Tagen barfuß ins Hennegau gewallfahrtet und zwar zu mir. Sie hatten ein schweres Anliegen und ließen mich durch Ja¬ kob von Guise bitten, ganz allein mit mir zu sprechen und zwar am Abend vor Sonnenwende. Schon vor zwei Jah¬ ren, da meiner Mutter letztes Krankenlager begonnen, waren sie ins Hennegau gekommen mit sehr schönem Bildwerk, denn Klareta, die jüngste hatte ihres Gleichen der Zeit nicht mit Sticken und Weben von Priestergewand und Tapezerei; war auch eine große Lieblichkeit und Demuth in ihr, gemischt mit seltsamer Trauer und erquickendem Frieden, und konnte sie schöne Weisen dichten und singen. Meine Mutter hatte ein Wohlgefallen an ihr, und da das Mägdlein sehr darum bat, nahm sie es zur Dienerinn. Wir hatten aber fast gro¬ ßen Schrecken mit ihr, denn Nachts an ihrem Krankenlager wachend, war sie plötzlich unweise geworden, und haben wir sie mit den Schwestern wieder in ihre Heimath senden müssen. Sie schied unter großer Wehklage und sprach seltsame Worte; und da die Mutter acht Tage nachher starb, gieng allerlei Rede über sie, wodurch sie mir unheimlich ward; diese un¬ weise Klareta war wieder von ihren Schwestern ins Land ge¬ bracht worden. Sie war mir nicht unlieblich, ja eigentlich meinem Herzen nah; aber ich verläugnete es, es war mir bange vor ihr, es war mir, als sey sie ein Geschick, oder bringe mir eins. -- Wo ich war, flog sie nach mir, wie ein Schmetterling ins Licht. -- Ich hatte ihnen versprochen, die Nacht vor Sonnenwende bei ihnen allein auf der Bleiche zu seyn; sie hatten übernommen, Kirchenwäsche und Tauf¬ hemden um Gotteswillen im Johannisthau zu bleichen und harrten meiner mit Sehnsucht. -- Meine Gespielen schlugen mir ein kleines Schlafzelt neben ihrer Bleichhüte auf und kehrten zur Stadt. -- Als es nun Abend geworden, war all meine Wäsche ausgebreitet. Der Engel des Herrn läu¬ tete, wir standen betend um die Hütte, und als wir uns ge¬ grüßt, sangen die drei Schwestern dreistimmig einen süßen
Tagen barfuß ins Hennegau gewallfahrtet und zwar zu mir. Sie hatten ein ſchweres Anliegen und ließen mich durch Ja¬ kob von Guiſe bitten, ganz allein mit mir zu ſprechen und zwar am Abend vor Sonnenwende. Schon vor zwei Jah¬ ren, da meiner Mutter letztes Krankenlager begonnen, waren ſie ins Hennegau gekommen mit ſehr ſchoͤnem Bildwerk, denn Klareta, die juͤngſte hatte ihres Gleichen der Zeit nicht mit Sticken und Weben von Prieſtergewand und Tapezerei; war auch eine große Lieblichkeit und Demuth in ihr, gemiſcht mit ſeltſamer Trauer und erquickendem Frieden, und konnte ſie ſchoͤne Weiſen dichten und ſingen. Meine Mutter hatte ein Wohlgefallen an ihr, und da das Maͤgdlein ſehr darum bat, nahm ſie es zur Dienerinn. Wir hatten aber faſt gro¬ ßen Schrecken mit ihr, denn Nachts an ihrem Krankenlager wachend, war ſie ploͤtzlich unweiſe geworden, und haben wir ſie mit den Schweſtern wieder in ihre Heimath ſenden muͤſſen. Sie ſchied unter großer Wehklage und ſprach ſeltſame Worte; und da die Mutter acht Tage nachher ſtarb, gieng allerlei Rede uͤber ſie, wodurch ſie mir unheimlich