Viel solcher Cronen mit Vergnügen Auf meinen Fenster-Bänken liegen. Jch sah mit Lust ihr zierlichs prangen; Jedoch gab ihre Flüchtigkeit Zu einer Lehre mir Gelegenheit. Sie waren ja so schnell, als andere, vergangen. Mich deucht, es gäb' ihr flüchtigs Wesen Die grosse Warheit mir zu lesen:
Es ist ein König und ein Bauer Von einer Dauer. An einigen hab' ich bald zwölf bald achtzehn Ecken Sich von dem Mittel-Pünctgen strecken, Und zierlich in der Ründe stehn, Mit vielen Freuden oft gesehn. Verschiedene sind kleinen Rosen gleich; Sie sind an Aenderung und Unterschied so reich, Man wird gewiß nicht fehlen, Wenn man von ihnen sag't, daß sie gar nicht zu zälen.
Bey aller Zierlichkeit fällt mir jedennoch ein: Wie bald ist aller Schein, Den man an solchem Schnee nicht sonder Lust ermisst, Wie bald ist all sein zierlich Prangen, Zusamt der Nettigkeit der Bildungen, vergangen? Sprich aber darum nicht, verweg'ner Atheist: Da, was ich an dem Schnee, So sauber und so künstlich seh, Da das, was man daran so nett, so zierlich findet, Nichts nützet, und so schnell verschwindet; Wozu denn dient solch künstlich Flocken-Heer?
Zeigt
Viel ſolcher Cronen mit Vergnuͤgen Auf meinen Fenſter-Baͤnken liegen. Jch ſah mit Luſt ihr zierlichs prangen; Jedoch gab ihre Fluͤchtigkeit Zu einer Lehre mir Gelegenheit. Sie waren ja ſo ſchnell, als andere, vergangen. Mich deucht, es gaͤb’ ihr fluͤchtigs Weſen Die groſſe Warheit mir zu leſen:
Es iſt ein Koͤnig und ein Bauer Von einer Dauer. An einigen hab’ ich bald zwoͤlf bald achtzehn Ecken Sich von dem Mittel-Puͤnctgen ſtrecken, Und zierlich in der Ruͤnde ſtehn, Mit vielen Freuden oft geſehn. Verſchiedene ſind kleinen Roſen gleich; Sie ſind an Aenderung und Unterſchied ſo reich, Man wird gewiß nicht fehlen, Wenn man von ihnen ſag’t, daß ſie gar nicht zu zaͤlen.
Bey aller Zierlichkeit faͤllt mir jedennoch ein: Wie bald iſt aller Schein, Den man an ſolchem Schnee nicht ſonder Luſt ermiſſt, Wie bald iſt all ſein zierlich Prangen, Zuſamt der Nettigkeit der Bildungen, vergangen? Sprich aber darum nicht, verweg’ner Atheiſt: Da, was ich an dem Schnee, So ſauber und ſo kuͤnſtlich ſeh, Da das, was man daran ſo nett, ſo zierlich findet, Nichts nuͤtzet, und ſo ſchnell verſchwindet; Wozu denn dient ſolch kuͤnſtlich Flocken-Heer?
Zeigt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="15"><l><pbfacs="#f0448"n="412"/>
Viel ſolcher Cronen mit Vergnuͤgen</l><lb/><l>Auf meinen Fenſter-Baͤnken liegen.</l><lb/><l>Jch ſah mit Luſt ihr zierlichs prangen;</l><lb/><l>Jedoch gab ihre Fluͤchtigkeit</l><lb/><l>Zu einer Lehre mir Gelegenheit.</l><lb/><l>Sie waren ja ſo ſchnell, als andere, vergangen.</l><lb/><l>Mich deucht, es gaͤb’ ihr fluͤchtigs Weſen</l><lb/><l>Die groſſe Warheit mir zu leſen:</l></lg><lb/><lgn="16"><l>Es iſt ein Koͤnig und ein Bauer</l><lb/><l>Von einer Dauer.</l><lb/><l>An einigen hab’ ich bald zwoͤlf bald achtzehn Ecken</l><lb/><l>Sich von dem Mittel-Puͤnctgen ſtrecken,</l><lb/><l>Und zierlich in der Ruͤnde ſtehn,</l><lb/><l>Mit vielen Freuden oft geſehn.</l><lb/><l>Verſchiedene ſind kleinen Roſen gleich;</l><lb/><l>Sie ſind an Aenderung und Unterſchied ſo reich,</l><lb/><l>Man wird gewiß nicht fehlen,</l><lb/><l>Wenn man von ihnen ſag’t, daß ſie gar nicht zu zaͤlen.</l></lg><lb/><lgn="17"><l>Bey aller Zierlichkeit faͤllt mir jedennoch ein:</l><lb/><l>Wie bald iſt aller Schein,</l><lb/><l>Den man an ſolchem Schnee nicht ſonder Luſt ermiſſt,</l><lb/><l>Wie bald iſt all ſein zierlich Prangen,</l><lb/><l>Zuſamt der Nettigkeit der Bildungen, vergangen?</l><lb/><l>Sprich aber darum nicht, verweg’ner Atheiſt:</l><lb/><l>Da, was ich an dem Schnee,</l><lb/><l>So ſauber und ſo kuͤnſtlich ſeh,</l><lb/><l>Da das, was man daran ſo nett, ſo zierlich findet,</l><lb/><l>Nichts nuͤtzet, und ſo ſchnell verſchwindet;</l><lb/><l>Wozu denn dient ſolch kuͤnſtlich Flocken-Heer?</l><lb/><l><fwplace="bottom"type="catch">Zeigt</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[412/0448]
Viel ſolcher Cronen mit Vergnuͤgen
Auf meinen Fenſter-Baͤnken liegen.
Jch ſah mit Luſt ihr zierlichs prangen;
Jedoch gab ihre Fluͤchtigkeit
Zu einer Lehre mir Gelegenheit.
Sie waren ja ſo ſchnell, als andere, vergangen.
Mich deucht, es gaͤb’ ihr fluͤchtigs Weſen
Die groſſe Warheit mir zu leſen:
Es iſt ein Koͤnig und ein Bauer
Von einer Dauer.
An einigen hab’ ich bald zwoͤlf bald achtzehn Ecken
Sich von dem Mittel-Puͤnctgen ſtrecken,
Und zierlich in der Ruͤnde ſtehn,
Mit vielen Freuden oft geſehn.
Verſchiedene ſind kleinen Roſen gleich;
Sie ſind an Aenderung und Unterſchied ſo reich,
Man wird gewiß nicht fehlen,
Wenn man von ihnen ſag’t, daß ſie gar nicht zu zaͤlen.
Bey aller Zierlichkeit faͤllt mir jedennoch ein:
Wie bald iſt aller Schein,
Den man an ſolchem Schnee nicht ſonder Luſt ermiſſt,
Wie bald iſt all ſein zierlich Prangen,
Zuſamt der Nettigkeit der Bildungen, vergangen?
Sprich aber darum nicht, verweg’ner Atheiſt:
Da, was ich an dem Schnee,
So ſauber und ſo kuͤnſtlich ſeh,
Da das, was man daran ſo nett, ſo zierlich findet,
Nichts nuͤtzet, und ſo ſchnell verſchwindet;
Wozu denn dient ſolch kuͤnſtlich Flocken-Heer?
Zeigt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/448>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.