berschifflein zum letztenmal durch die Fäden, das rothe Tuch war fertig, und ich selbst mahnte nun die Schwestern zur Wallfahrt ins Hennegau; -- und Gott sey ewig gepriesen, heut an des Täufers Vorabend sind meine Sinne genesen an dem Kleinod des rechten Schulterbandes! -- O armes Kind von Hennegau, nun erfülle das Maaß deiner Gnade, stifte uns das Kloster Lilienthal, das wir gelobet, wir wol¬ len treulich dort beten, auf daß der Hahn die Löwen von dir verscheuche." -- Nach diesen Worten kniete Klareta vor mir nieder und umarmte flehend meine Füße. Ich aber, tief¬ bewegt von allem Gehörten, bedurfte Ruhe, um mich zu sammeln und vermochte nur zu sagen: "Klareta gehe, danke Gott mit den Schwestern und ruhe, auch das arme Kind von Hennegau ist müde und muß schlafen." Da verließ sie das Zelt. -- Ich dankte Gott auf den Knieen, ich wußte, daß er durch mich geheilt hatte. O wie arm erschien ich mir neben Klareta! Sie, die so vieles erlitten, die Treue eines Dieners zu belohnen, ließ ich schmachten, um der Fa¬ ckeln und Schallmeien willen. -- Manches Eigenthümliche in meinem Wesen, das ich mir selbst zugeschrieben, erschien mir nun mit der geheimen Kraft der Kleinode zusammen¬ hängend. -- Jetzt erst verstand ich, warum nach alter Sitte den Lehnshuldinnen von Vadutz von frühester Jugend so drin¬ gend eingeschärft wurde, den Kopf nicht hängen zu lassen, sondern gerade empor zu tragen. Jetzt verstand ich, warum die Zeremonienmeisterinn bis zur Ungeduld wiederholte: "hal¬ ten sie sich gerade Gräfinn." -- Jetzt erst verstand ich die Worte, da mir die Lehnskleinode auf die Schulter ge¬ legt wurden: "wandle in der goldnen Mitte und wähle das Rechte." -- Jetzt erst danke ich meiner Mutter und Verena, daß sie mich mit solchem Eifer anhielten, auf der rechten Seite ruhend zu schlafen; so daß sie oft in der Nacht nach mir sahen und mich weckend im Bette umwendeten, was mich nicht wenig verdroß. -- Jetzt schämte ich mich des Ei¬
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berſchifflein zum letztenmal durch die Faͤden, das rothe Tuch war fertig, und ich ſelbſt mahnte nun die Schweſtern zur Wallfahrt ins Hennegau; — und Gott ſey ewig geprieſen, heut an des Taͤufers Vorabend ſind meine Sinne geneſen an dem Kleinod des rechten Schulterbandes! — O armes Kind von Hennegau, nun erfuͤlle das Maaß deiner Gnade, ſtifte uns das Kloſter Lilienthal, das wir gelobet, wir wol¬ len treulich dort beten, auf daß der Hahn die Loͤwen von dir verſcheuche.“ — Nach dieſen Worten kniete Klareta vor mir nieder und umarmte flehend meine Fuͤße. Ich aber, tief¬ bewegt von allem Gehoͤrten, bedurfte Ruhe, um mich zu ſammeln und vermochte nur zu ſagen: „Klareta gehe, danke Gott mit den Schweſtern und ruhe, auch das arme Kind von Hennegau iſt muͤde und muß ſchlafen.