mit deinen verschimmelten Käsen, Kürbißen, alten Reuterstie¬ feln, Sätteln, Patrontaschen und gothischen Kirchen im Mond¬ schein -- auch finde ich deine Gefühle im Mondschein nicht kindlich genug ausgesprochen, wärst du damals schon so groß gewesen, als jetzt, so wären dergleichen Redensarten zu ver¬ zeihen, aber so warst du ja kaum vor einigen Stunden der Ruthe entlaufen." -- "Vater", erwiederte Gackeleia, "ent¬ schuldiget mich, ich bin durch den Ring Salomonis jetzt wie eine erwachsene Jungfrau und kann nicht mehr Alles so wie eine kleine Gackeleia vorbringen, ich sage als Jungfrau, was ich als Kind gefühlt, und gewiß, Vater, als Kind habe ich nur anders gesprochen." "Gott, lasse dich immer weise, immer ein Kind zugleich seyn," sagte Gockel, "aber erzähle weiter, damit wir aus der kuriosen Stadt herauskommen -- jetzt, wo du den Ring Salomonis hast, brauchst du in dem sehnsüchtigen Strom der Empfindung nicht mehr herum zu patschen -- jetzt heißt es, dreh' den Ring, und du wirst so viel Bäume am Ufer der Sehusucht haben, daß du Kohlen daraus brennen kannst und zuletzt ausrufen mußt: "ach, es ist Alles, Alles einerlei! o Eitelkeit der Eitelkeiten und Alles Eitelkeit, spricht der weise Salomo selbst und sein Siegel¬ ring wird ihm nicht widersprechen" -- aber erzähl weiter Herz Gackeleia!"
"Ja", fuhr Gackeleia fort, "wie ich mein Herz so groß, meine Seele so weit fühlte, erkannte ich wohl, daß jedes Geschöpf der Eitelkeit unterworfen begehret und verlanget und immerfort seufzet und sich quält; so gieng ich um¬ her und schaute in alle Winkel, ob gar kein Wesen da sey, dem ich mein Herz auspacken könne, und sang dabei stille vor mich hin:
Mutter-seelig ganz allein, Wie der stille Mondenschein Schauet in die Stadt hinein, Muß die Gackelia klein
mit deinen verſchimmelten Kaͤſen, Kuͤrbißen, alten Reuterſtie¬ feln, Saͤtteln, Patrontaſchen und gothiſchen Kirchen im Mond¬ ſchein — auch finde ich deine Gefuͤhle im Mondſchein nicht kindlich genug ausgeſprochen, waͤrſt du damals ſchon ſo groß geweſen, als jetzt, ſo waͤren dergleichen Redensarten zu ver¬ zeihen, aber ſo warſt du ja kaum vor einigen Stunden der Ruthe entlaufen.“ — „Vater“, erwiederte Gackeleia, „ent¬ ſchuldiget mich, ich bin durch den Ring Salomonis jetzt wie eine erwachſene Jungfrau und kann nicht mehr Alles ſo wie eine kleine Gackeleia vorbringen, ich ſage als Jungfrau, was ich als Kind gefuͤhlt, und gewiß, Vater, als Kind habe ich nur anders geſprochen.“ „Gott, laſſe dich immer weiſe, immer ein Kind zugleich ſeyn,“ ſagte Gockel, „aber erzaͤhle weiter, damit wir aus der kurioſen Stadt herauskommen — jetzt, wo du den Ring Salomonis haſt, brauchſt du in dem ſehnſuͤchtigen Strom der Empfindung nicht mehr herum zu patſchen — jetzt heißt es, dreh' den Ring, und du wirſt ſo viel Baͤume am Ufer der Sehuſucht haben, daß du Kohlen daraus brennen kannſt und zuletzt ausrufen mußt: „ach, es iſt Alles, Alles einerlei! o Eitelkeit der Eitelkeiten und Alles Eitelkeit, ſpricht der weiſe Salomo ſelbſt und ſein Siegel¬ ring wird ihm nicht widerſprechen“ — aber erzaͤhl weiter Herz Gackeleia!“
„Ja“, fuhr Gackeleia fort, „wie ich mein Herz ſo groß, meine Seele ſo weit fuͤhlte, erkannte ich wohl, daß jedes Geſchoͤpf der Eitelkeit unterworfen begehret und verlanget und immerfort ſeufzet und ſich quaͤlt; ſo gieng ich um¬ her und ſchaute in alle Winkel, ob gar kein Weſen da ſey, dem ich mein Herz auspacken koͤnne, und ſang dabei ſtille vor mich hin:
Mutter-ſeelig ganz allein, Wie der ſtille Mondenſchein Schauet in die Stadt hinein, Muß die Gackelia klein
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mit deinen verſchimmelten Kaͤſen, Kuͤrbißen, alten Reuterſtie¬
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kindlich genug ausgeſprochen, waͤrſt du damals ſchon ſo groß
geweſen, als jetzt, ſo waͤren dergleichen Redensarten zu ver¬
zeihen, aber ſo warſt du ja kaum vor einigen Stunden der
Ruthe entlaufen.“ — „Vater“, erwiederte Gackeleia, „ent¬
ſchuldiget mich, ich bin durch den Ring Salomonis jetzt wie
eine erwachſene Jungfrau und kann nicht mehr Alles ſo wie
eine kleine Gackeleia vorbringen, ich ſage als Jungfrau, was
ich als Kind gefuͤhlt, und gewiß, Vater, als Kind habe ich
nur anders geſprochen.“ „Gott, laſſe dich immer weiſe,
immer ein Kind zugleich ſeyn,“ ſagte Gockel, „aber erzaͤhle
weiter, damit wir aus der kurioſen Stadt herauskommen —
jetzt, wo du den Ring Salomonis haſt, brauchſt du in dem
ſehnſuͤchtigen Strom der Empfindung nicht mehr herum zu
patſchen — jetzt heißt es, dreh' den Ring, und du wirſt ſo
viel Baͤume am Ufer der Sehuſucht haben, daß du Kohlen
daraus brennen kannſt und zuletzt ausrufen mußt: „ach, es
iſt Alles, Alles einerlei! o Eitelkeit der Eitelkeiten und Alles
Eitelkeit, ſpricht der weiſe Salomo ſelbſt und ſein Siegel¬
ring wird ihm nicht widerſprechen“ — aber erzaͤhl weiter Herz
Gackeleia!“
„Ja“, fuhr Gackeleia fort, „wie ich mein Herz ſo groß,
meine Seele ſo weit fuͤhlte, erkannte ich wohl, daß jedes
Geſchoͤpf der Eitelkeit unterworfen begehret und verlanget
und immerfort ſeufzet und ſich quaͤlt; ſo gieng ich um¬
her und ſchaute in alle Winkel, ob gar kein Weſen da ſey,
dem ich mein Herz auspacken koͤnne, und ſang dabei ſtille
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Mutter-ſeelig ganz allein,
Wie der ſtille Mondenſchein
Schauet in die Stadt hinein,
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/208>, abgerufen am 24.11.2024.
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