Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

Bild:
<< vorherige Seite

Und, eh' ichs mich versah,
Stund alles fertig da.
Mir fiel hierüber folgends ein:

Wie nützlich und wie gut in unserm Leben
Die Leidenschaften seyn;
Davon kan dieses Kinder-Spiel
Mir eine gute Nachricht geben.
Welch eine Schläfrigkeit würd' an dem Menschen kleben,
Wie träg und ungeschickt würd' er zu allem seyn,
Wenn eine Leidenschaft, zumal der Trieb zur Ehre,
Nicht bey uns Menschen wäre.
Es fliesst hieraus noch eine Lehre:
Ob gleich wir Menschen schwach und unvermögend heissen;
So sind wir doch geschickter, als man denkt,
Uns dem Gewonheits-Schlaf und Schlummer zu entreissen,
Wenn man die Sinne nur auf einen Vorwurf lenkt,
Der uns gefällig ist: man wird viel Unvergnügen
Und Hinderniß geschickt seyn zu besiegen,
Mehr als man selbst geglaubt.
Sprich nicht: dieß Gleichniß hier vom Schlafe geht nicht an,
Weil man denselbigen des Morgens leicht bekriegen,
Und durch geringen Zwang vertreiben kann,
Da er sich ohnedem hinweg pfleg't zu verfügen;
Wenn der Gewonheits-Schlaf hingegen
Beständig an uns kleb't, und immer zäher wird.
Dieß scheint zwar wahr zu seyn; doch, wenn wirs recht erwegen,
So hast du dich dennoch geirrt.
Ob durch Gewonheit gleich die Leidenschaft
Noch immer stärker wird; kann gleichwol ihre Kraft
Die gegenseitige Gewonheit wieder dämpfen.
Es liegt in diesem Fall am festen Vorsatz viel.
Fang du nur tapfer an, und fahre fort zu kämpfen!
Du kommst zuletzt gewiß zum vorgesteckten Ziel.


Wahre

Und, eh’ ichs mich verſah,
Stund alles fertig da.
Mir fiel hieruͤber folgends ein:

Wie nuͤtzlich und wie gut in unſerm Leben
Die Leidenſchaften ſeyn;
Davon kan dieſes Kinder-Spiel
Mir eine gute Nachricht geben.
Welch eine Schlaͤfrigkeit wuͤrd’ an dem Menſchen kleben,
Wie traͤg und ungeſchickt wuͤrd’ er zu allem ſeyn,
Wenn eine Leidenſchaft, zumal der Trieb zur Ehre,
Nicht bey uns Menſchen waͤre.
Es flieſſt hieraus noch eine Lehre:
Ob gleich wir Menſchen ſchwach und unvermoͤgend heiſſen;
So ſind wir doch geſchickter, als man denkt,
Uns dem Gewonheits-Schlaf und Schlummer zu entreiſſen,
Wenn man die Sinne nur auf einen Vorwurf lenkt,
Der uns gefaͤllig iſt: man wird viel Unvergnuͤgen
Und Hinderniß geſchickt ſeyn zu beſiegen,
Mehr als man ſelbſt geglaubt.
Sprich nicht: dieß Gleichniß hier vom Schlafe geht nicht an,
Weil man denſelbigen des Morgens leicht bekriegen,
Und durch geringen Zwang vertreiben kann,
Da er ſich ohnedem hinweg pfleg’t zu verfuͤgen;
Wenn der Gewonheits-Schlaf hingegen
Beſtaͤndig an uns kleb’t, und immer zaͤher wird.
Dieß ſcheint zwar wahr zu ſeyn; doch, wenn wirs recht erwegen,
So haſt du dich dennoch geirrt.
Ob durch Gewonheit gleich die Leidenſchaft
Noch immer ſtaͤrker wird; kann gleichwol ihre Kraft
Die gegenſeitige Gewonheit wieder daͤmpfen.
Es liegt in dieſem Fall am feſten Vorſatz viel.
Fang du nur tapfer an, und fahre fort zu kaͤmpfen!
Du kommſt zuletzt gewiß zum vorgeſteckten Ziel.


