Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.Erweget denn, geliebte Menschen, doch, Wie glücklich wir in diesem Stande noch, Und wie wir GOtt dafür von Herzen danken müssen, Daß Er, nach Seinem weisen Rat Uns das, was noch nicht ist, verborgen hat, Und wir vom künftigen nichts wissen! Die Wolthat ist fürwar weit grösser, als man meynet, Und herrlicher, als sie bey'm ersten Anblick scheinet. Denn wüsten wir ein künftigs Glück vorher; So würden wir in steter Unruh seyn: Ein jeder Augenblick Würd' uns ein Tag, ein Tag ein Jahr-lang währen. Hingegen würd' ein künftigs Ungelück Uns mit stets gegenwärt'ger Pein, Durch eine schwarze Furcht, beschweren. Von meines Kindes Fall war dieß die erste Lehre. Die and're folget itzt: So wie das Kind die Schmerzen Durch einen Vorwurf, der ihm lieb, Aus seinem Hirn und Herzen, Und folglich würklich von sich, trieb; So mögten wir uns wol mit aller Kraft Und allem Ernst dahin bemühen, Uns durch die eine Leidenschaft Der andern zu entziehen! Ein jeder Zustand wird gebessert, Und folglich bald erträglich seyn, Wofern man sich nur den Verdruß, die Pein, Nicht durch Gedanken selbst, vergrössert. Ach daß wir uns doch ändern mögten, Und wann es etwa widrig geht, Mit Ernst auf etwas anders dächten, Weil in Gedanken meist so Glück als Leid besteht! Die
Erweget denn, geliebte Menſchen, doch, Wie gluͤcklich wir in dieſem Stande noch, Und wie wir GOtt dafuͤr von Herzen danken muͤſſen, Daß Er, nach Seinem weiſen Rat Uns das, was noch nicht iſt, verborgen hat, Und wir vom kuͤnftigen nichts wiſſen! Die Wolthat iſt fuͤrwar weit groͤſſer, als man meynet, Und herrlicher, als ſie bey’m erſten Anblick ſcheinet. Denn wuͤſten wir ein kuͤnftigs Gluͤck vorher; So wuͤrden wir in ſteter Unruh ſeyn: Ein jeder Augenblick Wuͤrd’ uns ein Tag, ein Tag ein Jahr-lang waͤhren. Hingegen wuͤrd’ ein kuͤnftigs Ungeluͤck Uns mit ſtets gegenwaͤrt’ger Pein, Durch eine ſchwarze Furcht, beſchweren. Von meines Kindes Fall war dieß die erſte Lehre. Die and’re folget itzt: So wie das Kind die Schmerzen Durch einen Vorwurf, der ihm lieb, Aus ſeinem Hirn und Herzen, Und folglich wuͤrklich von ſich, trieb; So moͤgten wir uns wol mit aller Kraft Und allem Ernſt dahin bemuͤhen, Uns durch die eine Leidenſchaft Der andern zu entziehen! Ein jeder Zuſtand wird gebeſſert, Und folglich bald ertraͤglich ſeyn, Wofern man ſich nur den Verdruß, die Pein, Nicht durch Gedanken ſelbſt, vergroͤſſert. Ach daß wir uns doch aͤndern moͤgten, Und wann es etwa widrig geht, Mit Ernſt auf etwas anders daͤchten, Weil in Gedanken meiſt ſo Gluͤck als Leid beſteht! Die
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Erweget denn, geliebte Menſchen, doch,
Wie gluͤcklich wir in dieſem Stande noch,
Und wie wir GOtt dafuͤr von Herzen danken muͤſſen,
Daß Er, nach Seinem weiſen Rat
Uns das, was noch nicht iſt, verborgen hat,
Und wir vom kuͤnftigen nichts wiſſen!
Die Wolthat iſt fuͤrwar weit groͤſſer, als man meynet,
Und herrlicher, als ſie bey’m erſten Anblick ſcheinet.
Denn wuͤſten wir ein kuͤnftigs Gluͤck vorher;
So wuͤrden wir in ſteter Unruh ſeyn:
Ein jeder Augenblick
Wuͤrd’ uns ein Tag, ein Tag ein Jahr-lang waͤhren.
Hingegen wuͤrd’ ein kuͤnftigs Ungeluͤck
Uns mit ſtets gegenwaͤrt’ger Pein,
Durch eine ſchwarze Furcht, beſchweren.
Von meines Kindes Fall war dieß die erſte Lehre.
Die and’re folget itzt: So wie das Kind die Schmerzen
Durch einen Vorwurf, der ihm lieb,
Aus ſeinem Hirn und Herzen,
Und folglich wuͤrklich von ſich, trieb;
So moͤgten wir uns wol mit aller Kraft
Und allem Ernſt dahin bemuͤhen,
Uns durch die eine Leidenſchaft
Der andern zu entziehen!
Ein jeder Zuſtand wird gebeſſert,
Und folglich bald ertraͤglich ſeyn,
Wofern man ſich nur den Verdruß, die Pein,
Nicht durch Gedanken ſelbſt, vergroͤſſert.
Ach daß wir uns doch aͤndern moͤgten,
Und wann es etwa widrig geht,
Mit Ernſt auf etwas anders daͤchten,
Weil in Gedanken meiſt ſo Gluͤck als Leid beſteht!
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