Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Herzliche Zueignung.
des Mährchens ein Kind geworden bin, um in dieser Zueignung mit
der Wahrheit herausplatzen zu dürfen. In vielen Zügen jedoch wirst
du dich gewiß gern wiederfinden, z. B. in allen den Fahnen bei dem
Leichenzuge des armen Kindes von Hennegau; denn ich selbst habe ja
schon solche Fahnen aus deinen Händen den Armen gegeben. Auch der
Name und Orden des armen Kindes von Hennegau muß deinem Herzen
nahe liegen, denn liebes Großmütterchen, wir sind wohl beide arme
Kinder, wenn gleich nicht von Hennegau. Die Ortsnamen wirst du
überhaupt nicht zu strenge nehmen, denn du weißt, daß alle höchst
wichtigen, oder gar nothwendigen Begebenheiten, Gott sey Dank,
überall geschehen sind. Du fragst mich, was mich meine leibliche
Großmutter oft gefragt: "woher hast du nur alle das wunderliche
Zeug?" -- ich antworte: "ach, es ist nicht weit her!" -- die Grund¬
lage von dem Hahn und dem Ring hörte ich als Knabe von einem
wälschen Chocolatemacher krähend erzählen. -- Gelnhausen prägte sich
mir in der Jugend durch den Zettel an einer Bude mit Wachsfiguren
ein, welcher lautete: "wahrhafte Abbildung der beiden Gebrüder
Vatermörder von Gelnhausen" -- als sey dies eine Handlungsfirma.
Später ein Mal durch diese Stadt fahrend, glaubte ich besonders
viele Bäcker und Fleischerladen dort zu sehen; wäre aber dieses nur
ein Spiel der Phantasie gewesen, so mahnt mich doch heut eine
Fügung, allen Lohn, den mir Gockel je zu Tage scharren wird,
nach Gelnhausen zu wenden. -- In das Land Hennegau bin ich
durch Gockel und Hinkel gerathen; das Ländchen Vadutz aber habe
ich von Jugend auf seines kuriosen Namens wegen gar lieb ge¬
habt, ohne doch je zu wissen, wo es eigentlich liegt; ich habe auch
nie darnach gefragt, um nicht aus einem jener Träume zu kommen,
welche die Pillen der sogenannten Wirklichkeit vergolden. Vadutz ist
mir noch jetzt das Land aller Schätze, Geheimnisse und Kleinodien
und dort ist mir das Thule, wo der König den liebsten Be¬
cher, ehe er starb, in die Fluth hinab geworfen. Da ich als ein
Knabe in dem Comtoir den gelehrten Rabbi Gedalia Schnapper
mit dem unvergleichlichen Abarbanel Meyer auf Tod und Leben, so
daß man mehrmals Wasser auf sie gießen mußte, um sie auseinan¬
der zu bringen, über die Lage eines wunderbaren Landes disputiren
hörte, welches der Fluß Sabbathion umfließt, der die ganze Woche
ein unzugängliches Steinmeer ist und nur am Sabbath seine Wogen
bewegt, floh ich auf den Speicher in die Einsiedelei eines leeren Zu¬

Herzliche Zueignung.
des Maͤhrchens ein Kind geworden bin, um in dieſer Zueignung mit
der Wahrheit herausplatzen zu duͤrfen. In vielen Zuͤgen jedoch wirſt
du dich gewiß gern wiederfinden, z. B. in allen den Fahnen bei dem
Leichenzuge des armen Kindes von Hennegau; denn ich ſelbſt habe ja
ſchon ſolche Fahnen aus deinen Haͤnden den Armen gegeben. Auch der
Name und Orden des armen Kindes von Hennegau muß deinem Herzen
nahe liegen, denn liebes Großmuͤtterchen, wir ſind wohl beide arme
Kinder, wenn gleich nicht von Hennegau. Die Ortsnamen wirſt du
uͤberhaupt nicht zu ſtrenge nehmen, denn du weißt, daß alle hoͤchſt
wichtigen, oder gar nothwendigen Begebenheiten, Gott ſey Dank,
uͤberall geſchehen ſind. Du fragſt mich, was mich meine leibliche
Großmutter oft gefragt: „woher haſt du nur alle das wunderliche
Zeug?“ — ich antworte: „ach, es iſt nicht weit her!“ — die Grund¬
lage von dem Hahn und dem Ring hoͤrte ich als Knabe von einem
waͤlſchen Chocolatemacher kraͤhend erzaͤhlen. — Gelnhauſen praͤgte ſich
mir in der Jugend durch den Zettel an einer Bude mit Wachsfiguren
ein, welcher lautete: „wahrhafte Abbildung der beiden Gebruͤder
Vatermoͤrder von Gelnhauſen“ — als ſey dies eine Handlungsfirma.
