chen, Jäckchen, Mützchen, die guten Werke des armen Kindes von Hennegau. Wer aber kam ganz, ganz zuletzt, so daß gar nichts mehr hinter ihm kam? -- Niemand Anders, als jene alte Frau mit einer blauen Schürze, welche bei al¬ len Prozessionen und Leichenzügen zuletzt kommen muß -- jene gesetzte, solide Person, die nicht im Himmel ist, nicht auf der Erde ist und die selber nicht weiß, wo sie ist und wer sie ist. Alle Nachforschungen der so ausgezeichneten ge¬ heimen Polizei von Gelnhausen haben doch keine entschiede¬ nere Auskunft über sie zu Stande gebracht, als, es heiße, sie solle ein buckliches Fragezeichen hinter einer Leichenrede seyn, man halte sie für eine Art Nachrede, sie gebe sich für ein gewisses Gewissen aus u. dgl. mehr. -- Man suchte ih¬ rer auf alle Weise habhaft zu werden, man stellte bei allen Blaufärbern Spionen auf, um sie zu ergreifen, wenn sie etwa ihre Schürze neu wolle färben lassen; aber sie ließ sie nicht färben. Endlich ward sie von der Verschönerungskom¬ mission, als geschmacklos und die künstlerische Würde solcher Prachtzüge störend, und von der Aufklärungskommission als ein abgeschmackter alter Aberglauben für null und nichtig in Contumaziam erklärt. -- Der Oberhof-Osterhaas schrieb eine gekrönte Preisschrift gegen sie, worin er sie für eine optische Täuschung, oder höchstens für das fünfte Rad am Wagen erklärte, welches, so oft man seiner auch erwähne, doch ei¬ gentlich niemals da sey. -- Unter der Regierung des Krono¬ vus aber ward, weil er sie selbst trotz aller Null- und Nich¬ tigkeits-Erklärung hinter dem Leichenzug seines Herrn Va¬ ters Eifrasius allerhöchstaugenscheinlich herschleichen gesehen, alles Schreiben über sie verboten und eingeführt, bei ihrem Anblick immer einem Armen eine neue blaue Schürze zu schen¬ ken; man hat bemerkt, daß sie seitdem immer eine neue blaue Schürze trägt, und daß die Blaufärberei in Gelnhausen ei¬ nen solchen Aufschwung gewonnen hat, daß sie der Bäcker- und Fleischerzunft gar nichts nachgiebt.
chen, Jaͤckchen, Muͤtzchen, die guten Werke des armen Kindes von Hennegau. Wer aber kam ganz, ganz zuletzt, ſo daß gar nichts mehr hinter ihm kam? — Niemand Anders, als jene alte Frau mit einer blauen Schuͤrze, welche bei al¬ len Prozeſſionen und Leichenzuͤgen zuletzt kommen muß — jene geſetzte, ſolide Perſon, die nicht im Himmel iſt, nicht auf der Erde iſt und die ſelber nicht weiß, wo ſie iſt und wer ſie iſt. Alle Nachforſchungen der ſo ausgezeichneten ge¬ heimen Polizei von Gelnhauſen haben doch keine entſchiede¬ nere Auskunft uͤber ſie zu Stande gebracht, als, es heiße, ſie ſolle ein buckliches Fragezeichen hinter einer Leichenrede ſeyn, man halte ſie fuͤr eine Art Nachrede, ſie gebe ſich fuͤr ein gewiſſes Gewiſſen aus u. dgl. mehr. — Man ſuchte ih¬ rer auf alle Weiſe habhaft zu werden, man ſtellte bei allen Blaufaͤrbern Spionen auf, um ſie zu ergreifen, wenn ſie etwa ihre Schuͤrze neu wolle faͤrben laſſen; aber ſie ließ ſie nicht faͤrben. Endlich ward ſie von der Verſchoͤnerungskom¬ miſſion, als geſchmacklos und die kuͤnſtleriſche Wuͤrde ſolcher Prachtzuͤge ſtoͤrend, und von der Aufklaͤrungskommiſſion als ein abgeſchmackter alter Aberglauben fuͤr null und nichtig in Contumaziam erklaͤrt. — Der Oberhof-Oſterhaas ſchrieb eine gekroͤnte Preisſchrift gegen ſie, worin er ſie fuͤr eine optiſche Taͤuſchung, oder hoͤchſtens fuͤr das fuͤnfte Rad am Wagen erklaͤrte, welches, ſo oft man ſeiner auch erwaͤhne, doch ei¬ gentlich niemals da ſey. — Unter der Regierung des Krono¬ vus aber ward, weil er ſie ſelbſt trotz aller Null- und Nich¬ tigkeits-Erklaͤrung hinter dem Leichenzug ſeines Herrn Va¬ ters Eifraſius allerhoͤchſtaugenſcheinlich herſchleichen geſehen, alles Schreiben uͤber ſie verboten und eingefuͤhrt, bei ihrem Anblick immer einem Armen eine neue blaue Schuͤrze zu ſchen¬ ken; man hat bemerkt, daß ſie ſeitdem immer eine neue blaue Schuͤrze traͤgt, und daß die Blaufaͤrberei in Gelnhauſen ei¬ nen ſolchen Aufſchwung gewonnen hat, daß ſie der Baͤcker- und Fleiſcherzunft gar nichts nachgiebt.
