Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Mutter zu schmücken, und auch einen Kranz für Annerl, den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren. -- Hier ward die Alte still und schüttelte mit dem Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: Den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren, -- fuhr sie fort: Wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach, wenn ich den Herzog nur wecken dürfte! -- Wozu? fragte ich, welch Anliegen habt Ihr denn, Mutter? -- Da sagte sie ernst: O, was läge am ganzen Leben, wenn's kein End' nähme; was läge am Leben, wenn es nicht ewig wäre! und fuhr dann in ihrer Erzählung fort: Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unserm Dorf angekommen, aber morgens hatte ihm sein Wirth im Stalle gezeigt, daß sein Pferd gedrückt sei, und dabei gesagt: Mein Freund, das macht dem Reiter keine Ehre. -- Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte deswegen den Sattel hohl und leicht auf, that Alles, ihm die Wunde zu heilen, und setzte seine Reise, das Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort. So kam er am späten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unserm Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund seines Vaters kannte, sprach er bei ihm ein und wurde wie ein recht lieber Gast aus der Fremde empfangen. Kasper zog sein Pferd in den Stall, legte den Sattel und sein Felleisen in einen Winkel, und ging nun zu dem Müller in die Stube. Da fragte er dann nach den Seinigen, und hörte, daß ich alte Großmutter Mutter zu schmücken, und auch einen Kranz für Annerl, den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren. — Hier ward die Alte still und schüttelte mit dem Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: Den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren, — fuhr sie fort: Wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach, wenn ich den Herzog nur wecken dürfte! — Wozu? fragte ich, welch Anliegen habt Ihr denn, Mutter? — Da sagte sie ernst: O, was läge am ganzen Leben, wenn's kein End' nähme; was läge am Leben, wenn es nicht ewig wäre! und fuhr dann in ihrer Erzählung fort: Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unserm Dorf angekommen, aber morgens hatte ihm sein Wirth im Stalle gezeigt, daß sein Pferd gedrückt sei, und dabei gesagt: Mein Freund, das macht dem Reiter keine Ehre. — Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte deswegen den Sattel hohl und leicht auf, that Alles, ihm die Wunde zu heilen, und setzte seine Reise, das Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort. So kam er am späten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unserm Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund seines Vaters kannte, sprach er bei ihm ein und wurde wie ein recht lieber Gast aus der Fremde empfangen. Kasper zog sein Pferd in den Stall, legte den Sattel und sein Felleisen in einen Winkel, und ging nun zu dem Müller in die Stube. Da fragte er dann nach den Seinigen, und hörte, daß ich alte Großmutter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0027"/> Mutter zu schmücken, und auch einen Kranz für Annerl, den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren. —</p><lb/> <p>Hier ward die Alte still und schüttelte mit dem Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: Den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren, — fuhr sie fort: Wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach, wenn ich den Herzog nur wecken dürfte! — Wozu? fragte ich, welch Anliegen habt Ihr denn, Mutter? — Da sagte sie ernst: O, was läge am ganzen Leben, wenn's kein End' nähme; was läge am Leben, wenn es nicht ewig wäre! und fuhr dann in ihrer Erzählung fort:</p><lb/> <p>Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unserm Dorf angekommen, aber morgens hatte ihm sein Wirth im Stalle gezeigt, daß sein Pferd gedrückt sei, und dabei gesagt: Mein Freund, das macht dem Reiter keine Ehre. — Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte deswegen den Sattel hohl und leicht auf, that Alles, ihm die Wunde zu heilen, und setzte seine Reise, das Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort. So kam er am späten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unserm Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund seines Vaters kannte, sprach er bei ihm ein und wurde wie ein recht lieber Gast aus der Fremde empfangen. Kasper zog sein Pferd in den Stall, legte den Sattel und sein Felleisen in einen Winkel, und ging nun zu dem Müller in die Stube. Da fragte er dann nach den Seinigen, und hörte, daß ich alte Großmutter<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
Mutter zu schmücken, und auch einen Kranz für Annerl, den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren. —
Hier ward die Alte still und schüttelte mit dem Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: Den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren, — fuhr sie fort: Wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach, wenn ich den Herzog nur wecken dürfte! — Wozu? fragte ich, welch Anliegen habt Ihr denn, Mutter? — Da sagte sie ernst: O, was läge am ganzen Leben, wenn's kein End' nähme; was läge am Leben, wenn es nicht ewig wäre! und fuhr dann in ihrer Erzählung fort:
Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unserm Dorf angekommen, aber morgens hatte ihm sein Wirth im Stalle gezeigt, daß sein Pferd gedrückt sei, und dabei gesagt: Mein Freund, das macht dem Reiter keine Ehre. — Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte deswegen den Sattel hohl und leicht auf, that Alles, ihm die Wunde zu heilen, und setzte seine Reise, das Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort. So kam er am späten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unserm Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund seines Vaters kannte, sprach er bei ihm ein und wurde wie ein recht lieber Gast aus der Fremde empfangen. Kasper zog sein Pferd in den Stall, legte den Sattel und sein Felleisen in einen Winkel, und ging nun zu dem Müller in die Stube. Da fragte er dann nach den Seinigen, und hörte, daß ich alte Großmutter
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