Während Gackeleia diese Worte theils mit tiefer Rüh¬ rung, so daß ihr die Thränen in die Augen traten, theils lächelnd mit gutmüthigem Muthwill aussprach, drehte sie den Ring immer schneller, denn sie ward immer ungeduldi¬ ger, wieder ein Kind zu seyn. Kronovus hängte sich an ih¬ ren Arm, er war ordentlich bang, sie würde ganz klein wer¬ den und ihm endlich gar verschwinden; weil sich aber in sei¬ ner Seele alles zugleich mit ihr veränderte, merkte er keinen Unterschied. -- Das verschiedene Betragen aller Gäste war lustig anzusehen, einigen sehr soliden Standespersonen aus Gelnhausen war gleich anfangs schon nicht recht wohl bei dem Handel zu Muthe, sie waren froh, die Kinderschuhe ausgetreten zu haben, sie fürchteten, sie müßten wieder in die Schule und besonders in die Kinderlehre gehen und wür¬ den sehr beschämt werden, weil sie den Katechismus ganz vergessen hatten. -- Einige Damen dachten auch, man könne sich das Verjüngen bis auf einen gewissen Grad wohl gefallen lassen, dann aber wollten sie sich unter irgend einem Vorwand zurückziehen; so kam es dann, daß vielen gleich anfangs übel ward, daß sie Nasenbluten bekamen, heftig zu husten anfiengen und sich aus dem Staube machten. Andere, welche tüchtig gegessen und getrunken hatten, begannen zu gähnen und schliefen ein oder fiengen an zu tändeln und zu spielen und ganz kindisch vertraut allerlei Neckereien mit ih¬ ren Nachbarn zu treiben. -- Es kam viele Natur, viele Art und Unart, aber auch gar viel verstecktes Liebes an den Leu¬ ten zu Tag. -- Da nun Gackeleia mit ihrem Wunsche fer¬ tig war, zog sie den Ring ab und legte ihn auf den Teller, um ihn für immer dem Kronovus zu überreichen, aber Alek¬ tryo, der neben ihr auf der Schulter Gockels saß, zuckte mit dem Schnabel hervor nach dem Ringe und verschluckte ihn wieder, in demselben Augenblicke gieng der Wunsch Ga¬ ckeleias plötzlich in seine ganze Erfüllung. -- Die großmäch¬ tige Schottländerin hatte noch gerade so viel Zeit, das große
Waͤhrend Gackeleia dieſe Worte theils mit tiefer Ruͤh¬ rung, ſo daß ihr die Thraͤnen in die Augen traten, theils laͤchelnd mit gutmuͤthigem Muthwill ausſprach, drehte ſie den Ring immer ſchneller, denn ſie ward immer ungeduldi¬ ger, wieder ein Kind zu ſeyn. Kronovus haͤngte ſich an ih¬ ren Arm, er war ordentlich bang, ſie wuͤrde ganz klein wer¬ den und ihm endlich gar verſchwinden; weil ſich aber in ſei¬ ner Seele alles zugleich mit ihr veraͤnderte, merkte er keinen Unterſchied. — Das verſchiedene Betragen aller Gaͤſte war luſtig anzuſehen, einigen ſehr ſoliden Standesperſonen aus Gelnhauſen war gleich anfangs ſchon nicht recht wohl bei dem Handel zu Muthe, ſie waren froh, die Kinderſchuhe ausgetreten zu haben, ſie fuͤrchteten, ſie muͤßten wieder in die Schule und beſonders in die Kinderlehre gehen und wuͤr¬ den ſehr beſchaͤmt werden, weil ſie den Katechismus ganz vergeſſen hatten. — Einige Damen dachten auch, man koͤnne ſich das Verjuͤngen bis auf einen gewiſſen Grad wohl gefallen laſſen, dann aber wollten ſie ſich unter irgend einem Vorwand zuruͤckziehen; ſo kam es dann, daß vielen