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chen, Jaͤckchen, Muͤtzchen, die guten Werke des armen
Kindes von Hennegau. Wer aber kam ganz, ganz zuletzt, ſo
daß gar nichts mehr hinter ihm kam? — Niemand Anders,
als jene alte Frau mit einer blauen Schuͤrze, welche bei al¬
len Prozeſſionen und Leichenzuͤgen zuletzt kommen muß —
jene geſetzte, ſolide Perſon, die nicht im Himmel iſt, nicht
auf der Erde iſt und die ſelber nicht weiß, wo ſie iſt und
wer ſie iſt. Alle Nachforſchungen der ſo ausgezeichneten ge¬
heimen Polizei von Gelnhauſen haben doch keine entſchiede¬
nere Auskunft uͤber ſie zu Stande gebracht, als, es heiße,
ſie ſolle ein buckliches Fragezeichen hinter einer Leichenrede
ſeyn, man halte ſie fuͤr eine Art Nachrede, ſie gebe ſich fuͤr
ein gewiſſes Gewiſſen aus u. dgl. mehr. — Man ſuchte ih¬
rer auf alle Weiſe habhaft zu werden, man ſtellte bei allen
Blaufaͤrbern Spionen auf, um ſie zu ergreifen, wenn ſie
etwa ihre Schuͤrze neu wolle faͤrben laſſen; aber ſie ließ ſie
nicht faͤrben. Endlich ward ſie von der Verſchoͤnerungskom¬
miſſion, als geſchmacklos und die kuͤnſtleriſche Wuͤrde ſolcher
Prachtzuͤge ſtoͤrend, und von der Aufklaͤrungskommiſſion als
ein abgeſchmackter alter Aberglauben fuͤr null und nichtig in
Contumaziam erklaͤrt. — Der Oberhof-Oſterhaas ſchrieb eine
gekroͤnte Preisſchrift gegen ſie, worin er ſie fuͤr eine optiſche
Taͤuſchung, oder hoͤchſtens fuͤr das fuͤnfte Rad am Wagen
erklaͤrte, welches, ſo oft man ſeiner auch erwaͤhne, doch ei¬
gentlich niemals da ſey. — Unter der Regierung des Krono¬
vus aber ward, weil er ſie ſelbſt trotz aller Null- und Nich¬
tigkeits-Erklaͤrung hinter dem Leichenzug ſeines Herrn Va¬
ters Eifraſius allerhoͤchſtaugenſcheinlich herſchleichen geſehen,
alles Schreiben uͤber ſie verboten und eingefuͤhrt, bei ihrem
Anblick immer einem Armen eine neue blaue Schuͤrze zu ſchen¬
ken; man hat bemerkt, daß ſie ſeitdem immer eine neue blaue
Schuͤrze traͤgt, und daß die Blaufaͤrberei in Gelnhauſen ei¬
nen ſolchen Aufſchwung gewonnen hat, daß ſie der Baͤcker-
und Fleiſcherzunft gar nichts nachgiebt.
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/265>, abgerufen am 24.11.2024.
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