Der fromme und gelehrte Jakob von Guise ermahnte in dieser heiligen Fastenzeit die Frauen und Jungfrauen des Landes Hennegau gar eindringlich, sie möchten, statt ihre Zeit mit Lesung tiefsinniger Bücher zu verlieren, doch den elenden Stand der verlassenen armen Kinder, von denen alle Straßen wimmelten, zu Herzen ziehen, und sich Gott durch Barmherzigkeit an diesen gefällig machen. Seine Worte rührten mein Herz, jede Noth, jede Unart eines Kindes, die mir bekannt ward, fühlte ich wie eine Beschuldigung. Ich dachte nach, wie ich, als die Erste des Landes, mit einem Beispiele vorgehen sollte. -- Ich sprach darüber mit acht meiner adeligen Gespielinnen, und forderte sie zum Gebet auf, daß Gott mir die rechten Wege dazu zeige.
Charfreitag. Jakob von Guise, mit dem ich von meinen guten Wünschen für die armen Kinder gesprochen hatte, hielt uns heute noch eine Ermahnung, nie der Armen, welche Gott mit vielen Kindern gesegnet, zu spotten. -- Er gab uns diese Warnung, weil Gott heute vor 42 Jahren solchen Spott an Margaretha, Gräfin von Holland strafte, in¬ dem er ihr eine große Zahl kleiner Kinder bescheerte, welche, vom Bischof Guido in zwei Becken, die Knaben Johannes, die Mägdlein Elisabeth getauft, nebst der Mutter schnell gestorben und in der Kirche zu Leusden begraben sind. --
Aus dem Tagebuch der Ahnfrau.
(Vom Charfreitag bis Sonnenwende 1317).
Der fromme und gelehrte Jakob von Guiſe ermahnte in dieſer heiligen Faſtenzeit die Frauen und Jungfrauen des Landes Hennegau gar eindringlich, ſie moͤchten, ſtatt ihre Zeit mit Leſung tiefſinniger Buͤcher zu verlieren, doch den elenden Stand der verlaſſenen armen Kinder, von denen alle Straßen wimmelten, zu Herzen ziehen, und ſich Gott durch Barmherzigkeit an dieſen gefaͤllig machen. Seine Worte ruͤhrten mein Herz, jede Noth, jede Unart eines Kindes, die mir bekannt ward, fuͤhlte ich wie eine Beſchuldigung. Ich dachte nach, wie ich, als die Erſte des Landes, mit einem Beiſpiele vorgehen ſollte. — Ich ſprach daruͤber mit acht meiner adeligen Geſpielinnen, und forderte ſie zum Gebet auf, daß Gott mir die rechten Wege dazu zeige.
Charfreitag. Jakob von Guiſe, mit dem ich von meinen guten Wuͤnſchen fuͤr die armen Kinder geſprochen hatte, hielt uns heute noch eine Ermahnung, nie der Armen, welche Gott mit vielen Kindern geſegnet, zu ſpotten. — Er gab uns dieſe Warnung, weil Gott heute vor 42 Jahren ſolchen Spott an Margaretha, Graͤfin von Holland ſtrafte, in¬ dem er ihr eine große Zahl kleiner Kinder beſcheerte, welche, vom Biſchof Guido in zwei Becken, die Knaben Johannes, die Maͤgdlein Eliſabeth getauft, nebſt der Mutter ſchnell geſtorben und in der Kirche zu Leusden begraben ſind. —
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Aus dem Tagebuch der Ahnfrau.
(Vom Charfreitag bis Sonnenwende 1317).
Der fromme und gelehrte Jakob von Guiſe ermahnte
in dieſer heiligen Faſtenzeit die Frauen und Jungfrauen des
Landes Hennegau gar eindringlich, ſie moͤchten, ſtatt ihre
Zeit mit Leſung tiefſinniger Buͤcher zu verlieren, doch den
elenden Stand der verlaſſenen armen Kinder, von denen alle
Straßen wimmelten, zu Herzen ziehen, und ſich Gott durch
Barmherzigkeit an dieſen gefaͤllig machen. Seine Worte
ruͤhrten mein Herz, jede Noth, jede Unart eines Kindes, die
mir bekannt ward, fuͤhlte ich wie eine Beſchuldigung. Ich
dachte nach, wie ich, als die Erſte des Landes, mit einem
Beiſpiele vorgehen ſollte. — Ich ſprach daruͤber mit acht
meiner adeligen Geſpielinnen, und forderte ſie zum Gebet
auf, daß Gott mir die rechten Wege dazu zeige.
Charfreitag. Jakob von Guiſe, mit dem ich von
meinen guten Wuͤnſchen fuͤr die armen Kinder geſprochen
hatte, hielt uns heute noch eine Ermahnung, nie der Armen,
welche Gott mit vielen Kindern geſegnet, zu ſpotten. — Er
gab uns dieſe Warnung, weil Gott heute vor 42 Jahren
ſolchen Spott an Margaretha, Graͤfin von Holland ſtrafte, in¬
dem er ihr eine große Zahl kleiner Kinder beſcheerte, welche,
vom Biſchof Guido in zwei Becken, die Knaben Johannes,
die Maͤgdlein Eliſabeth getauft, nebſt der Mutter ſchnell
geſtorben und in der Kirche zu Leusden begraben ſind. —
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/292>, abgerufen am 23.11.2024.
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