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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dich sein. Kasper lag todt auf dem Grabe seiner Mutter. Er hatte sich die Kugel durch das Herz geschossen, auf welches er sich das Kränzlein, das er für schön Annerl mitgebracht, am Knopfe befestigt hatte, durch diesen Kranz hatte er sich ins Herz geschossen. Den Kranz für die Mutter hatte er schon an das Kreuz befestigt. Ich meinte, die Erde thäte sich unter mir auf bei dem Anblicke. Ich stürzte über ihn hin und schrie immer: Kasper, o du unglückseliger Mensch, was hast du gethan? Ach wer hat dir denn dein Elend erzählt? O warum habe ich dich von mir gelassen, ehe ich dir Alles gesagt! Gott, was wird dein armer Vater, dein Bruder sagen, wenn sie dich so finden. -- Ich wußte nicht, daß er sich wegen diesen das Leid angethan; ich glaubte, es habe eine ganz andere Ursache. Da kam es noch ärger. Der Gerichtshalter und die Bauern brachten den alten Finkel und seinen Sohn mit Stricken gebunden. Der Jammer erstickte mir die Stimme in der Kehle, ich konnte kein Wort sprechen. Der Gerichtshalter fragte mich: ob ich meinen Enkel nicht gesehen? Ich zeigte hin, wo er lag. Er trat zu ihm, er glaubte, er weine auf dem Grabe; er schüttelte ihn: da sah er das Blut niederstürzen. Jesus Maria! rief er aus, der Kasper hat Hand an sich gelegt. Da sahen die beiden Gefangenen sich schrecklich an; man nahm den Leib des Kasper's und trug ihn neben ihnen her nach dem Hause des Gerichtshalters. Es war ein Wehgeschrei im ganzen Dorfe, die Bauernweiber führten mich nach.

dich sein. Kasper lag todt auf dem Grabe seiner Mutter. Er hatte sich die Kugel durch das Herz geschossen, auf welches er sich das Kränzlein, das er für schön Annerl mitgebracht, am Knopfe befestigt hatte, durch diesen Kranz hatte er sich ins Herz geschossen. Den Kranz für die Mutter hatte er schon an das Kreuz befestigt. Ich meinte, die Erde thäte sich unter mir auf bei dem Anblicke. Ich stürzte über ihn hin und schrie immer: Kasper, o du unglückseliger Mensch, was hast du gethan? Ach wer hat dir denn dein Elend erzählt? O warum habe ich dich von mir gelassen, ehe ich dir Alles gesagt! Gott, was wird dein armer Vater, dein Bruder sagen, wenn sie dich so finden. — Ich wußte nicht, daß er sich wegen diesen das Leid angethan; ich glaubte, es habe eine ganz andere Ursache. Da kam es noch ärger. Der Gerichtshalter und die Bauern brachten den alten Finkel und seinen Sohn mit Stricken gebunden. Der Jammer erstickte mir die Stimme in der Kehle, ich konnte kein Wort sprechen. Der Gerichtshalter fragte mich: ob ich meinen Enkel nicht gesehen? Ich zeigte hin, wo er lag. Er trat zu ihm, er glaubte, er weine auf dem Grabe; er schüttelte ihn: da sah er das Blut niederstürzen. Jesus Maria! rief er aus, der Kasper hat Hand an sich gelegt. Da sahen die beiden Gefangenen sich schrecklich an; man nahm den Leib des Kasper's und trug ihn neben ihnen her nach dem Hause des Gerichtshalters. Es war ein Wehgeschrei im ganzen Dorfe, die Bauernweiber führten mich nach.

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[0035] dich sein. Kasper lag todt auf dem Grabe seiner Mutter. Er hatte sich die Kugel durch das Herz geschossen, auf welches er sich das Kränzlein, das er für schön Annerl mitgebracht, am Knopfe befestigt hatte, durch diesen Kranz hatte er sich ins Herz geschossen. Den Kranz für die Mutter hatte er schon an das Kreuz befestigt. Ich meinte, die Erde thäte sich unter mir auf bei dem Anblicke. Ich stürzte über ihn hin und schrie immer: Kasper, o du unglückseliger Mensch, was hast du gethan? Ach wer hat dir denn dein Elend erzählt? O warum habe ich dich von mir gelassen, ehe ich dir Alles gesagt! Gott, was wird dein armer Vater, dein Bruder sagen, wenn sie dich so finden. — Ich wußte nicht, daß er sich wegen diesen das Leid angethan; ich glaubte, es habe eine ganz andere Ursache. Da kam es noch ärger. Der Gerichtshalter und die Bauern brachten den alten Finkel und seinen Sohn mit Stricken gebunden. Der Jammer erstickte mir die Stimme in der Kehle, ich konnte kein Wort sprechen. Der Gerichtshalter fragte mich: ob ich meinen Enkel nicht gesehen? Ich zeigte hin, wo er lag. Er trat zu ihm, er glaubte, er weine auf dem Grabe; er schüttelte ihn: da sah er das Blut niederstürzen. Jesus Maria! rief er aus, der Kasper hat Hand an sich gelegt. Da sahen die beiden Gefangenen sich schrecklich an; man nahm den Leib des Kasper's und trug ihn neben ihnen her nach dem Hause des Gerichtshalters. Es war ein Wehgeschrei im ganzen Dorfe, die Bauernweiber führten mich nach.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:27:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:27:19Z)

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/35>, abgerufen am 23.11.2024.