“ Da verließ ſie das Zelt. — Ich dankte Gott auf den Knieen, ich wußte, daß er durch mich geheilt hatte. O wie arm erſchien ich mir neben Klareta! Sie, die ſo vieles erlitten, die Treue eines Dieners zu belohnen, ließ ich ſchmachten, um der Fa¬ ckeln und Schallmeien willen. — Manches Eigenthuͤmliche in meinem Weſen, das ich mir ſelbſt zugeſchrieben, erſchien mir nun mit der geheimen Kraft der Kleinode zuſammen¬ haͤngend. — Jetzt erſt verſtand ich, warum nach alter Sitte den Lehnshuldinnen von Vadutz von fruͤheſter Jugend ſo drin¬ gend eingeſchaͤrft wurde, den Kopf nicht haͤngen zu laſſen, ſondern gerade empor zu tragen. Jetzt verſtand ich, warum die Zeremonienmeiſterinn bis zur Ungeduld wiederholte: „hal¬ ten ſie ſich gerade Graͤfinn.“ — Jetzt erſt verſtand ich die Worte, da mir die Lehnskleinode auf die Schulter ge¬ legt wurden: „wandle in der goldnen Mitte und waͤhle das Rechte.“ — Jetzt erſt danke ich meiner Mutter und Verena, daß ſie mich mit ſolchem Eifer anhielten, auf der rechten Seite ruhend zu ſchlafen; ſo daß ſie oft in der Nacht nach mir ſahen und mich weckend im Bette umwendeten, was mich nicht wenig verdroß. — Jetzt ſchaͤmte ich mich des Ei¬
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berſchifflein zum letztenmal durch die Faͤden, das rothe Tuch
war fertig, und ich ſelbſt mahnte nun die Schweſtern zur
Wallfahrt ins Hennegau; — und Gott ſey ewig geprieſen,
heut an des Taͤufers Vorabend ſind meine Sinne geneſen
an dem Kleinod des rechten Schulterbandes! — O armes
Kind von Hennegau, nun erfuͤlle das Maaß deiner Gnade,
ſtifte uns das Kloſter Lilienthal, das wir gelobet, wir wol¬
len treulich dort beten, auf daß der Hahn die Loͤwen von
dir verſcheuche.“ — Nach dieſen Worten kniete Klareta vor
mir nieder und umarmte flehend meine Fuͤße. Ich aber, tief¬
bewegt von allem Gehoͤrten, bedurfte Ruhe, um mich zu
ſammeln und vermochte nur zu ſagen: „Klareta gehe, danke
Gott mit den Schweſtern und ruhe, auch das arme Kind
von Hennegau iſt muͤde und muß ſchlafen.“ Da verließ ſie
das Zelt. — Ich dankte Gott auf den Knieen, ich wußte,
daß er durch mich geheilt hatte. O wie arm erſchien ich
mir neben Klareta! Sie, die ſo vieles erlitten, die Treue
eines Dieners zu belohnen, ließ ich ſchmachten, um der Fa¬
ckeln und Schallmeien willen. — Manches Eigenthuͤmliche
in meinem Weſen, das ich mir ſelbſt zugeſchrieben, erſchien
mir nun mit der geheimen Kraft der Kleinode zuſammen¬
haͤngend. — Jetzt erſt verſtand ich, warum nach alter Sitte
den Lehnshuldinnen von Vadutz von fruͤheſter Jugend ſo drin¬
gend eingeſchaͤrft wurde, den Kopf nicht haͤngen zu laſſen,
ſondern gerade empor zu tragen. Jetzt verſtand ich, warum
die Zeremonienmeiſterinn bis zur Ungeduld wiederholte: „hal¬
ten ſie ſich gerade Graͤfinn.“ — Jetzt erſt verſtand ich die
Worte, da mir die Lehnskleinode auf die Schulter ge¬
legt wurden: „wandle in der goldnen Mitte und waͤhle das
Rechte.“ — Jetzt erſt danke ich meiner Mutter und Verena,
daß ſie mich mit ſolchem Eifer anhielten, auf der rechten
Seite ruhend zu ſchlafen; ſo daß ſie oft in der Nacht nach
mir ſahen und mich weckend im Bette umwendeten, was
mich nicht wenig verdroß. — Jetzt ſchaͤmte ich mich des Ei¬
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/343>, abgerufen am 22.11.2024.
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