ward; dieſe un¬ weiſe Klareta war wieder von ihren Schweſtern ins Land ge¬ bracht worden. Sie war mir nicht unlieblich, ja eigentlich meinem Herzen nah; aber ich verlaͤugnete es, es war mir bange vor ihr, es war mir, als ſey ſie ein Geſchick, oder bringe mir eins. — Wo ich war, flog ſie nach mir, wie ein Schmetterling ins Licht. — Ich hatte ihnen verſprochen, die Nacht vor Sonnenwende bei ihnen allein auf der Bleiche zu ſeyn; ſie hatten uͤbernommen, Kirchenwaͤſche und Tauf¬ hemden um Gotteswillen im Johannisthau zu bleichen und harrten meiner mit Sehnſucht. — Meine Geſpielen ſchlugen mir ein kleines Schlafzelt neben ihrer Bleichhuͤte auf und kehrten zur Stadt. — Als es nun Abend geworden, war all meine Waͤſche ausgebreitet. Der Engel des Herrn laͤu¬ tete, wir ſtanden betend um die Huͤtte, und als wir uns ge¬ gruͤßt, ſangen die drei Schweſtern dreiſtimmig einen ſuͤßen
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Tagen barfuß ins Hennegau gewallfahrtet und zwar zu mir.
Sie hatten ein ſchweres Anliegen und ließen mich durch Ja¬
kob von Guiſe bitten, ganz allein mit mir zu ſprechen und
zwar am Abend vor Sonnenwende. Schon vor zwei Jah¬
ren, da meiner Mutter letztes Krankenlager begonnen, waren
ſie ins Hennegau gekommen mit ſehr ſchoͤnem Bildwerk, denn
Klareta, die juͤngſte hatte ihres Gleichen der Zeit nicht mit
Sticken und Weben von Prieſtergewand und Tapezerei; war
auch eine große Lieblichkeit und Demuth in ihr, gemiſcht
mit ſeltſamer Trauer und erquickendem Frieden, und konnte
ſie ſchoͤne Weiſen dichten und ſingen. Meine Mutter hatte
ein Wohlgefallen an ihr, und da das Maͤgdlein ſehr darum
bat, nahm ſie es zur Dienerinn. Wir hatten aber faſt gro¬
ßen Schrecken mit ihr, denn Nachts an ihrem Krankenlager
wachend, war ſie ploͤtzlich unweiſe geworden, und haben wir ſie
mit den Schweſtern wieder in ihre Heimath ſenden muͤſſen.
Sie ſchied unter großer Wehklage und ſprach ſeltſame Worte;
und da die Mutter acht Tage nachher ſtarb, gieng allerlei
Rede uͤber ſie, wodurch ſie mir unheimlich ward; dieſe un¬
weiſe Klareta war wieder von ihren Schweſtern ins Land ge¬
bracht worden. Sie war mir nicht unlieblich, ja eigentlich
meinem Herzen nah; aber ich verlaͤugnete es, es war mir
bange vor ihr, es war mir, als ſey ſie ein Geſchick, oder
bringe mir eins. — Wo ich war, flog ſie nach mir, wie
ein Schmetterling ins Licht. — Ich hatte ihnen verſprochen,
die Nacht vor Sonnenwende bei ihnen allein auf der Bleiche
zu ſeyn; ſie hatten uͤbernommen, Kirchenwaͤſche und Tauf¬
hemden um Gotteswillen im Johannisthau zu bleichen und
harrten meiner mit Sehnſucht. — Meine Geſpielen ſchlugen
mir ein kleines Schlafzelt neben ihrer Bleichhuͤte auf und
kehrten zur Stadt. — Als es nun Abend geworden, war
all meine Waͤſche ausgebreitet. Der Engel des Herrn laͤu¬
tete, wir ſtanden betend um die Huͤtte, und als wir uns ge¬
gruͤßt, ſangen die drei Schweſtern dreiſtimmig einen ſuͤßen
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/323>, abgerufen am 21.11.2024.
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