Spaͤter ein Mal durch dieſe Stadt fahrend, glaubte ich beſonders
viele Baͤcker und Fleiſcherladen dort zu ſehen; waͤre aber dieſes nur
ein Spiel der Phantaſie geweſen, ſo mahnt mich doch heut eine
Fuͤgung, allen Lohn, den mir Gockel je zu Tage ſcharren wird,
nach Gelnhauſen zu wenden. — In das Land Hennegau bin ich
durch Gockel und Hinkel gerathen; das Laͤndchen Vadutz aber habe
ich von Jugend auf ſeines kurioſen Namens wegen gar lieb ge¬
habt, ohne doch je zu wiſſen, wo es eigentlich liegt; ich habe auch
nie darnach gefragt, um nicht aus einem jener Traͤume zu kommen,
welche die Pillen der ſogenannten Wirklichkeit vergolden. Vadutz iſt
mir noch jetzt das Land aller Schaͤtze, Geheimniſſe und Kleinodien
und dort iſt mir das Thule, wo der Koͤnig den liebſten Be¬
cher, ehe er ſtarb, in die Fluth hinab geworfen. Da ich als ein
Knabe in dem Comtoir den gelehrten Rabbi Gedalia Schnapper
mit dem unvergleichlichen Abarbanel Meyer auf Tod und Leben, ſo
daß man mehrmals Waſſer auf ſie gießen mußte, um ſie auseinan¬
der zu bringen, uͤber die Lage eines wunderbaren Landes disputiren
hoͤrte, welches der Fluß Sabbathion umfließt, der die ganze Woche
ein unzugaͤngliches Steinmeer iſt und nur am Sabbath ſeine Wogen
bewegt, floh ich auf den Speicher in die Einſiedelei eines leeren Zu¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="V"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Herzliche Zueignung.</hi><lb/></fw> des Ma&#x0364;hrchens ein Kind geworden bin, um in die&#x017F;er Zueignung mit<lb/>
der Wahrheit herausplatzen zu du&#x0364;rfen. In vielen Zu&#x0364;gen jedoch wir&#x017F;t<lb/>
du dich gewiß gern wiederfinden, z. B. in allen den Fahnen bei dem<lb/>
Leichenzuge des armen Kindes von Hennegau; denn ich &#x017F;elb&#x017F;t habe ja<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;olche Fahnen aus deinen Ha&#x0364;nden den Armen gegeben. Auch der<lb/>
Name und Orden des armen Kindes von Hennegau muß deinem Herzen<lb/>
nahe liegen, denn liebes Großmu&#x0364;tterchen, wir &#x017F;ind wohl beide arme<lb/>
Kinder, wenn gleich nicht von Hennegau. Die Ortsnamen wir&#x017F;t du<lb/>
u&#x0364;berhaupt nicht zu &#x017F;trenge nehmen, denn du weißt, daß alle ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
wichtigen, oder gar nothwendigen Begebenheiten, Gott &#x017F;ey Dank,<lb/>
u&#x0364;berall ge&#x017F;chehen &#x017F;ind. Du frag&#x017F;t mich, was mich meine leibliche<lb/>
Großmutter oft gefragt: &#x201E;woher ha&#x017F;t du nur alle das wunderliche<lb/>
Zeug?&#x201C; &#x2014; ich antworte: &#x201E;ach, es i&#x017F;t nicht weit her!&#x201C; &#x2014; die Grund¬<lb/>
lage von dem Hahn und dem Ring ho&#x0364;rte ich als Knabe von einem<lb/>
wa&#x0364;l&#x017F;chen Chocolatemacher kra&#x0364;hend erza&#x0364;hlen. &#x2014; Gelnhau&#x017F;en pra&#x0364;gte &#x017F;ich<lb/>
mir in der Jugend durch den Zettel an einer Bude mit Wachsfiguren<lb/>
ein, welcher lautete: &#x201E;wahrhafte Abbildung der beiden Gebru&#x0364;der<lb/>
Vatermo&#x0364;rder von Gelnhau&#x017F;en&#x201C; &#x2014; als &#x017F;ey dies eine Handlungsfirma.<lb/>
Spa&#x0364;ter ein Mal durch die&#x017F;e Stadt fahrend, glaubte ich be&#x017F;onders<lb/>
viele Ba&#x0364;cker und Flei&#x017F;cherladen dort zu &#x017F;ehen; wa&#x0364;re aber die&#x017F;es nur<lb/>
ein Spiel der Phanta&#x017F;ie gewe&#x017F;en, &#x017F;o mahnt mich doch heut eine<lb/>
Fu&#x0364;gung, allen Lohn, den mir Gockel je zu Tage &#x017F;charren wird,<lb/>
nach Gelnhau&#x017F;en zu wenden. &#x2014; In das Land Hennegau bin ich<lb/>
durch Gockel und Hinkel gerathen; das La&#x0364;ndchen Vadutz aber habe<lb/>
ich von Jugend auf &#x017F;eines kurio&#x017F;en Namens wegen gar lieb ge¬<lb/>
