Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
"In's Inn're der Natur dringt kein erschaffner Geist,
Zu glücklich, wem sie nur die äußre Schaale weis't.
Zum Kern der Kunstfigur, zu wissen wie sie speis't,
Dringt jener Frevler nur, den in die Nas' sie beißt."

"Sehen kann man es nicht, aber hören sollen Sie es
gleich!" -- "Hören?" sagte Gackeleia, "sie schmatzt doch
nicht, das wäre nicht artig!" -- "Geduld," sagte der Alte,
"geben mir das Comteßchen ihr Körbchen, haben Sie nichts
zu naschen?" -- "O ja", sagte Gackeleia, "da sind Knack¬
mandeln von Jungfer Widder, der Schuljungfer, sie hat sie
nach ihrem Bräutigam geworfen, und Prinz Kronovus hat sie
aufgelesen und mir geschenkt." -- "Herrlich," sagte der Alte,
"aber eine ist genug," und er that die Figur in den Korb
und die Knackmandel dazu und den Deckel darüber, und nun
stellte er den Korb dicht ans Gartengitter und sagte: "Jetzt
horchen Sie, wie die Kunstfigur krustilliret." -- Gackeleia
hielt das Ohr an den Korb und hörte die Kunstfigur bald so
artig mit den Zähnchen knuppern, daß sie freudig ausrief:

"Knupper, Knupper Kneischen,
Du knupperst ja im Häuschen,
O du schöne Kunstfigur!
Wie ein Mäuschen von Natur."

Dann nahm der Alte die Kunstfigur wieder heraus,
zog das Uhrwerk auf und sagte. "Jetzt wird ihr zur Ver¬
dauung ein Spaziergang gesund seyn, sonst schläft sie uns ein:

Denn nach Tische soll man stehn,
Oder tausend Schritte gehn,
Sagt der würdige Galen."

Die Puppe aber wackelte mit Kopf und Händchen und
da er sie an den Boden setzte, lief sie gar geschäftig am Gar¬
tengitter hin und her, nickte und winkte und stieß manchmal
ans Gitter, weil sie durch wollte in den Garten, aber nicht
konnte, denn die Oeffnungen waren nicht groß genug.

Gackeleia außer sich vor Freude rief: "ach sie winkt mir,
sie winkt mir, sie möchte zu mir in den Garten -- ach lie¬

„In's Inn're der Natur dringt kein erſchaffner Geiſt,
Zu gluͤcklich, wem ſie nur die aͤußre Schaale weiſ't.
Zum Kern der Kunſtfigur, zu wiſſen wie ſie ſpeiſ't,
Dringt jener Frevler nur, den in die Naſ' ſie beißt.“

„Sehen kann man es nicht, aber hoͤren ſollen Sie es
gleich!“ — „Hoͤren?“ ſagte Gackeleia, „ſie ſchmatzt doch
nicht, das waͤre nicht artig!“ — „Geduld,“ ſagte der Alte,
„geben mir das Comteßchen ihr Koͤrbchen, haben Sie nichts
zu naſchen?“ — „O ja“, ſagte Gackeleia, „da ſind Knack¬
mandeln von Jungfer Widder, der Schuljungfer, ſie hat ſie
nach ihrem Braͤutigam geworfen, und Prinz Kronovus hat ſie
aufgeleſen und mir geſchenkt.“ — „Herrlich,“ ſagte der Alte,
„aber eine iſt genug,“ und er that die Figur in den Korb
und die Knackmandel dazu und den Deckel daruͤber, und nun
ſtellte er den Korb dicht ans Gartengitter und ſagte: „Jetzt
horchen Sie, wie die Kunſtfigur kruſtilliret.“ — Gackeleia
hielt das Ohr an den Korb und hoͤrte die Kunſtfigur bald ſo
artig mit den Zaͤhnchen knuppern, daß ſie freudig ausrief:

„Knupper, Knupper Kneischen,
Du knupperſt ja im Haͤuschen,
O du ſchoͤne Kunſtfigur!
Wie ein Maͤuschen von Natur.“

Dann nahm der Alte die Kunſtfigur wieder heraus,
zog das Uhrwerk auf und ſagte. „Jetzt wird ihr zur Ver¬
dauung ein Spaziergang geſund ſeyn, ſonſt ſchlaͤft ſie uns ein:

Denn nach Tiſche ſoll man ſtehn,
Oder tauſend Schritte gehn,
Sagt der wuͤrdige Galen.“

Die Puppe aber wackelte mit Kopf und Haͤndchen und
da er ſie an den Boden ſetzte, lief ſie gar geſchaͤftig am Gar¬
tengitter hin und her, nickte und winkte und ſtieß manchmal
ans Gitter, weil ſie durch wollte in den Garten, aber nicht
konnte, denn die Oeffnungen waren nicht groß genug.

Gackeleia außer ſich vor Freude rief: „ach ſie winkt mir,
ſie winkt mir, ſie moͤchte zu mir in den Garten — ach lie¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0152" n="114"/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;In's Inn're der Natur dringt kein er&#x017F;chaffner Gei&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Zu glu&#x0364;cklich, wem &#x017F;ie nur die a&#x0364;ußre Schaale wei&#x017F;'t.</l><lb/>
          <l>Zum Kern der Kun&#x017F;tfigur, zu wi&#x017F;&#x017F;en wie &#x017F;ie &#x017F;pei&#x017F;'t,</l><lb/>
          <l>Dringt jener Frevler nur, den in die Na&#x017F;' &#x017F;ie beißt.&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>&#x201E;Sehen kann man es nicht, aber ho&#x0364;ren &#x017F;ollen Sie es<lb/>
gleich!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ho&#x0364;ren?&#x201C; &#x017F;agte Gackeleia, &#x201E;&#x017F;ie &#x017F;chmatzt doch<lb/>
nicht, das wa&#x0364;re nicht artig!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Geduld,&#x201C; &#x017F;agte der Alte,<lb/>
&#x201E;geben mir das Comteßchen ihr Ko&#x0364;rbchen, haben Sie nichts<lb/>
zu na&#x017F;chen?&#x201C; &#x2014; &#x201E;O ja&#x201C;, &#x017F;agte Gackeleia, &#x201E;da &#x017F;ind Knack¬<lb/>
mandeln von Jungfer Widder, der Schuljungfer, &#x017F;ie hat &#x017F;ie<lb/>
nach ihrem Bra&#x0364;utigam geworfen, und Prinz Kronovus hat &#x017F;ie<lb/>
aufgele&#x017F;en und mir ge&#x017F;chenkt.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Herrlich,&#x201C; &#x017F;agte der Alte,<lb/>
&#x201E;aber eine i&#x017F;t genug,&#x201C; und er that die Figur in den Korb<lb/>
und die Knackmandel dazu und den Deckel daru&#x0364;ber, und nun<lb/>
&#x017F;tellte er den Korb dicht ans Gartengitter und &#x017F;agte: &#x201E;Jetzt<lb/>
horchen Sie, wie die Kun&#x017F;tfigur kru&#x017F;tilliret.&#x201C; &#x2014; Gackeleia<lb/>
hielt das Ohr an den Korb und ho&#x0364;rte die Kun&#x017F;tfigur bald &#x017F;o<lb/>
artig mit den Za&#x0364;hnchen knuppern, daß &#x017F;ie freudig ausrief:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Knupper, Knupper Kneischen,</l><lb/>
          <l>Du knupper&#x017F;t ja im Ha&#x0364;uschen,</l><lb/>
          <l>O du &#x017F;cho&#x0364;ne Kun&#x017F;tfigur!</l><lb/>
          <l>Wie ein Ma&#x0364;uschen von Natur.&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Dann nahm der Alte die Kun&#x017F;tfigur wieder heraus,<lb/>
zog das Uhrwerk auf und &#x017F;agte. &#x201E;Jetzt wird ihr zur Ver¬<lb/>
dauung ein Spaziergang ge&#x017F;und &#x017F;eyn, &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chla&#x0364;ft &#x017F;ie uns ein:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Denn nach Ti&#x017F;che &#x017F;oll man &#x017F;tehn,</l><lb/>
          <l>Oder tau&#x017F;end Schritte gehn,</l><lb/>
          <l>Sagt der wu&#x0364;rdige Galen.&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Die Puppe aber wackelte mit Kopf und Ha&#x0364;ndchen und<lb/>
da er &#x017F;ie an den Boden &#x017F;etzte, lief &#x017F;ie gar ge&#x017F;cha&#x0364;ftig am Gar¬<lb/>
tengitter hin und her, nickte und winkte und &#x017F;tieß manchmal<lb/>
ans Gitter, weil &#x017F;ie durch wollte in den Garten, aber nicht<lb/>
konnte, denn die Oeffnungen waren nicht groß genug.</p><lb/>
        <p>Gackeleia außer &#x017F;ich vor Freude rief: &#x201E;ach &#x017F;ie winkt mir,<lb/>
&#x017F;ie winkt mir, &#x017F;ie mo&#x0364;chte zu mir in den Garten &#x2014; ach lie¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0152] „In's Inn're der Natur dringt kein erſchaffner Geiſt, Zu gluͤcklich, wem ſie nur die aͤußre Schaale weiſ't. Zum Kern der Kunſtfigur, zu wiſſen wie ſie ſpeiſ't, Dringt jener Frevler nur, den in die Naſ' ſie beißt.“ „Sehen kann man es nicht, aber hoͤren ſollen Sie es gleich!“ — „Hoͤren?“ ſagte Gackeleia, „ſie ſchmatzt doch nicht, das waͤre nicht artig!“ — „Geduld,“ ſagte der Alte, „geben mir das Comteßchen ihr Koͤrbchen, haben Sie nichts zu naſchen?“ — „O ja“, ſagte Gackeleia, „da ſind Knack¬ mandeln von Jungfer Widder, der Schuljungfer, ſie hat ſie nach ihrem Braͤutigam geworfen, und Prinz Kronovus hat ſie aufgeleſen und mir geſchenkt.“ — „Herrlich,“ ſagte der Alte, „aber eine iſt genug,“ und er that die Figur in den Korb und die Knackmandel dazu und den Deckel daruͤber, und nun ſtellte er den Korb dicht ans Gartengitter und ſagte: „Jetzt horchen Sie, wie die Kunſtfigur kruſtilliret.“ — Gackeleia hielt das Ohr an den Korb und hoͤrte die Kunſtfigur bald ſo artig mit den Zaͤhnchen knuppern, daß ſie freudig ausrief: „Knupper, Knupper Kneischen, Du knupperſt ja im Haͤuschen, O du ſchoͤne Kunſtfigur! Wie ein Maͤuschen von Natur.“ Dann nahm der Alte die Kunſtfigur wieder heraus, zog das Uhrwerk auf und ſagte. „Jetzt wird ihr zur Ver¬ dauung ein Spaziergang geſund ſeyn, ſonſt ſchlaͤft ſie uns ein: Denn nach Tiſche ſoll man ſtehn, Oder tauſend Schritte gehn, Sagt der wuͤrdige Galen.“ Die Puppe aber wackelte mit Kopf und Haͤndchen und da er ſie an den Boden ſetzte, lief ſie gar geſchaͤftig am Gar¬ tengitter hin und her, nickte und winkte und ſtieß manchmal ans Gitter, weil ſie durch wollte in den Garten, aber nicht konnte, denn die Oeffnungen waren nicht groß genug. Gackeleia außer ſich vor Freude rief: „ach ſie winkt mir, ſie winkt mir, ſie moͤchte zu mir in den Garten — ach lie¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/152
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/152>, abgerufen am 13.05.2024.