Schloß Gockels, das wie ein Pilz in der Nacht hervorge¬ wachsen, kaum erblickt, als er ein ungemeines Geschrei erhob:
"Hört ihr Herrn und laßt euch sagen, Die Glocke hat vier Uhr geschlagen, Aber das ist noch gar nicht viel Gegen ein Schloß, das vom Himmel fiel; Da steht's vor mir ganz lang und breit, Wir leben in wunderbarer Zeit, Ich schau es an, es kömmt mir vor, Wie der alten Kuh das neue Thor. Wacht auf ihr Herrn und werdet munter, Schaut an das Wunder über Wunder, Und wahrt das Feuer und das Licht, Daß dieser Stadt kein Leid geschieht Und lobet Gott den Herren!"
Da wachten die Bürger rings am Markte auf, die Bäcker und die Fleischer rieben sich die Augen und rissen die Mäuler sperrangelweit auf und streckten die Köpfe mit sammt den Nachtmützen zum Fenster heraus und schauten das Schloß mit großem Spektakel der Verwunderung an. -- Gockel, Hinkel und Gackeleia standen am Fenster und guckten hinter dem Vorhang Allem zu. Endlich schrie ein dicker Fleischer: "da ist da, das Schloß kann Keiner wegdisputiren; aber, ob Leute darin sind, die Fleisch essen, das möcht ich wis¬ sen." "Ja, und Brod und Semmeln und Eierwecken," fuhr ein staubiger, untersetzter Bäckermeister fort. Da gieng aber auf einmal die Schloßthüre auf, und es trat ein großer, bärtiger Thürsteher heraus mit einem großen Kragen, wie ein Wagenrad, und einem breiten, silberbordirten Bandelier über der Brust und weiten gepufften Hosen und einem Feder¬ hut, wie ein alter Schweizer gekleidet; er trug einen langen Stock, woran ein silberner Knopf war, wie ein Kürbis so groß, und auf diesem ein großer silberner Hahn mit ausge¬ breiteten Flügeln. Die versammelten Leute fuhren alle aus¬
Schloß Gockels, das wie ein Pilz in der Nacht hervorge¬ wachſen, kaum erblickt, als er ein ungemeines Geſchrei erhob:
„Hoͤrt ihr Herrn und laßt euch ſagen, Die Glocke hat vier Uhr geſchlagen, Aber das iſt noch gar nicht viel Gegen ein Schloß, das vom Himmel fiel; Da ſteht's vor mir ganz lang und breit, Wir leben in wunderbarer Zeit, Ich ſchau es an, es koͤmmt mir vor, Wie der alten Kuh das neue Thor. Wacht auf ihr Herrn und werdet munter, Schaut an das Wunder uͤber Wunder, Und wahrt das Feuer und das Licht, Daß dieſer Stadt kein Leid geſchieht Und lobet Gott den Herren!“
Da wachten die Buͤrger rings am Markte auf, die Baͤcker und die Fleiſcher rieben ſich die Augen und riſſen die Maͤuler ſperrangelweit auf und ſtreckten die Koͤpfe mit ſammt den Nachtmuͤtzen zum Fenſter heraus und ſchauten das Schloß mit großem Spektakel der Verwunderung an. — Gockel, Hinkel und Gackeleia ſtanden am Fenſter und guckten hinter dem Vorhang Allem zu. Endlich ſchrie ein dicker Fleiſcher: „da iſt da, das Schloß kann Keiner wegdiſputiren; aber, ob Leute darin ſind, die Fleiſch eſſen, das moͤcht ich wiſ¬ ſen.“ „Ja, und Brod und Semmeln und Eierwecken,“ fuhr ein ſtaubiger, unterſetzter Baͤckermeiſter fort. Da gieng aber auf einmal die Schloßthuͤre auf, und es trat ein großer, baͤrtiger Thuͤrſteher heraus mit einem großen Kragen, wie ein Wagenrad, und einem breiten, ſilberbordirten Bandelier uͤber der Bruſt und weiten gepufften Hoſen und einem Feder¬ hut, wie ein alter Schweizer gekleidet; er trug einen langen Stock, woran ein ſilberner Knopf war, wie ein Kuͤrbis ſo groß, und auf dieſem ein großer ſilberner Hahn mit ausge¬ breiteten Fluͤgeln. Die verſammelten Leute fuhren alle aus¬
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Schloß Gockels, das wie ein Pilz in der Nacht hervorge¬<lb/>
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Schloß Gockels, das wie ein Pilz in der Nacht hervorge¬
wachſen, kaum erblickt, als er ein ungemeines Geſchrei
erhob:
„Hoͤrt ihr Herrn und laßt euch ſagen,
Die Glocke hat vier Uhr geſchlagen,
Aber das iſt noch gar nicht viel
Gegen ein Schloß, das vom Himmel fiel;
Da ſteht's vor mir ganz lang und breit,
Wir leben in wunderbarer Zeit,
Ich ſchau es an, es koͤmmt mir vor,
Wie der alten Kuh das neue Thor.
Wacht auf ihr Herrn und werdet munter,
Schaut an das Wunder uͤber Wunder,
Und wahrt das Feuer und das Licht,
Daß dieſer Stadt kein Leid geſchieht
Und lobet Gott den Herren!“
Da wachten die Buͤrger rings am Markte auf, die
Baͤcker und die Fleiſcher rieben ſich die Augen und riſſen die
Maͤuler ſperrangelweit auf und ſtreckten die Koͤpfe mit ſammt
den Nachtmuͤtzen zum Fenſter heraus und ſchauten das Schloß
mit großem Spektakel der Verwunderung an. — Gockel,
Hinkel und Gackeleia ſtanden am Fenſter und guckten hinter
dem Vorhang Allem zu. Endlich ſchrie ein dicker Fleiſcher:
„da iſt da, das Schloß kann Keiner wegdiſputiren; aber,
ob Leute darin ſind, die Fleiſch eſſen, das moͤcht ich wiſ¬
ſen.“ „Ja, und Brod und Semmeln und Eierwecken,“ fuhr
ein ſtaubiger, unterſetzter Baͤckermeiſter fort. Da gieng aber
auf einmal die Schloßthuͤre auf, und es trat ein großer,
baͤrtiger Thuͤrſteher heraus mit einem großen Kragen, wie
ein Wagenrad, und einem breiten, ſilberbordirten Bandelier
uͤber der Bruſt und weiten gepufften Hoſen und einem Feder¬
hut, wie ein alter Schweizer gekleidet; er trug einen langen
Stock, woran ein ſilberner Knopf war, wie ein Kuͤrbis ſo
groß, und auf dieſem ein großer ſilberner Hahn mit ausge¬
breiteten Fluͤgeln. Die verſammelten Leute fuhren alle aus¬
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/123>, abgerufen am 16.02.2025.
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