gleich anfangs uͤbel ward, daß ſie Naſenbluten bekamen, heftig zu huſten anfiengen und ſich aus dem Staube machten. Andere, welche tuͤchtig gegeſſen und getrunken hatten, begannen zu gaͤhnen und ſchliefen ein oder fiengen an zu taͤndeln und zu ſpielen und ganz kindiſch vertraut allerlei Neckereien mit ih¬ ren Nachbarn zu treiben. — Es kam viele Natur, viele Art und Unart, aber auch gar viel verſtecktes Liebes an den Leu¬ ten zu Tag. — Da nun Gackeleia mit ihrem Wunſche fer¬ tig war, zog ſie den Ring ab und legte ihn auf den Teller, um ihn fuͤr immer dem Kronovus zu uͤberreichen, aber Alek¬ tryo, der neben ihr auf der Schulter Gockels ſaß, zuckte mit dem Schnabel hervor nach dem Ringe und verſchluckte ihn wieder, in demſelben Augenblicke gieng der Wunſch Ga¬ ckeleias ploͤtzlich in ſeine ganze Erfuͤllung. — Die großmaͤch¬ tige Schottlaͤnderin hatte noch gerade ſo viel Zeit, das große
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Waͤhrend Gackeleia dieſe Worte theils mit tiefer Ruͤh¬
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laͤchelnd mit gutmuͤthigem Muthwill ausſprach, drehte ſie
den Ring immer ſchneller, denn ſie ward immer ungeduldi¬
ger, wieder ein Kind zu ſeyn. Kronovus haͤngte ſich an ih¬
ren Arm, er war ordentlich bang, ſie wuͤrde ganz klein wer¬
den und ihm endlich gar verſchwinden; weil ſich aber in ſei¬
ner Seele alles zugleich mit ihr veraͤnderte, merkte er keinen
Unterſchied. — Das verſchiedene Betragen aller Gaͤſte war
luſtig anzuſehen, einigen ſehr ſoliden Standesperſonen aus
Gelnhauſen war gleich anfangs ſchon nicht recht wohl bei
dem Handel zu Muthe, ſie waren froh, die Kinderſchuhe
ausgetreten zu haben, ſie fuͤrchteten, ſie muͤßten wieder in
die Schule und beſonders in die Kinderlehre gehen und wuͤr¬
den ſehr beſchaͤmt werden, weil ſie den Katechismus ganz
vergeſſen hatten. — Einige Damen dachten auch, man koͤnne
ſich das Verjuͤngen bis auf einen gewiſſen Grad wohl
gefallen laſſen, dann aber wollten ſie ſich unter irgend einem
Vorwand zuruͤckziehen; ſo kam es dann, daß vielen gleich
anfangs uͤbel ward, daß ſie Naſenbluten bekamen, heftig zu
huſten anfiengen und ſich aus dem Staube machten. Andere,
welche tuͤchtig gegeſſen und getrunken hatten, begannen zu
gaͤhnen und ſchliefen ein oder fiengen an zu taͤndeln und zu
ſpielen und ganz kindiſch vertraut allerlei Neckereien mit ih¬
ren Nachbarn zu treiben. — Es kam viele Natur, viele Art
und Unart, aber auch gar viel verſtecktes Liebes an den Leu¬
ten zu Tag. — Da nun Gackeleia mit ihrem Wunſche fer¬
tig war, zog ſie den Ring ab und legte ihn auf den Teller,
um ihn fuͤr immer dem Kronovus zu uͤberreichen, aber Alek¬
tryo, der neben ihr auf der Schulter Gockels ſaß, zuckte
mit dem Schnabel hervor nach dem Ringe und verſchluckte
ihn wieder, in demſelben Augenblicke gieng der Wunſch Ga¬
ckeleias ploͤtzlich in ſeine ganze Erfuͤllung. — Die großmaͤch¬
tige Schottlaͤnderin hatte noch gerade ſo viel Zeit, das große
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/276>, abgerufen am 25.11.2024.
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