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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

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bei den Gerichten angegeben. Um vier Uhr wird sie
gerichtet. Sie hat mir geschrieben: ich möchte noch zu
ihr kommen, das will ich nun thun und ihr das Kränz¬
lein und den Gruß von dem armen Kasper bringen,
und die Rose, die ich heut Nacht erhalten, das wird sie
trösten. Ach, lieber Schreiber, wenn Er es nur in der
Bittschrift auswirken kann: daß ihr Leib und auch der
Kasper dürfen auf unsern Kirchhof gebracht werden.

Alles, Alles will ich versuchen! rief ich aus, gleich
will ich nach dem Schlosse laufen; mein Freund, der Ihr
die Rose gab, hat die Wache dort, er soll mir den Her¬
zog wecken, ich will vor sein Bett knieen, und ihn um
Pardon für Annerl bitten.

Pardon? sagte die Alte kalt, es hat sie ja mit Zäh¬
nen dazu gezogen; hör' Er, lieber Freund, Gerechtigkeit
ist besser als Pardon, was hilft aller Pardon auf Erden,
wir müssen doch Alle vor das Gericht:

Ihr Todten, ihr Todten sollt aufersteh'n,
Ihr sollt vor das jüngste Gerichte geh'n.
Seht, sie will keinen Pardon, man hat ihn ihr angebo¬
ten, wenn sie den Vater des Kindes nennen wolle, aber
das Annerl hat gesagt: Ich habe sein Kind ermordet

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bei den Gerichten angegeben. Um vier Uhr wird ſie
gerichtet. Sie hat mir geſchrieben: ich möchte noch zu
ihr kommen, das will ich nun thun und ihr das Kränz¬
lein und den Gruß von dem armen Kasper bringen,
und die Roſe, die ich heut Nacht erhalten, das wird ſie
tröſten. Ach, lieber Schreiber, wenn Er es nur in der
Bittſchrift auswirken kann: daß ihr Leib und auch der
Kasper dürfen auf unſern Kirchhof gebracht werden.

Alles, Alles will ich verſuchen! rief ich aus, gleich
will ich nach dem Schloſſe laufen; mein Freund, der Ihr
die Roſe gab, hat die Wache dort, er ſoll mir den Her¬
zog wecken, ich will vor ſein Bett knieen, und ihn um
Pardon für Annerl bitten.

Pardon? ſagte die Alte kalt, es hat ſie ja mit Zäh¬
nen dazu gezogen; hör' Er, lieber Freund, Gerechtigkeit
iſt beſſer als Pardon, was hilft aller Pardon auf Erden,
wir müſſen doch Alle vor das Gericht:

Ihr Todten, ihr Todten ſollt auferſteh'n,
Ihr ſollt vor das jüngſte Gerichte geh'n.
Seht, ſie will keinen Pardon, man hat ihn ihr angebo¬
ten, wenn ſie den Vater des Kindes nennen wolle, aber
das Annerl hat geſagt: Ich habe ſein Kind ermordet

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[51/0061] bei den Gerichten angegeben. Um vier Uhr wird ſie gerichtet. Sie hat mir geſchrieben: ich möchte noch zu ihr kommen, das will ich nun thun und ihr das Kränz¬ lein und den Gruß von dem armen Kasper bringen, und die Roſe, die ich heut Nacht erhalten, das wird ſie tröſten. Ach, lieber Schreiber, wenn Er es nur in der Bittſchrift auswirken kann: daß ihr Leib und auch der Kasper dürfen auf unſern Kirchhof gebracht werden. Alles, Alles will ich verſuchen! rief ich aus, gleich will ich nach dem Schloſſe laufen; mein Freund, der Ihr die Roſe gab, hat die Wache dort, er ſoll mir den Her¬ zog wecken, ich will vor ſein Bett knieen, und ihn um Pardon für Annerl bitten. Pardon? ſagte die Alte kalt, es hat ſie ja mit Zäh¬ nen dazu gezogen; hör' Er, lieber Freund, Gerechtigkeit iſt beſſer als Pardon, was hilft aller Pardon auf Erden, wir müſſen doch Alle vor das Gericht: Ihr Todten, ihr Todten ſollt auferſteh'n, Ihr ſollt vor das jüngſte Gerichte geh'n. Seht, ſie will keinen Pardon, man hat ihn ihr angebo¬ ten, wenn ſie den Vater des Kindes nennen wolle, aber das Annerl hat geſagt: Ich habe ſein Kind ermordet 4*

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/61>, abgerufen am 21.11.2024.