Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.krähen und sah mich um, und Alles war verändert. -- Go¬ "O Stern und Blume, Geist und Kleid, die Sense des Schnitters sauste immer näher durch dieLieb, Leid und Zeit und Ewigkeit." Halmen, und da ich mich niedersetzte, den Kranz aus den gesammelten Blumen zu flechten, sah ich zu meinen Füßen dicht vor dem Thronstuhl auf einem Kinderstühlchen einen Kna¬ ben schlummernd sitzen. Er hatte eine Feder hinter dem Ohre und schlief, den Kopf auf den Arm lehnend, auf dem scharfen Rande des Thronstuhls. Ich sagte zu Verena: "Was macht kraͤhen und ſah mich um, und Alles war veraͤndert. — Go¬ „O Stern und Blume, Geiſt und Kleid, die Senſe des Schnitters ſauſte immer naͤher durch dieLieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.“ Halmen, und da ich mich niederſetzte, den Kranz aus den geſammelten Blumen zu flechten, ſah ich zu meinen Fuͤßen dicht vor dem Thronſtuhl auf einem Kinderſtuͤhlchen einen Kna¬ ben ſchlummernd ſitzen. Er hatte eine Feder hinter dem Ohre und ſchlief, den Kopf auf den Arm lehnend, auf dem ſcharfen Rande des Thronſtuhls. Ich ſagte zu Verena: „Was macht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0387" n="331"/> kraͤhen und ſah mich um, und Alles war veraͤndert. — Go¬<lb/> ckelsruh ſtand wieder in vollem Glanze, und es war eine<lb/> freudige Hochzeit, und ich zog mit dem Brautzug und Lei¬<lb/> chenzug durch die geſchmuͤckte Schloßkapelle, in der mir mein<lb/> Mantel und mein Tagebuch genommen ward. — Hierauf<lb/> zog ich mit Verena wieder umher durch die Gegend. Wir<lb/> eilten immer ſchneller, immer muͤder und kamen endlich in<lb/> der Mitternacht in ein weites Erndtefeld. Wir zogen dem<lb/> Senſenklang und dem Schalle der Schnitterlieder nach, Ve¬<lb/> rena las Aehren und ich ſammelte Blumen zum Erndte¬<lb/> kranz. Endlich kamen wir mitten in dem Aehrenfeld auf<lb/> einen kleinen freien Raum, wo der Kranz ſollte geflochten<lb/> werden, da ſahen wir Seltſames. St. Eduards Thronſtuhl<lb/> in deſſen Sitz der Schlummerſtein Jakobs bewahrt iſt, ſtand<lb/> zwiſchen zwei hohen Lilien vor den Aehren. Aus dem Sitze<lb/> des Stuhles ſtrahlte eine Mohnpflanze von Licht mit acht<lb/> Blumen zum Nachthimmel hinauf. In der Mitte der Pflanze<lb/> unter dem Monde ſaß die Nacht, eine liebe muͤtterliche Frau,<lb/> und ihr zur Rechten und Linken auf den acht Mohnblumen<lb/> acht Sterne, als ſinnende Knaben. Es ſchwebte aber von<lb/> dem Thronſtuhle an dem Mohnſtengel ein ernſtes kleines<lb/> Maͤgdlein zum Sternhimmel empor, und zwei Engel ſenkten<lb/> Sterne in die beiden Lilien zur Seite des Throns; dazu<lb/> ſangen die Knaben auf den Mohnblumen oben:<lb/><lg type="poem"><l>„O Stern und Blume, Geiſt und Kleid,</l><lb/><l>Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.“</l><lb/></lg> die Senſe des Schnitters ſauſte immer naͤher durch die<lb/> Halmen, und da ich mich niederſetzte, den Kranz aus den<lb/> geſammelten Blumen zu flechten, ſah ich zu meinen Fuͤßen<lb/> dicht vor dem Thronſtuhl auf einem Kinderſtuͤhlchen einen Kna¬<lb/> ben ſchlummernd ſitzen. Er hatte eine Feder hinter dem Ohre<lb/> und ſchlief, den Kopf auf den Arm lehnend, auf dem ſcharfen<lb/> Rande des Thronſtuhls. Ich ſagte zu Verena: „Was macht<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [331/0387]
kraͤhen und ſah mich um, und Alles war veraͤndert. — Go¬
ckelsruh ſtand wieder in vollem Glanze, und es war eine
freudige Hochzeit, und ich zog mit dem Brautzug und Lei¬
chenzug durch die geſchmuͤckte Schloßkapelle, in der mir mein
Mantel und mein Tagebuch genommen ward. — Hierauf
zog ich mit Verena wieder umher durch die Gegend. Wir
eilten immer ſchneller, immer muͤder und kamen endlich in
der Mitternacht in ein weites Erndtefeld. Wir zogen dem
Senſenklang und dem Schalle der Schnitterlieder nach, Ve¬
rena las Aehren und ich ſammelte Blumen zum Erndte¬
kranz. Endlich kamen wir mitten in dem Aehrenfeld auf
einen kleinen freien Raum, wo der Kranz ſollte geflochten
werden, da ſahen wir Seltſames. St. Eduards Thronſtuhl
in deſſen Sitz der Schlummerſtein Jakobs bewahrt iſt, ſtand
zwiſchen zwei hohen Lilien vor den Aehren. Aus dem Sitze
des Stuhles ſtrahlte eine Mohnpflanze von Licht mit acht
Blumen zum Nachthimmel hinauf. In der Mitte der Pflanze
unter dem Monde ſaß die Nacht, eine liebe muͤtterliche Frau,
und ihr zur Rechten und Linken auf den acht Mohnblumen
acht Sterne, als ſinnende Knaben. Es ſchwebte aber von
dem Thronſtuhle an dem Mohnſtengel ein ernſtes kleines
Maͤgdlein zum Sternhimmel empor, und zwei Engel ſenkten
Sterne in die beiden Lilien zur Seite des Throns; dazu
ſangen die Knaben auf den Mohnblumen oben:
„O Stern und Blume, Geiſt und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.“
die Senſe des Schnitters ſauſte immer naͤher durch die
Halmen, und da ich mich niederſetzte, den Kranz aus den
geſammelten Blumen zu flechten, ſah ich zu meinen Fuͤßen
dicht vor dem Thronſtuhl auf einem Kinderſtuͤhlchen einen Kna¬
ben ſchlummernd ſitzen. Er hatte eine Feder hinter dem Ohre
und ſchlief, den Kopf auf den Arm lehnend, auf dem ſcharfen
Rande des Thronſtuhls. Ich ſagte zu Verena: „Was macht
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