Euch die Bitt-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
und eine so schöne Nacht mit Rosen und Thalern, wie mir, und auch einen Freund, der Ihm eine Bittschrift macht, wenn es Ihm Noth thut. Aber jetzt gehe Er nach Haus, lieber Freund, und kaufe Er sich einen Bogen Papier und schreibe Er die Bittschrift; ich will hier auf ihn warten. Noch eine Stunde, dann gehe ich zu meiner Pathe, Er kann mitgehen; sie wird sich auch freuen an der Bittschrift. Sie hat gewiß ein gut Herz, aber Gottes Gerichte sind wunderbar!
Nach diesen Worten ward die Alte wieder still, senkte den Kopf und schien zu beten. Der Thaler lag noch auf ihrem Schoße. Sie weinte. Liebe Mutter, was fehlt Euch, was thut Euch so weh? Ihr weinet? sprach ich?
Nun, warum soll ich denn nicht weinen, ich weine auf den Thaler, ich weine auf die Bittschrift, auf Alles weine ich. Aber es hilft Nichts, es ist doch Alles viel, viel besser auf Erden, als wir Menschen es verdienen, und gallenbittre Thränen sind noch viel zu süße. Sehe Er nur einmal das goldne Kameel da drüben, an der Apotheke. Wie doch Gott Alles so herrlich und wunderbar geschaffen hat; aber der Mensch erkennt es nicht. Und ein solch Kameel geht eher durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich. — Aber, was sitzt Er denn immer da, gehe Er, den Bogen Papier zu kaufen, und bringe Er mir die Bittschrift.
Liebe Mutter, sagte ich, wie kann ich Euch die Bitt-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T13:27:19Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T13:27:19Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |