Kind nimm die Puppe zu dir" -- da sagte ich ganz er¬ schrocken :
Darf nicht, darf nicht, denn ich schwur, Keine Puppe, sondern nur Eine schöne Kunstfigur, Nach der Uhr und nach der Schnur Und ein Mäuschen von Natur.
"Ach Gackeleia", sprach sie, "das bin ich alles, und noch mehr, ich weiß kaum mehr, was ich bin, ich will dir ja Alles erzählen, nimm mich doch, ich bin ja gewiß keine Puppe." -- Hierauf schlupfte sie zu mir und ich hielt sie schlummernd im Arm an meinem Herzen, wobei ich sagte:
Zu Bett, zu Bett, Die ein Püppchen hätt', Die keines hätt', Muß auch zu Bett!
Und da ich mein Schürzchen uns Beiden gegen den Nachtthau übers Gesicht deckte, ward mir ganz weich ums Herz und ich wiegte das Klandestinchen ein bischen, daß es schlafen sollte, und sprach:
Eia popeia popolen! Unser Herr Gottchen mag uns nur holen, Kommt er mit dem goldenen Lädchen, Legt uns hinunter ins Gräbchen, Ueber mich Kräuterlein, Ueber dich Blümelein, Bis wir beisammen im Himmelreich sein.
Da sagte die Figur: "Das ist alles gar schön, und man mag die Puppe und die Kunstfigur nach der Uhr und nach der Schnur in einem goldenen Lädchen immer ins Grab legen, nur das Mäuschen von Natur, muß ich bitten, damit zu verschonen, denn es muß für Gatte und Familie, für Volk und Vaterland noch lange leben; drum Gackeleia bitte ich dich um Gotteswillen, mache mir das fatale Drathgürtel¬
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Kind nimm die Puppe zu dir“ — da ſagte ich ganz er¬ ſchrocken :
Darf nicht, darf nicht, denn ich ſchwur, Keine Puppe, ſondern nur Eine ſchoͤne Kunſtfigur, Nach der Uhr und nach der Schnur Und ein Maͤuschen von Natur.
„Ach Gackeleia“, ſprach ſie, „das bin ich alles, und noch mehr, ich weiß kaum mehr, was ich bin, ich will dir ja Alles erzaͤhlen, nimm mich doch, ich bin ja gewiß keine Puppe.“ — Hierauf ſchlupfte ſie zu mir und ich hielt ſie ſchlummernd im Arm an meinem Herzen, wobei ich ſagte:
Zu Bett, zu Bett, Die ein Puͤppchen haͤtt', Die keines haͤtt', Muß auch zu Bett!
Und da ich mein Schuͤrzchen uns Beiden gegen den Nachtthau uͤbers Geſicht deckte, ward mir ganz weich ums Herz und ich wiegte das Klandeſtinchen ein bischen, daß es ſchlafen ſollte, und ſprach:
Eia popeia popolen! Unſer Herr Gottchen mag uns nur holen, Kommt er mit dem goldenen Laͤdchen, Legt uns hinunter ins Graͤbchen, Ueber mich Kraͤuterlein, Ueber dich Bluͤmelein, Bis wir beiſammen im Himmelreich ſein.
Da ſagte die Figur: „Das iſt alles gar ſchoͤn, und man mag die Puppe und die Kunſtfigur nach der Uhr und nach der Schnur in einem goldenen Laͤdchen immer ins Grab legen, nur das Maͤuschen von Natur, muß ich bitten, damit zu verſchonen, denn es muß fuͤr Gatte und Familie, fuͤr Volk und Vaterland noch lange leben; drum Gackeleia bitte ich dich um Gotteswillen, mache mir das fatale Drathguͤrtel¬
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Kind nimm die Puppe zu dir“ — da ſagte ich ganz er¬
ſchrocken :
Darf nicht, darf nicht, denn ich ſchwur,
Keine Puppe, ſondern nur
Eine ſchoͤne Kunſtfigur,
Nach der Uhr und nach der Schnur
Und ein Maͤuschen von Natur.
„Ach Gackeleia“, ſprach ſie, „das bin ich alles, und noch
mehr, ich weiß kaum mehr, was ich bin, ich will dir ja
Alles erzaͤhlen, nimm mich doch, ich bin ja gewiß keine
Puppe.“ — Hierauf ſchlupfte ſie zu mir und ich hielt ſie
ſchlummernd im Arm an meinem Herzen, wobei ich ſagte:
Zu Bett, zu Bett,
Die ein Puͤppchen haͤtt',
Die keines haͤtt',
Muß auch zu Bett!
Und da ich mein Schuͤrzchen uns Beiden gegen den
Nachtthau uͤbers Geſicht deckte, ward mir ganz weich ums
Herz und ich wiegte das Klandeſtinchen ein bischen, daß es
ſchlafen ſollte, und ſprach:
Eia popeia popolen!
Unſer Herr Gottchen mag uns nur holen,
Kommt er mit dem goldenen Laͤdchen,
Legt uns hinunter ins Graͤbchen,
Ueber mich Kraͤuterlein,
Ueber dich Bluͤmelein,
Bis wir beiſammen im Himmelreich ſein.
Da ſagte die Figur: „Das iſt alles gar ſchoͤn, und man
mag die Puppe und die Kunſtfigur nach der Uhr und nach
der Schnur in einem goldenen Laͤdchen immer ins Grab legen,
nur das Maͤuschen von Natur, muß ich bitten, damit zu
verſchonen, denn es muß fuͤr Gatte und Familie, fuͤr Volk
und Vaterland noch lange leben; drum Gackeleia bitte ich
dich um Gotteswillen, mache mir das fatale Drathguͤrtel¬
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/191>, abgerufen am 16.07.2024.
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