Wahre
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="21">
            <l><pb facs="#f0164" n="128"/>
Und, eh&#x2019; ichs mich ver&#x017F;ah,</l><lb/>
            <l>Stund alles fertig da.</l><lb/>
            <l>Mir fiel hieru&#x0364;ber folgends ein:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="22">
            <l>Wie nu&#x0364;tzlich und wie gut in un&#x017F;erm Leben</l><lb/>
            <l>Die Leiden&#x017F;chaften &#x017F;eyn;</l><lb/>
            <l>Davon kan die&#x017F;es Kinder-Spiel</l><lb/>
            <l>Mir eine gute Nachricht geben.</l><lb/>
            <l>Welch eine Schla&#x0364;frigkeit wu&#x0364;rd&#x2019; an dem Men&#x017F;chen kleben,</l><lb/>
            <l>Wie tra&#x0364;g und unge&#x017F;chickt wu&#x0364;rd&#x2019; er zu allem &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Wenn eine Leiden&#x017F;chaft, zumal der Trieb zur Ehre,</l><lb/>
            <l>Nicht bey uns Men&#x017F;chen wa&#x0364;re.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="23">
            <l>Es flie&#x017F;&#x017F;t hieraus noch eine Lehre:</l><lb/>
            <l>Ob gleich wir Men&#x017F;chen &#x017F;chwach und unvermo&#x0364;gend hei&#x017F;&#x017F;en;</l><lb/>
            <l>So &#x017F;ind wir doch ge&#x017F;chickter, als man denkt,</l><lb/>
            <l>Uns dem Gewonheits-Schlaf und Schlummer zu entrei&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Wenn man die Sinne nur auf einen Vorwurf lenkt,</l><lb/>
            <l>Der uns gefa&#x0364;llig i&#x017F;t: man wird viel Unvergnu&#x0364;gen</l><lb/>
            <l>Und Hinderniß ge&#x017F;chickt &#x017F;eyn zu be&#x017F;iegen,</l><lb/>
            <l>Mehr als man &#x017F;elb&#x017F;t geglaubt.</l><lb/>
            <l>Sprich nicht: dieß Gleichniß hier vom Schlafe geht nicht an,</l><lb/>
            <l>Weil man den&#x017F;elbigen des Morgens leicht bekriegen,</l><lb/>
            <l>Und durch geringen Zwang vertreiben kann,</l><lb/>
            <l>Da er &#x017F;ich ohnedem hinweg pfleg&#x2019;t zu verfu&#x0364;gen;</l><lb/>
            <l>Wenn der Gewonheits-Schlaf hingegen</l><lb/>
            <l>Be&#x017F;ta&#x0364;ndig an uns kleb&#x2019;t, und immer za&#x0364;her wird.</l><lb/>
            <l>Dieß &#x017F;cheint zwar wahr zu &#x017F;eyn; doch, wenn wirs recht erwegen,</l><lb/>
            <l>So ha&#x017F;t du dich dennoch geirrt.</l><lb/>
            <l>Ob durch Gewonheit gleich die Leiden&#x017F;chaft</l><lb/>
            <l>Noch immer &#x017F;ta&#x0364;rker wird; kann gleichwol ihre Kraft</l><lb/>
            <l>Die gegen&#x017F;eitige Gewonheit wieder da&#x0364;mpfen.</l><lb/>
            <l>Es liegt in die&#x017F;em Fall am fe&#x017F;ten Vor&#x017F;atz viel.</l><lb/>
            <l>Fang du nur tapfer an, und fahre fort zu ka&#x0364;mpfen!</l><lb/>
            <l>Du komm&#x017F;t zuletzt gewiß zum vorge&#x017F;teckten Ziel.</l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Wahre</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0164] Und, eh’ ichs mich verſah, Stund alles fertig da. Mir fiel hieruͤber folgends ein: Wie nuͤtzlich und wie gut in unſerm Leben Die Leidenſchaften ſeyn; Davon kan dieſes Kinder-Spiel Mir eine gute Nachricht geben. Welch eine Schlaͤfrigkeit wuͤrd’ an dem Menſchen kleben, Wie traͤg und ungeſchickt wuͤrd’ er zu allem ſeyn, Wenn eine Leidenſchaft, zumal der Trieb zur Ehre, Nicht bey uns Menſchen waͤre. Es flieſſt hieraus noch eine Lehre: Ob gleich wir Menſchen ſchwach und unvermoͤgend heiſſen; So ſind wir doch geſchickter, als man denkt, Uns dem Gewonheits-Schlaf und Schlummer zu entreiſſen, Wenn man die Sinne nur auf einen Vorwurf lenkt, Der uns gefaͤllig iſt: man wird viel Unvergnuͤgen Und Hinderniß geſchickt ſeyn zu beſiegen, Mehr als man ſelbſt geglaubt. Sprich nicht: dieß Gleichniß hier vom Schlafe geht nicht an, Weil man denſelbigen des Morgens leicht bekriegen, Und durch geringen Zwang vertreiben kann, Da er ſich ohnedem hinweg pfleg’t zu verfuͤgen; Wenn der Gewonheits-Schlaf hingegen Beſtaͤndig an uns kleb’t, und immer zaͤher wird. Dieß ſcheint zwar wahr zu ſeyn; doch, wenn wirs recht erwegen, So haſt du dich dennoch geirrt. Ob durch Gewonheit gleich die Leidenſchaft Noch immer ſtaͤrker wird; kann gleichwol ihre Kraft Die gegenſeitige Gewonheit wieder daͤmpfen. Es liegt in dieſem Fall am feſten Vorſatz viel. Fang du nur tapfer an, und fahre fort zu kaͤmpfen! Du kommſt zuletzt gewiß zum vorgeſteckten Ziel. Wahre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/164
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/164>, abgerufen am 11.12.2024.