habt, ohne doch je zu wi&#x017F;&#x017F;en, wo es eigentlich liegt; ich habe auch<lb/>
nie darnach gefragt, um nicht aus einem jener Tra&#x0364;ume zu kommen,<lb/>
welche die Pillen der &#x017F;ogenannten Wirklichkeit vergolden. Vadutz i&#x017F;t<lb/>
mir noch jetzt das Land aller Scha&#x0364;tze, Geheimni&#x017F;&#x017F;e und Kleinodien<lb/>
und dort i&#x017F;t mir das Thule, wo der Ko&#x0364;nig den lieb&#x017F;ten Be¬<lb/>
cher, ehe er &#x017F;tarb, in die Fluth hinab geworfen. Da ich als ein<lb/>
Knabe in dem Comtoir den gelehrten Rabbi Gedalia Schnapper<lb/>
mit dem unvergleichlichen Abarbanel Meyer auf Tod und Leben, &#x017F;o<lb/>
daß man mehrmals Wa&#x017F;&#x017F;er auf &#x017F;ie gießen mußte, um &#x017F;ie auseinan¬<lb/>
der zu bringen, u&#x0364;ber die Lage eines wunderbaren Landes disputiren<lb/>
ho&#x0364;rte, welches der Fluß Sabbathion umfließt, der die ganze Woche<lb/>
ein unzuga&#x0364;ngliches Steinmeer i&#x017F;t und nur am Sabbath &#x017F;eine Wogen<lb/>
bewegt, floh ich auf den Speicher in die Ein&#x017F;iedelei eines leeren Zu¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[V/0013] Herzliche Zueignung. des Maͤhrchens ein Kind geworden bin, um in dieſer Zueignung mit der Wahrheit herausplatzen zu duͤrfen. In vielen Zuͤgen jedoch wirſt du dich gewiß gern wiederfinden, z. B. in allen den Fahnen bei dem Leichenzuge des armen Kindes von Hennegau; denn ich ſelbſt habe ja ſchon ſolche Fahnen aus deinen Haͤnden den Armen gegeben. Auch der Name und Orden des armen Kindes von Hennegau muß deinem Herzen nahe liegen, denn liebes Großmuͤtterchen, wir ſind wohl beide arme Kinder, wenn gleich nicht von Hennegau. Die Ortsnamen wirſt du uͤberhaupt nicht zu ſtrenge nehmen, denn du weißt, daß alle hoͤchſt wichtigen, oder gar nothwendigen Begebenheiten, Gott ſey Dank, uͤberall geſchehen ſind. Du fragſt mich, was mich meine leibliche Großmutter oft gefragt: „woher haſt du nur alle das wunderliche Zeug?“ — ich antworte: „ach, es iſt nicht weit her!“ — die Grund¬ lage von dem Hahn und dem Ring hoͤrte ich als Knabe von einem waͤlſchen Chocolatemacher kraͤhend erzaͤhlen. — Gelnhauſen praͤgte ſich mir in der Jugend durch den Zettel an einer Bude mit Wachsfiguren ein, welcher lautete: „wahrhafte Abbildung der beiden Gebruͤder Vatermoͤrder von Gelnhauſen“ — als ſey dies eine Handlungsfirma. Spaͤter ein Mal durch dieſe Stadt fahrend, glaubte ich beſonders viele Baͤcker und Fleiſcherladen dort zu ſehen; waͤre aber dieſes nur ein Spiel der Phantaſie geweſen, ſo mahnt mich doch heut eine Fuͤgung, allen Lohn, den mir Gockel je zu Tage ſcharren wird, nach Gelnhauſen zu wenden. — In das Land Hennegau bin ich durch Gockel und Hinkel gerathen; das Laͤndchen Vadutz aber habe ich von Jugend auf ſeines kurioſen Namens wegen gar lieb ge¬ habt, ohne doch je zu wiſſen, wo es eigentlich liegt; ich habe auch nie darnach gefragt, um nicht aus einem jener Traͤume zu kommen, welche die Pillen der ſogenannten Wirklichkeit vergolden. Vadutz iſt mir noch jetzt das Land aller Schaͤtze, Geheimniſſe und Kleinodien und dort iſt mir das Thule, wo der Koͤnig den liebſten Be¬ cher, ehe er ſtarb, in die Fluth hinab geworfen. Da ich als ein Knabe in dem Comtoir den gelehrten Rabbi Gedalia Schnapper mit dem unvergleichlichen Abarbanel Meyer auf Tod und Leben, ſo daß man mehrmals Waſſer auf ſie gießen mußte, um ſie auseinan¬ der zu bringen, uͤber die Lage eines wunderbaren Landes disputiren hoͤrte, welches der Fluß Sabbathion umfließt, der die ganze Woche ein unzugaͤngliches Steinmeer iſt und nur am Sabbath ſeine Wogen bewegt, floh ich auf den Speicher in die Einſiedelei eines leeren Zu¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/13
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/13>, abgerufen am 03.12.2024.