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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

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sind meist in Aemtern des Staats, spalten an groben
Klötzen, oder arbeiten in Schachten, wo viel wilde
Wasser auszupumpen sind. Aber ein sogenannter Dichter
ist am übelsten daran, weil er meistens aus dem Schul¬
garten nach dem Parnaß entlaufen, und es ist auch
wirklich ein verdächtiges Ding um einen Dichter von
Profession, der es nicht nur nebenher ist. Man kann
sehr leicht zu ihm sagen: mein Herr, ein jeder Mensch
hat, wie Hirn, Herz, Magen, Milz, Leber und dergleichen,
auch eine Poesie im Leibe, wer aber eines dieser Glieder
überfüttert, verfüttert, oder mästet, und es über alle
andre hinüber treibt, ja es gar zum Erwerbzweig macht,
der muß sich schämen vor seinem ganzen übrigen Men¬
schen. Einer, der von der Poesie lebt, hat das Gleich¬
gewicht verloren, und eine übergroße Gänseleber, sie mag
noch so gut schmecken, setzt doch immer eine kranke Gans
voraus. Alle Menschen, welche ihr Brod nicht im
Schweiß ihres Angesichts verdienen, müssen sich einiger¬
maßen schämen, und das fühlt Einer, der noch nicht
ganz in der Tinte war, wenn er sagen soll, er sey ein
Schriftsteller. So dachte ich Allerlei, und besann mich,
was ich der Alten sagen sollte, welche, über mein Zögern
verwundert, mich anschaute und sprach:

ſind meiſt in Aemtern des Staats, ſpalten an groben
Klötzen, oder arbeiten in Schachten, wo viel wilde
Waſſer auszupumpen ſind. Aber ein ſogenannter Dichter
iſt am übelſten daran, weil er meiſtens aus dem Schul¬
garten nach dem Parnaß entlaufen, und es iſt auch
wirklich ein verdächtiges Ding um einen Dichter von
Profeſſion, der es nicht nur nebenher iſt. Man kann
ſehr leicht zu ihm ſagen: mein Herr, ein jeder Menſch
hat, wie Hirn, Herz, Magen, Milz, Leber und dergleichen,
auch eine Poeſie im Leibe, wer aber eines dieſer Glieder
überfüttert, verfüttert, oder mäſtet, und es über alle
andre hinüber treibt, ja es gar zum Erwerbzweig macht,
der muß ſich ſchämen vor ſeinem ganzen übrigen Men¬
ſchen. Einer, der von der Poeſie lebt, hat das Gleich¬
gewicht verloren, und eine übergroße Gänſeleber, ſie mag
noch ſo gut ſchmecken, ſetzt doch immer eine kranke Gans
voraus. Alle Menſchen, welche ihr Brod nicht im
Schweiß ihres Angeſichts verdienen, müſſen ſich einiger¬
maßen ſchämen, und das fühlt Einer, der noch nicht
ganz in der Tinte war, wenn er ſagen ſoll, er ſey ein
Schriftſteller. So dachte ich Allerlei, und beſann mich,
was ich der Alten ſagen ſollte, welche, über mein Zögern
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[20/0030] ſind meiſt in Aemtern des Staats, ſpalten an groben Klötzen, oder arbeiten in Schachten, wo viel wilde Waſſer auszupumpen ſind. Aber ein ſogenannter Dichter iſt am übelſten daran, weil er meiſtens aus dem Schul¬ garten nach dem Parnaß entlaufen, und es iſt auch wirklich ein verdächtiges Ding um einen Dichter von Profeſſion, der es nicht nur nebenher iſt. Man kann ſehr leicht zu ihm ſagen: mein Herr, ein jeder Menſch hat, wie Hirn, Herz, Magen, Milz, Leber und dergleichen, auch eine Poeſie im Leibe, wer aber eines dieſer Glieder überfüttert, verfüttert, oder mäſtet, und es über alle andre hinüber treibt, ja es gar zum Erwerbzweig macht, der muß ſich ſchämen vor ſeinem ganzen übrigen Men¬ ſchen. Einer, der von der Poeſie lebt, hat das Gleich¬ gewicht verloren, und eine übergroße Gänſeleber, ſie mag noch ſo gut ſchmecken, ſetzt doch immer eine kranke Gans voraus. Alle Menſchen, welche ihr Brod nicht im Schweiß ihres Angeſichts verdienen, müſſen ſich einiger¬ maßen ſchämen, und das fühlt Einer, der noch nicht ganz in der Tinte war, wenn er ſagen ſoll, er ſey ein Schriftſteller. So dachte ich Allerlei, und beſann mich, was ich der Alten ſagen ſollte, welche, über mein Zögern verwundert, mich anſchaute und ſprach:

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/30>, abgerufen am 21.11.2024.