Ließ mir zu gleicher Zeit Die Wurzeln, die so weiß, wie Silber, schauen. Sie sahen selbst fast wie ein Bluhmen-Straus, Jn den so angenem geschlung'nen Zäsern, aus; Kaum konnt' ich meinen Augen trauen. Wie sehr bewundert' ich, daß etwas wachsen könnte Ganz ausser seinem Elemente! Ja was noch mehr, daß menschlicher Verstand Jn so viel tausend Jahren Dergleichen niemals noch erkannt, Und nichts davon erfahren, Da es jedoch so leicht, daß jedermann, Der es nur einmal sieht und hör't, es machen kann!
Man setzet auf ein Glas, Das voller Wasser ist, Die Bluhmen-Zwiebel auf, so daß sie kaum das Naß Mit ihrem untern Teil berühret. Das ist die ganze Kunst, worauf in kurzer Frist Das Glas voll Wurzeln wird, der Stie! sich aufwärts führet; Und kommt sodann in wenig Zeit Die Bluhme zur Vollkommenheit. Derselben felet nichts an Farb', an Zierlichkeit, Am lieblichen Geruch, der kräftig uns zu rühren.
Mein Gärtner hat, hiedurch bewogen, Auf gleiche Weise Lilien Narcissen, Kayser-Cron- und Tulpen aufgezogen. Und ich, um dieses Werk noch weiter zu probiren, Hab' einst ein dünnes Bley an manchem Ort Mit kleinen Löcherchen durchbohrt,
Und
D d 3
Ließ mir zu gleicher Zeit Die Wurzeln, die ſo weiß, wie Silber, ſchauen. Sie ſahen ſelbſt faſt wie ein Bluhmen-Straus, Jn den ſo angenem geſchlung’nen Zaͤſern, aus; Kaum konnt’ ich meinen Augen trauen. Wie ſehr bewundert’ ich, daß etwas wachſen koͤnnte Ganz auſſer ſeinem Elemente! Ja was noch mehr, daß menſchlicher Verſtand Jn ſo viel tauſend Jahren Dergleichen niemals noch erkannt, Und nichts davon erfahren, Da es jedoch ſo leicht, daß jedermann, Der es nur einmal ſieht und hoͤr’t, es machen kann!
Man ſetzet auf ein Glas, Das voller Waſſer iſt, Die Bluhmen-Zwiebel auf, ſo daß ſie kaum das Naß Mit ihrem untern Teil beruͤhret. Das iſt die ganze Kunſt, worauf in kurzer Friſt Das Glas voll Wurzeln wird, der Stie! ſich aufwaͤrts fuͤhret; Und kommt ſodann in wenig Zeit Die Bluhme zur Vollkommenheit. Derſelben felet nichts an Farb’, an Zierlichkeit, Am lieblichen Geruch, der kraͤftig uns zu ruͤhren.
Mein Gaͤrtner hat, hiedurch bewogen, Auf gleiche Weiſe Lilien Narciſſen, Kayſer-Cron- und Tulpen aufgezogen. Und ich, um dieſes Werk noch weiter zu probiren, Hab’ einſt ein duͤnnes Bley an manchem Ort Mit kleinen Loͤcherchen durchbohrt,
Und
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Ließ mir zu gleicher Zeit</l><lb/><l>Die Wurzeln, die ſo weiß, wie Silber, ſchauen.</l><lb/><l>Sie ſahen ſelbſt faſt wie ein Bluhmen-Straus,</l><lb/><l>Jn den ſo angenem geſchlung’nen Zaͤſern, aus;</l><lb/><l>Kaum konnt’ ich meinen Augen trauen.</l><lb/><l>Wie ſehr bewundert’ ich, daß etwas wachſen koͤnnte</l><lb/><l>Ganz auſſer ſeinem Elemente!</l><lb/><l>Ja was noch mehr, daß menſchlicher Verſtand</l><lb/><l>Jn ſo viel tauſend Jahren</l><lb/><l>Dergleichen niemals noch erkannt,</l><lb/><l>Und nichts davon erfahren,</l><lb/><l>Da es jedoch ſo leicht, daß jedermann,</l><lb/><l>Der es nur einmal ſieht und hoͤr’t, es machen kann!</l></lg><lb/><lgn="38"><l>Man ſetzet auf ein Glas,</l><lb/><l>Das voller Waſſer iſt,</l><lb/><l>Die Bluhmen-Zwiebel auf, ſo daß ſie kaum das Naß</l><lb/><l>Mit ihrem untern Teil beruͤhret.</l><lb/><l>Das iſt die ganze <choice><sic>Kuuſt</sic><corr>Kunſt</corr></choice>, worauf in kurzer Friſt</l><lb/><l>Das Glas voll Wurzeln wird, der Stie! ſich aufwaͤrts fuͤhret;</l><lb/><l>Und kommt ſodann in wenig Zeit</l><lb/><l>Die Bluhme zur Vollkommenheit.</l><lb/><l>Derſelben felet nichts an Farb’, an Zierlichkeit,</l><lb/><l>Am lieblichen Geruch, der kraͤftig uns zu ruͤhren.</l></lg><lb/><lgn="39"><l>Mein Gaͤrtner hat, hiedurch bewogen,</l><lb/><l>Auf gleiche Weiſe Lilien</l><lb/><l>Narciſſen, Kayſer-Cron- und Tulpen aufgezogen.</l><lb/><l>Und ich, um dieſes Werk noch weiter zu probiren,</l><lb/><l>Hab’ einſt ein duͤnnes Bley an manchem Ort</l><lb/><l>Mit kleinen Loͤcherchen durchbohrt,</l><lb/><l><fwplace="bottom"type="sig">D d 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Und</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
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Ließ mir zu gleicher Zeit
Die Wurzeln, die ſo weiß, wie Silber, ſchauen.
Sie ſahen ſelbſt faſt wie ein Bluhmen-Straus,
Jn den ſo angenem geſchlung’nen Zaͤſern, aus;
Kaum konnt’ ich meinen Augen trauen.
Wie ſehr bewundert’ ich, daß etwas wachſen koͤnnte
Ganz auſſer ſeinem Elemente!
Ja was noch mehr, daß menſchlicher Verſtand
Jn ſo viel tauſend Jahren
Dergleichen niemals noch erkannt,
Und nichts davon erfahren,
Da es jedoch ſo leicht, daß jedermann,
Der es nur einmal ſieht und hoͤr’t, es machen kann!
Man ſetzet auf ein Glas,
Das voller Waſſer iſt,
Die Bluhmen-Zwiebel auf, ſo daß ſie kaum das Naß
Mit ihrem untern Teil beruͤhret.
Das iſt die ganze Kunſt, worauf in kurzer Friſt
Das Glas voll Wurzeln wird, der Stie! ſich aufwaͤrts fuͤhret;
Und kommt ſodann in wenig Zeit
Die Bluhme zur Vollkommenheit.
Derſelben felet nichts an Farb’, an Zierlichkeit,
Am lieblichen Geruch, der kraͤftig uns zu ruͤhren.
Mein Gaͤrtner hat, hiedurch bewogen,
Auf gleiche Weiſe Lilien
Narciſſen, Kayſer-Cron- und Tulpen aufgezogen.
Und ich, um dieſes Werk noch weiter zu probiren,
Hab’ einſt ein duͤnnes Bley an manchem Ort
Mit kleinen Loͤcherchen durchbohrt,
Und
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/457>, abgerufen am 22.11.2024.
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