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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Scheu nochmals in das Gallinarium schlich, und vor das
Hühnchen trat, es saß auf seiner Stange, den Kopf unter
dem Flügel und rührte sich nicht. -- Droben lischt Verena
das Lämpchen, gute Nacht Verena! -- Hierauf kehrte ich
in meine Stube und schrieb dieses nieder; da schlägt es
Mitternacht -- ich höre meine Gespielen nahen, die feier¬
liche Auferstehungsglocke ruft. Es erleuchten sich alle
Fenster; Jakob von Guise trägt das Kreuz aus der Kirche
um den Kirchhof, alles Volk zieht mit ihm und singt mit
lautem Jubel: "Christ ist erstanden aus seinen Todesbanden!"
-- Wir ziehen mit.

Ostermontag. Heute nach der Kirche las ich meinen
Gespielinnen im Garten die Regel des Ordens der freudig
frommen Kinder vor, und da sie Alles mit großer Freude
angenommen, und nun auch gern Ordensnamen gehabt hätten,
sagte ich zu ihnen: "Weil ich eure Oberin, die Henne von
Hennegau bin, so suchet euch Pflanzen, welche ihren Namen
von dem Hühnergeschlecht haben; wir wollen sie mischen,
daß jede sich einen Namen durchs Loos ziehe." So thaten
sie und brachten acht verschiedene Pflanzen solcher Namen;
ich faßte sie alle in meine Schürze und sie zogen sich nach
der Reihe ihre Namen. -- So hießen dann die ersten Ordens¬
gespielinnen -- Ornitogalia von Hühnermilch -- Osterluzia
von Hahnensporn -- Cretelina von Hahnenkamm -- Serpo¬
leta von Hühnerklee -- Morgellina von Hühnerbiß -- Mos¬
catellina von Hahnenfuß -- Cornelia von Hahnenpfötchen --
Esparsetta von Hahnenkämmchen. -- Sie gelobten mir alle
Gehorsam und ich nahm als ihre Oberin den Namen an:
"das arme Kind von Hennegau," worauf ich ihnen allen das
Ordensband umhängte. -- Hierauf vertheilten wir unter uns
die Gegenden der Stadt, worin eine jede sich der Nothleiden¬
den und besonders der Kinder annehmen sollte. Auch er¬
wägten wir nach dem Kalender die altherkömmlichen Volks¬

Scheu nochmals in das Gallinarium ſchlich, und vor das
Huͤhnchen trat, es ſaß auf ſeiner Stange, den Kopf unter
dem Fluͤgel und ruͤhrte ſich nicht. — Droben liſcht Verena
das Laͤmpchen, gute Nacht Verena! — Hierauf kehrte ich
in meine Stube und ſchrieb dieſes nieder; da ſchlaͤgt es
Mitternacht — ich hoͤre meine Geſpielen nahen, die feier¬
liche Auferſtehungsglocke ruft. Es erleuchten ſich alle
Fenſter; Jakob von Guiſe traͤgt das Kreuz aus der Kirche
um den Kirchhof, alles Volk zieht mit ihm und ſingt mit
lautem Jubel: „Chriſt iſt erſtanden aus ſeinen Todesbanden!“
— Wir ziehen mit.

Oſtermontag. Heute nach der Kirche las ich meinen
Geſpielinnen im Garten die Regel des Ordens der freudig
frommen Kinder vor, und da ſie Alles mit großer Freude
angenommen, und nun auch gern Ordensnamen gehabt haͤtten,
ſagte ich zu ihnen: „Weil ich eure Oberin, die Henne von
Hennegau bin, ſo ſuchet euch Pflanzen, welche ihren Namen
von dem Huͤhnergeſchlecht haben; wir wollen ſie miſchen,
daß jede ſich einen Namen durchs Loos ziehe.“ So thaten
ſie und brachten acht verſchiedene Pflanzen ſolcher Namen;
ich faßte ſie alle in meine Schuͤrze und ſie zogen ſich nach
der Reihe ihre Namen. — So hießen dann die erſten Ordens¬
geſpielinnen — Ornitogalia von Huͤhnermilch — Oſterluzia
von Hahnenſporn — Cretelina von Hahnenkamm — Serpo¬
leta von Huͤhnerklee — Morgellina von Huͤhnerbiß — Mos¬
catellina von Hahnenfuß — Cornelia von Hahnenpfoͤtchen —
Esparſetta von Hahnenkaͤmmchen. — Sie gelobten mir alle
Gehorſam und ich nahm als ihre Oberin den Namen an:
„das arme Kind von Hennegau,“ worauf ich ihnen allen das
Ordensband umhaͤngte. — Hierauf vertheilten wir unter uns
die Gegenden der Stadt, worin eine jede ſich der Nothleiden¬
den und beſonders der Kinder annehmen ſollte. Auch er¬
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[248/0302] Scheu nochmals in das Gallinarium ſchlich, und vor das Huͤhnchen trat, es ſaß auf ſeiner Stange, den Kopf unter dem Fluͤgel und ruͤhrte ſich nicht. — Droben liſcht Verena das Laͤmpchen, gute Nacht Verena! — Hierauf kehrte ich in meine Stube und ſchrieb dieſes nieder; da ſchlaͤgt es Mitternacht — ich hoͤre meine Geſpielen nahen, die feier¬ liche Auferſtehungsglocke ruft. Es erleuchten ſich alle Fenſter; Jakob von Guiſe traͤgt das Kreuz aus der Kirche um den Kirchhof, alles Volk zieht mit ihm und ſingt mit lautem Jubel: „Chriſt iſt erſtanden aus ſeinen Todesbanden!“ — Wir ziehen mit. Oſtermontag. Heute nach der Kirche las ich meinen Geſpielinnen im Garten die Regel des Ordens der freudig frommen Kinder vor, und da ſie Alles mit großer Freude angenommen, und nun auch gern Ordensnamen gehabt haͤtten, ſagte ich zu ihnen: „Weil ich eure Oberin, die Henne von Hennegau bin, ſo ſuchet euch Pflanzen, welche ihren Namen von dem Huͤhnergeſchlecht haben; wir wollen ſie miſchen, daß jede ſich einen Namen durchs Loos ziehe.“ So thaten ſie und brachten acht verſchiedene Pflanzen ſolcher Namen; ich faßte ſie alle in meine Schuͤrze und ſie zogen ſich nach der Reihe ihre Namen. — So hießen dann die erſten Ordens¬ geſpielinnen — Ornitogalia von Huͤhnermilch — Oſterluzia von Hahnenſporn — Cretelina von Hahnenkamm — Serpo¬ leta von Huͤhnerklee — Morgellina von Huͤhnerbiß — Mos¬ catellina von Hahnenfuß — Cornelia von Hahnenpfoͤtchen — Esparſetta von Hahnenkaͤmmchen. — Sie gelobten mir alle Gehorſam und ich nahm als ihre Oberin den Namen an: „das arme Kind von Hennegau,“ worauf ich ihnen allen das Ordensband umhaͤngte. — Hierauf vertheilten wir unter uns die Gegenden der Stadt, worin eine jede ſich der Nothleiden¬ den und beſonders der Kinder annehmen ſollte. Auch er¬ waͤgten wir nach dem Kalender die altherkoͤmmlichen Volks¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/302>, abgerufen am 21.11.2024.